Die Widerstandsgruppe in Werder

Wie waren die politischen Systeme der beiden deutschen Staaten zur Zeit des Kalten Krieges? Wo waren die Unterschiede? Gab es Gemeinsamkeiten?
Wie wurde die Politik auf beiden Seiten vermittelt?

Die Widerstandsgruppe in Werder

Beitragvon augenzeuge » 19. Juni 2015, 21:15

Zunächst weigerten sich die jungen Leute an FDJ-Aufmärschen teilzunehmen, schmähten Propaganda-Parolen, bald verteilten sie Flugblätter gegen die Volkskammerwahlen. "Wir dachten damals ja zunächst, jetzt geht es los mit der Demokratie", sagt der heute 74-jährige Ronald Rothe.

"Wir konnten gar nicht glauben, dass uns in der DDR schon wieder vorgeschrieben werden sollte, was wir zu denken haben." Die Werderaner Lehrlinge und Studenten wollten fünf Jahre nach Kriegsende nicht schon wieder Fahnenappelle abhalten und Treueschwüre leisten. Aus dem spontanen Widerstand gegen die Einsetzung linientreuer Lehrer entwickelte sich planvoller Widerstand. Einige junge Männer besorgten sich eine Flugblatt-Rakete - die systemkritischen Papiere flogen ein paar Hundert Meter weit in einer Kapsel, die sich dann öffnete. Geheimdienste mischen sich ein Bald schon verloren sie die Kontrolle über ihr Tun...
http://www.berliner-zeitung.de/archiv/1 ... 75054.html

In der Potsdamer Gedenkstätte Lindenstraße stellte Iris Bork-Goldfield am Mittwoch ihr Buch „Wir wollten was tun!“ über ihren Vater Werner Bork und seine Widerstandsgruppe in Werder in der Zeit von 1949 bis 1953 vor:

...Dass die Stasi der Gruppe auf die Schliche kam und sie mit Spitzeln durchsetzte, ließ sich für Werner Bork erst viel später nachvollziehen. „Erst durch die Stasi-Akten konnte ich belegen, in welcher Gefahr ich damals schwebte“, erzählt der heute 83-Jährige. Bork, neben Herbert Herrmann der Kopf der Widerstandsgruppe, sollte „als ernst zu nehmender Gegner“ von der DDR-Staatssicherheit entführt werden.

Ausschlaggebend aber war, dass ihr ein unfertiges Manuskript in die Hände fiel: Benno Kroll, der Jugendfreund ihres Vaters, veröffentlichte Mitte der 90er-Jahre im „Stern“ einen Zweiteiler über den Werderaner Widerstand, aus dem mehr werden sollte. Buchvorstellung Iris Bork-Goldfield: „Wir wollten was tun!“, Gedenkstätte Lindenstraße 54/55, Mittwoch, 19 Uhr
http://www.pnn.de/pm/977682/

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Re: Die Widerstandsgruppe in Werder

Beitragvon augenzeuge » 19. Juni 2015, 21:27

Johanna und Karl-Heinz Kuhfuß, Günther Nawrowcki, Wilhelm Schwarz, Joachim Trübe, Ingeborg Wolff, Heinz Unger, alle aus Werder, sowie Günter Beggerow aus Mecklenburg: acht junge Menschen, kaum älter als 20, die für ihr Freiheitsstreben mit dem Leben bezahlt haben. „Das Wort Widerstand haben wir nie benutzt“, erinnerte sich Blümcke. „Wir waren keine geschlossene Gruppe, keine Saboteure oder gar Terroristen. Statt dessen waren wir fröhlich, immer verliebt, und sehr sensibel.“ Mit kleinen Zetteln riefen sie zum Wahlboykott auf, forderten freie Wahlen, die Besinnung auf christliche Werte und die Abschaffung der Zonengrenze. In Potsdam wurden Plakate gegen den Abriss beschädigter historischer Gebäude wie dem Stadtschloss geklebt.

„Nach dem braunen Hemd der Hitlerjugend wollten wir uns nicht auch noch das blaue Hemd der FDJ überstreifen lassen“, sagte Blümckes Mitstreiter Werner Bork in seiner Ansprache.

Abschied nach einem halben Jahrhundert -1952 wurden acht junge Werderaner in Moskau hingerichtet – 2008 wurden sie in Werder beigesetzt.
http://www.pnn.de/pm/14631/
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Re: Die Widerstandsgruppe in Werder

Beitragvon Interessierter » 2. Januar 2017, 14:28

Als Werner Bork Zigaretten holen ging

Bild
Seitenwechsel. Werner Bork hatte in Werder (Havel) eine Widerstandsgruppe gegründet und unterstützte sie später von West-Berlin aus. Die Stasi wollte ihn entführen. Foto: Andreas Klaer

Hunderte Menschen wurden aus dem Westen in die DDR verschleppt. Werner Bork hatte im Mai 1953 Glück: Er konnte seine Verfolger bezwingen.

Menschenraub. Immer wieder Verschleppungen. Ja, auch das war die DDR – jener Staat, dem heute bisweilen attestiert wird, es sei dort ja nicht alles schlecht gewesen. Wie verhängnisvoll relativierend diese Zuschreibung ist, wurde einmal mehr am Donnerstagabend deutlich, als der Zeitzeuge Werner Bork in der Gedenkstätte Lindenstraße davon berichtete, wie er im Mai 1953 aus West-Berlin in die DDR entführt werden sollte.

Zutat wie aus einem Agententhriller

Viele von Borks Mitstreitern blieben in Werder – und wurden 1952 verhaftet. Sieben von ihnen hätten ihren Widerstand sogar mit dem Leben bezahlt und seien in Moskau hingerichtet worden, sagte Bork. Auch hinter ihm war der Osten her. Dass ausgerechnet Zigaretten dem damals Anfang 20-Jährigen womöglich das Leben retteten, klingt in dieser Geschichte wie eine Zutat aus einem Agententhriller. An dem Abend, an dem Bork entführt werden sollte, kam er früher als gewöhnlich aus seiner Stammkneipe nach Hause. Der Grund: Er hatte Zigaretten für seine Freunde holen wollen – und überraschte dabei in seiner Wohnung offenbar zwei Männer bei ihren Vorbereitungen zu seiner Entführung. Mit Unterstützung seiner Freunde gelang es Bork, die Eindringlinge dingfest zu machen. Einer der Stasi-Schergen hatte sich in die Toilette eingeschlossen. Aber die Tür war kein unüberwindliches Hindernis, um den Kriminellen schließlich doch festnehmen zu können. „Den haben wir dann erst mal zu Boden geschlagen“, erinnerte sich Bork am Donnerstag. Der zweite Entführer sei durch die Dachluke aufs Dach geklettert, erzählte Bork. Doch derweil hatte schon eine Freundin des Beinahe-Entführungsopfers die Polizei gerufen. Auch der zweite Eindringling wurde schließlich festgenommen. Allerdings: Vier Monate später, so Bork, seien die beiden Männer wieder aus der U-Haft entlassen worden – die versuchte Entführung konnte man ihnen damals nicht nachweisen.

Wäre die Entführung gelungen, wollte die Stasi ihr Opfer selbst zu einem Spion machen. Andernfalls sollte Bork verurteilt werden – so jedenfalls der Plan, den Bork später in seiner Stasi-Akte nachlesen konnte. Womöglich hätte er das Schicksal seiner in Moskau hingerichteten Mitstreiter teilen müssen.

http://www.pnn.de/potsdam/1128281/
Da hatte Werner Bork wirklich großes Glück.
Interessierter
 

Re: Die Widerstandsgruppe in Werder

Beitragvon augenzeuge » 2. Januar 2017, 16:23

Diese Entführungen durch das MfS waren ja in der Zeit an der Tagesordnung. Wer aus dem MfS ist dafür verantwortlich gewesen, dass sich das so entwickeln konnte, es waren ja hunderte Opfer.
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Re: Die Widerstandsgruppe in Werder

Beitragvon HPA » 13. März 2020, 06:36

Zeitzeugenbericht
Unschuldig ins Gulag verschleppt

https://www.moz.de/artikel-ansicht/dg/0 ... okmGOXjSpU

Berlin (NBR) Die Kälte", antwortet Helga Sperlich, wenn man sie fragt, was das Schlimmste am sowjetischen Gulag war. Auf Einladung der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur sitzt die 87-jährige Zeitzeugin nun gemeinsam mit ihrer Leidensgenossin Rosel Blasczyk auf einem Podium in Berlin-Mitte. Die Corona-Angst, ihr hohes Alter, der lange Weg aus Süddeutschland haben beide nicht davon abgehalten, sich auf die Reise nach Berlin zu machen.
Sie haben ganz anderes ausgehalten. Monate dauerte Helga Sperlichs Verschleppung im Viehwagon von Berlin nach Workuta nördlich des Polarkreises. "Wir waren 60 Frauen, durften wochenlang nicht raus. Konnten uns nicht waschen. Für die Notdurft gab es nur ein Rohr in der Waggontür", erinnert sich Sperlich, die heute in Baden-Württemberg lebt.

Im Sommerkleid, ohne Strümpfe kam sie 1952 im Bahnhof in Workuta an. "Obwohl man mir einen Armeemantel und Stiefel gegeben hatte, bekam ich schon auf dem Weg ins Lager erste Erfrierungen." Zwölf Stunden schuftete sie täglich im Schnee, verlegte Schienen für das Bergwerk. Im Winter sanken die Temperaturen bis auf Minus 50 Grad.

"Man konnte keine Minute Pause machen, sonst wäre man erfroren." Doch noch schlimmer als die Kälte empfand sie die ewige Dunkelheit und die Schneestürme. "In der Brigade liefen wir mit Schaufel vor dem Gesicht." Weiße Flecken auf der Nase bedeuteten Erfrierungsbrand. Wer nachts auf dem Weg zur Latrine im Schneegetümmel verloren ging, erfror.

Die Erzählungen von Helga Sperlich und Rosel Blasczyk beschreiben das Schicksal von schätzungsweise fünf Millionen Frauen aus der Sowjetunion sowie Europas, die zwischen 1935 und 1955 in die Lagerhaft der UdSSR gerieten. Sie stammten aus allen Gesellschaftsschichten. Helga Sperlich war 19, lebte in Werder/Havel in der DDR und hatte nach dem Abitur gerade eine Stelle im Astrophysikalischen Institut in Potsdam angetreten, als sie zu 25 Jahren Arbeitslager verurteilt wurde. Über ihre Glindower Theatergruppe hatte sie Kontakt zu einer Jugendclique, die heimlich Satire-Zeitschriften mit DDR-Witzen tauschen. "Wir waren im Nazi-Regime groß geworden und merkten bald, dass wir in eine neue Diktatur geraten waren", beschreibt sie ihre politische Einstellung. Sie selbst habe allerdings nichts weiter getan, als Post von Freunden mit nach West-Berlin zu nehmen und dort in die Briefkasten zu werfen, wenn sie ihre Cousine besuchte.

Aus Sicht der Stasi, die sie 1951 abholte, gehörte sie deshalb einer antikommunistischen Widerstandsgruppe an. Helga Sperlich erinnert sich noch genau an die ersten Stunden in einer Kellerzelle in der Potsdamer Bahnhofstraße. "Ich habe stundenlang mit den Fäusten gegen die Tür getrommelt. Erst als ich vor Erschöpfung einschlief, holten sie mich zum brutalen Verhör."

Genauso wie Helga Sperrlich wusste auch Rosel Blasczyk nicht, was sie gestehen sollte. Die heute 91-Jährige aus der Pfalz wurde schon im April 1947 während einer Razzia auf einer Tanzveranstaltung in Beelitz festgenommen. Der Grund: In ihrem Ausweis prangte ein Stempel aus der englischen Besatzungszone, in der sie kurz nach der Flucht aus Niederschlesien gelebt hatte. "Du bist Spionin", herrschte man sie im Potsdamer KGB-Gefängnis immer wieder an.

Ohne Verfahren kam die 22-Jährige ins Speziallager Sachsenhausen. Nach drei Jahren Haft wurde sie per "Fernurteil" aus Moskau zu zehn Jahren Workuta verurteilt. "Schreien brachte ja nichts. Irgendwann war man abgestumpft. Das Leben war sinnlos geworden", beschreibt Rosel Blasczyk ihre Gefühle. Es folgten fünf Jahre Zwangsarbeit in der Ziegelei und beim Lehmabbau unter Tage. Wer das Tagesziel nicht schaffte, dem wurden die sowieso schon spärlichen Rationen an wässeriger Kohlsuppe gekürzt.

"Mir war klar, dass ich unter diesen Bedingungen 25 Jahre nicht überleben würde", sagt auch Helga Sperlich, die ganz ähnliche Erinnerungen hat. Doch dann starb 1953 Stalin, und sie gehörte zu den rund eine Millionen Gulag-Häftlingen, die amnestiert wurden.
HPA
 

Re: Die Widerstandsgruppe in Werder

Beitragvon Interessierter » 13. März 2020, 07:38

Der Grund: In ihrem Ausweis prangte ein Stempel aus der englischen Besatzungszone, in der sie kurz nach der Flucht aus Niederschlesien gelebt hatte. "Du bist Spionin", herrschte man sie im Potsdamer KGB-Gefängnis immer wieder an.


Und da gibt es immer noch Menschen die behaupten, dass die DDR kein Unrechtsstaat gewesen wäre.... [raus]
Interessierter
 

Re: Die Widerstandsgruppe in Werder

Beitragvon HPA » 13. März 2020, 09:11

naja , 1947 wars noch offiziell Sowjetzone, auch wenn sich daran bis 1989 nichts geändert hat.
HPA
 


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