Berliner hat geschrieben:l'ange de paix hat geschrieben:In unserer Friseur PGH lag regelmäßig auch die Zeitschrift "Eulenspiegel". Da konnte man wunderbar zwischen den Zeilen und sogar in ihnen lesen, was Phase war.
Die Kraft der zwei Kerzen
Fahrbericht zum Trabant 601
aus: Sozialistischer Straßenverkehr, Nr. 6/1987
Von Bastian LieberknechtEs gibt Dinge auf dieser Welt, die kann man nicht mehr verbessern. Weil sie perfekt sind. Der Trabant 601 vom VEB Sachsenring Zwickau, made in GDR, gehört zweifellos dazu. Wenn es anders wäre, würde er nicht seit 1964 fast unverändert auf den Straßen der DDR und der Bruderländer sowie als begehrter Exportartikel im NSW tuckern. Er rollt und rollt und rollt. Einmalig, unverwechselbar — schon allein durch das graublaue Abgaswölkchen, das stets hinter ihm schwebt.
Aber dank des Fleißes und des unbändigen Neuererdrangs der sächsischen Automobilbauer geschieht das Undenkbare stets aufs neue. Wie sich unsere führende Partei die geniale Losung “Kontinuität durch Erneuerung” auf ihre Fahnen geschrieben hat, so werden im Rhythmus der Taktstraße, frei von ausbeuterischem Akkord, gleichsam angetrieben von einem unsichtbaren Herzschrittmacher, ständig neue Ideen geboren. Gut ist uns nicht gut genug, es kann nämlich noch besser gemacht werden. Und so finden die Neuerervorschläge aus dem sozialistischen Wettbewerb ständig Eingang in das Spitzenprodukt Trabant 601.
Ein guter Grund also für unsere Fachzeitschrift, den erprobten Pkw wieder einmal planmäßig unter die Lupe zu nehmen und auf Tank und Getriebe zu prüfen. Bereits nach l4monatigen Verhandlungen gelang es unserer Redaktion, vom Kooperationspartner VEB IFA-Vertrieb ein Testfahrzeug zu ergattern und einem Härtetest zu unterziehen. Stolz können wir das Ergebnis vorwegnehmen: Der Trabant hält, was er verspricht.
Entsprechend den Hinweisen des Herstellerbetriebes hatten wir uns natürlich vor Fahrtantritt in einem kurzen Lehrgang mit der populärwissenschaftlich geschriebenen Betriebsanleitung vertraut gemacht. Ebenso berucksichtigten wir die programmatischen Hinweise zur Inbetriebnahme des Fahrzeugs.
Da für die Fahrsicherheit die Bereifung ausschlaggebend ist, zählten wir zuerst die Räder nach und stellten befriedigt fest, daß zum Abbau der Überplanbestande in den Kofferraum eines jeden Wagens ein zusätzliches Rad deponiert wurde. Zum einen wird dadurch das Gleichgewicht des Fahrzeugs gewahrt, weil es sich sonst durch das Motorgewicht zu stark nach vorn neigen würde. Zum anderen hat man für den Fall der Fälle gleich ein Reserverad zur Hand, wenn ein Reifen einen Platten hat. Da muß man den Pneu nicht mühselig abziehen und mit kleinen Gummistückchen bekleben, sondern kann gleich das fertige Rad draufschrauben. Das kommt freilich außerst selten vor, und außerdem fühlen sich die mobilisierten DDR-Burger eher dem Lenkrad als dem Ersatzrad verwandt.
Nach den Reifen prüften wir die Beleuchtungs- und Signaleinrichtung sowie den natürlich nach links schwenkenden Scheibenwischer und guckten uns die Vorrate im Kraftstoffbehalter und in der Scheibenwaschanlage an. Als letztes spielten wir probehalber mit der vorhandenen Lenkung und den Bremsen, denn es ist ja mit Geradeausfahren und Gasgeben allein nicht getan.
Bevor wir aber starteten, genehmigten wir uns einen neugierigen Blick unter die Motorhaube. Auffällig zuerst das ausgeklügelte System von Rohrleitungen, das es jedem Fahrer mit entsprechender ingenieurtechnischer Ausbildung ermöglicht, die Heizleistung proportional zur Geschwindigkeit zu gestalten. Wie ein Jaguar auf dem Sprung starrt uns das kraftstrotzende quereingebauten Zwei-Zylinder-Reihentriebwerk an. Donnerwetter — der 26-PS-Motor ist festgeschraubt, seine Leistungsfähigkeit also untrennbar mit dem Wagen verbunden. Die Antriebsquelle bedarf keiner Wasser- oder sonstigen künstlichen Kühlung, sondern lediglich der naturlichen Luftkühlung beim Fahren. Dadurch wird die Anspruchslosigkeit des Zweitakt-Otto-Motors bezüglich der Wartung noch erhöht. — Wie bei einander zugeneigten Menschen: Die leben auch von Luft und Liebe. Zwei Zündkerzen im Zweiertakt.
Wenn der Wagen zu langsam gefahren wird, kann dem Motor allerdings nicht genügend kalte Frischluft zugeführt werden und er droht zu überhitzen, wie es uns bei unserer Testfahrt an der Steilen Wand von Meerane erging. Abhilfe schafft da ein serienmäßig eingebautes Kühlluftgebläse, das mit Keilriemen von der Kurbelwelle angetrieben wird. Völlig normal dabei ist, da Keilriemen nur eine geringe Lebenserwartung haben. Beim ersten Mal waren wir darauf leider nicht vorbereitet und hatten keinen Ersatz dabei. Doch die Dederonstrumpfhose der mit uns fahrenden Protokollantin war ein gleichwertiger Ersatz. Beim zweiten Mal waren wir besser darauf eingestellt, außerdem professionell geübt und schafften den Keilriemenwechsel in der Weltrekordzeit von 3 Minuten und 4 Sekunden.
Das ist typisch für den Trabant: Fast alle Reparaturen, die aufgrund der ausgezeichneten Qualitätsarbeit “Meine Hand für mein Produkt” eigentlich im Prinzip gar nicht anfallen, kann der Laie aus Freude an der Sache selbst erledigen: vom Wechseln der Zylinderkopfdichtung über den Austausch eines Kotflugels bis zur optimalen Zündeinstellung. Die durchschaubare Technik — unsere sowjetischen Freunde nennen das Glasnost — ist doppelt gewollt. Erstens kann sich der polytechnisch hervorragend gebildete DDR-Bürger am Trabi jederzeit praktisch austoben. Und zweitens kann das Prinzip der langfristig und planmaßig zu vergebenden Werkstattermine beibehalten und auf die obligatorisch einmalige Garantiedurchsicht (Inspektion) im Perspektivplanzeitraum begrenzt werden.
Aber wir verweilen noch einen Moment unter der Kühlerhaube und bewundern den riesigen Energie-Vorratsbehälter, der hier ebenfalls ausreichend Platz findet. Man muß somit nicht wie bei anderen Autos umständlich um den Wagen herum nach hinten laufen und den Tankverschluß öffnen. Vielmehr genügt ein Griff unters Armaturenbrett, man zerrt am Bowdenzug, die Motorhaube wird hochgeklappt, und schon kann der 26-Liter-Behälter vollgetankt werden. Selbstverständlich nicht mit reinem Sprit, sondern dem entsprechenden Benzin-Ölgemisch von 1:33. Dieser Mix bietet außerdem den Vorteil, da beim Trabant der Motorölwechsel entfällt. Von yolkswirtschaftlicher Bedeutung ist nicht zuletzt, daß der Trabant keine Benzinpumpe mit sämtlichen Nachfolgeaggregaten benötigt. Da der Tank oberhalb des Motors sitzt, erledigt das die Schwerkraft: Der Kraftstoff tröpfelt wie von Zauberhand von oben nach unten.
Einfach und genial auch die Tankanzeige. Sie erfolgt nicht umständlich über irgendwelche nervösmachenden blinkenden Lichter irgendwo im Cockpit, sondern kann direkt vor Ort abgelesen werden — mit Hilfe eines Digitalmeßstabes aus Plaste, an dessen Display die noch vorhandenen Liter zu erkennen sind. Sollte ein Kraftfahrer dies jedoch versehentlich unterlassen haben und während der Fahrt am Stottern des Autos merken, daß das Benzin zur Neige geht, kann er immer noch die Benzinreserve aktivieren. Dazu muß er sich nur tief unter das Armaturenbrett auf der Beifahrerseite beugen und den Benzinhahn von senkrechter auf die waagerechte Reserve-Stellung drehen. Vor allem im Stadtverkehr oder während der Autobahnfahrten bei Hochstgeschwindigkeit erfordert das vom Piloten eine gehörige Portion Geschick und Reaktionsfahigkeit. Wer mit der Kraftstoffreserve gänzlich auf Nummer sicher gehen will, sollte wenigstens auf einen 5-Liter-Reservekanister nicht verzichten. Ansonsten hat der Trabant-Kofferraum Platz für ein Dutzend 20-liter-Kanister, was bei den Einkaufsfahrten ubers weite Land nicht unerheblich ist.
Der Fahrgastinnenraum des Trabant bietet einen Komfort, wie man ihn bei anderen Wagen dieser Kiasse vergeblich sucht. Vier ausgewachsene Personen finden darin bequem Platz — gezüchtet nach dem Standardmaß von 1,50 Meter Größe und einem Durchschnittsgewicht von 45 Kilo. Üppige Kopf- und Beinfreiheit sind kaum noch der Rede wert, dafür um so mehr die leicht nach vorn und hinten beweglichen Vordersitze. Sie ersparen auch Sitzhöhen- oder gar Lenkradverstellung, weil man im Sozialismus aufrecht sitzt. Die Rückenlehnen sind der Körperform angepaßt, die Sitzflächen wurden bewußt hart gepolstert, damit man beim Fahren nicht einschläft.
Wo andere Fahrzeuge eine verwirrende Instrumententafel besitzen, besticht der Trabant durch ein schlichtes und übersichtliches Armaturenbrett. In dessen Zentrum das Tachometer, wobei nicht nur dessen angenehme mattgraue und völlig blendfreie Beleuchtung überzeugt, sondern auch die Genauigkeit der Anzeige mit einer Toleranz von sieben bis elf Stundenkilometern. Die Zulieferer vom VEB Meßgerätewerk Beierfeld haben also das Weltniveau gleichfalls erreicht. Zwischen der Klingel und dem Handschuhfach für das mitgelieferte umfangreiche Werkzeugsortiment wurde eine mustergültige Lösung für den Aschenbecher gefunden. Er wird einfach aus der Halterung herausgezogen bzw. von unten herausgedrückt. Nach dem Motto “Abwechslung statt Monotonie im Cockpit!” ließen die Trabi-Techniker ihrer Innovationsfreude freien Lauf und installierten für den Beifahrer rechts einen Rasierspiegel. Zum Ausgleich wurde in die linke Sonnenbiende auch ein Spiegel eingebaut. Denn im Züge fortschreitender Gleichberechtigung setzen sich immer mehr Kraftfahrerinnen hinter das runde Lenkrad, die auch während der Fahrt ihre Bedürfnisse befriedigen wollen, wozu u.a. das Schminken gehört. Nebenbei können an der Kontaktstelle des entfernten Zigarettenanzünders auch andere elektrisch betriebene Kleingeräte angeschlossen werden.
Und da Zwickauer Erfindergeist keine Grenzen kennt, kann der Trabant-Fahrer mit seinen Füßen nunmehr drei Pedalen bedienen. Deren Funktionen reichen über Kuppeln, Bremsen oder Gas geben hinaus, indem sie auch der Links-, Rechts- und Geradeausfahrt dienen. Sehr sinnvoll auch die elegante Handbremse, die ein Durchdrehen der Antriebsräder beim Blitzstart verhindert. Manche Ehefrauen haben es mit angezogener Handbremse bis zu einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 32 Stundenkilometern gebracht.
Der groß3 Spaß am Trabant beginnt aber erst richtig, wenn der Tiger im Tank losgelassen wird. Der satte Motorsound läßt jedes Autofahrerherz höher schlagen. Beim Übergang vom jaulenden “töff, töff” zum ohrenbetäubenden bulligen “jimm, jimm” drückt es den Fahrer in seinen Sitz, der Trabant beschleunigt von 0 auf 100 innerhalb atemberaubender 374 Sekunden. Die blitzartige Kraftübertragung erfolgt über eine Tellerfederkupplung auf das vollsynchronisierte Vierganggetriebe mit Freilauf im vierten Gang. Die Stockschaltung an der Lenksäule ist kinderleicht zu bedienen.
Das elastische Trabant-Triebwerk ist allein wegen seiner Urwüchsigkeit ein Quell heller Freude. Es gibt einem das gute Gefühl, ganz nah dran zu sein an der Maschine, die einen fortträgt, wenn man sich nur kameradschaftlich behandelt. Em Renner, der nur schwer zu bremsen ist. Männer aus Stahl fahren Autos aus Pappe!
Der 601 ist wirklich eine kleine Rakete. Den Gashebel nur antippen — schon flitzt er fort! Die 100 Stundenkilometer schafft er bergab spielend mit Halbgas. Gibt man Vollgas, kann er immer noch einige Sachen zulegen, bis der Motor seine füllungsbedingte Drehzahlgrenze erreicht hat. Ebenso sein tadelloses Verhalten am Berg, und geradezu phantastisch die Straßenlage dieses kleinen Wagens! Der Trabant ist ein Kurvenkünstler par exellence. Er verkraftet Dank präziser Lenkreaktionen und seiner Progressivfederung Kurvengeschwindigkeiten, bei denen bei Großraumlimousinen schon die Hinterachse nach außen wandert.
Das alles ist nur moglich, weil der Trabant sich auch von außen als Kind seiner Zeit gibt — geplattet, stromlinienförmig und windschnittig. Manche meinen, der Trabant besäße den Luftwiderstand einer nach vorne geöffneten Halbkugel. Doch das ist nur die halbe Wahrheit. Denn die Karosserie ist echt klassisch — sie hat die Form eines Siegerpodestes.
Und wer dort auf dem obersten Treppchen steht, daran lassen historischer Materialismus und Optimismus keinen Zweifel. Unser Trabant stellt das entscheidende Stück Fortschritt im internationalen Automobilbau dar — deshalb mitunter die etwas längeren Wartezeiten bis zu seiner Auslieferung. Als technisch ausgereifter Pkw wird er sich auch in Zukunft bewähren.
Er ist Fleisch vom Fleische unserer Republik: wendig, schnell, ausdauernd und robust.
Berliner