Ein Ort der Verzweiflung
Nach Kriegsende 1945 errichtete der sowjetische Geheimdienst zahlreiche Gefängnisse in der russischen Besatzungszone - eines davon in Potsdam. Heute ist das Haus eine Gedenkstätte, immer mehr ehemalige Häftlinge kommen in das frühere Durchgangslager und suchen nach Spuren ihres Wegs in Stalins Gulag.
Das ehemalige KGB-Gefängnis in Potsdam
Nicht nur der Tochter fiel es bei einem Spaziergang im Jahr 1999 auf: In Potsdams edlem Wohnviertel "Am Neuen Garten" blieb der Blick an einem heruntergekommenen Eckhaus Große Weinmeisterstraße/Leistikowstraße haften und ließ sie stutzen: Im grauen, verwitternden und bröckelnden Außenputz waren erkennbar zugemauerte Türen und schmale vergitterte Fenster waren zu sehen, mit Holzplatten verschlossene Kellerluken, Gitter vor dem alten Eingang, eine Gefängnistür mit Guckloch, einem "Spion". Dieser Anblick erinnerte Mutter und Tochter an die Erzählungen des Vaters, der von seinen Jahren als Gefangener in Workuta, dem sibirischen Gulag berichtet und dabei auch von einem schrecklichen Gefängnis in Potsdam gesprochen hatte. Bisher hatte er es nicht wiederfinden können, trotz Suche.
War es möglicherweise dieses trostlose Gebäude auf dem verwahrlosten, nachlässig umzäunten Eckgrundstück? Tatsächlich, auf einer kleinen Info-Tafel vor dem Haus lud eine Arbeitsgemeinschaft ein, bei Fragen zur Geschichte dieses ehemaligen KGB-Gefängnisses eine Potsdamer Telefonnummer anzurufen. Die Spaziergänger riefen an.
Geruch von Angst und offenen Toiletteneimern
Einige Zeit später betrat der ehemalige Häftling aufgeregt das Haus in der Leistikowstraße. Schon der Geruch im Innern, die Farbe der Wandanstriche, die ausgetretenen Stufen, der Maschendrahtzaun im Treppenhaus, die kalten Lampen, die massiven Gittertüren vor dem Erdgeschoss und zum Keller kamen ihm bekannt vor. Er fand den Weg durch den langen Gang mit den schweren Zellentüren, den aus der Decke herausragenden Abflussrohren bis zu seiner Zelle - das war sie, kein Zweifel. Zu prägend waren die Wochen und Monate gewesen, die der 19-Jährige hier allein zubringen musste, nur unterbrochen von den Gängen zu den quälenden Verhören und zum Leeren der "parascha", des Abortkübels. Alle Erinnerungen kamen jetzt hoch. Das Äußere des Hauses allein hatte nicht genügt, denn An- und Abtransporte von Gefangenen geschahen damals nachts.
Wochen und Monate hatte er hier im Ungewissen verbracht, verurteilt zu Untätigkeit, verwirrt durch eine Tag und Nacht grell blendende Lampe, kaum Tageslicht durch die Ritze der Fensterverblendung. Hunger, Angst, Verzweiflung und Schmerzen erinnerte er, den Schlafentzug durch nächtliche Verhöre, Sorgen um die Angehörigen draußen. Schmerzlich hatte er die absolute Rechtlosigkeit und das Ausgeliefertsein erlebt.
Keine Dokumente über das Unrecht
Die beim Abzug des sowjetischen Geheimdienstes 1994 fast völlig leer geräumten Zellen im Erdgeschoss und im Obergeschoss, die wenigen verbliebenen Gegenstände - Metallpritschen, einige verloren herumstehende Stühle und Tische - regen zu Fragen und Vermutungen in alle Richtungen an. Doch es gibt keinen offiziellen Bericht aus der Zeit des Gefängnis, kein historisch verwendbares Übergabeprotokoll, keine Akten.
Aber es gibt immer mehr ehemalige Häftlinge, Männer und Frauen, die von der Existenz des ehemaligen Gefängnisses in Potsdam erfahren. Sie kommen, sehen und berichten. Sie suchen Mithäftlinge, soweit sie nach über 50 Jahren am Leben und auffindbar sind, sie erzählen von den Lagern in Sibirien und Kasachstan, von ihrem Leben nach der Heimkehr in die DDR oder die Bundesrepublik. Und sie berichten vor allem vom Haftalltag in diesem Gefängnis, von den Verhören, von Folter und Demütigung, von unvorstellbaren sanitären Zuständen, vom Karzer, der 90 mal 90 Zentimeter großen Strafzelle, von Gewalt, Hunger und Ungeziefer und von den unglaublich hohen Strafen, zu denen sie verurteilt wurden - 25 Jahre Sibirien für einen vagen Verdacht waren keine Seltenheit.
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