Daneben war eine Folge meines Übertritts, dass die Staatssicherheit in den Jahren danach enorme interne Kräfte damit band, ihre eigenen Mitarbeiter zu kontrollieren.
Allein für die HVA sind lange Überwachungslisten überliefert, aus denen hervorgeht, dass man auch leitende Mitarbeiter mit Telefonüberwachung, installierter Abhörtechnik und Postkontrolle überzog. In der für Spionageabwehr zuständigen Hauptabteilung wurde dafür sogar eine neue Abteilung »Innere Sicherheit« gegründet, die HA II/ 1, intern genannt die »Hofkapelle«.
Bis dahin war für derartige Vorgänge nur die Abteilung Kader und Schulung zuständig. Die gegenseitige Skepsis führte dazu, dass man im Ministerium vorsichtiger agierte und sich mehrfach absicherte. Außerdem wurde es für das MfS deutlich schwieriger, neue Spione im Westen zu rekrutieren, da sich durch die umfangreiche Medienberichterstattung zu meinem Fall mögliche Kooperationspartner der Gefahr bewusst wurden, bei nächster Gelegenheit von einem anderen Überläufer enttarnt zu werden. Der DDR-Geheimdienst galt nicht mehr als sichere Bastion.
Bei neu angeworbenen Spionen bestand zudem die Gefahr, dass sie »auf zwei Schultern trugen«, wie es beim BND hieß, also Doppelagenten waren. Bei allen Geheimdiensten ist es so, dass man Doppelagenten dann gewinnen kann, wenn auf der anderen Seite jemand in seinem System nicht genügend anerkannt wird, dort nicht richtig vorankommt. Wenn man ihm dann in Aussicht stellt, im anderen System hochgeschätzt zu werden, womöglich sogar als Held groß rauszukommen, fällt die Werbung relativ leicht. Mit Geld dringt man dagegen selten in eine gegnerische Zentrale ein. Nach der Werbung des Doppelagenten stellt sich dann meist erst heraus, ob der Betreffende auch die erforderliche »Befähigung zur aktiven Schizophrenie« hat, wie ich das mal genannt habe.
Selbst mein ehemaliger Referatsleiter, der prinzipienfeste Oberstleutnant Christian Streubel, zum Zeitpunkt meines Übertritts stellvertretender Leiter der Abteilung XIII der HVA, geriet ins Blickfeld der Spionageabwehr, wie ich später nachlesen konnte. Man durchleuchtete nicht nur ihn, sondern die ganze Familie, einschließlich der Tochter, die gerade in Moskau studierte und dort mit Ausländern westlicher Nationen zusammenkam.
AZ