Unvergessen: Der Mord an der Mauer

Hier bitte ausschließlich Themen die sich mit der Berliner Mauer beschäftigen.

Unvergessen: Der Mord an der Mauer

Beitragvon Interessierter » 27. Dezember 2015, 09:37

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Dieter Wohlfahrt *27.05.1941 – † 09.12.1961

Ein Beitrag von Carl-Wolfgang Holzapfel:
Berlin, 9.Dezember 2015 – Heute, vor 54 Jahren, verblutete an der Zonengrenze in Staaken der damals 20-jährige Student Dieter Wohlfahrt im Scheinwerferlicht britischer Militärpolizisten. Er wäre jetzt 74 Jahre alt. Die MP sah teilnahmslos zu, wie DDR-Grenzsoldaten nach Wohlfahrts Tod den Stacheldraht aufschnitten, um den Ermordeten zwei Stunden nach den tödlichen Schüssen in das „Staatsgebiet der Deutschen Demokratischen Republik“ zu ziehen. Ganz im DDR-Stil wird diese Tatsache der Untätigkeit, sprich Hilfeverweigerung durch die britische Militätpolizei auf der am Tatort neben dem Mahnkreuz aufgestellten Stele so geschildert: „Westliche Rettungsversuche wurden von DDR-Grenzposten unter Androhung von Waffengewalt vereitelt.“ Verantwortlich für den Text ist die Stiftung Berliner Mauer.

Sebastian Haffner nahm Wohlfahrts Sterben zum Anlass, nach diesem „schrecklichen Mord“ in „CHRIST UND WELT“ die dramatischste Anklage zu schreiben, die je zu diesem Thema geschrieben wurde („Der Mord an der Mauer“). Auch Haffner beschrieb die kaltherzige Untätigkeit der angerückten britischen MP, die nach den Schüssen alarmiert worden war und sich einzig darauf kapriziert hatte, die Szenerie des sterbenden Fluchthelfers mit aufgestellten Scheinwerfern auszuleuchten.

Der in den Abendstunden des 9. Dezember 1961 nach 19:00 Uhr ermordete Chemie-Student war der erste „Peter Fechter“ nach dem Mauerbau vom 13. August 1961. Sein Tod war besonders tragisch, weil im Gegensatz zu dem am 17. August 1962 nahe dem Checkpoint Charlie erschossenen Peter Fechter keine Mauer eine unüberwindlich erscheinende Barriere darstellte. Nur eine Nylonschnur war zwischen den möglichen Helfern und dem verblutenden Dieter Wohlfahrt gespannt. Bis heute wird diesem bis dahin beispiellosen und rüden Mord an einem ausschließlich humanistisch denkenden jungen Menschen und seinem offenbar sinnlosen, weil durch Hilfeverweigerung verursachten Sterben die Aufmerksamkeit verwehrt, die bis heute Peter Fechter gewidmet wurde und wird.

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Nur eine Nylonschnur (re.) trennte den Sterbenden von der angerückten britischen Militärpolizei.
Foto: Archiv

Ausschließlich die Appelle des damals verantwortlichen österreichischen Konsuls in Berlin an die Medien, den „Vorfall mit Rücksicht auf die in Ost-Berlin lebende Mutter und seine Schwester nicht hochzuspielen“ hatten die seinerzeitige Aufmerksamkeit eingeschränkt. Eine Korrektur wurde bis heute nicht vorgenommen. Weil das offensichtliche Fehlverhalten einer alliierten Besatzungsmacht auch heute nicht diskutiert werden soll?

Dieter Wohlfahrt hatte im Spanien-Urlaub vom Bau der Mauer erfahren. Er brach ohne Zögern seinen Urlaub ab und kehrte nach Berlin zurück. Dort schloss er sich einer studentischen Fluchthilfegruppe an (Girrmann, Thieme, Köhler u.a.). Obwohl 1941 in Berlin geboren, verdankte er seinem 1955 verstorbenen Vater die österreichische Staatsbürgerschaft. So konnte er als Osterreicher die Grenze auch nach dem 13. August 1961 ohne Hindernisse passieren, ein für die Vorbereitung von zahlreichen Fluchten unverzichtbarer Vorteil.

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Stilles Gedenken 2015 –
Foto: LyrAg

Damals 17jährig erinnere ich mich noch heute lebhaft an dieses brutale Ereignis, von dem wir damals regelrecht geschockt waren. Von 1962 bis zu meiner Verhaftung durch DDR-Grenzposten 1965 organisierte ich am errichteten Holzkreuz zum jeweiligen Todestag ein Gedenken an den „durch nichts entschuldbaren Mord“, wie es Sebastian Haffner in seinem anklagenden Artikel am 15.12.1961 treffend formulierte. Wir hielten in den dunklen Abendstunden mit Fackeln jeweils für mehrere Stunden eine Mahnwache.

Auch 2015 gedenken wir dieses mutigen und uneigennützigen Vorbildes. Wir haben eine kleine Blumenschale und ein Licht am Mahnkreuz in Staaken aufgestellt. Dieter Wohlfahrt – Unvergessen

https://17juni1953.wordpress.com/2015/1 ... der-mauer/
Interessierter
 

Re: Unvergessen: Der Mord an der Mauer

Beitragvon andr.k » 27. Dezember 2015, 22:45

Interessierter hat geschrieben:Die MP sah teilnahmslos zu, wie DDR-Grenzsoldaten nach Wohlfahrts Tod den Stacheldraht aufschnitten, um den Ermordeten zwei Stunden nach den tödlichen Schüssen in das „Staatsgebiet der Deutschen Demokratischen Republik“ zu ziehen. Ganz im DDR-Stil wird diese Tatsache der Untätigkeit, sprich Hilfeverweigerung durch die britische Militätpolizei auf der am Tatort neben dem Mahnkreuz aufgestellten Stele so geschildert: „Westliche Rettungsversuche wurden von DDR-Grenzposten unter Androhung von Waffengewalt vereitelt.“ Verantwortlich für den Text ist die Stiftung Berliner Mauer.


Interessierter hat geschrieben:1961
9. Dezember

Der 20-jährige österreichische Student Dieter Wohlfahrt betätigt sich zusammen mit Gleichgesinnten als Fluchthelfer für DDR-Bürger. Am 9. Dezember durchschneiden sie an der Grenze zu Staaken zwei Stacheldrahtzäune, um der Mutter einer Bekannten die Flucht zu ermöglichen.


Doch das Vorhaben muss verraten worden sein; Grenzpolizisten lauern den Fluchthelfern auf und eröffnen das Feuer. Eine Kugel trifft Dieter Wohlfahrt in die Brust. Fast eine Stunde lang lassen die Grenzpolizisten den Schwerverletzten im Grenzstreifen liegen, ohne Hilfe zu leisten. Dieter Wohlfahrt verblutet.

In West-Berlin erhebt sich Protest, weil auch britische Militärpolizei und West-Berliner Polizisten dem Verblutenden nicht halfen. Von DDR-Seite wird behauptet – und von seinen Freunden dementiert, dass Wohlfahrt bewaffnet gewesen sei und die Grenzpolizei beschossen habe. RIAS-Reporter befragen Augenzeugen und gehen dem Wahrheitsgehalt der DDR-Berichterstattung nach.



Welche Version entspricht denn nun den Tatsachen?
Man lebt ruhiger, wenn man nicht alles sagt, was man weiß, nicht alles glaubt, was man hört und über den Rest einfach nur lächelt.
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Re: Unvergessen: Der Mord an der Mauer

Beitragvon Nostalgiker » 28. Dezember 2015, 09:39

Eine Stunde, zwei Stunden; ist doch völlig sekundär welche Zeit dem damals tatsächlichen Ereignis zugeordnet wird.
Es geht doch eindeutig um höheres, größeres; nämlich die Anprangerung des unmenschlichen und menschenverachtenden Systems und ihrer gedungenen SED und Stasischergen-
Ich nehme zur Kenntnis, das ich einer Generation angehöre, deren Hoffnungen zusammengebrochen sind.
Aber damit sind diese Hoffnungen nicht erledigt. Stefan Hermlin

Freiheit ist nur ein anderes Wort dafür, dass man nichts zu verlieren hat. Janis Joplin

Psychologen haben herausgefunden, dass Menschen, die immer bei anderen auf die Rechtschreibfehler hinweisen, eine Persönlichkeitsstörung haben und unzufrieden mit ihrem Leben sind. Netzfund
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Re: Unvergessen: Der Mord an der Mauer

Beitragvon Volker Zottmann » 28. Dezember 2015, 11:31

Thoth hat geschrieben:Eine Stunde, zwei Stunden; ist doch völlig sekundär welche Zeit dem damals tatsächlichen Ereignis zugeordnet wird.
Es geht doch eindeutig um höheres, größeres; nämlich die Anprangerung des unmenschlichen und menschenverachtenden Systems und ihrer gedungenen SED und Stasischergen-


Ich finde es klasse, dass Du das so kurz vor Jahreswechsel doch noch erkannt hast! Wichtig ist tatsächlich zuerst ein mal, diese Barbarei an der damaligen Grenze zu verdeutlichen. Alle ungenauen Nebensächlichkeiten, welche Zeit und wie viel Schuss sind für wahr unwichtig.
Es ist schön, dass Du mal Wilfried beistehst. [super]

Gruß Volker
Volker Zottmann
 

Re: Unvergessen: Der Mord an der Mauer

Beitragvon Ari@D187 » 19. Januar 2016, 12:23

Der Autor erhebt ja schwere Vorwürfe gegenüber der britischen
Militärpolizei und der west-berliner Polizei. Wie er sich eine mögliche
Hilfe dieser Kräfte in der damaligen Situation vorstellt, bleibt jedoch
offen.

Ari
Alles wird gut!
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Re: Unvergessen: Der Mord an der Mauer

Beitragvon Werner Thal » 19. Januar 2016, 16:03

"Maueropfer Horst Einsiedel geboren am 8. Februar 1940 - erschossen am 15. März 1973
auf dem Städtischen Friedhof III an der Sektorengrenze zwischen Berlin-Pankow und
Berlin-Reinickendorf.

Mit einer Anstellleiter überwindet er den Hinterlandzaun, mit einer Klappleiter den Signalzaun,
wobei er jedoch Alarm auslöst. Nur noch wenige Meter und Sekunden trennen ihn von seinem
Ziel, als er die Klappleiter an die Betonmauer gestellt hat und zur Mauerkrone emporsteigt.
Inzwischen ist er jedoch vom 200 Meter entfernten Postenturm aus bemerkt worden; beide
Grenzposten eröffnen sofort das Feuer auf den Flüchtenden.

Horst Einsiedel, am 8. Februar 1940 in Berlin-Pankow geboren, holt nach seiner Schlosserlehre
an der ´Arbeiter- und Bauernfakultät´ das Abitur nach und studiert an der Technischen
Universität in Dresden Maschinenbau. Als Diplom-Ingenieur zieht er 1967 mit seiner Frau
und seiner Tochter nach Berlin-Weißensee. Er arbeitet in verschiedenen Ost-Berliner Betrieben,
zuletzt im VEB Rationalisierungswerk Heinersdorf.

Die speziellen Konditionen des DDR-Ingenieurswesens konnten einen Mann, der etwas leisten
wollte, durchaus zermürben. Horst Einsiedel lehnte es ab, Mitglied der SED zu werden, und
hat deshalb kaum Aufstiegschancen. Andererseits sorgt das Karriereprinzip der ´Parteilichkeit´
dafür, dass ihm seine Vorgesetzten oft fachlich nicht das Wasser reichen können. Mit seiner Frau
spricht er darüber; auch über Möglichkeiten der Flucht nach West-Berlin, wohin seine Schwester
schon 1951 verzog und seine Mutter 1969 übersiedelte. Seiner Frau ist eine Flucht mit der kleinen,
1966 geborenen Tochter jedoch zu riskant. Dass er die Flucht letztlich allein versuchte, führt die
Ehefrau darauf zurück, dass er seine Familie nicht unnötigerweise in Gefahr bringen wollte,
Vermutlich habe er gehofft, sie später in den Westteil nachholen zu können, gibt sie 1992 als
Zeugin bei der Berliner Polizei zu Protokoll."

..und hier geht es weiter:

http://www.chronik-der-mauer.de/index.p ... 917/page/0

W. T.
Wer einen Rechtschreibfehler findet, darf ihn behalten.
Russian Military out of Ukraine
русские идут домой
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