von Werner Thal » 16. Februar 2017, 10:58
Krimi-Flut im deutschen Fernsehen
Das Verbrechen bringt Quote. Doch warum gucken sich Zuschauer das täglich an?
HA/MEDIEN-Do, 16. Februar 2017 von Martin Weber
Mord ist ihr Hobby: Unzählige Fernsehzuschauer lieben Krimis, die Einschaltquoten für kriminelle
Machenschaften in Filmen und Serien sind hoch. Kein Wunder, dass die Sender die Nachfrage nach
Mord und Totschlag mit immer mehr Krimis befriedigen. Allein ARD und ZDF haben derzeit mehr
als 100 Serien und Reihen dazu im Angebot - vom Quotenrenner "Tatort" mit seinen durchschnittlich
neun Millionen Zuschauern und den "Rentnercops" im Ersten bis zu "Kommissarin Heller" oder
"Unter anderen Umständen" im Zweiten.
Dass für andere Genres und Formate wie Komödien, Familienserien, Dokumentationen oder
Filme ohne Bezug auf Gewalt und Verbrechen immer weniger Platz ist, scheint vielen Sender-
Verantwortlichen egal zu sein. "Es wird im Großen und Ganzen nur noch das gemacht, was einigermaßen
narrensicher funktioniert - und das sind in der Regel eben Krimis", ist aus der ARD zu hören.
Psychologen sprechen von der "Angstlust"
Kaum noch ein Tag in einer ganz normalen Fernsehwoche, an dem der Krimi das Programm zur
Hauptsendezeit um 20:15 Uhr nicht im Griff hat. Freitags und sonnabends laufen im ZDF Serien wie
"Ein Fall für zwei", "Der Alte", "Wilsberg", "Ein starkes Team" oder "Helen Dorn", sonntags die
ARD-Klassiker "Tatort" und "Polizeiruf 110". Auch montags und mittwochs zeigen ARD und ZDF zur
besten Sendezeit häufig Krimis, dazu kommt der "Donnerstags-Krimi" im Ersten, in dem Kommissare
in Athen, Bozen, Urbino, Tel Aviv, Istanbul, Lissabon, Zürich, Görlitz, im Allgäu, auf Usedom,
in der Bretagne und in Island Ganoven jagen.
Vor den Fernsehmördern gibt es selbst im Vorabend kein Entkommen. Genannt seien nur Formate
wie die sieben "Soko"-Varianten, die "Rosenheim-Cops" oder "Notruf Hafenkante". Und
Privatsender wie Sat.1, RTL und ProSieben sorgen mit US-Serien wie "Navy CIS", "Criminal Minds"
oder "Bones" dafür, dass die Krimi-Schwemme niemals aufhört. Warum lieben so viele Zuschauer
Fernsehkrimis, was fasziniert sie an den nicht selten brutalen Geschichten über Verbrechen?
Das ist zum einen die "Angstlust", wie etwa der Münchener Psychologe Stephan Lermer erklärt:
Ihm zufolge sorgen Krimis für angsteinflößenden Nervenkitzel, der aber auszuhalten ist, denn
der Mord findet ja nur auf dem Bildschirm statt.
Andere Experten wie der Marburger Medienwissenschaftler Karl Prüf betonen, dass Krimis vor
allem das Gerechtigkeitsempfinden der Zuschauer befriedigen - die gezeigten Verbrechen
werden in der Regel gelöst, die Täter dingfest gemacht.
Der Ethnologe Thomas Hauschild aus Halle an der Saale weist darauf hin, dass Krimis zum
Spannungsabbau beitragen. Gleichzeitig erzeugten vor allem die Krimi-Reihen, die regelmäßig
an einem bestimmten Wochentag gezeigt werden, Orientierung.
"Tatort", "Polizeiruf 110" oder "Soko" seien liebgewonnene Rituale und Gewohnheiten, die
Vorfreude erzeugen, was Psychologe Stephan Lermer als "Adventseffekt" bezeichnet.
Freilich nur ein schwacher Trost für all jene, die von der Krimi-Schwemme genervt sind
und sich mehr Vielfalt im Programm wünschen.
W.T.
Wer einen Rechtschreibfehler findet, darf ihn behalten.
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