Von tiefbraun bis mittelbraun: Die Polizei in der BRD
Verfasst: 5. April 2021, 10:29
Quasi als Kontrapunkt zu dem Thread "Die Polizei in der DDR" mache ich mal diesen Thread auf. Die Wirklichkeit ist selten schwarzweiß, auch wenn manche sie gerne so wahrnehmen, weil es das Leben doch sehr vereinfacht.
Aber als Diskussionsanstoß mal eine Literaturkritik zu dem Buch "Die Gestapo nach 1945" von Mallmann/Angrick, zitiert aus https://literaturkritik.de/id/13946 :
In den Nürnberger Kriegsverbrecherprozessen waren die „Geheime Staatspolizei“ und der „Sicherheitsdienst“ (SD) im „Reichssicherheitshauptamt“ (RSHA) 1946 zu „verbrecherischen Organisationen“ erklärt worden. Als „verbrecherisch“ galten damit diejenigen Leitungs- und Verwaltungsbeamten, die seit dem Kriegsbeginn am 1. September 1939 Gestapo-Mitglieder geworden oder geblieben waren, obwohl sie wussten, dass die Gestapo zur Verfolgung und Ausrottung der Juden, zur Ausübung von Grausamkeiten und Morden in Konzentrationslagern, Ausschreitungen in der Verwaltung der besetzten Gebiete, der Durchführung des Zwangsarbeiterprogramme und Misshandlung und Ermordung von Kriegsgefangenen benutzt wurde – und die an solchen Taten persönlich mitgewirkt hatten. Sie mussten Verhaftung und Verurteilung bis hin zur Todesstrafe fürchten, wie sie am RSHA- und Gestapo-Chef Kaltenbrunner 1946 bereits vollstreckt worden war. Im Einsatzgruppenprozess von 1948 verhängten die Amerikaner gegen 14 von 24 angeklagten SS-Führern aus Gestapo und SD die Todesstrafe. Dass von ihnen nur vier vollstreckt wurden, zeigt schon eine Aufweichung der harten Linie im Beginn des „Kalten Krieges“, der andere Prioritäten setzte.
Briten und Amerikaner, schreiben Mallmann und Angrick in ihrem Vorwort, seien 1944 von der „viel zu niedrigen Zahl“ von 15.000 Gestapo-Bediensteten ausgegangen, gegen die „automatischer Arrest“ verhängt werden sollte. Über 25.000 hätten das Kriegsende überlebt (die letzte RSHA-Statistik wies von rund 50.000 Angehörigen 31.371 als Gestapo-Mitarbeiter aus). Insgesamt gab es dann in den drei Westzonen 182.713 internierte Funktionsträger des NS-Systems, von denen Anfang 1947 bereits 86.244 wieder auf freiem Fuß waren. In der US-Zone waren am 28. Februar 1947 noch 1367 Gestapo-Bedienstete interniert. – Leider ist diese erste Phase bis zur Gründung der Bundesrepublik 1949 in dem Buch nur sehr lückenhaft dokumentiert.
Nur rund ein Drittel der ehemaligen Gestapo-Angehörigen gerieten in diesen Jahren in Haft, stellt Jan Kiepe in seinem Beitrag „Zwischen Ahndungsbemühungen und -behinderungen“ fest. Weit waren auch die Maschen der „Entnazifizierung“. Wer nicht mit falschem Namen „untertauchte“ oder (auch mit Beihilfe des Internationalen Roten Kreuzes, des Vatikans und der Siegermächte-Geheimdienste) ins Ausland floh, konnte in den polizeiliche Dienst zurückkehren – so wie es auch im Justizdienst rund 80 Prozent der Richter und Staatsanwälte gelang. Der erste Abschnitt „Karrieren“ bringt dazu mehrere Fallbeispiele, darunter in Westdeutschland das Netzwerk der „Alten Charlottenburger“, ehemaliger Lehrer und Schüler des dortigen (Kriminal-)Polizeiinstituts, seit 1937 „Führerschule der Sicherheitspolizei“. Wie Stephan Linck in seinem Beitrag zeigt, waren insbesondere das Bundeskriminalamt (BKA) und die Kriminalpolizeien in Schleswig-Holstein, Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen in Führungspositionen durchsetzt mit „Alten Charlottenburgern“, die vielfach an Morden der „Einsatzgruppen“ beteiligt waren, nun aber unter dem Schirm der britischen, sich am „Primat der Effizienz“ beim Neuaufbau orientierenden Besatzungsmacht ihre Karrieren im Polizeidienst fortsetzen konnten. Mit Recht sieht Linck hier ein „anhaltendes Desiderat“ der Forschung.
Zum Schluss nennt er als Beispiel für das Fortwirken des alten Denkens Walter Zirpins, dessen 1955 publizierte Behauptung, die hohe Kriminalität nach Kriegsende sei verursacht worden durch die „Freilassung des größten Teils der strafgefangenen und sicherungsverwahrten Berufsverbrecher, Asozialen und kriminellen Landfahrer“, sich noch in einem Polizei-Lehrbuch von 1986 wiederfand. Ergänzen ließe sich noch, dass Zirpins, der einst seine befriedigende Arbeit im Ghetto Litzmannstadt lobte, es nach 1945 zum Leiter der Landeskriminalpolizei von Niedersachsen brachte. Er wirkte dabei mit, die Legende vom Reichstagsbrand-Alleintäter Marinus van der Lubbe in die Welt zu setzen und damit auch die Rolle der Gestapo bei diesem hochpolitischen Kriminalfall zu verschleiern. Nicht zuletzt Enthüllungen aus der DDR führten zur vorzeitigen Entlassung in den Ruhestand. Dabei leistete die DDR, wie Andrej Angrick feststellt, einerseits durchaus Beachtliches bei der Verfolgung und Aburteilung von NS-Gewaltverbrechen, scheute sich aber andererseits auch nicht, Gestapo- und RSHA-Mitglieder als Spione und „Informelle Mitarbeiter“ (IM) der Stasi einzusetzen.
In Westdeutschland, von dem das Buch ganz überwiegend handelt, war es neben der andere Prioritäten setzenden Ost-West-Konfrontation vor allem das sogenannte „131er“-Gesetz von 1951, das auch vielen Gestapo-Angehörigen, sofern sie sich auf dienstliche Anweisung zur Versetzung dorthin berufen konnten, den Weg zurück in den öffentlichen Dienst öffnete. Hinzu kamen die Straffreiheitsgesetze von 1949 und 1954, die Einstufung von Tätern als „Gehilfen“, die sich auf „Befehlsnotstand“ beriefen, und die zunehmende Verjährung von Verbrechen, die schließlich nur für Mord aufgehoben wurde. „Für die westdeutsche Nachkriegspolizei“, resümiert Jan Kiepe dieses Kapitel, „ist deshalb zu konstatieren, dass sich insbesondere das Führungspersonal aus denjenigen zusammensetzte, die bereits während des Dritten Reiches in ihr tätig gewesen waren und sein verbrecherisches System unterstützt hatten.“ Das konnte – auch angesichts öffentlicher „Schlussstrich“-Mentalität – die Ermittlungen stark behindern. Darunter litt auch die Arbeit kriminalpolizeilicher „Sonderkommissionen“ und der schließlich 1958 gegründeten Zentralen Stelle der Landesjustizverwaltungen in Ludwigsburg, die immerhin, bis heute, etliche in diesem Buch behandelte Fälle aufgreifen und zur Anklage bringen konnte.
Aber als Diskussionsanstoß mal eine Literaturkritik zu dem Buch "Die Gestapo nach 1945" von Mallmann/Angrick, zitiert aus https://literaturkritik.de/id/13946 :
In den Nürnberger Kriegsverbrecherprozessen waren die „Geheime Staatspolizei“ und der „Sicherheitsdienst“ (SD) im „Reichssicherheitshauptamt“ (RSHA) 1946 zu „verbrecherischen Organisationen“ erklärt worden. Als „verbrecherisch“ galten damit diejenigen Leitungs- und Verwaltungsbeamten, die seit dem Kriegsbeginn am 1. September 1939 Gestapo-Mitglieder geworden oder geblieben waren, obwohl sie wussten, dass die Gestapo zur Verfolgung und Ausrottung der Juden, zur Ausübung von Grausamkeiten und Morden in Konzentrationslagern, Ausschreitungen in der Verwaltung der besetzten Gebiete, der Durchführung des Zwangsarbeiterprogramme und Misshandlung und Ermordung von Kriegsgefangenen benutzt wurde – und die an solchen Taten persönlich mitgewirkt hatten. Sie mussten Verhaftung und Verurteilung bis hin zur Todesstrafe fürchten, wie sie am RSHA- und Gestapo-Chef Kaltenbrunner 1946 bereits vollstreckt worden war. Im Einsatzgruppenprozess von 1948 verhängten die Amerikaner gegen 14 von 24 angeklagten SS-Führern aus Gestapo und SD die Todesstrafe. Dass von ihnen nur vier vollstreckt wurden, zeigt schon eine Aufweichung der harten Linie im Beginn des „Kalten Krieges“, der andere Prioritäten setzte.
Briten und Amerikaner, schreiben Mallmann und Angrick in ihrem Vorwort, seien 1944 von der „viel zu niedrigen Zahl“ von 15.000 Gestapo-Bediensteten ausgegangen, gegen die „automatischer Arrest“ verhängt werden sollte. Über 25.000 hätten das Kriegsende überlebt (die letzte RSHA-Statistik wies von rund 50.000 Angehörigen 31.371 als Gestapo-Mitarbeiter aus). Insgesamt gab es dann in den drei Westzonen 182.713 internierte Funktionsträger des NS-Systems, von denen Anfang 1947 bereits 86.244 wieder auf freiem Fuß waren. In der US-Zone waren am 28. Februar 1947 noch 1367 Gestapo-Bedienstete interniert. – Leider ist diese erste Phase bis zur Gründung der Bundesrepublik 1949 in dem Buch nur sehr lückenhaft dokumentiert.
Nur rund ein Drittel der ehemaligen Gestapo-Angehörigen gerieten in diesen Jahren in Haft, stellt Jan Kiepe in seinem Beitrag „Zwischen Ahndungsbemühungen und -behinderungen“ fest. Weit waren auch die Maschen der „Entnazifizierung“. Wer nicht mit falschem Namen „untertauchte“ oder (auch mit Beihilfe des Internationalen Roten Kreuzes, des Vatikans und der Siegermächte-Geheimdienste) ins Ausland floh, konnte in den polizeiliche Dienst zurückkehren – so wie es auch im Justizdienst rund 80 Prozent der Richter und Staatsanwälte gelang. Der erste Abschnitt „Karrieren“ bringt dazu mehrere Fallbeispiele, darunter in Westdeutschland das Netzwerk der „Alten Charlottenburger“, ehemaliger Lehrer und Schüler des dortigen (Kriminal-)Polizeiinstituts, seit 1937 „Führerschule der Sicherheitspolizei“. Wie Stephan Linck in seinem Beitrag zeigt, waren insbesondere das Bundeskriminalamt (BKA) und die Kriminalpolizeien in Schleswig-Holstein, Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen in Führungspositionen durchsetzt mit „Alten Charlottenburgern“, die vielfach an Morden der „Einsatzgruppen“ beteiligt waren, nun aber unter dem Schirm der britischen, sich am „Primat der Effizienz“ beim Neuaufbau orientierenden Besatzungsmacht ihre Karrieren im Polizeidienst fortsetzen konnten. Mit Recht sieht Linck hier ein „anhaltendes Desiderat“ der Forschung.
Zum Schluss nennt er als Beispiel für das Fortwirken des alten Denkens Walter Zirpins, dessen 1955 publizierte Behauptung, die hohe Kriminalität nach Kriegsende sei verursacht worden durch die „Freilassung des größten Teils der strafgefangenen und sicherungsverwahrten Berufsverbrecher, Asozialen und kriminellen Landfahrer“, sich noch in einem Polizei-Lehrbuch von 1986 wiederfand. Ergänzen ließe sich noch, dass Zirpins, der einst seine befriedigende Arbeit im Ghetto Litzmannstadt lobte, es nach 1945 zum Leiter der Landeskriminalpolizei von Niedersachsen brachte. Er wirkte dabei mit, die Legende vom Reichstagsbrand-Alleintäter Marinus van der Lubbe in die Welt zu setzen und damit auch die Rolle der Gestapo bei diesem hochpolitischen Kriminalfall zu verschleiern. Nicht zuletzt Enthüllungen aus der DDR führten zur vorzeitigen Entlassung in den Ruhestand. Dabei leistete die DDR, wie Andrej Angrick feststellt, einerseits durchaus Beachtliches bei der Verfolgung und Aburteilung von NS-Gewaltverbrechen, scheute sich aber andererseits auch nicht, Gestapo- und RSHA-Mitglieder als Spione und „Informelle Mitarbeiter“ (IM) der Stasi einzusetzen.
In Westdeutschland, von dem das Buch ganz überwiegend handelt, war es neben der andere Prioritäten setzenden Ost-West-Konfrontation vor allem das sogenannte „131er“-Gesetz von 1951, das auch vielen Gestapo-Angehörigen, sofern sie sich auf dienstliche Anweisung zur Versetzung dorthin berufen konnten, den Weg zurück in den öffentlichen Dienst öffnete. Hinzu kamen die Straffreiheitsgesetze von 1949 und 1954, die Einstufung von Tätern als „Gehilfen“, die sich auf „Befehlsnotstand“ beriefen, und die zunehmende Verjährung von Verbrechen, die schließlich nur für Mord aufgehoben wurde. „Für die westdeutsche Nachkriegspolizei“, resümiert Jan Kiepe dieses Kapitel, „ist deshalb zu konstatieren, dass sich insbesondere das Führungspersonal aus denjenigen zusammensetzte, die bereits während des Dritten Reiches in ihr tätig gewesen waren und sein verbrecherisches System unterstützt hatten.“ Das konnte – auch angesichts öffentlicher „Schlussstrich“-Mentalität – die Ermittlungen stark behindern. Darunter litt auch die Arbeit kriminalpolizeilicher „Sonderkommissionen“ und der schließlich 1958 gegründeten Zentralen Stelle der Landesjustizverwaltungen in Ludwigsburg, die immerhin, bis heute, etliche in diesem Buch behandelte Fälle aufgreifen und zur Anklage bringen konnte.