Auseinandersetzungen um das Literaturzentrum Neubrandenburg

Wie waren die politischen Systeme der beiden deutschen Staaten zur Zeit des Kalten Krieges? Wo waren die Unterschiede? Gab es Gemeinsamkeiten?
Wie wurde die Politik auf beiden Seiten vermittelt?

Auseinandersetzungen um das Literaturzentrum Neubrandenburg

Beitragvon Interessierter » 12. Januar 2016, 13:29

Der nachstehende Beitrag aus dem Jahre 2006 zeigt in aller Deutlichkeit auf, wie die Stasi dieses Literaturzentrum unterwanderte und wie alte Seilschaften auch nach der Wende ihr Unwesen trieben oder gar treiben:
Über das Verhältnis von Literatur und Politik in der DDR, insbesondere die Rolle der Staatssicherheit und die Zuträgerdienste von Schriftstellern schien eigentlich alles gesagt. Die großen Debatten zu diesen Themen spielten sich in der ersten Hälfte der neunziger Jahre ab, im Jahr 1996 erschien dann Joachim Walthers voluminöses Werk »Sicherungsbereich Literatur«. Mit einiger Verspätung erlebt nun seit rund zwei Jahren das mecklenburgische Neubrandenburg eine mitunter hitzig geführte Auseinandersetzung um das 1971 als Einrichtung des Rates des Bezirkes gegründete und nach einem Intermezzo als städtische Einrichtung (1990-93) heute in Trägerschaft eines Vereins existierende Literaturzentrum (LZ).

Den unmittelbaren Anstoß für die aktuellen Debatten gab die in den »Rosenholz«-Dateien aufgefundene IM-Registrierung der seit 1985 amtierenden Leiterin des Literaturzentrums Heide Hampel (IM »Jenny Brauer«). Zusätzlich fand sich eine Quittung, die belegt, dass Frau Hampel noch im Oktober 1989 von der Abteilung XV der Neubrandenburger Staatssicherheit 100 DM »zur Erledigung operativer Aufgaben« erhielt. Den Arbeitsbüchern des ehemaligen Führungsoffiziers lassen sich darüber hinaus die Termine seiner Treffs mit IM »Jenny Brauer« entnehmen.

Anlässe, sich kritisch mit der Geschichte der Einrichtung zu befassen, hätte es allerdings schon früher gegeben. Im Jahr 1993 hatte der Schriftsteller Werner Liersch die eng mit dem Literaturzentrum verbundene Hans-Fallada-Gesellschaft ohne Erfolg aufgefordert, die IM-Tätigkeit des Vorgängers von Frau Hampel, Tom Crepon, und dessen Stasi-gestützte Behinderung der Fallada-Forschungen Lierschs zu diskutieren. Als 1996 Joachim Walthers Buch belegte, dass nicht nur Crepon als IM »Klaus Richter« dem MfS rund 15 Jahre zu Diensten war, sondern auch Schriftsteller im Umfeld des Literaturzentrums wie Joachim Wohlgemuth, Franz Freitag oder Günter Ebert z.T. lange IM-Karrieren aufzuweisen hatten, nahm das LZ diese Erkenntnisse ebenfalls nicht zum Anlass, die eigenen Verstrickungen kritisch zu reflektieren und sich um die vom MfS bearbeiteten ehemaligen »jungen Autoren« zu bemühen. Statt dessen übte sich die Einrichtung äußerst geschickt in der Sicherung des eigenen Bestandes und der Pfründe, die sich zuletzt auf insgesamt rund 200.000 € pro Jahr aus den öffentlichen Kassen der Stadt und des Landes beliefen. So wurde das vom Literaturzentrum verwaltete landeseigene Fallada-Archiv trotz anders lautender Beschlüsse des Landtages von Feldberg nach Neubrandenburg geholt. Die Verwaltungsakten der Einrichtung, obschon sie als Akten einer staatlichen Einrichtung der DDR in das Landes- oder Stadtarchiv gehören, verblieben im LZ und werden Forschern nur selektiv zur Verfügung gestellt. Zum neuen Aushängeschild des LZ wurde neben Hans Fallada ab dem Ende der neunziger Jahre Brigitte Reimann, die ihre letzten Lebensjahre in Neubrandenburg verbracht hatte und dort umfassend von Crepon, Ebert und anderen im Auftrag der Stasi überwacht worden war. Ausgerechnet Brigitte Reimann also, die in einem seltenen Akt der Zivilcourage ihre eigene Tätigkeit als GI des MfS 1958 im Bezirksschriftstellerverband Magdeburg offenbart hatte, ist nun Namenspatronin für das neu erbaute, 1999 eröffnete Literaturhaus, in dem das Literaturzentrum seither residiert. Ihr Nachlass lagert dort u.a. zusammen mit dem »ihrer« Spitzel Wohlgemuth und Freitag.

Auf politischer Ebene gelang es der Geschäftsführerin des LZ, alle relevanten politischen Gruppierungen einzubinden. 1995 wurde der SPD-Fraktionschef in der Stadtvertretung Neubrandenburg, Dr. Joachim Lübbert, Vorsitzender des Trägervereins, als stellvertretende Vorsitzende fungiert Dolores Brunzendorf (PDS), bis 2004 Stadtpräsidentin. Von politischer Landschaftspflege der besonderen Art durch die Geschäftsführerin des Literaturzentrums berichtet Detlef Stapf, Kulturressortleiter des Neubrandenburger »Nordkurier«: »Heide Hampel brüstete sich damals [1993, J.S.] damit, mit kostenloser Lektoratsarbeit für literarisch dilettierende Ratsherren in SPD und CDU ein gutes Klima für die LZ-Förderung zu schaffen.«1 Dem Literaturzentrum ohnehin eng verbunden war der damalige Landtagspräsident und heutige Landtagsabgeordnete Rainer Prachtl (CDU), der in den achtziger Jahren vom LZ betreut (und dort überwacht) worden war. Und mit Pastor i.R. Fritz Rabe wurde schließlich auch ein Mann der Kirche für den Trägerverein gefunden.

Bei kritischen Anfragen bezüglich der Vergangenheit der Institution schlossen sich dann die Reihen um das Literaturzentrum, galt es doch, angeblich neidvolle Angriffe von interessierter Seite auf die wichtigste kulturelle Einrichtung Neubrandenburgs abzuwehren.

Solcherart geschützt konnte das Literaturzentrum mit kosmetischen Veränderungen eine Programmpolitik fortsetzen, deren Grundlagen schon in der DDR gelegt worden waren. So trat z.B. bis zu seinem Tod im Jahr 2005 der Schriftsteller Helmut Sakowski, ehedem Mitglied des ZK der SED, gern bei Veranstaltungen des LZ auf, wusste er doch offenbar, dass Nachfragen zu seiner politischen Vergangenheit hier nicht gestellt werden.


Weiter mit dem interessanten Bericht geht es hier:
http://www.horch-und-guck.info/hug/arch ... schmidt-j/
Interessierter
 

Re: Auseinandersetzungen um das Literaturzentrum Neubrandenburg

Beitragvon augenzeuge » 12. Januar 2016, 17:55

Junge Autoren, und dann noch kritisch, da musste die Stasi ran....die Angst war allgegenwärtig. [flash] Heute kann man darüber nur lachen.
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