In Westberlin arbeiteten und studierten im Jahre 1961 zwischen 55.000 bis
65.000 Grenzgänger aus der DDR, die sich vor der Schließung der Grenze in
Ostberlin registrieren lassen mußten. Am 14.8.1961 wurde darüber verfügt, daß
die ehemaligen Grenzgänger und Zuziehenden in den Arbeitsprozeß der DDR
einzugliedern sind. Ohne Rücksicht auf Qualifikation und Ausbildung konnten
die Verwaltungen in den Bezirken Berlin, Frankfurt/Oder und Potsdam über
dieses Arbeitskräftreservoir verfügen. Tausende haben mehr oder weniger freiwillig
Arbeitsverträge unterschrieben, um sich auf unterqualifizierten Arbeitsplätzen
und zu niedrigen Löhnen politisch-ideologisch im „Schofle der Arbeiterklasse“
in den ihnen zugewiesenen Schwerpunktbetrieben zu » bewähren«,
Da eine Anzahl von Grenzgängern die ihnen zugewiesene Arbeit verweigerte,
empfahl die Justizministerin Benjamin die Verweigerer strafrechtlich zu
verfolgen, z.B. wegen „Hetze“, „Staatsverleumdung“, „Verbindung zu Konzernen
und sonstigen westlichen Organisationen“ (§16 StEG), „Paßvergehen“.
„Verstoß gegen das Devisengesetz“ u. a. Gleichzeitig sollte mit einer Verordnung
die Rechtsgrundlage geschaffen werden, jeden Verweigerer und auch seine
Familienangehörigen an einem bestimmten Ort auch längerfristig anzusiedeln,
ihn bis zu 5 Jahren Arbeitserziehungslager zu verurteilen und ihm eine
Aufenthaltsbeschränkung aufzuerlegen. Damit waren die arbeitsgesetzlichen
Grundlagen der DDR ausgehebelt.
Die VO vom 24.8.1961 sah weiterhin vor, daß Volksvertretungen, die Räte
der Gemeinden und Kreise einen Haftbefehl bei dem zuständigen Staatsanwalt
bewirken konnten. Diese Verordnung stellte auch eine ergänzende Rechtsbasis
für die Aussiedlung in grenznahen Bereichen. Auf der Grundlage dieser Verordnung,
der VO vom 26.6.1952 zur Demarkationslinie und des Politbürobeschlusses
vom 29.8.1961 »Ordnung zur Sicherheit der Westgrenze der DDR«,
mußten unter der Bezeichnung »Festigung« Tausende Grenzkreisbewohner
ihre angestammte Heimat verlassen.43 Mit der VO vom 24.8.1961 war der
Vorläufer für den späteren § 249 StGB der DDR, den „Asozialenparagraphen“,
geschaffen worden. Bis 1968 blieb diese Verordnung auch in Kraft.
Intern erließ die Verwaltung Strafvollzug des MdI eine Vorschrift über die
Durchführung der Arbeitserziehung. Grundlagen der Arbeitserziehung waren
gemeinschaftliche und körperlich schwere Arbeit, verbunden mit politischer
Einwirkung. t. Das Wahlrecht des Arbeitspflichtigen ruhte, Bestimmungen über
die gesetzliche Arbeitszeit fanden keine Anwendung und bei Flucht wurde von
der Schußwaffe Gebrauch gemacht Bei späteren Amnestien läßt sich nachweisen,
daß diese Kategorie nicht darunterfiel, weil diese Zwangsarbeit als eine
Zusatzstrafe angesehen wurde.
Die örtlichen Organe, die Polizei, das MfS, die Gerichte und die Staatsanwaltschatten
verfielen nach dem 13. August 1961 in eine ungewöhnliche Aktivität.
Tägliche Meldungen von Festnahmen, von Haftbefehlen, Ermittelungen
und Gerichtsurteilen in fast ausschließlich beschleunigten Verfahren zeugen
von dieser Hyperaktivität. Die Tabellen 17 und 18 belegen nur auszugsweise
die Vorgehensweise von der Festnahme (Zuführung) bis zur Verurteilung für
die ersten Monate nach der Schließung der Grenzen. Nach dem 13. August
1961 begann strafrechtlich das große Aufräumen. Im Jahre 1962/63 war eindeutig
der Höhepunkt der politischen Strafverfolgung in der DDR-Geschichte.
Die hohe Anzahl von Verurteilungen mit Freiheitsstrafen für „Staatsverbrechen“
und „Verletzung des Paßgesetzes“, wobei über Dreiviertel der Verurteilten
wegen illegalen Verlassens der DDR – für den Versuch und für die Vorbereitung
– verurteilt wurden. führten zu Kapazitätsschwierigkeiten im Strafvollzug
der DDR. Durch einen Politbürobeschluß im Jahre 1962 wurden daher
Strafgefangene frühzeitig aus der Haft entlassen, um so für die Nachrückenden
Platz zu machen.
Quelle: Historical Social Research, Wilhelm Heinz Schröder, Jürgen Wilke
Diese Dinge blieben durch den Schrecken des Mauerbaues vielen verborgen, so auch mir.