Volker Zottmann hat geschrieben:Psychologe, Pathologe, Monologe....
@"Volker Zottmann",
bleib doch bitte beim thema.
dein kumpel labert doch nur. erst waren es minderjährige, die im westen nicht gedopt wurden und nun ist es die freiwillige entscheidung, welche hier den großen unterschied erklären soll. dann gab es nie ein staatsdoping, welches von oben gefordert wurde.
pfui mein lieber, denn in beiden systemen wurde es von oben gefordert und durchgezogen. in beiden systemen hat man, nur um der bessere zu sein, mit dem leben junger menschen gespielt. den ddr- kram hat man offengelegt und der eigene bleibt verschlossen.
das findest du gut?
" ...
Rutschbahn in den legalen Drogensumpf
Am 10. April 1987 starb, nach dreitägigem Martyrium unter unsäglichen Schmerzen, die deutsche Leichtathletin Birgit Dressel, 26. Das bisher unter Verschluß gehaltene rechtsmedizinische Gutachten verrät, wie sie zu Tode kam. Zum erstenmal läßt sich minuziös belegen, wie Hochleistungsathleten medizinisch betreut werden, welche Unmengen von Medikamenten sie spritzen, schlucken, trinken - bis zum bitteren Ende. *
Am Sonntag hat die Siebenkämpferin Ruh''. Birgit Dressel darf ausschlafen. Ihr Freund und Trainer hat es erlaubt. Beide sind zufrieden. Mit Birgit geht es aufwärts. In nur einem Jahr ist die blauäugige Blondine vom 33. auf den 6. Platz der Weltrangliste vorgestoßen, aus der Drittklassigkeit zur Spitze aller Siebenkämpferinnen.
Am Sonntag, dem 5. April 1987, entspannen die beiden Sportler noch mal richtig. Vor Birgit liegen große Ereignisse: Anfang September die Leichtathletik-Weltmeisterschaften in Rom, im nächsten Jahr die Olympischen Spiele im südkoreanischen Seoul.
Nur jetzt nicht weich werden! Weiter trainieren, härter arbeiten. Auch wenn''s schwerfällt. Es geht um die greifbar nahen Rekorde, um Geld, Ruhm, Meistertitel und den ruhigen, wohlversorgten Lebensabend. Das Paar Birgit Dressel und Thomas Kohlbacher will ja nicht für alle Zeiten in der kleinen Mainzer Mansardenwohnung, An den Platzäckern 3, hängenbleiben. Andere Sportler haben es doch auch geschafft. Birgit Dressel geht zu ihrem Arzneischrank und legt sich die Pillen zurecht, wie jeden Tag. Es sind neun Tabletten und Dragees, dazu eine Trinkampulle.
Die Pharmazeutika schillern in allen Farben des Regenbogens. Es sind die Vitamine B1, B12 und C darunter, ferner Präparate, die Kupfer und Magnesium enthalten, merkwürdigerweise jedoch auch Pillen, von denen die Hersteller versprechen, daß sie gegen Hirnverkalkung, Raucherbein, Allergie, Knochenerweichung, Dickdarmentzündung, Herzschwäche, Krampfadern oder Wassersucht helfen. Ihre Namen sind reine Phantasiegebilde. Sie heißen "Pascovenol" oder "Frubiase", "Oxypangam" oder "Dreisafer".
Birgit Dressel schluckt sie alle runter, auch das "Megagrisevit". Es ist ein "Anabolikum", steht auf der Liste der verbotenen Dopingsubstanzen _(Doping ist, nach den Grundsätzen des ) _(Olympischen Komitees, die "Verwendung ) _(von Substanzen aus verbotenen ) _(Wirkstoffgruppen". "Dopen" leitet sich ) _(ab vom Zuluwort doop ("berauschender ) _(Schnaps"). )
; Wochen zuvor sei es der Leichtathletin, erinnert sich später Trainer Kohlbacher anonym per Post zugesandt worden. Sein Schützling nimmt es trotzdem, regelmäßig, Tag für Tag.
Der Hersteller empfiehlt Megagrisevit zwar nur den Schwerkranken, insonderheit Krebspatienten im letzten Abmagerungsstadium.
Frau Dressel schluckt es um noch mehr Muskeln zu bekommen.
Vor allem am Schultergürtel hat die studierte Sportwissenschaftlerin im letzten Jahr ordentlich zugelegt. Von weitem und von hinten sieht sie schon fast aus wie ein Mann. Der praktische Kurzhaarschnitt verstärkt diesen Eindruck. Megagrisevit, so steht es warnend im Beipackzettel, ist ein Sexualhormon. Es vermännlicht ("virilisiert") die weiblichen Patienten und nimmt, andererseits den Männern durch Hemmung der Samenbildung Liebeslust und Lendenkraft.
Birgit Dressels Arzt, der Freiburger Sportmediziner Professor Armin Klümper, hat seiner Patientin, sagt er, kein Megagrisevit verordnet, obwohl das Anabolikum in Klümpers Therapieschemaliste aufgeführt ist und der bärtige Doktor die Anabolika durchaus für segensreich hält. 1985, so Klümper vor der Kripo, hätte Frau Dressel - nach einer Operation - seiner Überzeugung nach "eigentlich Anabolika bekommen müssen", jedoch fänden sich dafür keine Anhaltspunkte in seinen Unterlagen. Seit 1986 schluckt die Athletin auch "Stromba", ein ebenso nebenwirkungsreiches Anabolikum, das sie aus einer anderen Quelle bezog.
Der Freiburger Professor ist seit 1981 Birgit Dressels behandelnder Arzt. Klümper gilt als der Ober-Guru der deutschen Sportärzte. Seine "Sporttraumatologische Spezialambulanz" im Auwald vor Freiburg ist das Mekka der deutschen Hochleistungssportler. Pro Jahr verarzten der brummige Walddoktor und seine Kollegen fast 2400 Top-Athleten.
Zu Klümper pilgerten der Zehnkämpfer Kurt Bendlin ("Klümper ist die Vaterfigur des deutschen Sports"), Turnweltmeister Eberhard Gienger, Fußballer, Fechter, Schwerathleten, Marathonläufer - die Goldjungens und Parademädchen der ganzen Republik (siehe Kasten Seite 245).
Die Siebenkämpferin Dressel sieht der Professor alle vier bis acht Wochen hat ihr die Regenbogen-Pillen aufgeschrieben. Seit Klümper die talentierte Athletin verarztet, sei sie, meint der Sportarzt, "eigentlich immer gesünder geworden", damit auch leistungsfähiger. Bei der letzten Visite, am 24. Februar 1987, sei Birgit Dressel eine "vorzeigefähige, kraftstrotzende, im höchsten Maße gesunde" Athletin gewesen.
Deshalb mutet sie sich viel zu. Drei bis vier Stunden hartes Training pro Tag: Siebenkämpferinnen müssen 100 Meter Hürden, 200 Meter und 800 Meter laufen, die Kugel stoßen, den Speer werfen, hoch und weit springen (siehe Kasten Seite 232). Das ist ein hartes Gewerbe. Zum Beispiel Weitsprungtraining: 30 Meter anlaufen, abspringen, mit acht Meter pro Sekunde aufschlagen. Die Lendenwirbelsäule dabei maximal nach hinten überstrecken, den Rumpf rotieren, und das alles immer wieder.
"Stereotype Extrembelastungen" nennen Sportwissenschaftler diese Tortur. Die gesamte kinetische Energie wirkt in Bruchteilen von Sekunden auf den Lenden-Kreuzbein-Übergang. Im Laufe der Karriere bringt es eine gute Siebenkämpferin, die Imitationsübungen an Zugapparaten mitgezählt, auf 200000 bis 300000 solcher Extrembelastungen. Das hält die stärkste Frau nicht aus.
Birgit Dressel galt weder als "verletzungsanfällig" noch als "wehleidig". Sie hat tapfer ertragen, was der Beruf
so mit sich brachte. Drei Tage nach dem entspannenden Sonntag, am Mittwoch, dem 8. April, war es wieder so weit. Sie trainierte das Kugelstoßen, immer wieder - und zum allerletzten Mal. Plötzlich traten heftige Schmerzen in der linken Lendenwirbelregion auf. Sie strahlten bis in die Gesäßregion aus. Birgit Dressel humpelte vom Platz.
Diese Schmerzen kannte sie. Zweimal war das Training in diesem Jahr aus dem gleichen Grund schon unterbrochen worden. Frau Dressel und ihr Trainerfreund Kohlbacher diagnostizierten einen "Hartspann", eine Lappalie, wie Kohlbacher meinte. Nachmittags fuhr man, auf der Suche nach schnellstmöglicher Linderung, in die Praxis des Mainzer Orthopäden Dr. A. _(Der richtige Name ist dem SPIEGEL ) _(bekannt. Die zahlreichen behandelnden ) _(Ärzte Birgit Dressels werden nach dem ) _(Alphabet geordnet. )
Der Dr. A, ein unter Sportlern geschätzter Medikus von der zupackenden Art, ist der erste, der die Sache in den Griff zu bekommen sucht. Er scheitert - wie die mehr als zwei Dutzend Ärzte, Oberärzte und Professoren, Vertreter von sechs medizinischen Spezialdisziplinen der Mainzer Universitätskliniken, die sich zwei Tage später um die prominente Sportlerin bemühen werden. Birgit Dressel stirbt. Ihr Tod irritiert die Welt des Sports.
"Sie ist vor Schmerzen gestorben", behauptet danach ihr Freund, der ehrgeizige Trainer, ein 30jähriger bebrillter Lockenkopf und Zehnkämpfer i. R.
Birgits Vater, 58, Reedereikaufmann in Bremen und einst selber im B-Kader der Handball-Nationalmannschaft sportlich aktiv, widerspricht: "Für mich ist klar. Birgit ist ein Opfer der Pharmaindustrie." Die Mutter der Athletin, Lisa Dressel, klagt die Ärzte an: "Sie haben nicht versucht, meiner Tochter zu helfen, Sie haben sie gequält!"
Von einem "tragischen Fall" spricht der Professor Klümper, auf "Schwachstellen unseres medizinischen Betreuungssystems" verweisen die Aktiven-Sprecherinnen der deutschen Leichtathletinnen, Ingrid Thyssen und Gaby Bußmann: "Um des sportlichen Erfolges willen nehmen wir viel auf uns. Das Risiko, unser Leben zu verlieren, gehört nicht dazu."
Doch, es gehört dazu. Der Fall Dressel beweist es.
Erstmals in der deutschen Sportgeschichte läßt sich minuziös belegen, wie Hochleistungsathleten medizinisch versorgt werden, welche Unmengen von Medikamenten sie spritzen, schlucken und trinken, wie rücksichtslos der Organismus dabei überfordert wird - bis zum bitteren Ende.
Birgit Dressels Tod hat umfangreiche Ermittlungen der Mainzer Kripo und Staatsanwaltschaft ausgelöst. Die beiden Rechtsmediziner Professor Rainer Mattern (Uni Mainz) und Professor Hans-Joachim Wagner (Saar-Universität) haben, unterstützt von einem Dutzend Spezialisten aus der ganzen Republik, den Fall Dressel gut hundert Tage lang nach allen Richtungen hin untersucht und analysiert. Das - bisher strikt unter Verschluß gehaltene - "gemeinsame rechtsmedizinische Gutachten" liegt dem SPIEGEL vor.
Es ist ein Dokument des Schreckens. Die "im höchsten Maße gesunde" Birgit Dressel (Klümper zur Kripo) war in Wahrheit eine chronisch kranke, mit Hunderten von Arzneimitteln vollgepumpte junge Frau. Der Sport hatte sie längst zum Krüppel gemacht, ihre Gelenke zerstört, die inneren Organe vor der Zeit zerschlissen.
Auf der Suche nach so widersprüchlichen Dingen wie Hilfe und Schmerzlinderung, Leistungssteigerung und Weltrekord verstrickte sich die Athletin immer mehr in Abhängigkeiten von Ärzten und Medikamenten aller Art, einschließlich Dopingdrogen. Trost fand sie in dem falschen Glauben, man könne "heutzutage alles injizieren und einnehmen, weil alles reversibel ist". Mit diesem kessen Spruch schlug sie die letzte Warnung des Mainzer Apothekers und Doping-Experten Horst
Klehr in den Wind, ein Jahr vor ihrem frühen Tod.
Ihrer Mutter Lisa, einer Korbballspielerin, nahm sie die Angst vor den vielen Medikamenten: "Mutti, das brauche ich. Alle nehmen das. Das ist doch noch gar nichts. Die Zehnkämpfer schlucken doppelt soviel."
In der gemeinsamen Wohnung von Dressel und Kohlbacher beschlagnahmte die Kripo später 40 verschiedene Medikamentenpackungen, ein buntes Sammelsurium. Die Hausapotheke barg harmlose Blütenpollen und Homöopathika, bei denen nur der Glaube hilft, aber auch rezeptpflichtige Medikamente gegen alle möglichen Gebrechen aller möglichen Organe und dazu Dutzende von stark wirksamen und gefährlichen Schmerzlinderern, Entzündungshemmern und Gelenkpräparaten.
Da kam es auf die "Argun L-Filmtabletten", ein weiteres Antirheumatikum und Schmerzmittel, schon gar nicht mehr an. Dr. A gab es der geplagten Birgit Dressel aus seinem großen Vorrat von Ärztemustern mit nach Hause, für alle Fälle. Vorher hatte er getan, was ein Orthopäde am liebsten tut und was seine leistungsorientierten Sportpatienten allesamt von ihm erwarten: Er hatte in die schmerzenden Stellen hineingespritztfühlbarer Ausdruck der Entschlossenheit, reinzustechen ins Zentrum der Beschwerden.
Dr. A "infiltrierte am Schmerzpunkt" (so das Gutachten der Rechtsmediziner) links neben der Wirbelsäule zwei bis drei Milliliter "Xylonest", ein lokales Betäubungsmittel. Dazu gab es, doppelt hilft besser, noch eine "intramuskuläre Injektion" mit "Voltaren", das die Schweizer Pharmafirma Geigy für Rheumatiker bereitstellt.
Abends gegen 18 Uhr, diesmal im Mainzer Sportleistungszentrum, griff Dr. A wieder zur Spritze. Weil Birgit Dressel den Schmerz immer noch nicht los war, wurde "Myo-Melcain" versucht, eine Kombination von Lokalanästhetikum und Bienenhonig. Was der Bienenhonig gegen den Flankenschmerz und die erkannte "leichte Großzehenheberschwäche links" bewirken könnte, ist das Geheimnis derer, die an den Bienenhonig als Heilmittel glauben. Das sind Millionen.
Am nächsten Nachmittag, am Donnerstag, dem 9. April, war Birgit Dressel wieder bei Dr. A in der Sprechstunde. Der Befund hatte sich "akut" verschlechtert. Gesäß und Bein waren nun stark berührungsempfindlich, auch gegen Kälte. Dr. A ordnete das Röntgen der Lendenwirbelsäule an und eskalierte die Arzneimitteltherapie. Auf Bienenhonig wurde nun verzichtet, statt dessen gab es zwei intramuskuläre Spritzen, "Voltaren" wie am Vortag und zusätzlich noch "Baralgin". Beides gilt unter Ärzten als "starkes Geschütz". Manche Doktoren würden lieber auf einem Bein davonhumpeln, als sich selbst so unter Feuer nehmen zu lassen.
Für die begleitende Therapie zu Hause griff Dr. A nochmals zu seinen Ärztemustern. Er händigte Frau Dressel "Godamed"- und "Tranquase-5"-Tabletten aus, dazu "Optipyrin"-Zäpfchen. In den drei Medikamenten ist vieles zusammengerührt, was in der Heilkunst als gesichert wirksam gilt: Acetylsalicylsäure, die seit über 80 Jahren bekannte Wirksubstanz des "Aspirin"; ein weiteres Schmerzmittel namens Ethenzamid; dazu gleich drei Wirkstoffe, die den Kopf mit der Realität auf rosarote Weise aussöhnen - Diazepam, den Seelentröster im "Valium"; Barbitursäure, das altbekannte Schlafmittel, und schließlich Codein, offiziell als Hustenmittel im Arzneischatz, hauptsächlich aber ein Bruder der Rauschdroge Morphium.
Solche Mischpräparate sind in Deutschland, trotz aller Einwände unabhängiger Arzneimittelwissenschaftler, gang und gäbe. Sie erschweren zwar die Analyse von Wirkung und Nebenwirkung, kommen aber dem Bedürfnis vieler Ärzte und Patienten entgegen: Der Medikus hofft auf den Schrotschußeffekt, der Patient vertraut dem althergebrachten Irrglauben "viel hilft viel". Er ist unter Sportlern, die ihr Leben irgendeinem Maximum weihen, besonders verbreitet. Auch Birgit Dressel hat ihm angehangen - und ist daran gestorben.
Mindestens 10 bis 15 "Godamed", so eruiert später die Kripo, hat sie zu Hause geschluckt. Dabei hatte der Nervenarzt Dr. B, den Dr. A an diesem Nachmittag als Berater ("Konsiliarius") hinzuzog, nur ein Lendenweh ("Lumbago") ohne "neurologische Ausfälle" diagnostiziert und zu konservativer Therapie, zum Beispiel Eisbeutel, geraten. Es half alles nichts. Die Nacht vom Donnerstag zum Freitag verging ohne Schlaf. Die Sportlerin Dressel und ihr Trainerfreund Kohlbacher,
beide sehr belastbar, wurden nervös.
Dreimal wurde Dr. A noch um Rat gefragt (sein Rat: "Godamed, nicht allzu viele"), einmal auch der Notarzt Dr. C fernmündlich konsultiert. Er riet per Telephon zu Aspirin und Heparin-Salben. Das ließ man bleiben.
Am Morgen des Freitag, um 6.30 Uhr machte Dr. A bei Frau Dressel den ersten Hausbesuch. Er fand sie, gequält von nun "wehenartigen Schmerzen", aber mit kräftigem gut gefühltem Puls. Schockzeichen, Allergiesymptome oder Hinweise für eine Nervenkrankheit beobachtete er nicht. Seine "Verdachtsdiagnose", wegen der "wehenartigen" Schmerzen: Nierenkolik.
Das war die erste von vielen Verdachts- und Fehldiagnosen, die an diesem Tag noch gestellt werden sollten. Vom Tod trennten Birgit Dressel noch 16 Stunden und 24 Heilkundige.
Fast jede Diagnose zog eine Therapie hinter sich her. So brachte es die Sterbenskranke an ihrem letzten Lebenstag noch einmal auf Dutzende von Medikamenten.
Als erstes injizierte Dr. A, der zupackende Orthopäde, gegen die (nicht vorhandene) Nierenkolik im Morgengrauen "Meta-Attritin", ein weiteres Mischpräparat, sicherheitshalber gleich die große Ampulle. Der Hersteller empfiehlt es gegen "akute starke Schmerzen bei nicht entzündlichen arthrotischen Gelenkveränderungen", auch bei "Lumbago". Eigentlich sollte Dr. A''s letzte Bombe wieder direkt in den Rückenmuskel placiert werden. Das ging beim besten Willen nicht mehr, der war schon viel zu verspannt. Da verbiegt sich die Nadel. So landete die Injektion im rechten Gesäß.
Birgit, sagt ihr Vater, war immer "kerngesund". Trotzdem hat die Deutsche Meisterin im Laufe ihrer Karriere Hunderte von Spritzen bekommen, nachgewiesenermaßen von ihrem letzten Leibarzt Klümper mindestens 400. Birgit Dressel spritzte sich, auf Anraten dieses Arztes, auch selbst, meist in den Oberschenkel. Irgendwann in ihrem Leben muß die beliebte Sportlerin auch mal eine herdförmige Nierenentzündung hinter sich gebracht haben, keine Überraschung bei soviel Arzneigiften. Bemerkt wurde diese Krankheit jedoch erst auf dem Sektionstisch.
Was den Ärzten, zumal dem beliebten Sporttraumatologen Klümper, einem gelernten Röntgenologen, sonst noch an seiner "immer gesünder werdenden" Patientin aufgefallen ist, liest sich in den beschlagnahmten Krankenakten so:
* Seit 1981 immer wiederkehrendes Lendenweh
("Lumbalgie");
* seitliche Verbiegung ("Skoliose") der Wirbelsäule;
* Bandscheibenschäden und Verschmelzung der Wirbelkörper;
* Beckenschiefstand rechts ("um zwei Zentimeter
abfallend");
* Beinlängendifferenz zwei Zentimeter;
* krankhafte Degeneration beider Kniescheiben;
* kranke Menisken ("Meniscopathie") beiderseits;
* beginnende Knorpelknochenentzündung des oberen
Sprunggelenks rechts;
* Senk-Spreizfüße beiderseits.
Daneben hat eine "ausgesprochene Infektanfälligkeit" bestanden, und der Blutdruck war gelegentlich deutlich erhöht. Im Herzmuskel fanden sich, Folge der permanenten Rennerei, bei der Sektion zahlreiche Bindegewebs- statt Muskelfasern. Eine kleine Ader hatte sich schon für immer geschlossen.
"Es gibt keine berufliche Schwerstarbeit", sagt der Kölner Sportarzt Professor Wildor Hollmann, welche in ihren Auswirkungen auf den Organismus auch nur annähernd der des Hochleistungssports vergleichbar wäre."
Der Turner hält bei der Riesenfelge mit seinen Handgelenken das Fünffache seines Körpergewichts. Bei einem scharf geschossenen Elfmeter prallt der Ball als 150-Kilogramm-Kugel auf. Skiläufer muten ihren Knochen stärkere Belastungen zu als Raumfahrer beim Start. Bei Ausdauersportlern vergrößert sich das Herz bis zum Dreifachen ("Ochsenherz");
es schlägt dann nur noch unrhythmisch 35mal pro Minute.
"Der große Sport beginnt da, wo die Gesundheit aufhört", erkannte Boxfreund Bertolt Brecht. "Sport ist Mord", schreibt die frühere Kunstturnerin Herta Löwenberg in ihr Tagebuch. "Hochleistungssport hat mit Gesundheit nichts zu tun", mahnt die "Ärztliche Praxis" ihre akademischen Leser. Immer mehr von ihnen sind gut im Geschäft mit Sport und Krankheit; jeder Zweite Orthopäde lebt nur noch davon.
Wäre es nach Turnvater Jahn und dem Neu-Olympier Coubertin gegangen, so hätte der Sport _(Sport, abgeleitet von lat. "portare" = ) _(sich betragen, vergnügen. )
eigentlich dazu getaugt, Leib und Seele so gesund zu halten, daß der Arzt ganz entbehrlich wird. Weil aber Sport, betrieben als Vergnügen, Liebhaberei oder "schönste Nebensache der Welt", jede Hochleistung ausschließt, sind die Top-Athleten die besten Kunden der Ärzte. Manche sehen jede Woche einen Doktor, viele Tag für Tag. Das Perverse dieser Liaison zwischen Sport und Medizin kommt den Beteiligten nicht zu Bewußtsein.
Weil Klümper in diesem Jahr, bei der WM-Reise nach Rom, nicht mit von der Partie ist, jammert der große, starke Speerwurf-Europameister Klaus Tafelmeier: "Es ist ganz schlimm für den Athleten, wenn der Arzt, der ihn das ganze Jahr behandelt, ausgerechnet beim wichtigsten Wettkampf nicht zu Stelle ist."
Der deutsche Zehnkämpfer Siggi Wentz fuhr letzte Woche seiner Truppe nach Italien hinterher: Er konnte wirklich nicht früher, sagt der 27jährige Muskelmann. Erst mußte der Freiburger Professor an ihm, dem Medizinstudenten und Sportprofi, "ein Wunder" wirken (so der Berliner "Tagesspiegel" ohne jede Ironie). Wentz'' linke Achillessehne fühlt sich jetzt viel besser an, wunderbar.
Weil die Wettkampfvorbereitungen in allen Sportarten an Intensität und Dauer ständig zunehmen, sind die "Sportler in den biologischen Grenzbereich eingetreten" (Hollmann): Überforderung, Krankheit, schließlich Organversagen sind die unausbleibliche Konsequenz.
Genaugenommen sind Hochleistungssportler eine Division von Sportkrüppeln und Frühinvaliden. Für den Applaus und den Platz auf dem Siegertreppchen nebst seinen geldwerten Folgen müssen sie bitter bezahlen - die einen früher, der andere später.
Ohne Spätschäden kommt nur davon, wer eine überdurchschnittlich gute Erbmasse besitzt, dazu noch Glück hat und sich von den Apotheken fernhält. Doch das sind nur wenige. Die meisten Spitzensportler gehen oder gingen auf Pharma-Krücken, von der zweifachen Olympiasiegerin Ulrike Meyfarth über Fußballprofis wie Karlheinz Förster und Paul Breitner bis hin zu dem schönen Hypochonder Jürgen Hingsen, den weder seine Frohnatur noch seine energische kalifornische Ehefrau Jeanne vor den Klümper-Cocktails schützen können.
Birgit Dressel hatte kein Glück und auch nicht den richtigen Beschützer. Sie faßte Vertrauen zu Armin Klümper, pendelte immer wieder nach Freiburg. Das letzte Mal am 24. Februar, einem Dienstag. Was der Professor an diesem Tag mit Birgit Dressel alles anstellte, ließ sich fast vollständig aufklären.
Der Spritzenmeister mischte insgesamt 15 verschiedene Arzneimittel und injizierte sie zwischen die Dornfortsätze der Lenden-Steißbein-Region, dazu beiderseits in die "Ischiaspunkte", natürlich auch ans Sitzbein. Dann zog er nacheinander weitere sieben Ampullen auf und injizierte sie "in die Pobackenregion" (so nennt er das). Ehe Birgit Dressel vom Tisch durfte, empfing sie noch ins linke obere Sprunggelenk - es ist, wie alle Gelenke, von Natur aus völlig keimfrei - eine Kombi-Mischung aus fünf verschiedenen Ampullen.
Die Nadel ist Klümpers liebste Waffe. Was er damit an die Frau gebracht hat, ist eine kunterbunte Mischung aus allem Möglichen, was Natur und Labor dem Heilkundigen offerieren, ganz starke und ganz weiche Drogen. Eine von der Kripo sichergestellte Strichliste - "Dressel, Birgit, 4. 5. 60", jeder Strich eine Ampulle - zeigt, wie in der "Sporttraumatologischen Spezialambulanz" gefixt wird (siehe Titelbild).
Am 24. Februar verpaßte Klümper seiner Patientin unter vielen anderen auch das Präparat "NeyDop", eine Mischung "standardisierter Makromoleküle vollöslicher Organlysate" aus Hirnrinde, Zwischenhirn, Kleinhirn und fötalem Mutterkuchen. Der Hersteller empfiehlt
sie zu nichts anderem als zur Behandlung der Schüttellähmung und der schweren Hirnschädigung (zum Beispiel bei Syphilis oder Epilepsie). An diesen Krankheiten hat Birgit Dressel garantiert nicht gelitten. Macht nichts, Klümper kurierte mit "NeyDop"-Injektionen die Region der knöchernen Sitzbeine.
Diese "zytosplasmatische Therapie mit Injektion von zellhaltigen Präparaten" - zu deutsch: Frischzelltherapie in Konservenform - gehört zu den Spezialitäten von Sportarzt Klümper. Von den Ermittlern dazu befragt, konnte Klümper nur angeben, die Behandlung habe der "allgemeinen Belastungs- und gesundheitlichen Situation von Frau Dressel" gegolten: "Es sollte der Muskelstoffwechsel normalisiert werden."
Dabei nahm Klümper Risiken in Kauf. Nicht nur, daß er die Frischzellenbehandlung, wie die Gutachter konstatierten, "ab Mai 1985 offenbar zeitweise weitgehend Frau Dressel selber überließ". Der Sportarzt schlug auch alle Mahnungen seiner Kollegen Schulmediziner in den Wind, die schon seit mehr als einem Jahrzehnt vor den möglichen Nebenwirkungen solcher (seit Anfang August vom Bundesgesundheitsamt verbotenen) Zellpräparate warnten: Bei jeder Injektion wird, wie bei einer Organverpflanzung, Fremdeiweiß eingeschleust, das eine immunologische Abstoßungsreaktion auslösen kann. Jedesmal wird die Immunabwehr des Körpers strapaziert.
Dem Lendenweh seiner Patientin rückte Klümper an jenem 24. Februar vorsorglich auch noch mit "Discus compositum" zu Leibe. Das ist ein homöopathisches Mischpräparat ganz nach den Wunschvorstellungen der Schrotschußtherapeuten: Es enthält 37 verschiedene Stoffe, darunter Vitamine, Zink, Silber, Kalziumphosphat, aber auch Schwefel. Der ist vorsichtshalber ab Werk schon stark verdünnt. Genaugenommen soll sich in einer "Discus compositum"-Ampulle weniger Schwefel als das billionstel Teil eines billiardstel Gramms befinden. Wer fest an Schwefel glaubt, wird trotzdem selig.
Die "Ischiaspunkte" Birgit Dressels bediente Klümper am 24. Februar unter anderem mit dem goldhaltigen Präparat "Cefossin ''Cefak''". Es soll gegen mancherlei Knochen- und Gelenkleiden helfen, so gegen "Arthrosen, Bandscheibenschäden und Degeneration des Stütz- und Bindegewebes". Klümper spritzt es gern. Die beiden Gerichtsmediziner sind nicht dafür. In ihrem Gutachten heißt es auf Seite 55:
" Was die Nebenwirkungen nach Applikation von "
" Goldverbindungen betrifft, so kann es zu peripheren "
" Neuropathien und Neuromyopathien sowie im Blut u. a. zur "
" Verminderung der weißen Blutkörperchen (Leukopenie) und "
" Blutplättchen (Thrombopenie) kommen. Ferner wurden nach "
" Goldtherapie nierenschädigende Nebenwirkungen "
" (Nephrotoxizität) beobachtet. Bemerkenswert ist, daß die "
" Gesamtsymptomatik, die im Verlauf der Klinikbehandlung am "
" 10. 4. 1987 bei der Birgit Dressel beobachtet wurde, alle "
" hier angeführten Nebenwirkungen umfaßt. "
Diese Klinikbehandlung begann nach einem zweiten Hausbesuch des nun sehr besorgten Orthopäden Dr. A - er konnte noch Tage später wegen Weinkrämpfen keine Aussage machen- am Morgen des 10. April, zwei Tage nach dem Trainingsunfall beim Kugelstoßen.
Mit der Verdachtsdiagnose "Nierenkolik" rollte man die unter starken Schmerzen leidende Patientin in die Urologische Universitätsklinik Mainz. Sie hat einen guten Ruf, wie alle anderen hochspezialisierten Krankenhäuser dieser akademischen Lehranstalt. Es wimmelt von Experten jedweder Richtung, die apparative Ausstattung ist großzügig und hochmodern. Ratlosigkeit des einzelnen Arztes führt regelmäßig zur Konsultation eines Kollegen, erst mal vom eigenen Fachgebiet, dann von der Klinik, die kompetenter erscheint. Am Ende steht das große gemeinsame "Konsilium", die Beratung mehrerer Ärzte am Krankenbett.
Dr. C von der Urologie kam drei Stunden lang allein zurecht. Er ließ den Bauchraum röntgen, die Harnwege durch ein Kontrastmittel darstellen, die Nieren auf der Suche nach einem Stein mit Ultraschall durchleuchten. Dann war ihm - zutreffend - klar: "Kein Harnstau, kein Stein. Kein Anhalt für Erkrankungen aus dem urologischen Fachgebiet." Dr. C besprach sich mit dem Kollegen D und informierte seinen Oberarzt E. Gegen die starken Schmerzen spritzte man zwischendurch "Buscopan" intravenös.
Es war nun 13 Uhr. Birgit Dressel wurde der Unfallchirurgie übergeben;
sie wimmerte vor Schmerzen. Ihre Haut war noch braun, denn im Monat davor hatte sie unter der Sonne Portugals trainiert, im Winter in Australien und Neuseeland. So bleibt der Top-Athlet das ganze Jahr fit und im Freien.
Jetzt nahmen sich vier Chirurgen ihrer an. Der erste, Dr. F, räumte energischer Schmerzbekämpfung Priorität ein. Er legte eine Venöse Dauerkanüle und ließ der Patientin in den nächsten Stunden zwei Ampullen "Buscopan compositum", verdünnt in "Sterofundin", einlaufen. Der damals in "Buscopan compositum" enthaltene Wirkstoff Metamizol ist inzwischen weg vom Fenster: Wegen schwerer Nebenwirkungen hat das Bundesgesundheitsamt metamizolhaltige Kombi-Präparate verboten. Die fünf Gramm Metamizol-Wirkstoff waren, urteilt Dr. F später, die "Obergrenze". Nach Ansicht der Gerichtsmediziner lagen sie gefährlich nahe an der "minimum lethal dose", der Dosis, bei der tödliche Folgen nicht auszuschließen sind. Birgit Dressel überlebte die Therapie, ihre Schmerzen blieben.
Die Unfallchirurgen F, G, H und I kamen zu dem - völlig richtigen - Schluß, daß "kein Anhalt für Sportverletzung vorliegt". Sie äußerten den "Verdacht einer Erkrankung im Bauchraum" oder, hilfsweise, einer "Erkrankung der Bandscheiben oder des Rückenmarks". Damit lagen sie richtig. Bei der Leichenöffnung zeigte sich später, daß die Nerven des Rückenmarks schwer entzündet waren, vermutlich seit mehreren Tagen - daher die unbeeinflußbaren Schmerzen. Zu erkennen war das nicht.
Logischerweise mußte bei diesem Stand der Diagnostik nun ein Allgemeinchirurg alarmiert werden, Oberarzt J, und mindestens ein Neurochirurg. Es erschienen zwei, die Doktoren K und L. Birgit Dressel war, sieben Stunden nach ihrer Einlieferung in die Klinik, noch "zeitlich und örtlich orientiert" und klagte über großen Durst. "Sie redet viel", notierten die Neurochirurgen in ihrem Konsiliarbericht. Lippen und Fingernägel der Patientin beginnen sich blau zu verfärben. An den Lippen bilden sich weißliche Krusten. Während der Untersuchung läßt die Patientin unter sich. Diagnose der Neurochirurgen: "Kein Anhalt für neurologisches Grundleiden; Verdacht auf Tablettenvergiftung."
Die Anregung zu einem neurologischen Konsilium stieß bei allen Herren
auf Zustimmung. Auch wurden ein "internistisches Konsilium" angeregt und die Computertomographie des Schädels in Erwägung gezogen. Die Nervenärzte Dr. M und Dr. N waren umgehend zu erreichen, doch nun gab es eigentlich nichts mehr zu beraten. Die "Schocksymptomatik mit Bedrohung der Vitalfunktion" stand plötzlich ganz im Vordergrund. Birgit Dressels Sportlerherz begann zu rasen, die Atmung wurde immer schneller. Ein solcher Notfall ist Sache der Anästhesisten, die Narkotiseure und Wiederbeleber in einem sind.
Sie erschienen umgehend mit den Doktoren O, P, Q, R, S, T, U. Auf den energischen Anruf der Intensivmediziner beugte Birgit Dressel die Arme und öffnete ein letztes Mal die Augen. Dann legte man ihr eine Sauerstoffmaske über das Gesicht, wenige Minuten später schon mußte sie im "Schockraum" narkotisiert und künstlich beatmet werden.
Eine Stunde später, um 19.45 Uhr, verlegte man die Sterbende im "Rettungswagen bei weiterlaufender Behandlung" in die Medizinische Intensivstation. Die Diagnose der Intensivmediziner: "Verdacht auf toxisches Geschehen, Zerfall des Blutes." Die Diagnose war richtig, aber sie hat nichts mehr bewirkt.
Denn zu diesem Zeitpunkt war Birgit Dressel ihrem Tod schon ganz nahe. Befund der Intensivmediziner:
" Komatöse Patientin ohne gezielte Reaktion, schlechter "
" allgemeiner Körperzustand, intubiert, beatmungspflichtig. "
" Stärkste generalisierte Zyanose des gesamten Körpers, "
" Blässe der Schleimhäute, Sklerenikterus, weite entrundete "
" und lichtstarre Pupillen, Areflexie der Extremitäten "
" Lungen bis auf diskrete feinblasige Rasselgeräusche "
" unauffällig, Herztöne leise, Rhythmus regelmäßig, "
" Frequenz um 120/ min, Pulse peripher nicht tastbar, "
" Blutdruck arteriell und blutig gemessen 40 mmHg "
" systolisch ... "
Eine Allergie, die gefürchtete akute Überempfindlichkeitsreaktion gegen irgendeines der vielen hundert, womöglich tausend Arzneistoffe, die Birgit Dressel im Laufe der Jahre freiwillig in ihren Organismus aufnahm, ließ sich nicht beweisen. Weder zeigte die Patientin während der langen Klinik-Odyssee die dafür typischen Krankheitszeichen - etwa anfallsweise (asthmatische) Luftnot oder bedrohliche Schwellungen der Weichteile -, noch konnte man später bei Laborversuchen mit hinterlassenem Blut die typischen Reaktionen auslösen.
Eine akute Allergie war nach Birgit Dressels Tod in Sportlerkreisen als die wahrscheinlichste Todesursache genannt worden. Sie hätte, besser als alles andere, den erschreckten Kameraden ins Konzept gepaßt. Eine Allergie kann jeder kriegen, auf nahezu alles, selbst auf das hilfreiche Penicillin. Aus Erfahrung wissen die meisten Leistungssportler daß einige Tabletten häufiger, die anderen seltener Überempfindlichkeitsreaktionen auslösen. Und mit Tabletten kennen sich fast alle gut aus. Kaum ein namhafter Athlet, der nicht täglich ein paar Pillen schluckt, zuerst nur harmloses Zeug wie Vitamine, Eiweißstoffe Traubenzucker - harmlos, wenn auch überflüssig.
Das tägliche Pillenfrühstück fixiert die heranwachsenden Sportler auf Medikamente als scheinbar unentbehrliche Helfer zum Sieg. Trainer, Sportärzte und die ehemaligen Top-Athleten bemühen sich allesamt, die natürlichen Abwehrmechanismen der talentierten Nachwuchssportler gegen Medikamente außer Kraft zu setzen. Es ist eine Rutschbahn, mit Geld geschmiert, auf die der junge Sportler gesetzt wird: Erst schluckt er nur die harmlosen Pillen, bald auch rezeptpflichtige Medikamente, meist gegen Entzündungen und Schmerz. Am Ende landet er im - legalen - Drogensumpf.
Schrankgroß sind die Medikamentenkoffer, die jetzt wieder bei der Leic htathletik-WM in Rom aufgeklappt wurden. Internationale Dealer, viele in jungen Jahren zum Dr. med. promoviert, beschaffen den Nachschub. Die Verbände wissen es und schweigen. Intensiver Dopingfahndung wird, wo immer es geht, ein Bein gestellt.
"Mir läuft es", sagt Deutschlands alter Olympier Willi Daume, "eiskalt den Rücken runter, wenn ich daran denke daß Sportler beispielsweise muskelfördernde Anabolika nehmen, was für Mastvieh in vielen Ländern der Welt verboten ist." Professor Joseph Keul, ein Freiburger Konkurrent Klümpers und womöglich sein Erbe, wenn der ober-Guru Klümper demnächst fällt, sieht wie die meisten seiner Kollegen die Anabolika-Frage viel lockerer, sozusagen sportlicher: "Jeder, der einen muskulösen Körper haben und männlicher wirken möchte, kann Anabolika nehmen."
Vielen Sportlern wird trotzdem immer mulmiger. Die Damen fürchten sich allmählich vor der Dreifach-Dosis Antibabypille, die üblich ist, und vor den heimlichen Spritzen, die das männliche Hormon Testosteron enthalten. Es hat sich herumgesprochen, daß davon nicht nur die Muskeln größer werden, sondern auch die Klitoris wächst. Die Muskeln werden später wieder klein, der Kitzler bleibt groß und die Stimme tief.
Nach Birgit Dressels Tod geht die Angst um. "Ähnlich Verhängnisvolles
kann sich tagtäglich wiederholen", fürchtet Gaby Bußmann, die Aktiven-Sprecherin. Sie ist Diplom-Psychologin und will nun Ordnung schaffen: "Stellen Sie sicher", mahnte sie in einem offenen Brief den DLV-Mannschaftsarzt, "daß die Verantwortlichen zur Verantwortung gezogen werden."
Aber wie? Der Oberstaatsanwalt hat keinen Verantwortlichen gefunden, seine Gutachter auch nicht. Mehreren behandelnden Ärzten erteilten sie schlechte Noten. Den schärfsten Tadel erhielt Professor Klümper. "Klümper ist ein Stümper", hatten dessen akademische Gegner schon in den 70er Jahren gereimt. Im Gutachten heißt es über den Sporttraumatologen:
" Es liegen Anhaltspunkte dafür vor, daß die "
" vorangegangene, jahrelang durchgeführte Behandlung mit "
" den unterschiedlichsten Substanzen und Arzneimitteln die "
" Ausbildung des toxisch-allergischen Geschehens förderte. "
" Über eine lange Zeit wurden Frau Dressel Wirksubstanzen "
" in bedeutenden Mengen sowohl oral als auch durch Spritzen "
" in die verschiedensten Körperregionen verabreicht. Dabei "
" wurden ihr auch Substanzen zugeführt, die erhebliche "
" Nebenwirkungen und Allergien auslösen können. "
Dann kommen die Gutachter auf die - nach Angaben Klümpers - seit Mai 1984 verabfolgten Injektionen von Frischzellpräparaten zu sprechen, die den Abwehrhaushalt der Sportlerin zermürbt haben. Es sei, so das Gutachten,
" darauf hinzuweisen, daß es bei dem jahrelangen "
" Zusammentreffen zwischen parenteral verabreichten "
" tierischen Zellpräparaten (Fremdeiweiß) zwangsläufig zu "
" ständigen Immunreaktionen im Organismus der Birgit "
" Dressel kam, mit der Gefahr einer Überforderung ihres "
" Immunsystems, das durch gehäufte Infekte zusätzlich "
" belastet wurde. "
Schließlich resümieren die von der Staatsanwaltschaft beauftragten Gutachter ihre vergebliche Mühe bei dem Versuch, eine Kausalkette für den plötzlichen Tod der Sportlerin D. herzustellen:
" Die sportärztlich durchgeführte Therapie mit ihren "
" vielfältigen und variantenreichen Maßnahmen wird "
" angesichts der außergewöhnlichen Zahl und der "
" unterschiedlichsten Arten von Kombinationspräparaten und "
" Fremdeiweißapplikationen als nicht mehr überschaubar und "
" in ihren Wirkungen auf den Organismus (auch "
" Kombinationswirkungen) nicht abschätzbar angesehen. "
" Möglicherweise hat sich auch in "
_(Am 16. April auf dem Mainzer ) _(Hauptfriedhof. )
" dem so unter Dauermedikation stehenden Körper von "
" Frau Dressel auf Grund vor ihrer Einlieferung in die "
" Universitätskliniken akut gegebener Schmerzmittel ein "
" toxisch-allergisches Geschehen entwickelt. "
Auf der Suche nach den Verantwortlichen stellte der Mainzer Leitende Oberstaatsanwalt Werner Hempler fest:
" Da nicht mit an Sicherheit grenzender "
" Wahrscheinlichkeit festgestellt werden kann, welche "
" möglichen Ursachen - allein oder im Zusammenwirken - den "
" Tod von Frau Dressel verursachten, ist schon deshalb den "
" behandelnden Ärzten ein fahrlässiges und damit "
" schuldhaftes Verhalten nicht nachzuweisen. "
Gleichsam ein Freispruch mangels Beweisen also: Das Ermittlungsverfahren gegen Unbekannt wegen des Verdachts fahrlässiger Tötung wird eingestellt.
Und wie steht es mit der Verantwortlichkeit der Sportler? Ist Birgit Dressel, eine 26jährige Diplom-Sportlehrerin, nicht selbst verantwortlich für die Wahl ihres Trainers, der Ärzte und der Medikamente? Kann einem Menschen, der sich freiwillig entschließt, sein Glück als professionelle Siebenkämpferin zu machen, überhaupt geholfen werden?
Dr. V und Dr. W, die beiden letzten Ärzte am Sterbebett, haben getan, was sie konnten, lege artis, schnell entschlossen. Sie gaben, um das "plötzlich einsetzende Multiorganversagen als Folge eines nicht zu beeinflussenden Kreislaufschocks" doch noch abzuwenden, alles, was gut und teuer ist. Vier Konserven Vollblut in zwei Stunden und hochdosiert viele Hormone körpereigener Art. Am Ende Bikarbonat, das doppeltkohlensaure Salz, dazu bestimmt, der Stoffwechselentgleisung im letzten Moment Einhalt zu gebieten.
Doch der gequälte Leib der Birgit Dressel wollte nicht mehr. Ihm waren der Hochleistungssport und die tausend Pillen zuwider geworden. Am 10. April gab Birgits Körper das Leben auf.
Doping ist, nach den Grundsätzen des Olympischen Komitees, die "Verwendung von Substanzen aus verbotenen Wirkstoffgruppen". "Dopen" leitet sich ab vom Zuluwort doop ("berauschender Schnaps"). Der richtige Name ist dem SPIEGEL bekannt. Die zahlreichen behandelnden Ärzte Birgit Dressels werden nach dem Alphabet geordnet. Sport, abgeleitet von lat. "portare" = sich betragen, vergnügen. Am 16. April auf dem Mainzer Hauptfriedhof. ...".
quelle:
spiegel.degruß vs