Erfolgsgeschichte Kathi - Aufback Ost
Verfasst: 29. Februar 2020, 10:44
Erst revolutionierte der Familienbetrieb Kathi das Backen, dann wurde er vom SED-Regime enteignet. Die Wende wurde zur Riesenchance für die Firma, doch Rainer Thiele musste lange um das Unternehmen kämpfen. Am Ende schuf er ein ostdeutsches Märchen - nach Fast-Pleite und Herzinfarkt.
Es fehlten nur noch wenige Monate. Jahrzehnte hatte Käthe Thiele darauf gehofft, dass ihr Staat, die DDR, zusammenbrechen würde. Der Staat, der sie, die erfolgreiche Unternehmerin und Gründerin des Familienbetriebs Kathi, entschädigungslos enteignet hatte. Der Staat, der mit einem schnöden bürokratischen Federstrich ihr Lebenswerk zerstört und ihre Familie ins Unglück gestürzt hatte.
Ende März 1989 ahnte Käthe Thiele zwar, dass das lang ersehnte Ende der DDR nah sein dürfte - doch sie wusste, dass sie zu alt und krank war, um es noch selbst zu erleben. "Einen Tag vor ihrem Tod war ich an ihrem Krankenbett", erinnert sich ihr Sohn Rainer Thiele. "Sie bat mich um ein Versprechen. Ich sollte das Unternehmen für die Familie zurückgewinnen. Sie war sich sicher, dass die DDR abgewirtschaftet habe."
Sieben Monate später fiel tatsächlich die Berliner Mauer. Doch unmittelbar nach der emotionalsten Party der deutschen Geschichte begann ein nackter Existenzkampf: Die meisten Ost-Betriebe waren nach Jahrzehnten der Planwirtschaft kaum konkurrenzfähig. Etablierte DDR-Produkte waren auf einmal extrem unpopulär, der Verkauf brach drastisch ein, westdeutsche Spekulanten gingen auf Schnäppchenjagd. Von etwa 700 Ost-Marken sollten langfristig nur 120 die friedliche Revolution überleben. Auch Kathi geriet in Schwierigkeiten. Rainer Thiele musste kämpfen - um jeden Preis wollte er sein Versprechen einlösen.
Kreativität gegen den Mangel
Schließlich ging es dabei um eine fast märchenhafte Erfolgsgeschichte, die 40 Jahre zuvor begonnen hatte - und aus purer Not geboren war: Im zerstörten Nachkriegsdeutschland versuchte Käthe Thiele irgendwie über die Runden zu kommen. Sie experimentierte mit Lebensmitteln, schuf Eigenkreationen, etwa eine gestreckte Leberwurst, mit der sie von Dorf zu Dorf tingelte, um sie gegen Butter, Eier oder Käse zu tauschen. 1951 erfand die Autodidaktin, deren Mann Kurt erst 1948 aus russischer Kriegsgefangenschaft zurückgekehrt war, die erste deutsche Backmischung - zwei Jahrzehnte, bevor der Lebensmittelriese Dr. Oetker damit auf den westdeutschen Markt drängte.
Auch diese Innovation war vom Mangel inspiriert: In der gerade erst gegründeten DDR fehlte es oft an wesentlichen Zutaten für Kuchen. Mal war kein Zucker da, dann gab es kein Mehl oder keine Stärke. Käthe Thieles simple Idee war, alles irgendwie in eine Tüte zu packen und haltbar zu machen, so dass Kuchen auch in Zeiten leerer Ladenregale gebacken werden konnten. Genauso einfach wie das Konzept klang der Firmenname: Kathi, zusammengesetzt aus ihrem Vor- und Nachnamen.
Anfangs produzierten Kurt und Käthe Thiele die Backmischungen in den Garagen ihres Mietshauses in Halle - "ganz nach dem Bill-Gates-Prinzip", berichtet Sohn Rainer Thiele heute lachend. Wie beim Microsoft-Gründer reichte schon bald der Platz nicht mehr. Der Kuchen aus der Tüte war heiß begehrte Bückware, Kathi expandierte und entwickelte neben den Backmischungen nun auch andere Produktlinien wie Fertigsuppen, Soßen oder Kloßmehl.
Trümmer eines Lebenswerks
Ein paar Jahre sah es so aus, als würde das, was sich eigentlich ausschloss, ziemlich unproblematisch funktionieren: ein privat geführtes Unternehmen mit Eigenkapital im real existierenden Sozialismus. Doch dann begann der Staat, die Zügel anzuziehen. Für Kathi wurde es eine Enteignung in drei Schritten.
Zunächst musste die Familie die Mehrheit am Betrieb an einen staatlichen Mitgesellschafter übergeben. 1968 zwang das Regime Kathi dann, sich auf eine Produktionslinie zu beschränken und alle anderen aufzugeben. Die Thieles entschieden sich für die Backmischungen. "Das bedeutete aber auch, dass wir die ganze Technik, die Rohstoffe und die Rezeptur für die anderen Produktionslinien gratis an einen Volkseigenen Betrieb abgegeben mussten", sagt Rainer Thiele. "So etwas kann man sich heute gar nicht vorstellen. Aber es war eben eine Diktatur - da zählte Macht vor Recht."
Als sich die Familie gerade vom Schock erholt hatte, griff der Staat 1972 zu einer noch drastischeren Maßnahme: Er enteignete die Familie entschädigungslos und wandelte den Betrieb in den VEB Backmehlwerk Halle um. "Mein Vater war leider immer ein introvertierter Mensch, der alles in sich hineinfraß. Er erlitt einen Hörsturz und verlor 90 Prozent seiner Hörfähigkeit", berichtet Rainer Thiele. "Auch meine Mutter brach seelisch völlig zusammen."
"Sie sind kein Genosse!"
Jetzt versuchte der einzige Sohn zu retten, was noch zu retten war. Er musste mit einer staatlichen "Umwandlungskommission" über die "freiwillige Übergabe" verhandeln, wie die Enteignung im offiziellen Duktus zynisch genannt wurde. Die Kommission wollte sogar den Markennamen Kathi ändern, weil er ihr zu "kapitalistisch-bürgerlich" erschien. Doch Vater Kurt Thiele hatte sich den Namen 1951 schützen lassen - zur großen Belustigung seiner Freunde. Er hatte stets bezweifelt, dass es die DDR dauerhaft geben würde. Nun zahlte sich seine Weitsicht aus: Thieles Firma war zwar tot, doch der Name Kathi überlebte.
https://www.spiegel.de/geschichte/erfol ... 46719.html
So handelten eben die Genossen in der ach so demokratischen DDR mit ihrer " Pleite - Planwirtschaft "
Es fehlten nur noch wenige Monate. Jahrzehnte hatte Käthe Thiele darauf gehofft, dass ihr Staat, die DDR, zusammenbrechen würde. Der Staat, der sie, die erfolgreiche Unternehmerin und Gründerin des Familienbetriebs Kathi, entschädigungslos enteignet hatte. Der Staat, der mit einem schnöden bürokratischen Federstrich ihr Lebenswerk zerstört und ihre Familie ins Unglück gestürzt hatte.
Ende März 1989 ahnte Käthe Thiele zwar, dass das lang ersehnte Ende der DDR nah sein dürfte - doch sie wusste, dass sie zu alt und krank war, um es noch selbst zu erleben. "Einen Tag vor ihrem Tod war ich an ihrem Krankenbett", erinnert sich ihr Sohn Rainer Thiele. "Sie bat mich um ein Versprechen. Ich sollte das Unternehmen für die Familie zurückgewinnen. Sie war sich sicher, dass die DDR abgewirtschaftet habe."
Sieben Monate später fiel tatsächlich die Berliner Mauer. Doch unmittelbar nach der emotionalsten Party der deutschen Geschichte begann ein nackter Existenzkampf: Die meisten Ost-Betriebe waren nach Jahrzehnten der Planwirtschaft kaum konkurrenzfähig. Etablierte DDR-Produkte waren auf einmal extrem unpopulär, der Verkauf brach drastisch ein, westdeutsche Spekulanten gingen auf Schnäppchenjagd. Von etwa 700 Ost-Marken sollten langfristig nur 120 die friedliche Revolution überleben. Auch Kathi geriet in Schwierigkeiten. Rainer Thiele musste kämpfen - um jeden Preis wollte er sein Versprechen einlösen.
Kreativität gegen den Mangel
Schließlich ging es dabei um eine fast märchenhafte Erfolgsgeschichte, die 40 Jahre zuvor begonnen hatte - und aus purer Not geboren war: Im zerstörten Nachkriegsdeutschland versuchte Käthe Thiele irgendwie über die Runden zu kommen. Sie experimentierte mit Lebensmitteln, schuf Eigenkreationen, etwa eine gestreckte Leberwurst, mit der sie von Dorf zu Dorf tingelte, um sie gegen Butter, Eier oder Käse zu tauschen. 1951 erfand die Autodidaktin, deren Mann Kurt erst 1948 aus russischer Kriegsgefangenschaft zurückgekehrt war, die erste deutsche Backmischung - zwei Jahrzehnte, bevor der Lebensmittelriese Dr. Oetker damit auf den westdeutschen Markt drängte.
Auch diese Innovation war vom Mangel inspiriert: In der gerade erst gegründeten DDR fehlte es oft an wesentlichen Zutaten für Kuchen. Mal war kein Zucker da, dann gab es kein Mehl oder keine Stärke. Käthe Thieles simple Idee war, alles irgendwie in eine Tüte zu packen und haltbar zu machen, so dass Kuchen auch in Zeiten leerer Ladenregale gebacken werden konnten. Genauso einfach wie das Konzept klang der Firmenname: Kathi, zusammengesetzt aus ihrem Vor- und Nachnamen.
Anfangs produzierten Kurt und Käthe Thiele die Backmischungen in den Garagen ihres Mietshauses in Halle - "ganz nach dem Bill-Gates-Prinzip", berichtet Sohn Rainer Thiele heute lachend. Wie beim Microsoft-Gründer reichte schon bald der Platz nicht mehr. Der Kuchen aus der Tüte war heiß begehrte Bückware, Kathi expandierte und entwickelte neben den Backmischungen nun auch andere Produktlinien wie Fertigsuppen, Soßen oder Kloßmehl.
Trümmer eines Lebenswerks
Ein paar Jahre sah es so aus, als würde das, was sich eigentlich ausschloss, ziemlich unproblematisch funktionieren: ein privat geführtes Unternehmen mit Eigenkapital im real existierenden Sozialismus. Doch dann begann der Staat, die Zügel anzuziehen. Für Kathi wurde es eine Enteignung in drei Schritten.
Zunächst musste die Familie die Mehrheit am Betrieb an einen staatlichen Mitgesellschafter übergeben. 1968 zwang das Regime Kathi dann, sich auf eine Produktionslinie zu beschränken und alle anderen aufzugeben. Die Thieles entschieden sich für die Backmischungen. "Das bedeutete aber auch, dass wir die ganze Technik, die Rohstoffe und die Rezeptur für die anderen Produktionslinien gratis an einen Volkseigenen Betrieb abgegeben mussten", sagt Rainer Thiele. "So etwas kann man sich heute gar nicht vorstellen. Aber es war eben eine Diktatur - da zählte Macht vor Recht."
Als sich die Familie gerade vom Schock erholt hatte, griff der Staat 1972 zu einer noch drastischeren Maßnahme: Er enteignete die Familie entschädigungslos und wandelte den Betrieb in den VEB Backmehlwerk Halle um. "Mein Vater war leider immer ein introvertierter Mensch, der alles in sich hineinfraß. Er erlitt einen Hörsturz und verlor 90 Prozent seiner Hörfähigkeit", berichtet Rainer Thiele. "Auch meine Mutter brach seelisch völlig zusammen."
"Sie sind kein Genosse!"
Jetzt versuchte der einzige Sohn zu retten, was noch zu retten war. Er musste mit einer staatlichen "Umwandlungskommission" über die "freiwillige Übergabe" verhandeln, wie die Enteignung im offiziellen Duktus zynisch genannt wurde. Die Kommission wollte sogar den Markennamen Kathi ändern, weil er ihr zu "kapitalistisch-bürgerlich" erschien. Doch Vater Kurt Thiele hatte sich den Namen 1951 schützen lassen - zur großen Belustigung seiner Freunde. Er hatte stets bezweifelt, dass es die DDR dauerhaft geben würde. Nun zahlte sich seine Weitsicht aus: Thieles Firma war zwar tot, doch der Name Kathi überlebte.
https://www.spiegel.de/geschichte/erfol ... 46719.html
So handelten eben die Genossen in der ach so demokratischen DDR mit ihrer " Pleite - Planwirtschaft "