Ohne Ansehen der Person-Polizistenschicksale in der Diktatur

Wie waren die politischen Systeme der beiden deutschen Staaten zur Zeit des Kalten Krieges? Wo waren die Unterschiede? Gab es Gemeinsamkeiten?
Wie wurde die Politik auf beiden Seiten vermittelt?

Ohne Ansehen der Person-Polizistenschicksale in der Diktatur

Beitragvon Grenzgänger » 31. August 2022, 19:22

Polizisten gelten allgemein als dem jeweiligen Staat besonders treu ergebene „Diener“. Schließlich hat ihnen der Staat für die Durchsetzung der von ihm erlassenen Gesetze, Autorität und gewisse „Sonderrechte“ verliehen. Auf eine gut funktionierende, loyale Polizei kann kein Staatssystem der Welt verzichten. Das trifft auf Demokratien wie auf Diktaturen gleichermaßen zu. Selbstverständlich unterscheidet sich die Polizei eines demokratischen Gesellschaftssystems in vielfacher Hinsicht von der der eines diktatorischen Staates. Da ich in meinen nun mehr fast vierzigjährigen Berufsleben in zwei völlig verschiedenen Polizeiapparaten Dienst verrichtet habe, kann ich diese Aussage aus eigener Erfahrung bestätigen. Dennoch finden sich in der alltäglichen Polizeiarbeit auch jede Menge Übereinstimmungen. Verkehrsunfälle, Tötungsdelikte, Einbrüche, etc. wurden von der Volkspolizei im Wesentlichen nicht wesentlich anders behandelt als heute. Sicher gab und gibt es in der Bearbeitung und Einstufung von Delikten gewisse Unterschiede. Das ändert aber nichts daran, dass sich die alltägliche Polizeiarbeit in vielen Staaten der Welt, unabhängig von der dort herrschenden Regierung, stark ähnelt.
Oftmals wird die Frage gestellt, ob man auch in einer Diktatur ein um Gerechtigkeit bemühter Polizist sein, der engagiert, ohne Ansehen der Person, seiner Profession, nachgeht. Diese Frage kann weder absolut mit Ja noch mit Nein beantwortet. Obwohl es beispielsweise im Deutschen Kaiserreich, in „Nazi-Deutschland“ und der DDR, zahlreiche Beispiele von ausschließlich dem Berufsethos verpflichteten Polizisten gab. Die sich nach außen dem Staat gegenüber loyal, dennoch im Wesentlichen unpolitisch verhielten. Bei der Aufklärung eines Verbrechens oder der Suche nach den Ursachen eines Verkehrsunfalls, halfen den Ermittlern politische Phrasen ohnehin nicht weiter.
Trotzdem konnte sich ein Polizist innerhalb einer Diktatur nicht immer aus der Politik heraushalten. Auch wenn er es wollte. Zuweilen sahen sie sich gezwungen, Gesetze und Weisungen durchzusetzen, obwohl sie innerlich damit nicht einverstanden waren. Dieses angepasste Verhalten hatte oftmals tragische Folgen. Zum einen für die Betroffenen. Zum anderen aber auch die Polizisten selbst. Zumindest dann, wenn das Staatssystem von einem anderen abgelöst wird und aus vormaligem Recht, plötzlich Unrecht wird.
Zu Beginn der Beitragsserie möchte ich euch ein besonders tragisches Polizistenschicksal vorstellen:

1. Otto Busdorf

Zuchthaus Brandenburg-Görden, 1957

Im Haftkrankenhaus des berühmt-berüchtigten Zuchthauses, dämmert ein zu diesem Zeitpunkt bereits fast achtzigjähriger Häftling vor sich hin. Seit längerem kämpfte die Familie und die Anwältin des todkranken alten Mannes, um dessen vorzeitige Entlassung. Obwohl mittlerweile selbst die Generalstaatsanwaltschaft der DDR dem Ersuchen zustimmte, die Haftärzte den Insassen längst für Haftuntauglich erklärt hatten, verwehrte das Ministerium des Innern dem Sterbenden die Möglichkeit, wenigstens die letzten Wochen seines Lebens in Freiheit verbringen zu dürfen. Wer jetzt meint, dass es sich bei diesem Häftling um einen besonders gefährlichen Schwerverbrecher handelte, vor dem die Gesellschaft unbedingt geschützt werden muss, irrt sich gewaltig. Hinter den dicken Mauern des Zuchthauses Brandenburg, starb im Sommer 1957 einer der fähigsten und bekanntesten Kriminalisten Deutschlands, Namens Otto Busdorf. Die Karriere des 1878 geborenen Busdorf bei der Berliner Polizei begann im Jahr 1902. Zu seinen ersten spektakulären Erfolgen gehörte die spektakuläre Verfolgung dreier Raubmörder. Deren erfolgreiche Verfolgung f ihn bis nach Sibirien und New York führte. Zur Anerkennung des filmreifen Fahndungserfolges lud ihn der deutsche Kaiser persönlich ins Berliner Stadtschloss ein.
Endgültige Bekanntheit erzielte Busdorf, als er nach dem Ende des Ersten Weltkriegs die Bekämpfung der sich in den Wäldern um Berlin mehr und mehr ihr Unwesen treibenden Wilderer übernahm. Diese – völlig zu Unrecht romantisierte – Tätergruppe, schreckte auch vor dem Mord an Förstern und Jagdberechtigten nicht zurück. Busdorf, der die Natur liebte und selbst gern auf Jagd ging, avisierte schnell zum Schrecken der illegalen Jagdfrevler. Mehr als einmal kam es bei den ihm geleiteten Einsätzen, zu lebensgefährlichen Auseinandersetzung mit bewaffneten Wilddieben. 1926 zog ihn die Magdeburger Kriminalpolizei bei der Aufklärung eines Mordfalls hinzu. Dabei gelang es Busdorf, einen zunächst zu Unrecht beschuldigten Mann vor dem Gefängnis zu bewahren und den wirklichen Täter zu überführen. Der Fall erwies sich von Anfang an als politisch überaus brisant. Denn bei dem von der Justiz vorschnell der Tat bezichtigten, handelte es sich um einen jüdischen Mitbürger. Während der wahre Mörder politisch „im rechts-nationalen Spektrum Zuhause war.“ Insofern stellte der Mordfall eine Art Vorgeschmack auf die wenige Jahre später in Deutschland herrschenden politischen Verhältnisse dar. Der Mordfall und dessen Aufklärung diente im Jahr 1948 der DEFA als Vorlage für den mit Hans Christian Blech und anderen damals bekannten Schauspielern hochkarätig besetzten Spielfilm.

1927 trat er endgültig an die Spitze des für die Bekämpfung der Wilderei und der Aufklärung von Förstermorden zuständigen Kommissariat im Berliner Polizeipräsidium. Im Rahmen dieser Tätigkeit hielt der leidenschaftliche Ermittler Lichtbildervorträge vor Förstern und Angehörigen von Jagdvereinen in ganz Deutschland. 1928 erschien im Verlag „Neumann-Neudamm“ (bei Küstrin“ das von ihm verfasste, eigentlich als Lehrbuch gedachte Werk „Von Wilddieberei und Förstermorden“.
Ende der Zwanziger Jahre avancierte der erfolgreiche Ermittler mehr und mehr zu einem prominenten, in den Zeitschriften präsenten Medienstar. Diese Bekanntheit hatte aber auch ihre Schattenseiten. Als die NSDAP-Zeitung „Der Angriff“ in einem Artikel vor dem Kommissar und dessen Ermittlungsmethoden gegen „national gesinnte Gutsbesitzer“ warnte, legte sich der berühmte Kriminalbeamte kurzerhand mit dem für die Pressearbeit zuständigen Gauleiter der NSDAP an. Einem zu diesem Zeitpunkt noch weitestgehend unbekannten Rheinländer Namens Joseph Göbbels. Dem bald schon eine mit Unterstützung des Polizeipräsidenten und dem SPD-nahen „Verein Preußischer Polizeibeamter“ auf dem Weg gebrachte Klage ins Haus. Dem „Hinkefuß“ brachte die Klage eine kurzzeitige Inhaftierung in Moabit sowie eine Geldstrafe von 900 Reichsmark - was damals viel Geld war – ein. Und dem Kommissar den Hass des „ braunen Tribuns“. Laut Übermittlung, soll das SPD-Mitglied Busdorf, kurz nach dem Prozess gegen Goebbels, im Jahr 1931, als Sympathisant für die NSDAP Geld gespendet haben. Angeblich auf Anraten seines als Sekretär von Göbbels tätigem Nachbarn. Möglicherweise wollte sich der Kommissar damit, im Fall einer Machtübernahme der NSDAP, vor beruflichen Schwierigkeiten bewahren. Eine überaus naive Vorstellung, wie sich wenige Jahre später zeigen sollte.

Ende Teil I
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Re: Ohne Ansehen der Person-Polizistenschicksale in der Diktatur

Beitragvon Grenzgänger » 31. August 2022, 19:25

Otto Busdorf besaß in dem malerischen Berliner Stadtteil Köpenick ein am Waldrand gelegenes Einfamilienhaus. Im Frühsommer 1933 störten die Schlägertrupps der SA-Standarte 15 die Idylle. Innerhalb weniger Tage fielen den Horden mehr als 500 „politische Gegner“, vorwiegend Kommunisten und Sozialdemokraten zum Opfer. Die „Gefangenen“ wurden brutal geschlagen, gefoltert und gedemütigt. Eine Reihe von ihnen überlebte die Torturen nicht. Unter den von der SA „Verhafteten“ befand sich auch der Gewerkschaftler Paul von Essen. Um der Aktion einen „legalen Anstrich zu geben“, zogen die SA-Schläger den in der Nähe des Geschehens wohnenden Kriminalbeamten hinzu. Obwohl sich Busdorf an jenem Tag überhaupt nicht im Dienst befand, verlangte die SA von ihm, den ihm persönlich bekannten Gewerkschaftsfunktionär zu vernehmen. Der „Vorwurf“ lautete auf „Wilderei“, da in von Essens Haus mehrere Waffen gefunden wurden. Busdorf bestätigte jedoch, dass von Essen als Jagdaufseher diese Waffen legal besitzen durfte. Ein ihm präsentiertes Gewehr identifizierte er jedoch als „Wilderer-Gewehr“. Ob diese Waffe tatsächlich aus dem Besitz des Gewerkschafters stammte, geht aus den Überlieferungen nicht hervor. Wie Busdorf später angab, war die „Vernehmung“ bereits nach zwanzig Minuten beendet. Paul von Essen wurde unmittelbar danach von Angehörigen der SA derart brutal verprügelt, dass er noch vor Ort an den Folgen verstarb. Busdorf selbst, will von den Schlägen während seiner Anwesenheit, nichts bemerkt haben. Eine Aussage, an der durchaus Zweifel bestehen. Vielleicht fehlte dem Kriminalbeamten, aus mehr als verständlichen Gründen, der Mut gegen die entmenschten Schläger einzuschreiten.

1934 knüpften sich die Nazis auch den ihnen verhassten Kriminalbeamten vor. Die Entfernung aus dem Dienst wegen „politischer Unzuverlässigkeit“ muss den leidenschaftlichen Polizisten in ein tiefes mentales Loch gestürzt haben. Daran konnte auch die Aufnahme einer Tätigkeit als Sachbearbeiter bei einem Viehzuchtverband nichts ändern. Polizisten identifizieren sich in hohem Maß mit ihrem Beruf. So sehr, dass der Beruf einen großen Teil ihrer Persönlichkeit einnimmt. Der Verlust des Berufes bedeutet unweigerlich auch eines großen Teils der eigenen Persönlichkeit. Verzweifelt bemühte sich daher auch Otto Busdorf, unter dem ausdrücklichen Hinweis „stets nur ohne Ansehen der Person seine Pflicht getan zu haben“, um die Rückkehr in den Polizeidienst. Anstatt ihn wiedereinzustellen, steckten die Nazis Busdorf für einige Monate in das KZ Sachsenhausen.
Regime kommen und gegen. Am 08. Mai 1945 endete auch die Zeit der Nazi-Schergen. Ungeachtet seines mittlerweile fortgeschrittenen Alters stellte sich Otto Busdorf für den Aufbau einer neuen Polizei zur Verfügung. Dabei half ihm die Fürsprache des von den sowjetischen Besatzern eingesetzten kommunistischen Bezirksbürgermeisters von Köpenick. Sowie der sich als „Eintrittskarte“ erweisende Verweis auf die von den Nazis verhängte Einweisung in das KZ Sachsenhausen. Nach elf Jahren „Abstinenz“ kehrte Busdorf als stellvertretender Inspektionsleiter wieder in den Polizeidienst zurück. Kurz nahm er eine Tätigkeit als Lehrer an der Polizeischule des Landes Brandenburg, in Biesenthal bei Bernau, auf. Einen besseren Ausbilder konnte sich die junge Volkspolizei nicht vorstellen. Doch das Glück sollte nicht lange anhalten. Nachdem Busdorf ausgerechnet von einem früheren NSDAP-Mitglied als „Nazi angeschwärzt worden war“, entließ ihn auch die Volkspolizei aus ihren Reihen. Danach ging es für den früheren Kriminalbeamten nur noch bergab. 1948 nahm die Justiz ihre Ermittlungen wegen der unter dem Begriff „Köpenicker Blutwoche“ in die Geschichte eingegangenen SA-Terrors im Sommer 1933. Wegen seiner Unterschrift in dem Erhalten gebliebenen Vernehmungsprotokolls, geriet Busdorf rasch in den Fokus der Ermittlungen. Eine erste Verhaftung in dieser Angelegenheit endete mit einer Entlassung im Mai 1949. Busdorf, der sich keiner Schuld bewusst war, schlug alle Warnungen seiner Familie in den Wind. Eine Flucht nach Westberlin kam für ihm nicht infrage. Seines Eigenheimes wegen!

Nur drei Wochen nach der Entlassung fand sich Busdorf erneut hinter Gittern wieder. Er ahnte noch nicht, dass er sein Eigenheim am Rand des Köpenicker Waldes nicht mehr wiedersehen sollte. Im Sommer 1950 verurteilte ihn das Bezirksgericht Köpenick zu 25 Jahren Zuchthaus und fünf Jahren Gefängnis. Für den 72-jährigen Mann bedeutete das grausame Urteil „Lebenslänglich“. Laut der Aussage der Richter, hätte Busdorf mit seiner Vernehmung der anschließenden Misshandlung und Tötung Paul von Essens und anderer, erst eine Basis bereitet. Ich halte es für nicht ausgeschlossen, dass das Schandurteil gegen Busdorf, lediglich „die Peinlichkeit seiner kurzzeitigen Tätigkeit als Offizier der Volkspolizei kaschieren sollte“.

Anstatt seinen verdienten Ruhestand in seinem, inzwischen vom Staat beschlagnahmten Eigenheim zu genießen, musste die einstige Ermittler-Legende die letzten Lebensjahre, inmitten von Verbrechern, im Zuchthaus Brandenburg „verrotten“.
1956 wurde ein großer Teil der Verurteilten SA-Schläger per Gnadenerlass, nach dem sie nur wenige Jahre ihrer Haftzeit verbüßt hatten, entlassen. Otto Busdorf gehörte nicht dazu. Er starb im August 1957 einsam und von der Außenwelt vergessen, als verurteilter Verbrecher, in einem Bett des Haftkrankenhauses.

Somit war der „unpolitische Polizist“ endgültig zum Spielball und Opfer politischer Wirren geworden!


Wird fortgesetzt!

Gruß an alle

Uwe [hallo]
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