Suizide DDR und Bundesrepublik

Re: Suizide DDR und Bundesrepublik

Beitragvon augenzeuge » 8. August 2012, 21:14

Merkur hat geschrieben:
augenzeuge hat geschrieben: Kann es sein, dass die Ursachen unterschiedlich waren?
AZ


In den 1980er Jahren gab es ca. zehn Suizide von hauptamtlichen Mitarbeitern im Jahr. Auffällig hoch waren dabei die Suizide in den Einheiten, welche Wach- und Sicherungsdienst versahen. Dementsprechend wurde die Mehrzahl der Suizide in Dienstobjekten mittels Schusswaffe begangen.
Motive waren familiäre Probleme, gesundheitliche Probleme oder Konfliktsituationen.



Danke für die Info, Merkur. Obwohl ich keinen direkten Vergleich machen kann (ich weiß nur das bei der Polizei in NRW die Jahresrate bei 7,4 liegt), halte ich diese Zahl für sehr hoch. Mich wundert es schon etwas, da man ja nicht so einfach beim MfS anfangen konnte und sicher auch Überprüfungen in dieser Richtung stattfanden. Nun kann man sich fragen, ob diese Leute bereits bei der Einstellung Gefährdungspotentiale zeigten, oder ob erst der Dienst die Menschen dazu gebracht hat. Letzteres ist meine Vermutung.

Bei der Überwachung der Mitarbeiter im MfS wundere ich mich auch, dass man nicht restriktiver versuchte, die Leute vor sich zu schützen. Aber das ist sicher sehr schwer.
AZ
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Re: Suizide DDR und Bundesrepublik

Beitragvon Merkur » 8. August 2012, 21:37

augenzeuge hat geschrieben:
Danke für die Info, Merkur. Obwohl ich keinen direkten Vergleich machen kann (ich weiß nur das bei der Polizei in NRW die Jahresrate bei 7,4 liegt), halte ich diese Zahl für sehr hoch. AZ


Hier stehen ca. 10 Suizide auf ca. 100. 000 Mitarbeiter des MfS im Jahr 7,4 Suiziden auf 50.000 Bedienstete der Polizei in NRW im Jahr gegenüber.
Selbstverständlich muss jeder seine individuelle Sicht bzw. Meinung haben und schreiben. Quelle: Augenzeuge.
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Re: Suizide DDR und Bundesrepublik

Beitragvon Merkur » 8. August 2012, 21:44

augenzeuge hat geschrieben: Mich wundert es schon etwas, da man ja nicht so einfach beim MfS anfangen konnte und sicher auch Überprüfungen in dieser Richtung stattfanden. Nun kann man sich fragen, ob diese Leute bereits bei der Einstellung Gefährdungspotentiale zeigten, oder ob erst der Dienst die Menschen dazu gebracht hat. Letzteres ist meine Vermutung.

Bei der Überwachung der Mitarbeiter im MfS wundere ich mich auch, dass man nicht restriktiver versuchte, die Leute vor sich zu schützen. Aber das ist sicher sehr schwer.
AZ


Auch bei der heutigen Polizei gibt es entsprechende Untersuchungen und Tests, trotzdem kommt es zu Suiziden.
Es ist kaum möglich, so etwas im Vorfeld zu prognostizieren. Das konnte auch das MfS nicht. Persönliche Motive wie Ehe- oder Gesundheitsprobleme kann man nicht pauschal auf den Dienst schieben.
Selbstverständlich muss jeder seine individuelle Sicht bzw. Meinung haben und schreiben. Quelle: Augenzeuge.
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Re: Suizide DDR und Bundesrepublik

Beitragvon augenzeuge » 8. August 2012, 21:49

Merkur hat geschrieben:Hier stehen ca. 10 Suizide auf ca. 100. 000 Mitarbeiter des MfS im Jahr 7,4 Suiziden auf 50.000 Bedienstete der Polizei in NRW im Jahr gegenüber.


Aufgrund der Vielseitigkeit des MfS denke ich, dass man hier keinen direkten sinnvollen Vergleich machen kann. Wenn man die betroffenen Abteilungen betrachten würde, gibt es ein anderes Bild. So ist das mit Statistik.
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Re: Suizide DDR und Bundesrepublik

Beitragvon HG82 » 9. August 2012, 06:05

bei der polizei gibt es keine vielseitigkeit, die laufen alle streife?

die 50000 umfassen doch auch alles, stellen im vorzimmer, der verwaltung, der schutzpolizei, der Kriminalpolizei, in einer gesa, als zivilpolizist, als verdeckter ermittler, in der reiterstaffel, in der polizeifliegerstaffel, im polizeiorchester, in der ktu, in der edv abteilung, als ausbilder, bei der wasserschutzpolizei etc.

das kann man dann auf jeden fall als vergleich hernehmen, es sei denn es passt nicht in das eigene weltbild und genau da drückt dich dein schuh az [wink]
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Re: Suizide DDR und Bundesrepublik

Beitragvon augenzeuge » 9. August 2012, 07:37

HG82 hat geschrieben:
das kann man dann auf jeden fall als vergleich hernehmen, es sei denn es passt nicht in das eigene weltbild und genau da drückt dich dein schuh az [wink]


[laugh] HG, nun halt dich mal zurück. Und schau mal, wer diesen Vergleich ganz offen brachte....kannst du dir vorstellen, was ich damit wollte?
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Re: Suizide DDR und Bundesrepublik

Beitragvon Interessierter » 17. August 2016, 10:16

In der letzten Printausgabe des Spiegel kann man lesen, dass 2014 je 1 Mio Einwohner 216 Menschen Suizid begingen, gegenüber 217 in 1920.

1980 gab es doppelt so viel Suizide wie heute. Es sterben in Deutschland mehr Menschen durch die eigene Hand als durch Verkehrsunfälle, Mord, Drogen und Aids zusammen.
1945 bis 1985 war die Suizidrate doppelt so hoch wie heute.

Bekannt ist, dass die Suizidquote der DDR, vom Apparat damals streng geheim gehalten, immer weit über jener der -BRD lag - 1975 betrug sie im Osten 362 und im Westen 209. Seither haben sich die Werte angenähert, doch Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen gehören weiter zu den Bundesländern mit den meisten Suiziden - was im Übrigen schon vor der DDR der Fall war.
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Re: Suizide DDR und Bundesrepublik

Beitragvon Interessierter » 17. September 2016, 10:27

Angezweifelte Selbsttötungen politischer Häftlinge in der DDR

Im Verlauf des Jahres 1950 bestellte die SED-Führung eine Reihe ehemaliger Parteifunktionäre von KPD und SPD zur Zentralen Parteikontrollkommission (ZPKK) nach Berlin. Die Funktionäre, die alle während des Zweiten Weltkrieges nach Frankreich emigriert waren und dort Kontakt zu Noël Field (einem US-amerikanischen Mitarbeiter einer Hilfsorganisation, dem eine Tätigkeit als Geheimdienstagent unterstellt wurde) aufgenommen hatten, wurden der Spionage bezichtigt. Ziel der Geheimverhöre war es, einen Schauprozess vorzubereiten. Die Ladung der Beschuldigten erfolgte überraschend und ohne Begründung, sie wurden unter Androhung schwerster Konsequenzen zum Schweigen verpflichtet. Paul Bertz und Rudi Feistmann nahmen sich in dieser Situation das Leben.

Auch Willi Kreikemeyer, Generaldirektor der Deutschen Reichsbahn, wurde verhört. Er wirkte danach gesundheitlich angeschlagen und fuhr Anfang August in den Urlaub. Von dort wurde er am 24. August 1950 mit einem Auto abgeholt. Nachdem ihm die ZPKK den Parteiausschluss mitgeteilt hatte, wurde er im MfS-Untersuchungsgefängnis an der Albrechtstraße in Berlin-Mitte inhaftiert. Dort sollte er alles, was er wusste, in ein Heft schreiben. Er notierte unter anderem: "Meine Partei war immer mein Leben. Ich bin aus ihr ausgestoßen, das ist das furchtbarste, was einem Menschen, der seine Partei liebt, geschehen kann."1 Wenige Tage später erhängte er sich mit zusammengeknoteten Taschen­tüchern.

Kreikemeyers Tod wurde jahrelang verschwiegen; erst im Zuge der Rehabilitationen von Opfern stalinistischer Justiz im Jahr 1956 teilte die SED der Ehefrau den Tod ihres Mannes mit. In der Zwischenzeit wurde die Witwe auf makabre Weise getäuscht. Ein MfS-Mitarbeiter nahm von ihr ein Päckchen für ihren Mann entgegen, als Willi Kreikemeyer schon über ein Jahr tot war. Der letzte, der Kreikemeyer im Gefängnis besucht habe, sei Erich Mielke gewesen, damals noch Staatssekretär für Staatssicherheit. Das hat den Historiker Wolfgang Kießling nach 1990 zu der Spekulation angeregt, Kreikemeyer könnte ermordet worden sein. Zwar spielte Mielke eine Schlüsselrolle bei der Vertuschung des Todesfalls und behauptete zwischenzeitlich, Kreikemeyer sei in die Sowjetunion deportiert worden. Dafür gibt es jedoch ebenso wenig Belege wie für die Mord­these.2

Für einen Suizid hingegen spricht, dass Kreikemeyers Tod der Staatssicherheit ausgesprochen ungelegen kam. So warf ein MfS-Bericht von 1954 dem Reichsbahn-Chef vor, er hätte sich das Leben genommen, "um der restlosen Entlarvung zu entgehen". Durch seinen plötzlichen Tod fiel Kreikemeyer – der bei einer Vernehmung gesagt haben soll "es ist für mich sowieso alles aus" – als Angeklagter im geplanten Schauprozess aus.

Tragik eines politischen Häftlings

Der Tod Kreikemeyers reiht sich ein in eine Vielzahl von Todesfällen politischer Häftlinge in der DDR, deren Umstände von der Staatsmacht vertuscht wurden, was Mutmaßungen über eine mögliche Ermordung nährte. Ein Beispiel aus Bautzen: Am 27. Juli 1956 erhängte sich dort der politische Häftling Artur Milk. Der Tod des 46-Jährigen, der wegen angeblicher Spionage von einem sowjetischen Militärtribunal zu acht Jahren Zuchthaus verurteilt worden war, wurde der Ehefrau umgehend mitgeteilt, allerdings ohne die Todesursache zu benennen. Am 29. Juli wandte sich die Witwe an die Haftanstalt Bautzen und bat um die Überführung der sterblichen Überreste ihres Mannes, um ihn "in seiner Heimat beisetzen zu können". Das geschah nicht, stattdessen wurde die Leiche in Bautzen verbrannt.4

Weiter hier:
http://www.horch-und-guck.info/hug/arch ... -59/05909/
Interessierter
 

Re: Suizide DDR und Bundesrepublik

Beitragvon Interessierter » 6. Oktober 2016, 10:27

Tödlicher Schatten - Mielke contra Kreikemeyer

Wolfgang Kießling: „Leistner ist Mielke“
Schatten einer gefälschten Biographie.
Aufbau Taschenbuch Verlag, Berlin 1998, 302 S.

Der Autor hat sich bereits mehrfach „einschlägig“ ausgewiesen. Arbeiten zu Paul Merker und Bücher wie Partner im Narrenparadies oder Der Fall Baender befassen sich detailliert mit Repressionen in der DDR. Nun legt Kießling einen der spektakulärsten Polit- und Kriminalfälle der DDR dar, einen Fall, bei dem kein Grab, keine Sterbeurkunde und keine Leiche existierten. Es geht nicht um die Biographie Mielkes, wie der Haupttitel vermuten läßt, obwohl ihm ein tragender Part zukommt. Der „Schatten der gefälschten Biographie“ Mielkes fällt vielmehr auf Willi Kreikemeyer, und dieser Schatten erwies sich als tödlich.

Kießling stützt sich in seinen Darlegungen auf einen breiten Fundus von Archivmaterialien, die größtenteils bisher noch nicht für die Forschung ausgewertet waren. Einen Hauptteil der Materialbasis bildet der Aktenbestand Willi Kreikemeyer, der sich früher im Archiv des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR befand und nun vom Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik (BStu) in Berlin aufbewahrt wird. In diesen Akten sind die Protokolle, Berichte, Briefe und andere Dokumente, einschließlich Schweigeverpflichtungen von MfS-Angehörigen, über den Fall Kreikemeyer enthalten. Als weitere Hauptquelle dienten Sammlungen des ehemaligen Zentralen Parteiarchivs der SED, das heute zum Archiv der Parteien und Massenorganisationen der DDR im Bundesarchiv (SAPMO) Berlin gehört.

Willi Kreikemeyer war in der DDR zur Unperson geworden, in Geschichtsschreibung und Memoirenliteratur wurde er nicht erwähnt. Er ist am 11. Januar 1894 in Magdeburg geboren worden, lernte den Beruf eines Drehers und fand in jungen Jahren zur politischen und gewerkschaftlichen Arbeiterbewegung. Seit 1919 Mitglied der KPD, arbeitete er ab Mitte der zwanziger Jahre für die KPD hauptamtlich in verschiedenen Gebieten Deutschlands als Politischer Sekretär und für das Buch- und Zeitungsunternehmen Münzenbergs (so für den Neuen Deutschen Verlag und die „Arbeiter Illustrierte-Zeitung“). Nach Hitlers Machtantritt waren das Saarland, Prag und Paris seine Emigrationsstationen. Während des Bürgerkriegs in Spanien kämpfte er in der XI. Brigade, wo ihm 1937 in Albacete erstmals ein gewisser Hauptmann Leistner begegnete. Nach Spanien fand er erneut in Frankreich als Exilant Aufnahme und heiratete dort Marthe Fels.

Im Auftrag seiner Partei stellte Kreikemeyer Verbindungen zu Noel Field und dessen Hilfsorganisation Unitarian Service Committee (USC) her. Hat Kießling die Zeitabschnitte bisher nur relativ knapp nachgezeichnet, so wird er nun ausführlicher. Nach Kriegsende und seiner Rückkehr 1946 nach Deutschland machte Kreikemeyer im Osten Karriere, nach wenigen Zwischenstationen wurde er am 20. Januar 1949 Generaldirektor des größten Betriebs in der sowjetischen Zone, der Reichsbahn. Doch sollte sein Aufstieg bald abrupt gestoppt werden. 1949/50 faßte die SED-Führung verhängnisvolle Beschlüsse über „Westemigranten“.

Für den 5. Juni 1950 erhielt Kreikemeyer eine Vorladung vor die Zentrale Parteikontrollkommission (ZPKK) in das Haus der Einheit, Lothringer Straße 1 (heute Torstraße), Zimmer 118. Als ihn Herta Geffke, die stellvertretende Chefin dieser Kommission, zu einer über 200 Personen erfassenden Liste mit Namen und Decknamen befragte, entschlüpfte ihm ein verhängnisvoller Satz: „Leistner ist Mielke“. Kreikemeyer kannte Mielke gut, hatte er diesen doch unter dem Namen Leistner in Frankreich 1941/42 finanziell über die Field-Organisation unterstützt und sogar ein Visum nach Mexiko besorgt. Ein für Mielke gefährliches Wissen, denn es hätte ihn in seiner Karriere gefährden können, seine von Moskauer „Behörden“ abgesegnete Legende vom Kampf in der Roten Armee zerstört und selbst in den Bannkreis der verfolgten Westemigranten stoßen können. Kreikemeyer verschwand am 25. August 1950, als die ZPKK ihn erneut vorlud und ihm seinen Parteiausschluß mitteilte.

Die letzten Monate im Leben Kreikemeyers, die Vorgänge im Zusammenhang mit seinem Tod und die darum inszenierten Vertuschungs- und Täuschungsmanöver werden von Kießling ausführlich und detailliert beschrieben. Sorgfältig wertet er die aufgefundenen Quellen aus, fixiert gesichertes Wissen, wägt ab, wo Interpretationen und Vermutungen fehlende Belege ersetzen müssen. So entgeht der Autor der Gefahr, Spekulationen an die Stelle von Tatsachen zu setzen.

Kreikemeyers Verhaftung fügte sich ein in die Vorbereitung eines politischen Schauprozesses, der analog zum Kosteffprozeß in Bulgarien und zum Rajkprozeß in Ungarn auch in der DDR beabsichtigt war. Dazu wurden eine Reihe führender SED- und Staatsfunktionäre und KPD-Funktionäre verhaftet (u. a. Paul Merker, Kurt Müller, Leo Bauer und Bruno Goldhammer).

In der Haft begegnete Kreikemeyer nun Mielke wieder, der ihn am 26. August im Untersuchungsgefängnis Albrechtstraße der Staatssicherheit persönlich verhörte. Wie in analogen Fällen forderte er von Kreikemeyer, „schriftlich und rückhaltlos seine Schuld zu bekennen“, ließ diesen dabei glauben, damit in die Partei „zurückkehren“ zu können. Wie lange Kreikemeyer nach dieser Begegnung noch lebte, ist nicht bekannt. Zwar kann auch Kießling nicht mehr klären, wann, wo und wie Kreikemeyer ums Leben kam, fest steht aber, daß er auf keinen Fall eines natürlichen Todes starb. Die Indizien sprechen indes kaum für einen Selbstmord. Kießling begründet auch, daß es keinen Beleg gibt, wie manchmal spekuliert wird, daß Kreikemeyer sowjetischen Behörden ausgeliefert wurde. Das letzte Lebenszeichen von Kreikemeyer stammt vom 27. August 1950.

An diesem Tag verfaßte er einen Bericht, in dem er seine Fehler in der Zusammenarbeit mit Field „eingestand“ und auf Rettung hoffte. Einen kurz danach dazu verfaßten Begleitbrief übergab er an den „Herrn Staatssekretär Leistner“, der seinen Bericht weiterleiten sollte. Kreikemeyer wurde am 31. August in seiner Zelle von einem Wachmann tot aufgefunden, so zumindest wurde es im Oktober 1954 festgelegt. Wachleute wurden verpflichtet, über den vermeintlichen Selbstmord des Häftlings zu schweigen. Dem toten Kreikemeyer wurde nun, wie Kießling nachweist, eine zentrale Rolle in der Verbindung zu Field in den Reihen der deutschen Kommunisten in Frankreich und zum amerikanischen Geheimdienst OSS zugewiesen, selbst in seinem Reichsbahn-Amt in der DDR wurde er der Sabotage bezichtigt.

Die von Kießling wiedergegebenen bzw. zitierten Texte belegen auf erschütternde Weise, wie Kreikemeyers Ehefrau Marthe jahrelang auf ein Lebenszeichen ihres Mannes wartete. Verzweifelt schrieb sie nach dem Verschwinden ihres Mannes persönliche Briefe an Ulbricht, Pieck, Grotewohl, Zaisser, an den Chef der Sowjetischen Kontrollkommission bzw. Hohen Kommissar. Sie erhielt keine Antwort, blieb aber in der Hoffnung, ihr Mann sei am Leben. Zermürbt verließ sie Ende 1954 die DDR und kehrte nach Frankreich zurück. Nach dem XX. Parteitag der KPdSU 1956 schöpfte sie neue Hoffnung, schrieb wieder an die SED-Führung, ob ihr Mann noch lebe und wo er sich befinde. Im Juli 1957 teilte ihr die Generalstaatsanwaltschaft der DDR mit, daß ihr Mann am 31. August 1950 in Berlin verstorben sei, die Eintragung ins Sterbebuch wäre versäumt worden.

Kießling hat mit dieser Arbeit über Kreikemeyer und die Involvierung Mielkes in diesen Fall einen weiteren wichtigen Mosaikstein zur Geschichte der DDR und der Staatssicherheit hinzugefügt. Eigentlich ein Buch zur Geschichte, liest es sich wie ein spannend geschriebener Kriminalroman.

Wolfgang Kießling verstarb am 1. 3. 1999, d. Red.

http://www.luise-berlin.de/lesezei/blz99_04/text39.htm
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Re: Suizide DDR und Bundesrepublik

Beitragvon Volker Zottmann » 6. Oktober 2016, 10:59

Der geschilderte Sachverhalt passt so ganz zu den Einschätzungen des ebenso damals abgesägten Walter Janka.
Er hat Jahrzehnte später bestätigt, dass Mielke im Spanienkrieg hinter der Front in den eigenen Reihen aufräumte. Ein Mörder also. Mal schoss er selbst, mal ließ er töten.
Es müsste doch für alle ehemaligen Tschekisten, wie sie sich selbst nennen, ein Graus sein, stets daran erinnert zu werden, dass sie einem Banditen, einem Mörder als Chef dienten.

Gruß Volker
Volker Zottmann
 

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