ARD-Spielfilm über die Flüchtlingskrise 2015
"Die Getriebenen" rekonstruiert die politischen Entscheidungen während der Flüchtlingskrise. Der Film zeigt die Methoden, mit denen Angela Merkel auch in der Coronakrise regiert. im Grunde ist diese Geschichte auserzählt und in Wirklichkeit längst unstrittig, wer wann welche Entscheidung fällte, wer für was die Verantwortung trug und warum die Grenzen eben nicht geschlossen wurden - nicht zuletzt wegen der umfassenden Recherche des Berliner Journalisten Robin Alexander, dessen Bestseller die motivische Vorlage für den Film lieferte.
Wie Macht funktioniertInteressant an "Die Getriebenen" ist aber etwas ganz anderes: Der Film (Drehbuch: Florian Oeller, Regie: Stephan Wagner) zeigt nämlich klug, wie in der Bundesrepublik Deutschland die Ausübung von Macht funktioniert - zumindest in der Ära Merkel. Und zwar in dem Augenblick, der zählt: im Moment der Krise. Darin wird sich die Corona-Republik von 2020 nur wenig von der Flüchtlingskrisen-Republik unterscheiden.
Denn womit haben wir es im Sommer 2015 zu tun? Einer kaputten Welt. In Syrien tobt ein Krieg, den man sich zwar wegwünschen kann, den die europäische Politik aber nicht lösen kann oder will und der so gut ignoriert wird, wie es geht. Die EU selbst ist geschwächt, gerade hat man mit Mühe und Not verhindert, dass die griechischen Staatsschulden das Bündnis sprengen. Keines dieser Probleme kann gelöst werden. Dafür sind die Interessen der Beteiligten schlicht zu widersprüchlich. Was getan werden kann, ist, die Interessen auszubalancieren – und darauf zu hoffen, dass neue Probleme die alten ersetzen.
Das gilt im weltpolitischen Großen wie im bundespolitischen Kleinen. SPD-Chef Sigmar Gabriel (bösartig von Timo Dierkes gespielt) möchte Merkel ablösen und versucht, sie in Fehler zu treiben. Die Sicherheitsleute rund um den intriganten Verfassungsschutzchef Hans-Georg Maaßen (Michael Benthin) wollen die Souveränität des Staats stärken. Die CSU ist in Machtkämpfe verstrickt. Jeder folgt seinen eigenen kleinen Interessen - im Land wie in den Parteien. Und an der Spitze steht eine Bundeskanzlerin, die dieses komplizierte Durcheinander von Machtvektoren im Blick hat und versucht, zwischen ihnen so zu vermitteln, dass alle im Spiel bleiben.
Es ist Angela Merkel damals immer wieder vorgeworfen worden, zu langsam zu entscheiden, und auch jetzt wieder, in den Wochen vor dem großen Stillstand, hieß es oft: Warum dauert es so lange? Warum dieses Durcheinander zwischen Bundesregierung, Landesregierungen und diversen Behörden?
Verzögerung als Kern der EntscheidungsfindungTatsächlich bilden aber diese Verzögerungen den Kern der politischen Entscheidungsfindung. Die Bundesrepublik lässt sich nicht durchregieren. Sie ist ein föderales Gebilde mit diversen Zentren, und die Macht zu haben, heißt eben: endlos zu vermitteln. Es heißt, die unterschiedlichen Emotionen zu verstehen, die viele Menschen antreiben, und es heißt, nie in dem Glauben zu leben, alle umfassend zufriedenstellen zu können.
So ist Angela Merkel Kanzlerin geworden, und so ist sie es geblieben. Weil sie das besser verstanden hat als alle anderen. Er bewundere ihre Gelassenheit, sagt ihr Mann in einer Schlüsselszene des Films. "Wenn es ein Problem lösen würde, sich aufzuregen, dann würde ich mich aufregen."Und so hat sie auch die Coronakrise gemanagt. Bislang wenigstens. Aber wenn man die Geschichte der Flüchtlingskrise als Maßstab anlegt, sind wir im Augenblick auch gerade erst im Spätsommer angelangt. Da war zwar auch schon klar, dass die Republik eine grundlegend andere werden wird. Wie tief die Friktionen tatsächlich waren und wie viel schwerer die Vermittlung werden würde, zeichnete sich noch nicht ab.
"Die Getriebenen", Mittwoch, 20.15 Uhr, Das Erste. Auch über die Mediathek abrufbar.https://www.spiegel.de/kultur/tv/die-ge ... 1acc663dd5