von andr.k » 18. Januar 2014, 23:05
Der Spiegel 21.11.1983
Wie Bronneputzer
Gegen harte Devisen verleiht die DDR Bauarbeiter in den Westen.
Das Photo im Immobilienteil der "Stuttgarter Zeitung" verspricht ein Stück schwäbische Idylle. Trauerweiden spiegeln sich im Neckar, träge dümpeln ein paar Stocherkähne auf dem Wasser, von rechts grüßen schnuckelige Fachwerkfassaden herab.
"Wetten, daß wir Ihnen morgen Eigentumswohnungen zu Preisen anbieten, die Sie in Tübingen nicht für möglich gehalten hätten?" wirbt die Süba aus Korntal bei Stuttgart für ihr Objekt im Ursrainer Eggert, einem Neubauviertel im Norden der Universitätsstadt.
Ein Besuch der Baustelle läßt den Grund für die günstige Preisgestaltung erahnen. Nicht genug, daß die Bauarbeiter der Offenbacher Firma Apeg abends noch eine Stunde länger werkeln als ihre Kollegen nebenan. Auch Bier und "Bild"-Zeitung, unverzichtbare Hilfsmittel auf bundesdeutschen Baustellen, fehlen auf der Parzelle. Statt dessen stapeln sich im Wagen des Vorarbeiters leere Apfelsaftkartons und das "Neue Deutschland", Zentralorgan der SED.
Seit Anfang Juli erledigen 14 Fachkräfte aus dem Magdeburger Raum im Auftrag der Süba-Subunternehmerin Apeg die Betonarbeiten für den Eigenheimklotz. Ende Januar nächsten Jahres soll der Rohbau fertig sein.
Das volkseigene Team vom Bau, das vor seinem Einsatz auf Herz und Nieren, auf den Familienstand, vor allem aber auf das rechte sozialistische Bewußtsein überprüft wurde, hilft schwäbischen Bauunternehmern, knappe Termine einzuhalten, und, wenn nötig, auch mal die Konkurrenz zu unterbieten.
Etwa 400 Fachkräfte aus dem anderen Teil Deutschlands werken derzeit auf bundesdeutschen Baustellen. Die genaue Zahl kennt niemand, weil die DDR-Gastarbeiter im Gegensatz zu Kollegen aus Nicht-EG-Ländern oder anderen Ostblock-Staaten keine Arbeitserlaubnis benötigen. Auch in Bonn werden die befristeten Engagements ostdeutscher Baukolonnen nicht aktenkundig, weil sie zu denjenigen Dienstleistungen im innerdeutschen Handel gehören, die keiner Genehmigung bedürfen. Solange ihr Einsatz nicht "zu einer erheblichen wirtschaftlichen Schädigung des Bundesgebiets" führt, dürfen die Ost-Kollegen ungehindert im Westen aushelfen.
Sie kommen mit Bussen über die Grenze, etwa ins Zonengrenzstädtchen Friedewald, wo sie die Produktionshalle einer Paneel-Fabrik bauen, oder nach Berlin-Tempelhof, wo Bauhandwerker des Leipziger Kombinats BTV Appartementhäuser renovieren.
Oder aber sie betonieren, wie in Tübingen, fernab der Heimat elf Stunden pro Tag - auch samstags -, wohnen in Gemeinschaftsunterkünften und fahren nach vier Wochen jeweils für eine Woche auf Familienurlaub.
Mehr noch als durch ihren Arbeitsstil unterscheiden sich die DDR-Fachkräfte durch ihre Genügsamkeit von bundesdeutschen Kollegen. "Die meisten unserer Arbeiter würden sich weigern, in Baracken zu wohnen", klagt der Echterdinger Bauunternehmer Werner Eisel. Versuche, arbeitslose Bauarbeiter aus Ostfriesland nach Baden-Württemberg zu verpflichten, bestätigt das Landesarbeitsamt in Stuttgart, scheiterten in der Vergangenheit meist an der mangelnden Mobilität der Norddeutschen.
Hinzu kommt: Während ein westdeutscher Maurer den Bauunternehmer inklusive Steuern und Sozialabgaben über 30 Mark die Stunde kostet, tun's die Ost-Kollegen schon für fünf Mark Stundenlohn plus 25 Westmark Taschengeld pro Tag. Ein bundesdeutscher Maurer dagegen, der in den mittleren Neckarraum gelockt wird, erhält allein 38 Mark Spesen pro Tag. Sozialversicherungsbeiträge entfallen bei den Ostlern ohnehin, weil sie bei ihrem Kombinat beschäftigt bleiben, für den West-Einsatz also quasi nur ausgeliehen werden.
Kein Wunder, daß die Gewerkschaften auf die DDR-Genossen schlecht zu sprechen sind. "Bild am Sonntag" verstieg sich sogar zu der Behauptung: "DDR-Billigarbeiter nehmen uns die Arbeit weg."
Die Stimmungsmache gegen die Kollegen aus dem Osten trifft freilich die Falschen.
Nutznießer des innerdeutschen Lohngefälles sind keineswegs die Leihkräfte aus den DDR-Kombinaten, die sich ihre Mitbringsel vom Tagessatz absparen müssen. Glaubt man westdeutschen Bauunternehmern, verdienen vor allem die DDR-Außenhandelsfunktionäre an der Arbeitskraft ihrer Landsleute.
Als Vertragspartner bei deutsch-deutschen Baugeschäften fungiert die Ost-Berliner Firma Limex. Zusammen mit dem westdeutschen Auftraggeber handelt sie aus, wieviel von der erklecklichen Ost-West-Tarifdifferenz beim West-Bauunternehmen hängenbleibt und was in der notleidenden Devisenkasse der DDR klingelt. Über die Konditionen schweigen beide Seiten eisern. Nur soviel steht fest: Zu Schleuderpreisen ist nichts erhältlich.
"Die spielen ihren Vorteil voll aus", weiß Baukaufmann Eisel aus seinen Erfahrungen mit den DDR-Unterhändlern. Monatelang stellte er den Bürokraten des Ost-Berliner Ministeriums für Bauwesen nach, dann war es soweit.
Weil die Emissäre der Limex jedoch genau wußten, so Eisel, daß Großfirmen wie Bosch oder Daimler-Benz im mittleren Neckarraum "jeden brauchbaren Facharbeiter gierig aufsaugen und umschulen", habe er die Limex-Bedingungen weitgehend akzeptieren müssen.
Bei ihrem Devisen-Poker setzen die Ostdeutschen vor allem auf die Qualität der DDR-Arbeiter, die bei westlichen Bauherren hoch im Kurs stehen. "Die schaffet wie die Bronneputzer", schwärmte etwa der Mössinger Bürgermeister Hans Auer über die DDR-Kolonne, die in seiner Gemeinde einen Schulanbau hochzieht. "So eine saubere Baustelle habe ich noch nie gesehen."
Daß die deutsch-deutsche Zusammenarbeit bei der "Erweiterung der Grund- und Hauptschule Bästenhardt" in Mössingen schließlich doch vorzeitig endete, lag nicht an der mangelnden Leistung der Ost-Kolonne. Im Gegenteil: Die 22 Arbeiter des Bau- und Montagekombinats Ost, Zweigbetrieb Brandenburg, ackern seit Mitte September zur vollen Zufriedenheit des Gemeinderats im 15 000-Seelen-Städtchen am Fuß der Schwäbischen Alb - und dazu billiger als die Konkurrenz: Obwohl der nächstgünstigere Anbieter bei der Ausschreibung zwei Mann weniger einsetzen wollte, unterbot Eisel seinen Konkurrenten um mehr als 20 000 Mark.
Doch der clevere Schwabe hatte eine Klausel im Vertrag übersehen. Ohne ausdrückliche Genehmigung hätte der Echterdinger Bauspezialist kein Subunternehmen einschalten dürfen. Der DDR-Vertragspartner Limex aber fungiert als Unterauftragnehmer.
Die Vertragsfußangel sollte den Einsatz von Leiharbeitern auf der Baustelle verhindern. Weil die Mössinger früher schlechte Erfahrungen mit illegalen Arbeitsvermittlern gemacht haben, wollen sie nun auch im Fall der DDR-Kolonne keine Ausnahme machen.
So ist das schwäbische Gastspiel für die 22 Brandenburger schneller beendet als geplant. Bis Ende November, so hat der Gemeinderat entschieden, müssen die DDR-Arbeiter die Baustelle verlassen haben. Die legen seitdem, "um die strammen Termine zu halten", noch mal einen Zahn zu.
"Wenn ich das geahnt hätte", ärgert sich Eisel über den unnötigen Eklat, "hätte ich die Jungs doch einfach auf einer anderen Baustelle eingesetzt."
Quelle: DER SPIEGEL
AK
Man lebt ruhiger, wenn man nicht alles sagt, was man weiß, nicht alles glaubt, was man hört und über den Rest einfach nur lächelt.