Lethargie, Missmut und Fahren auf Sicht

Wie waren die politischen Systeme der beiden deutschen Staaten zur Zeit des Kalten Krieges? Wo waren die Unterschiede? Gab es Gemeinsamkeiten?
Wie wurde die Politik auf beiden Seiten vermittelt?

Lethargie, Missmut und Fahren auf Sicht

Beitragvon Interessierter » 23. August 2020, 07:04

„Der Alltag in der DDR“, so kommentierte es ein Kabarettist mal sarkastisch, „machte die Menschen zu Überlebenskünstlern: Sie wurden immun gegen die Umweltgifte, lebten in Nischen, die die allmächtige Partei übersah oder duldete, schlossen sich in Gruppen Gleichgesinnter zusammen, und es gelang ihnen, ,aus nischt was zu machen.‘“ Worte, die zeigen, wie das Gros der DDR-Bürger die späten achtziger Jahre in seinem Land zwischen Fichtelberg und Kap Arkona empfindet: bedrückend, eng, miefig.

Wenige engagieren sich in Oppositionsgruppen, oft unter dem Dach der Kirche, andere versuchen, über einen Ausreiseantrag wegzukommen. Doch die Masse bewältigt den Alltag weiter. Schwer genug, wenn nicht einmal der viel beschworene Rückzug ins Private noch glückt, da selbst Baumaterial für den kleinen Schrebergarten bestenfalls unter größter Mühe zu bekommen ist.

Den längeren aber nicht minder interessanten Beitrag findet man hier:
https://www.l-iz.de/bildung/zeitreise/2 ... cht-302403
Interessierter
 

Re: Lethargie, Missmut und Fahren auf Sicht

Beitragvon Volker Zottmann » 23. August 2020, 09:14

Der fettgedruckte erste Absatz beschreibt die DDR im Alltag recht präzise.
Mehr ist da auch nicht mehr zu sagen.
Kein Tag, der nicht unnormal beschwerlich bewältigt wurde. Nur eben hat das schon sehr oft die breite Masse der Bevölkerung gar nicht mehr wahrgenommen, weil es eben Alltag war. Es gab keinen einzigen Bereich, wo eine normal Versorgung zu 100% gewährlestet werden konnte.
Die DDR war eine Schmiede der Improvisationstalente.

Gruß Volker
Volker Zottmann
 

Re: Lethargie, Missmut und Fahren auf Sicht

Beitragvon Kumpel » 23. August 2020, 11:02

Volker Zottmann hat geschrieben:Kein Tag, der nicht unnormal beschwerlich bewältigt wurde.


Na ja , so würde ich das jetzt nicht sehen wollen. Da mag sich ein gewisser Fatalismus breit gemacht haben , aber um das nackte Überleben brauchte ja niemand zu kämpfen und ne Menge Spaß gab es ja trotzdem.
Ein kaum ausgeprägtes Konkurrenzdenken bescherte ja auch eine gewisse Unbeschwertheit.
Bestimmte Beschwerlichkeiten gehörten zum System, insbesondere wenn man sich mit dem Konsum des Westen's verglichen hatte generierte das natürlich permanente Unzufriedenheiten und Anspruchsdenken.
Mal so in der Nachschau betrachtet.
Kumpel
 

Re: Lethargie, Missmut und Fahren auf Sicht

Beitragvon karnak » 23. August 2020, 11:29

Manchmal fehlen mir heute die freudigen Gefühle eines " Jagderfolges" . Ob Tomate, Banane und Co., Auto Reparatur und Rauhfasertapete, man braucht einfach nur Geld, dass schöne Gefühl des Triumphes hingegen ist verschwunden, manchmal etwas tröge. [flash]
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Re: Lethargie, Missmut und Fahren auf Sicht

Beitragvon Transitfahrer » 23. August 2020, 13:39

karnak hat geschrieben:Manchmal fehlen mir heute die freudigen Gefühle eines " Jagderfolges" . Ob Tomate, Banane und Co., Auto Reparatur und Rauhfasertapete, man braucht einfach nur Geld, dass schöne Gefühl des Triumphes hingegen ist verschwunden, manchmal etwas tröge. [flash]

Deswegen gibt es ja die Schnäppchenjäger [laugh]
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Re: Lethargie, Missmut und Fahren auf Sicht

Beitragvon karnak » 23. August 2020, 13:41

Das ist nicht das Selbe, nur Verarsche, meistens um irgendwelches Gelumpe oder um was loszuwerden was eh schon zuviel ist und weg muß. [grin]
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Re: Lethargie, Missmut und Fahren auf Sicht

Beitragvon Volker Zottmann » 23. August 2020, 13:54

karnak hat geschrieben:Manchmal fehlen mir heute die freudigen Gefühle eines " Jagderfolges" . Ob Tomate, Banane und Co., Auto Reparatur und Rauhfasertapete, man braucht einfach nur Geld, dass schöne Gefühl des Triumphes hingegen ist verschwunden, manchmal etwas tröge. [flash]


Hallo Kristian, da hast Du gewiss recht. Auch des Kumpels Worte stimmen.
Wer aber seinen DDR-Alltag mal ganz ehrlich im Mittel in Erinnerung ruft, weiß, dass es kaum mal einen Tag ohne irgendeinen Mangel gab. Begehrlichkeiten sind auch heute noch was Schönes, zumal wenn sie dann in Erfüllung gehen. Und sicher wird sich außer in Coronazeiten keiner mehr glückselig finden, nur weil er ein ganze 48-Rollenpackung Klopapier ergatterte. Derjenige freute sich damals riesig, weil er ein Jahr lang eben einer kleinen Dauersorge entledigt war.
Brauchte man 60er Nägel gab es garantiert nur 40er. Wollte man mal ein Brett, ein Einziges irgendwo erneuern, waren Beziehungen oder tagelange Tauschexkursionen von Nöten.
Freilich aber habe auch ich mich über manche Kleinigkeit mehr gefreut als heute, schon weil man Sieger über ein Manko wurde.
Wer jedoch ehrlich zu sich selbst ist, und keine Sonderstellung hatte, wird eingestehen müssen, dass an jedem DDR-Tag aufs Neue, für heutige Sicht, sinnlose Sorgen zu beseitigen waren.
Der Staat, in dem der Handwerker zwei Drittel seiner Arbeitszeit nur zur Materialbeschaffung verbrachte, war krank. Egal ob das heute jedem gefällt oder nicht.

Gruß Volker
Volker Zottmann
 

Re: Lethargie, Missmut und Fahren auf Sicht

Beitragvon Dr. 213 » 23. August 2020, 14:02

An lustvolle Jagd auf Bückware kann ich mich nicht erinnern.
Es war eher schon der Zwang in einer Mangelwirtschaft, sich die Einkaufsnetze vollzumachen.
Wenn es etwa Südfrüchte, Tomatenketchup, Radeberger- Bier, Schallplatten, Babysäfte, Raufasertapete, Cenusil und so weiter gab.

Der Kick war eher, rechtzeitig zu wissen, oder es auch nur zu glauben es zu wissen, in welcher Kaufhalle oder Filliale
der Baustoffversorgung oder BHG eine Lieferung mit begehrten Artikeln eingetroffen oder erwartet wurde.

Schon ein Gerücht reichte aus, und es machten sich viele Menschen, zum Teil auch vom Arbeitsplatz aus auf den Weg,
um sich ihren Anteil zu sichern und auch, um im Auftrag für Kollegen etwas mitzubringen.

Das schielen auf das üppige Angebot im Westen war es nicht alleine. Schon in der DDR gab es eine zunehmende Spaltung
in der Gesellschaft. Wer keinen Zugang zu Westgeld hatte, der war angeschmiert und mußte für ein bischen Luxus die unglaublich
hohen Preise im Delikat oder Exquisit bezahlen. Und auch bei den Ende der 80er leichter gewordenen West- Reisen nun auch für
Nichtrentner hatten wieder die das Nachsehen, die keine Verwandten im Westen hatten und sich auch keine Großtante herbeimogeln konnten.

Der ganze Laden wäre an diesen Widersprüchen sowieso zusammengebrochen.
Schon etwa seit Anfang der 80er, das habe ich sogar noch mitbekommen, regte sich immer mehr Kritik.
Insbesondere die fehlende Reisefreiheit, das unzureichende Wohnungsangebot und die Umweltverschmutzung wurden
nicht mehr nur hinter vorgehaltener Hand kritisiert. Die Kirche hat an der Stelle Information und Organisation ermöglicht.

Und die Kirche hat den Menschen in ihren Einrichtungen Arbeit gegeben, die etwa wegen eines Ausreiseantrages ihrer bisherige
Arbeitsstelle verloren hatten und dann oft andere unbeliebte Tätigkeiten angedient bekommen haben, die sie aber nicht wollten.

Herzlichst
Dr. 213
Das größte Landraubtier der Neuzeit ist DER Bär.
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