75 Jahre Pogrom von Aussig

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75 Jahre Pogrom von Aussig

Beitragvon Volker Zottmann » 31. Juli 2020, 14:13

Am 31. Juli 1945 kam es zum Massaker an der deutschstämmigen Bevölkerung von Aussig.
Rund 2000 Menschen, das waren 80% aller dortigen Deutschen, wurden auf die Elbbrücke getrieben, über die Geländer geworfen und dann erschossen. Frauen, Männer, Kinder....Ordnungskräfte griffen nicht ein.

Gruß Volker
Volker Zottmann
 

Re: 75 Jahre Pogrom von Aussig

Beitragvon Nostalgiker » 31. Juli 2020, 17:18

Und das passierte einfach so aus heiterem Himmel?
Ich nehme zur Kenntnis, das ich einer Generation angehöre, deren Hoffnungen zusammengebrochen sind.
Aber damit sind diese Hoffnungen nicht erledigt. Stefan Hermlin

Freiheit ist nur ein anderes Wort dafür, dass man nichts zu verlieren hat. Janis Joplin

Psychologen haben herausgefunden, dass Menschen, die immer bei anderen auf die Rechtschreibfehler hinweisen, eine Persönlichkeitsstörung haben und unzufrieden mit ihrem Leben sind. Netzfund
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Re: 75 Jahre Pogrom von Aussig

Beitragvon pentium » 31. Juli 2020, 17:44

Aussig (Ústí nad Labem)

Das Kriegsende in Aussig war friedlich. Trotz der nahen Grenze gab es dort keine Kampfhandlungen. Am Tag zuvor, am 7. Mai 1945, hatten ansässige Tschechen und einige Deutsche bereits einen „Nationalausschuss“ gegründet. Diesem unterstellte sich noch in der Nacht die deutsche Polizei. Am Tag des Waffenstillstands dann übergab der bisherige Oberbürgermeister Franz Czermak dem Nationalausschuss nach kurzen Verhandlungen die Leitung der Stadt. Um 14 Uhr informierte eine zweisprachige Meldung im örtlichen Rundfunk die Bevölkerung über diesem lokalen Regierungswechsel. Die Deutschen wurden aufgefordert, weiße Bettlaken als Zeichen der Kapitulation in die Fenster zu hängen. Der Krieg war für Aussig somit zu Ende. Bild Links:Bewachung des Fabrikgeländes, das als Munitionsdepot gedient hatte, nach erfolgter Explosion. (Privatarchiv E.Vacek)

Die friedliche Stimmung täuschte jedoch. Als die „Rote Armee“ am Nachmittag des 9. Mai in die bereits befreite Stadt einzog, schossen SS-Männer auf der Flucht panisch um sich, es gab erste Tote. In den folgenden Monaten – die sowjetischen Soldaten blieben bis Oktober – kam es immer wieder zu Übergriffen gegen die deutsche, aber auch tschechische Bevölkerung von sowjetischen Soldaten, die nach Essbarem und Wertvollem suchten. Noch im Mai 1945 wurden die ersten Deutschen aus der Region über die nahe Grenze nach Sachsen getrieben. Ende des Monats begannen dann registrierte Sammeltransporte mit der Bahn, bei denen Gepäck mitgenommen werden durfte. In diesen Wochen begingen viele Deutsche Selbstmord – 63 waren es laut Aussiger Sterbematrikel vom 9. Mai bis 31. Juli.

Eine zwanzigminütige Explosion in der ehemaligen Zuckerfabrik im Stadtteil Schönpriesen (Krásné Březno), in der eine Munitionsfabrik untergebracht war, führte zu einem schrecklichen Massaker an der Aussiger Elbbrücke. Dies geschah am Dienstag, den 31. Juli 1945 um 15.45 Uhr. 33 Personen – sechs Soldaten der tschechoslowakischen Armee, ein tschechischer Arbeiter sowie 26 deutsche Männer und Frauen – kamen ums Leben, mehrere wurden verletzt. Bei darauf folgenden Ausschreitungen in der Innenstadt und auf einer der Elbbrücken, von der deutsche Zivilisten in die Elbe geworfen wurden, starben nach Schätzungen tschechischer Historiker 40 bis 100 Menschen. Die deutschen Schätzungen liegen mehr als doppelt so hoch. Für die meisten Deutschen in Aussig kam die blinde Wut der Tschechen überraschend. Bild Rechts: Explosion in der Aussiger Muniti onsfabrik (ehemaligen Zuckerfabrik) am 31. Juli 1945 (Privatarchiv E. Vacek)

Bericht des Augenzeugens K. H. aus Prag über den 31. Juli 1945 in Aussig: „Nach Aussig kam ich am 30. Juli zur Schwester meiner Mutter. Da in der Umgebung Obst zu bekommen war, fuhr ich mit einem großen Koffer. Als ich zum Zug ging, hörte ich eine laute Explosion und sah Rauch. Bereits im Zug hörte ich aus der Entfernung Schüsse von Maschinengewehren. Nach Aussig sind wir gegen 16:30 gekommen. Wir erfuhren, dass in der Stadt ein Pogrom gegen Deutsche läuft, die die Explosion verursacht haben sollen. Beim Verlassen des Zuges ging ich zwischen mehreren jungen Menschen, die mich fragten: »Bist du Deutscher oder Tscheche?« Ich sah, wie sie zwei ältere Männer wegschleppten und sie schlugen. Ich konnte nicht begreifen, was los war. Überall waren Stöcke, Krücken, Taschen und mit Blut beschmierte Kleidung, Hüte, Prothesen, abgetrennte Ohren und viel Blut. Ein junger Mann schrie mich an: »Was für einer bist du denn!« Er schrie drohend. Ich stand da und sah das Chaos, da trat ein älterer Herr zu mir und sagte, dass es am schlimmsten hier vor den Bahnhof war, als die Deutschen vom Zug kamen. Ich sah es. Vom Bahnhof ging ich zur Brücke, von der noch einzelne Schüsse zu hören waren. Vor der Brücke sah ich einen großen jungen Mann mit weißem Hemd und mit Stiefeln, der eine lange Stange hielt, auf deren Ende ein großer Nagel war. Die Stange und sein Hemd waren voller Blut. Er sah mich siegessicher an und prahlte: »Mit der habe ich die Germanen liquidiert.« Die Zahl, die er genannt hat, merkte ich mir nicht. Ich sagte: »Das ist doch furchtbar.«»Was ist furchtbar«, schrie er, »willst du mit ihnen gehen?« In der Nähe sah ich einen Haufen von Frauenkörpern. Eine von diesen gelynchten Frauen hob den Kopf, sah mich mit einem unbegreiflichen und trüben Blick an. Wahrscheinlich war sie schon im Todeskampf. Ich ersuchte einen Zivilisten, mit seinem Gewehr ihr Leiden zu beenden. Es gelang ihm erst beim dritten Schuss. Noch nach dem zweiten hob sie den Kopf und sah mich wieder an. Noch heute sehe ich im Geiste diesen Blick. Auf der Brücke sah ich die Soldaten der Svoboda-Armee. Am Ufer lagen tote Körper der erschossenen Opfer. Wie ich zu meiner Tante kam, weiß ich nicht mehr. Sie sagte mir, dass sie Angst um ihre Nichte hätte. Ich kannte sie nicht. Aber auf einem gerahmten Foto erkannte ich, dass es die junge Frau war, die mich vor der Brücke angesehen hatte. Der Tante habe ich das nicht gesagt.“Zeugenaussage aus dem Archiv der Stadt Aussig in deutscher Übersetzung.

http://www.wildevertreibung.de/Inhalt-d ... abem-.html

....
*Dos Rauschen in Wald hot mir'sch ageta, deß ich mei Haamit net loßen ka!* *Zieht aah dorch onnern Arzgebirg der Grenzgrobn wie ene Kett, der Grenzgrobn taalt de Länder ei, ober onnere Herzen net!* *Waar sei Volk verläßt, daar is net wert, deß'r rümlaaft of daaner Erd!*
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Re: 75 Jahre Pogrom von Aussig

Beitragvon pentium » 31. Juli 2020, 17:52

Die Täter und deren Verurteilung

Es gibt seit langem Behauptungen, dieses Massaker sei von der damaligen tschechoslowakischen Regierung unter Ministerpräsident Zdeněk Fierlinger organisiert worden. Durch die Arbeit von Otfrid Pustejovsky gilt heute als gesichert, daß der im tschechoslowakischen Innenministerium tätige Bedřich Pokorný ein Hauptorganisator dieses Verbrechens war. Er hatte neun Wochen zuvor den Brünner Todesmarsch (Beginn am 31. Mai 1945) organisiert. Eine offizielle juristische Aufbereitung des Geschehens hat nicht stattgefunden. Das Beneš-Dekret 115/46 erklärt derlei Handlungen bis 28. Oktober 1945 im Kampfe zur Wiedergewinnung der Freiheit, ... oder die eine gerechte Vergeltung für Taten der Okkupanten oder ihrer Helfershelfer zum Ziel hatte, ... für nicht widerrechtlich.

Der Zeitpunkt des Massakers

Eine Besonderheit des Massakers ist sein später Zeitpunkt, denn die Welle der offenen Gewalt gegen die Sudetendeutschen wurde von Staatspräsident Edvard Beneš auf Druck der britischen Regierung ab dem 16. Juli 1945 und damit fast auf den Tag genau zum Beginn der Potsdamer Konferenz gestoppt.

Gedenken und Aufarbeitung

Am 31. Juli 2005 enthüllte der Oberbürgermeister Petr Gandalovič auf der Dr.-Edvard-Beneš-Brücke für die Opfer des Massakers an den deutschen Zivilisten als Zeichen der Versöhnung. Der Text der Inschrift lautet:

„Zum Gedenken an die Opfer der Gewalt vom 31. Juli 1945“

Daß es sich hier ausschließlich um Deutsche gehandelt hat, wird nicht erwähnt, der Text ist jedoch zweisprachig (tschechisch und deutsch).

Die Brücke des Schreckens heißt aber immer noch nach Edvard Beneš, dem Präsidenten, der die Enteignung und Vertreibung der Deutschen angewiesen hatte.

Eine Bitte einstiger Aussiger Deutscher an die Stadtverwaltung um Umbenennung der Brücke blieb ohne Antwort.

An der Außenfassade des neuen Altvaterturms auf dem Wetzstein nahe der Stadt Lehesten im südlichen Thüringer Wald wurde am 28. August 2005 eine Bronze-Relieftafel angebracht.

https://www.silesia-schlesien.com/index ... &Itemid=56

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Re: 75 Jahre Pogrom von Aussig

Beitragvon Volker Zottmann » 31. Juli 2020, 18:21

Herzlichen Dank @Pentium, für Deine zwei sehr ausführlichen Links.

Ich habe dazu heute erstmals auf dem Tagesblatt eines Harenberg-Kalenders gelesen.
Dort sind die Todeszahlen entschieden höher, eben bei 2000. Zum Todesmarsch von Brünn werden gar 9000 Tote angegeben.
Die Zahlen sind mir jetzt überhaupt nicht wichtig, vielmehr, warum es wie dazu kam.

Gruß Volker
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Re: 75 Jahre Pogrom von Aussig

Beitragvon pentium » 31. Juli 2020, 18:51

Volker Zottmann hat geschrieben:Herzlichen Dank @Pentium, für Deine zwei sehr ausführlichen Links.

Ich habe dazu heute erstmals auf dem Tagesblatt eines Harenberg-Kalenders gelesen.
Dort sind die Todeszahlen entschieden höher, eben bei 2000. Zum Todesmarsch von Brünn werden gar 9000 Tote angegeben.
Die Zahlen sind mir jetzt überhaupt nicht wichtig, vielmehr, warum es wie dazu kam.

Gruß Volker


Die genaue Ursache der Explosion ist bis heute nicht vollständig geklärt. Aber das spielt für die Folgen auch keine Rolle mehr. Die Vertreibung war fast immer Thema in meiner Familie, wobei es brauchte bis man offen darüber gesprochen hat....aber das ist ein anderes Thema.
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