Ein Zeitzeuge berichtet: So habe ich den Niedergang der DDR erlebtDie Gründung und der Verlauf des Entstehens der DDR waren aus meiner Sicht eine unausweichliche Folge der damaligen politischen Lage. Sie war zunächst eine Notgeburt. Wir alle hofften auf ein friedliches geeintes Deutschland ohne Besatzungsmächte. Wir waren alle sehr traurig, als im Westen eine eigene Währung und ein separater Staat geschaffen wurden. Man hatte uns allein gelassen. Also bauten wir einen eigenen Staat auf - unter den bekannten Schwierigkeiten. In unserer Not und auf Druck der Sowjetunion übernahmen wir das sowjetische Sozialismusmodell, auch das Modell der Volksdemokratien in den östlichen Ländern, obwohl es bei uns viele andere Ideen und Gedanken gab.
Die DDR war, nach meiner Meinung, zu keiner Zeit politisch, materiell und finanziell ohne fremde Hilfe lebensfähig, trotz aller unbestreitbaren Aufbauerfolge.Als Erich Honecker nach Walter Ulbrichts Rücktritt im Mai 1971 zum 1. Sekretär des ZK der SED gewählt wurde, hat er nach meiner Auffassung einen stabilen und schuldenfreien Staat übernommen. Persönlich war ich froh, daß dieser Machtwechsel sich ohne großen politischen Krach vollzog, obwohl es darüber einige Gerüchte gab. Erich Honecker versprach damals, alles zu tun für das Wohl des Volkes, wobei er nach meiner Einsicht gute Lebenserfahrungen aber wenig Führungsqualitäten besaß. An den Beschlüssen des VIII. Parteitages war für mich erkennbar, daß er seine Aufgabe sehr ernst nahm. Ich war, wie die meisten Bürger der DDR, fest davon überzeugt, daß wir uns mit diesem Mann eine gute Zukunft gestalten können - wenn mir auch einige Bemerkungen in seinen damaligen Reden nicht ganz gefallen haben. So sagte er z. B. sinngemäß, daß wir erst jetzt den Sozialismus genießen konnten. Ich vertrat in meinem Leben immer die Auffassung, daß wir nur das verbrauchen können, was wir täglich aufs Neue erarbeiten.
In dieser Funktion wurde ich zunehmend stärker mit den Problemen der Wirtschaft und den Sorgen und Nöten der Bevölkerung konfrontiert. Durch gezielte Kontrollen auf dem Gebiet der Materialwirtschaft, den Zulieferungen, des Energieverbrauches, der Versorgung der Bevölkerung mit Waren des täglichen Bedarfs, der Dienstleistungen und der Wohnungsvergabepolitik sowie mittels der Bearbeitung von Eingaben haben wir damals um die Planerfüllung und die Realisierung von Beschlüssen regelrecht gekämpft.
Mitte der siebziger Jahre wurde schon sichtbar, daß wir uns übernommen hatten. Viele Betriebe konnten die Pläne nicht allseitig erfüllen und in der Versorgung der Bevölkerung traten erste Lucken auf. Nach meiner Auffassung hatten die Schwierigkeiten in den siebziger Jahren ihre Ursache in der unproportionalen Entwicklung der Volkswirtschaft. Die Finalproduktion wurde mit der Bildung der Kombinate weiter extensiv ausgebaut und die Zulieferindustrie blieb zurück. Es fehlten Gußerzeugnisse, Getriebe, Schaltschränke, Armaturen, Steuereinrichtungen, Normteile und vieles mehr. Durch die spontane Zuordnung von Betrieben zu Kombinaten kam es zu Produktionsverlagerungen bzw. -einstellungen, was verheerende Auswirkungen hatte.
Auch die Überführung der halbstaatlichen Betriebe in Volkseigentum brachte anfangs große Schwierigkeiten - insbesondere in der Konsumgüterproduktion. Die jährlichen Akkumulationsraten fielen unter 20 Prozent, im produzierenden Bereich sogar teilweise unter 10 Prozent. Manche Betriebe bekamen jahrelang keine Investitionen. Die Arbeitsproduktivität blieb hinter dem Weltniveau zurück. Der geplante Gewinn wurde nicht erwirtschaftet. Die Plane mußten in vielen Bereichen nach unten korrigiert werden, damit man sie überhaupt erfüllen konnte. Andererseits wurden immer neue sozialpolitische Maßnahmen beschlossen, die kaum gedeckt waren. Natürlich freuten wir uns über diese großzügigen Maßnahmen wie z. B. Arbeitszeitverkürzungen, mehr Urlaub, Lohn- und Rentenerhöhungen, Jahresendprämien, Verlängerung der Freistellung bei Geburt von Kindern, Förderung kinderreicher und junger Familien. Jeder der es wünschte, bekam für seine Kinder Krippen- oder Kindergartenplätze. Dazu kam ein großzügiges Wohnungsbauprogramm mit Millionen neuer Wohnungen, andererseits verfiel die vorhandene Bausubstanz. Stabile Preise bei Konsumgütern, Grundnahrungsmitteln und Dienstleistungen waren unverrückbarer Grundsatz. Für jeden Bürger waren die Aufwendungen für Grundbedürfnisse einschließlich Bildung, Kultur, Freizeit, Erholung und Sport erschwinglich. Ein Krankenhausplatz kostete in unserem Bezirk pro Tag 235 Mark, von denen der Patient keinen Pfennig bezahlen mußte.
Die vollständige, interessante und lange Analyse der Entwicklung in der DDR, findet man hier:
http://www.spurensicherung.org/texte/Ba ... da.htm#topWenn der Zeutzeuge am Ende seines sehr langen Berichtes dieses schreibt,
Für mich und viele engagierte Bürger der ehemaligen DDR ist der Niedergang unseres Staates sehr bitter und enttäuschend. Tatsache ist und bleibt: Das Sozialismusmodell, an dem ich mit ganzer Kraft und ehrlich gearbeitet hatte, ist für immer untergegangen. Übrig blieben nur neue Visionen. In der größten Klassenauseinandersetzung des zwanzigsten Jahrhunderts mit dem Kalten Krieg als Höhepunkt hat sich der Kapitalismus gegen den Sozialismus durchgesetzt. In letzter Instanz war entscheidend, daß es den kapitalistischen Industriestaaten unter Führung der USA besser gelungen ist, die wissenschaftlich-technische Revolution zu meistern und eine hohe Produktivität zu erreichen. So konnten sie die objektiv ständig wachsenden Bedürfnisse der Mehrheit ihrer Bürger auf einem Niveau befriedigen, das in keinem der sozialistischen Länder erreicht wurde (Zweidrittel-Gesellschaft). Ob uns das paßt oder nicht - das ist die entscheidende Ursache für unseren Niedergang. Mit der Einheit Deutschlands ist - wenn sie sich auch nicht so vollzogen hat wie wir es erhofften - großes Unrecht und ein schwelender Konfliktherd in Europa beseitigt worden. Nur wenn wir die Ursachen unseres Niedergangs gründlicher erforschen und daraus für die Zukunft lernen, werden wir der geschichtlichen Beurteilung standhalten und neue Kraft schöpfen.
so heißt das nicht, dass er in seinem Bericht auch die positiven Dinge und Ursache und Wirkung unerwähnt gelassen hat. Für mich persönlich eine beeindruckende Schilderung eines Zeitzeugen.