Ein Korrespondentenleben in der DDR - „Ich hatte keine Privatsphäre“Von
Dieter BubVon 1977 bis 1983 berichtete Dieter Bub für den „Stern“ aus Ostberlin. Dass ihn die Stasi dabei auf Tritt und Schritt überwacht, war ihm von Anfang an klar. Erinnerungen eines Journalisten „an eine Vergangenheit, die entrückt, aber nicht vergeht.“
Im Frühjahr 1977 übernimmt Dieter Bub als dritter Korrespondent das Büro des Magazins „Stern“ in der Leipziger Straße in Ostberlin. Bei der Akkreditierung weiß das Außenministerium in der DDR nichts von seiner Vergangenheit in Halle an der Saale. Er war mit dem Abitur unter dem Namen Dieter Müller über Ostberlin in den Westen geflüchtet. Seine Rückkehr unter dem Namen Dieter Bub verdankt er der Adoption durch den Konzertmeister Rudolf Bub.
So konnte er ohne Probleme, aber mit guten Kenntnissen über die DDR-Gesellschaft seine Arbeit beginnen. Zu seinem Berichtsgebiet gehörten auch Polen, die ČSSR und Ungarn. Er weiß, dass er von der Staatssicherheit überwacht wird. In deren Protokollen wird er unter dem Namen „Wabe“ geführt.
Die Wände haben Ohren – buchstäblichFür Bub war von Anfang an klar: Er wird überwacht. In seinem Feature versetzt er sich nochmal zurück in die Zeit, als er buchstäblich mit den Wänden reden konnte, im Wissen darum, dass jedes Zimmer verwanzt sein würde:
„Ich weiß, Ihr habt mich erwartet, meine Ankunft im 11. Stock rechts ist gemeldet. Ihr habt die Mikrofone eingeschaltet, keine Ahnung, wo sie installiert sind. Ich vermute überall. Ihr werdet mir zuhören, bei Telefongesprächen, bei der Unterhaltung mit Besuchern, bei meinen Anrufen nach Hamburg, beim Aufwachen, auch beim Singen unter der Dusche? Ich vermute Euch im Zweiten Stock, denn dort passiert der Fahrstuhl ohne Halt. Ich denke, Ihr seid ein Kollektiv, wahrscheinlich auch für andere zuständig. Aber Kollegen aus der BRD, der Bundesrepublik Deutschland, sind hier nicht zuhause. Die leben fast alle in Westberlin. Hier in der Hauptstadt der DDR sind wir nur ein paar, Karl–Heinz Baum von der Frankfurter Rundschau und unser Stern-Fotograf Harald Schmitt, der schon seit zwei Jahren mit Frau und Hund hier in Lichtenberg zuhause ist, der kennt das.“
Für die Hamburger Chefredaktion des „Stern“ sind New York, Moskau oder Paris näher als Ostberlin. Die DDR ist an der Alster so fern wie Tadschikistan. Dieter Bub wohnt als Stern-Korrespondent ab 1977 in der Leipziger Straße 65. Auf der einen Seite der Blick zum Verlagshaus Axel Springer, auf der anderen Seite zum Gendarmenmarkt, Ende der 70er Jahre noch Ruinen, bald auf Wunsch Honeckers auferstanden mit Konzerthaus, dem Deutschen und dem Französischem Dom.
Hoffnungen auf Liberalisierungen zerschlugen sichFür Journalisten aus Westdeutschland gab es bei Anträgen auf Akkreditierung in der DDR auch schon früher Möglichkeiten zur Berichterstattung. Dazu gehörten seit den 50er-Jahren die Leipziger Messen, die Ostseewochen in Rostock, die Händelfestspiele in Halle und die Weltjugendfestspiele in Ostberlin. Ein großes fröhliches Fest, wo überall „Bella Ciao“ und „Venceremos“ gesungen wurde.
„Damals hatte es die Hoffnung gegeben, diese Atmosphäre könnte der Anfang der Liberalisierung sein“, erklärt Dieter Bub. „Es war ein Irrtum. Es folgte die Rückkehr zum SED-Überwachungsstaat mit all seinen Einschränkungen und den Nöten im Alltag.“
Anträge der Westkorrespondenten in Ostberlin werden genehmigt, wenn dadurch ein positives Bild der DDR zu erwarten ist. Beispiele dafür sind Reportagen über Dresden, über die alte Verbindungsstraße zwischen Berlin und Hamburg, über das ungewöhnliche japanische Restaurant in Suhl mit Nackt–Tee-Zeremonie und Rostock mit den Störtebeker-Festspielen auf Rügen.
Die Berichterstattung über eine LPG oder über Volkseigene Betriebe werden abgelehnt. Für das Porträt eines Abgeordneten der Volkskammer wird nach Vorbild der Potemkinschen Dörfer in Jena extra eine Wohnung tapeziert und neu eingerichtet. Der Schwindel fliegt auf, der Bericht nicht veröffentlicht.
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DLF Kultur 22.01.2020