Niemand hat die Absicht eine Mauer zu errichten

Hier bitte ausschließlich Themen die sich mit der Berliner Mauer beschäftigen.

Re: Was ist die Wahrheit hinter Walter Ulbrichts Lüge?

Beitragvon Icke46 » 14. Juni 2011, 19:50

Das ist nun wirklich eine aussagekräftige Statistik. Nun drängt sich mir wieder die Frage auf:
Was war 1984? Die hohe Zahl in dem Jahr springt ja ins Auge - war da politisch irgendwas am
köcheln, sozusagen?

Gruss

icke
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Re: Was ist die Wahrheit hinter Walter Ulbrichts Lüge?

Beitragvon augenzeuge » 14. Juni 2011, 20:03

icke46 hat geschrieben:Das ist nun wirklich eine aussagekräftige Statistik. Nun drängt sich mir wieder die Frage auf:
Was war 1984? Die hohe Zahl in dem Jahr springt ja ins Auge - war da politisch irgendwas am
köcheln, sozusagen?

Gruss

icke


Ja sicher Icke. Strauss's Kredit war durch und damit fielen einige Klappen.... Man erhoffte sich durch massenhafte radikale Übersiedlungsgenehmigungen Ruhe für die Zukunft. 1984 begann auch die größere Fluchtwelle über die Botschaften.
Es kochte schon, und so nahm man den Druck vom Kessel. Leider entfachte dies das Feuer der Hoffnung für Zweifelnde, die nun auch weg wollten....der Anfang vom Ende- so oder so....
AZ
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Re: Was ist die Wahrheit hinter Walter Ulbrichts Lüge?

Beitragvon Dille » 14. Juni 2011, 20:24

Also RMR,

Deine Geschichten sind ja ganz nett, außer daß die „Moral“ immer gleich am Anfang steht. Obwohl mir Dein Text vor lauter Kopfschütteln immer vor den Augen verwischt, will ich mal eine Antwort darauf versuchen.

Kannst Du nicht bitte mal verstehen, daß „Bildung“ in Ost und in West gleichermaßen kostenfrei war, jedenfalls solange ich dies mindestens mal in die 80er- Jahre verfolgt habe (wann wurden Studiengebühren eingeführt ??). Und Deine „Arbeiterkinder“, da erhöhte sich die Frequenz meines Kopfschüttelns nochmals – ich hatte ein „Arbeiterkind“ bei mir im Zimmer im Studentenheim – Mutter Kaderleiterin in einem großen Kombinat, per Definition war er „Arbeiterkind“. Meine Eltern, wie ich mal schrieb, beide Buchhalter in der KWV Berlin, ich war „Angestelltenkind“, und bei Stipendium deutlich benachteiligt. So, soll ich jetzt Kinder von Personalchefs im Westen auch zu Arbeiterkindern erklären ??

Beim Skat spiele ich mit jemandem, der noch vor der Mauer geflüchtet ist und an der RWTH studiert hat, er hat Studienbeihilfe bekommen, später dann BaföG - wir haben mal unseren Status verglichen, und konnten keinerlei Unterschied feststellen, wir waren beide materiell vergleichbar gut oder schlecht abgesichert. Und glaub’ doch bitte nicht, daß ein „Angestelltenkind“ als Student in der DDR ohne die Unterstützung der Eltern ausgekommen wäre, ohne die Freßpakete zum Mitnehmen.

Und ich hatte genügend Bekannte und Kollegen hier, die aus vergleichbarem Niveau kamen wie ich, die auch studiert haben und die ich niemals, also niemals, etwas über „Schulden“ oder Rückzahlungen habe reden hören.
Abgesehen mal von der Abiturklasse aus Ffm., die ich 1968 in Primorsko traf und die alle Studienpläne hatten. Selbstverständlich kenne ich auch heute Statistiken über den Anteil der Arbeiterkinder an Universitäten, aber für mich liegt hier eher die Ursache an gewollt oder ungewollt weniger Unterstützung im Elternhaus schon während der Schulzeit.

Also – wenn das Bildungswesen der DDR so toll war, wo bitte waren sie dann, die wissenschaftlich- technischen Spitzen-leistungen ??

Ja, und die Brötchen begeistern mich ja auch immer wieder ! Abgesehen einmal davon, daß zu jener Zeit ein Brötchen hier vielleicht 10 Pfg. kostete, hattest Du dann noch immer ‚ne trockene Schrippe – die Butter kostete dann 2,50 M, und von dieser Differenz zum West- Preis der Butter konntest Du schon hier noch ein paar Schrippen extra kaufen !

Stellst Du das alles noch in Relation zu Löhnen und Gehältern, geht die Bilanz – mal vorsichtig gesagt – nicht unbedingt zum Vorteil der DDR aus.

Du kannst mich ja gerne als Beispiel dafür nehmen, daß ich nicht aus Verzweiflung vor teuren Brötchen, unerschwinglicher Bildung und Obdachlosigkeit zur Fremdenlegion gegangen bin, und sicherlich auch nicht die überwiegende Mehrzahl der 2,5 bis 4 Mio. Flüchtlinge aus jener Zeit.
Und trenn’ Dich doch bitte auch von diesem „Menschenhändler“- Popanz -- ich bin bewußt mit den Nachtzügen von/ nach Dresden gefahren seinerzeit, um die Konstruktion von D- Zug Wagen zu studieren, um evtl. mal in einem Hohlraum über’m Klo nach Belgrad zu kommen.

Und wenn’s Dir noch nicht reicht, ich stell’ auch gern mal einen Ausriß aus meiner Stasi- Akte ein, in dem der IM in der Abteilung nach meiner Flucht nüchtern festhält „..die Kollegen sagen, daß der Parteisekretär ist schuld, daß Dille fort ist..“ – ganz so war es zwar nicht, aber ein Gutteil Wahrheit steckt da sehr wohl drin.

Und bei all diesen billigen Brötchen, Mieten und der Super- Bildung frage ich mich dann immer wieder, wo waren die Flüchtlingswellen der Arbeiterkinder aus dem Westen ?? Sind die lieber zur Fremdenlegion als in die DDR ?? Wenn ich (wenigstens) diese Zahl richtig im Kopf habe, sind ca. 40.000 West- Deutsche in die DDR übergesiedelt, eine erstaunliche Zahl fand ich -- aber eben doch verschwindend im Vergleich zur Ost- West- Wanderung.

Übrigens – aufgrund von AZ’s Korrektur meiner 4000 habe ich im Internet auch die Zahlen für „nach der Mauer“ erstaunt gesehen – nach meiner Kenntnis sind pro Jahr nach 1961 im Mittel noch immer 5000 Menschen aus der DDR in den Westen gegangen („illegal“) – ich hatte nach meiner Flucht das „Deutschland- Archiv“ abonniert und diese Zahl stammte aus dieser, doch sehr wohl seriösen, Publikation. Im Internet finde ich aber ganz andere, geringere Zahlen ?? (Meine Sammlung des „Deutschland Archiv“ habe ich leider vor Jahren entsorgt).

Also, vom Kopfschütteln ganz müde, schönen Abendgruß, Dille
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Re: Was ist die Wahrheit hinter Walter Ulbrichts Lüge?

Beitragvon manudave » 14. Juni 2011, 20:25

Wurden um 1984 herum nicht auch eine ganze Menge Ausreiseanträge genehmigt? Aufgrund der danach dramatisch gestiegenen Zahlen an Anträgen wurden doch einige Exempel statuiert und Antragsteller in den Knast befördert. Schließlich war mehrfaches Stellen des Antrages ein Vergehen...
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Re: Was ist die Wahrheit hinter Walter Ulbrichts Lüge?

Beitragvon Dille » 14. Juni 2011, 20:43

O.k.,

Danke AZ, bis 1961 habe ich 2.738.564 Übersiedler/ Flüchtlinge aufsummiert, meine 40.000 West-
"Flüchtlinge" beziehen sich offensichtlich auf ab 1961 und im Mittel 5.000 Flüchtlinge/ Jahr nach
1961 dürfte auch passen.

Gruß, Dille
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Re: Was ist die Wahrheit hinter Walter Ulbrichts Lüge?

Beitragvon Edelknabe » 15. Juni 2011, 05:32

Dille, habe ich jemals was von Menschenhändlern hier im Forum geschrieben? Du musst mich da irgendwie verwechseln.Nun ja, ich sage mal von 446 Bürgern pro Tag im Jahre 1961 wurde die DDR nicht ärmer aber es waren bestimmt gut ausgebildete Bürger...nicht alles nur junge Kerle so wie du noch mit Studentenscheitel und Jesuslatschen am Fuß...und ja, deine Zeit war ja später.
Dafür eine Mauer...für 446 Bürger ist doch ein bißchen schwach, aber ich denke, man dachte nach und meinte" Wir werden auf Jahre nicht das Wirtschaftwunder erreichen wie der Westen es jetzt schon hat, der Bürger Ost wird nicht ewig warten wollen und der Konsum West ist ein nicht zu unterschätzender Magnet, also Tore zu".
Denn Dille, das war Kopfsache, du musstest im Kopf so ähnlich ticken wie ich damals an der Grenze, um nicht in Versuchung zu kommen, du musstest etwas haben zum festhalten aber das hast du nicht, wenn du ein junger Habenichts bist.Diese Überzeugung war eben bei vielen 1961 noch nicht vorhanden und ich denke mal, es war auch noch irgendwie "Nachkriegszeit" Und die Bedingungen im Osten um was zu bekommen, also ein Habewas zu werden waren ja nicht schlecht, zumindest zu meiner Zeit Anfang der 70er Jahre gerade auf beruflicher Ebene.
Ich hätte mich also schier totarbeiten können, die Betriebe brauchten jeden Mann und jede Frau, ich schaffte Frau, Kind, also Familie und Ausbauwohnung, dann Neubaugarten in einem vollkommen auf die grüne Wiese gestampften Neuanschluss ähnlich der Neubaugebiete,darauf ein Massivhaus, dann privaten Grund und Boden, dann 3 Autos im Wechsel...ich schaffte also sinngemäß " Haus, Boot ,Pferd und Auto und Motorjacht" ähnlich dem Jupi von heute.
Und Dille, das alles im Sozialismus. Warum, so frage ich dich jetzt musstest du erst die Seite wechseln, um das dann sinngemäß drüben auch zu schaffen?
Nur Eines schaffte ich nicht, ins nichtsozialistische Ausland zu reisen denn da war ja eine Grenze.
Aber genug erstmal, sonst ufert das wieder aus, der Eine fand sein Glück im Osten, der Andere im Westen...so war das damals liebe Kinder und wenn sie nicht gestorben sind, dann schreiben sie hier lange Texte.

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Re: Was ist die Wahrheit hinter Walter Ulbrichts Lüge?

Beitragvon manudave » 15. Juni 2011, 06:11

1953 waren es aber doch jeden Tag TAUSEND...
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Re: Was ist die Wahrheit hinter Walter Ulbrichts Lüge?

Beitragvon Edelknabe » 15. Juni 2011, 06:38

Mensch David, 1953, da war doch gerade erst der Krieg zuende....sinngemäß jetzt. Schau dir mal alte Fotos von Leipzig oder anderen ostdeutschen Städten an und ich nehme einmal an, in Weststädten sah es auch noch nicht besser aus...überall Ruinen und noch zum Teil Schutthalden.
Und kein Wunder, im Westen volle Schaufenster Dank dem Marshallplan,den Dollars vom Ami ihren dicken Freunden das war doch keine Kunst und logisch, das der Osten da nicht mithalten konnte.
Ist es eine Leistung...was zu erben oder was geschenkt zu bekommen und mich dann hinzustellen als der große Zampano?
Ne mein junger Freund, das ist Nichts, nicht so viel unterm Fingernagel, das ist schmücken mit Federn, die mir nicht gehören.
Während dem Westen alles in den Arsch (entschuldigt) geblasen wurde zog der Osten den Finger...aus dem Hintern und werkelte los, mühsam, bezahlte gleich die Sowjets(Reparationen/ Kriegsschulden Deutschlands)noch mit während der Westen logischerweise die Juden bezahlte.

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Re: Was ist die Wahrheit hinter Walter Ulbrichts Lüge?

Beitragvon Zicke » 15. Juni 2011, 12:49

Edelknabe hat geschrieben: bezahlte gleich die Sowjets(Reparationen/ Kriegsschulden Deutschlands)

sagen wir mal so, die Sowjets nahmen sich Ihren Teil und das nicht zu knapp, nur waren sie zu dumm oder zu faul die Technik in ihrem Land wieder aufzubauen also bezahlte wir noch einmal ,in dem wir unsere Produkte verschenkten.
Der Ami hingegen hat Aufbauhilfe geleistet.
Menschen, die keinen Arsch in der Hose haben, müssen nicht zwangsläufig schlank sein.

Meine Rechtschreibfehler könnt Ihr Samstags ab 17 Uhr bei Rewe gegen eine lecker Senfgurke tauschen.
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Re: Was ist die Wahrheit hinter Walter Ulbrichts Lüge?

Beitragvon Luchs » 15. Juni 2011, 14:21

Edelknabe hat geschrieben:...komm trink noch ein Bier, das kostet auch fast nichts ...


Was hatte ein Bier in der DDR gekostet? Es waren, wenn ich mich recht erinnere, 49 Pfennige.

49 Pfennige bei 700 Mark Durchschnittsverdienst, entspricht prozentual 1,47 DM bei 2100 DM Durchschnittsverdienst. Stand ca. zur Wende. Ein Bier bei uns in der Kneipe damals 1,40 DM.

In der DDR war doch das Bier in der Flasche genau so teuer, oder? 1,49 DM für ne Pulle Bier 0,33 l Das wäre ja teurer als heute.
Viele Grüße [hallo]
Micha
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Re: Was ist die Wahrheit hinter Walter Ulbrichts Lüge?

Beitragvon Dille » 15. Juni 2011, 15:11

Nich' ganz --

die 0,5 l "Berliner Pilsner Spezial" -- eines der trinkbaren Biere kosteten 1,28 M die Flasche.

Gruß, Dille
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Re: Was ist die Wahrheit hinter Walter Ulbrichts Lüge?

Beitragvon Edelknabe » 15. Juni 2011, 18:36

Zicke, was hat die Wehrmacht bei ihrem Rückzug so ab ...könnte 1942/43 gewesen sein in der Sowjetunion praktiziert...richtig, die "Politik der verbrannten Erde". Da wurde buchstäblich jedes Haus, jede Brücke, jeder Schienenstrang, jedes Feld, jedes Alles dem Erdboden gleichgemacht.
Einfach aus der Überlegung heraus, das dies dem Gegner sagen wir etwas aufhalten würde, ihm enorme Probleme beschert neben den Riesenproblemen, die er so schon hatte.
Also war es nur gerecht, der Sieger so die Sowjets hatte keinen Zugriff auf ....jetzt mal als Beispiel die IG Farben,(hier im Extrafred gerade gestern eingestellt) denn die waren schon in die Westzone geflüchtet, aber er hatte Zugriff auf das noch Vorhandene an Industrie im Ostsektor.
Also griff er zu und das mit vollem Recht und wenn er zu mental zu blöd war, und das resultiert wohl aus" der russischen Mentalität des Iwan auf der Ofenbank", daraus nun was ordentliches auf die Beine zu stellen, so war das sein Problem.
Fakt war, der Deutsche begann mit der ganzen Scheiße(entschuldigt) und wenn er dann seine eigene Scheiße auslöffeln musste...so der Osten, die DDR, denn der Westen zog sich ja schön aus der Pflicht, dann hatte er halt Pech gehabt, der Sieger verlangte sein Recht und das war die Wiederherstellung seiner Infrastruktur, die deutsche Wehrmachtspioniere in Schutt und Asche gelegt hatten...vor 1945.
Fazit...zahle du Deutscher und zahle mit Heller und Pfennig und das zu Recht, denn du hast begonnen. Nicht eine Sowjetunion hat Deutschland am 22.Juni 1941 überfallen mit der Operation Barbarossa, der Deutsche wars, er fiel ein in ein Land des Sozialismus, voran der deutsche Soldat, dann die IG Farben, der Führer im sicheren Hintergrund, der deutsche Landsmann als stiller Dulder der ganzen Scheiße, als Mitläufer.
Schuldig...sage ich schuldig, auch wenn du bloß der Blockwart warst, das kleine Arschloch, der die Menschen in den Luftschutzbunker geführt hatte.

Rainer-Maria der sich masslos darüber aufregen könnte, wenn sich heute ein damals Schuldiger hinstellt und meint: " Ich war doch nur...und ich habe doch nur...und ich war es doch nicht...und der Führer hatte doch befohlen".
Aber, so meine ich jetzt in Ruhe und vom Schreibtisch aus, die Schuldigen sind lange tot, gestorben friedlich im Bett im schönen Westdeutschland, dem deutschen Staat, der zu inkonsequent war, richtig zu richten...siehe nur als kleines Beispiel die IG Farben.
Der wollte das auch garnicht, denn den Bürger hatte es sowieso nicht interessiert, der war zu sehr mit sich selber beschäftigt, war eingelullt in sein Wirtschaftswunder, es hatte ihm doch vollkommen das bürgerliche Gehirn vernebelt, ähnlich wie heute.
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Re: Was ist die Wahrheit hinter Walter Ulbrichts Lüge?

Beitragvon Transitfahrer » 16. Juni 2011, 19:32

Edelknabe hat geschrieben:Mensch David, 1953, da war doch gerade erst der Krieg zuende....sinngemäß jetzt. Schau dir mal alte Fotos von Leipzig oder anderen ostdeutschen Städten an und ich nehme einmal an, in Weststädten sah es auch noch nicht besser aus...überall Ruinen und noch zum Teil Schutthalden.
Und kein Wunder, im Westen volle Schaufenster Dank dem Marshallplan,den Dollars vom Ami ihren dicken Freunden das war doch keine Kunst und logisch, das der Osten da nicht mithalten konnte.
Ist es eine Leistung...was zu erben oder was geschenkt zu bekommen und mich dann hinzustellen als der große Zampano?
Ne mein junger Freund, das ist Nichts, nicht so viel unterm Fingernagel, das ist schmücken mit Federn, die mir nicht gehören.
Während dem Westen alles in den Arsch (entschuldigt) geblasen wurde zog der Osten den Finger...aus dem Hintern und werkelte los, mühsam, bezahlte gleich die Sowjets(Reparationen/ Kriegsschulden Deutschlands)noch mit während der Westen logischerweise die Juden bezahlte.

Rainer-Maria


Du weißt schon was Du da schreibst Edelknabe?
Du stellst mal eben die Westdeutsche Bevölkerung als fette, faule, arrogante Faulpelze hin und die Ostdeutschen als frohes, rechtschaffendes Arbeitervolk. Von wegen in den Arsch geblasen. Ich kann ja nichts dafür, das Du nur Ostliteratur liest. Aber mach Dich mal schlau, was die Westdeutsche Bevölkerung geleistet hat. Du hattest ja schon mal so danebengegriffen(Schneekatastrophe 1978)
Der Marshallplan galt übrigens für alle europäischen Staaten. Als der Auslief hatten alle Staaten, mit Ausnahme der BRD, eine höhere Wirtschaftsleistung als vor dem Krieg. Auch die Osteuropäischen Staaten hatten zuerst an den Verhandlungen teilgenommen, aber deine Sowjetischen Freunde verboten den Staaten die weitereTeilnahme an dem Programm. Übrigens wurden nur ein minimaler Teil der von den Sowjets demontierten Industrieanlagen tatsächlich wieder aufgebaut. Also völliger Quatsch die Demontage.
Schau Dir mal im Web Bilder von Hamburg 1953 und Leipzig 1953 an. Dann wirst es vielleicht sogar Du kapieren.


Peter
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Re: Was ist die Wahrheit hinter Walter Ulbrichts Lüge?

Beitragvon Edelknabe » 17. Juni 2011, 05:59

Peter, schön das du mal wieder schreibst, ehemaliger Handwerkskollege und das mit den fetten, faulen usw....deinen Landsleuten? Also ich meinte eher den Marshallplan, der euch doch wohl eine bessere Grundlage oder Ausgangsposition gab als dem Osten. Das die Sowjets den M-Plan nicht wollten, habe ich nicht gewusst, müsste mich wohl nochmal belesen...."in der Westliteratur."
In meiner Geschichte vom großen und dem kleinen Klaus hatte ich es so sinngemäß einmal geschrieben:" Während der Osten mühsam Ziegelstein für Ziegelstein abputzte zur Wiederverwendung kippten bei euch die Kipper nagelneue gebrannte Ziegelsteine ab dank Marshall."
Das war schon ein enormer Unterschied um nur einmal bei den Steinen zu bleiben und logisch, auch der Maurer West zog dann den Finger für gutes Geld oder besser seinen Lohn, das bestreite ich hier überhaupt nicht.
Hamburg Peter, da bin ich Ende des letzten Jahrhundert einmal arbeiten gewesen, nahe am Hafen in einem Industriegebiet, ich dachte der Krieg ist gerade erst zu Ende...so sah es da aus, wie in Böhlen oder Espenhain, den Dreckbuden bei Leipzig Ende 1989 aber frage mich jetzt nicht, wo das genau war, es war jedenfalls in der Nähe einer Brauerei?
Aber vielleicht hatte ich auch bloß die Ostsonnenbrille mit dem ideologischen Weltbildfilter auf und wollte nicht das Neugebaute sehen.
Wie getextet, schön das du mal wieder hier im Forum geschrieben hast und ich bin auch schon etwas ruhiger geworden, schiebe jetzt immer den Humor mit dazwischen...ist besser für die Gesundheit bei älten Männern

Rainer-Maria und allen einen guten Tag ins Forum.
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Re: Was ist die Wahrheit hinter Walter Ulbrichts Lüge?

Beitragvon Transitfahrer » 17. Juni 2011, 13:36

Tja Rainer,

das mit den Steinen war im Westen nicht viel anders. Auch hier gab es die Trümmerfrauen. Natürlich war der Marshallplan eine gute Starthilfe. Aber den höchsten Anteil daran bekamen die Engländer und Franzosen.
Es gab lange nicht alles an Baumaterial. Und, glaube mir, ich kenne Häuser die nach dem Krieg wieder aufgabaut wurden, da wurde alles verbaut was gerade zu bekommen war. Von Wänden in dem eine Hilti versagt bis zu Wänden in der Du deine Schalterdose mit der Hand reindrücken kannst ist alles dabei.
Also die Westbevölkerung hat genauso hart Arbeiten und Leben müssen wie die Ostbevölkerung. In den ersten 10 Jahren nach dem Krieg. Dann verschob sich das alles. Mitte der 50iger Jahre gab es eine Reihe von Gestzen und Änderungen (Rente, KV, BV, Kindergeld, usw)
Auch, und das darf man nicht verschweigen, hatten die gut ausgebildeten DDR Flüchtlinge(bis 1961) ihren Anteil an dem Aufschwung West. Denn Arbeit war genug da und Arbeitslose gab es praktisch nicht. Ich hoffe ich habe Dir nicht mit diesem Satz zuviel Wasser auf deine Mühlen geschüttet. [shocked]

Nähe Hafen und Brauerei? Da kommt mir nur die Astra-Brauerei in den Sinn. Mitten auf St.Pauli. Die ist mittlerweile abgerissen und nun stehen dort zwei Türme mit einem Hotel und Büro´s [muede]

Peter
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Re: Was ist die Wahrheit hinter Walter Ulbrichts Lüge?

Beitragvon Edelknabe » 17. Juni 2011, 16:40

Ja Peter, es muss die Astrabrauerei gewesen sein, ich schaute so aus dem dritten Stockwerk ins Hafenbecken, wir demontierten eine komplette Anlage die dann in Jever wieder montiert wurde.Heute schaut dann eben der Hotelgast ins Wasser der Elbe, ist doch auch schön. War auch im Juni, ein Bombenwetter, Bier und Mixgetränke gabs bis zum abwinken, also ich muss unbedingt nochmal nach Jever, die kleine Stadt hatte mir sehr gut gefallen.
Abends das erste Bier nach der ganzen Schinderei am Tag in der Fussgängerzone in eine der Kneipen verzischte praktisch in der Gurgel, es war ein Genuss, Bier zu saufen und die hübschen einheimischen Mädels oder eben Urlauberinnen zu beobachten. Ich liebe sowas, auch wenn das herbe Jeverbier nicht Jedermanns Sache ist.
Was ich im Westen auf meinen Baustellentouren immer gut beobachten konnte, die Leute investierten in ihre Häuser, wenn gerade mal Geld flüssig war, also jede Fassadenseite ob Ost, West, Süd und Nord war anders gestaltet, nicht wie im Osten nach der Wende, nach 1989, da wurde die Million kreditiert und Haus, Pool, Wintergarten auf die grüne Wiese gestampft, also entweder das Ding war nach 3 Jahren wieder Eigentum der Bank oder der Besitzer trinkt heute Abends immer noch kein Bier oder kauft bei Aldi ein, weil die hohe Rate kein Marktkauf zulässt.
Das freut mich, das unsere gut ausgebildeten Fachleute "euch unter die Arme gegriffen haben." Ich sags doch, wenn der ostdeutsche Handwerker was anfasst, kommt Gold raus, der feilt so lange an der Schraube oder sägt sie auch mal ab, bis sie passt," der Westhandwerker bestellt das Teil und wartet dann volle drei Tage bis per Express die drei Schrauben kommen."
So unterschiedlich konnte es zugehen auf dem Bau...mittlerweile warten wir im Osten auch...wegen dem TÜV, der mag doch irgendwie keine abgesägten Schrauben.

Gruß mein Freund vom Rainer-Maria und aus dem Handwerk sind wir Beide schon lange raus...gottseidank, ich glaube, ich wäre schon tot...nein, nein, nicht vom zuviel arbeiten, eher vom zuviel saufen und zu gutem Essen...immer Abends, in den Fussgängerzonen.
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Re: Was ist die Wahrheit hinter Walter Ulbrichts Lüge?

Beitragvon Transitfahrer » 17. Juni 2011, 21:06

Na Rainer-Maria,

die Ostdeutschen kamen gerade recht weil Arbeitkräfte fehlten und nicht weil sie besser ausgebildet waren. Und aus "Scheiße Gold machen" konnten die Westhandwerker auch. Nur wenn der "Michel" das nicht mehr muss, dann macht er das auch nicht. Ich mußte in meiner Ausbildung auch an der Drehbank stehen (war ein Pflichtlehrgang der Innung). Ob das heute noch so ist weiß ich nicht. Genauso wie Ösen biegen (16mm²) oder den berühmten Bohrmaschinenschraubstock aus einem Block Werkzeugstahl herstellen. Also die Elektroinstallateurausbildung war früher sehr umfangreich. Aber wenn Material im Überfluß da ist, warum noch den Rücken krumm machen?
Übrigens sehr schade mit der Astra Brauerei. Die hatten oben im Hauptgebäude ein Restaurant mit gigantischen Hafenblick. Hotels gibt es entlang dem Hafen und in HH genug.

Gruß
Peter
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55 Jahre Mauerbau

Beitragvon Dieter1945 » 30. Juni 2011, 15:44

Am 13. August 1961 begannen Grenzpolizisten der DDR, mitten in Berlin eine Mauer zu errichten. Die schwer bewachte Sperranlage riss Familien, Freunde und Nachbarn auseinander. Fast dreißig Jahre lang spaltete sie die Stadt und ganz Deutschland in Ost und West. Rund um den 50. Jahrestag des Mauerbaus erinnern zahlreiche Veranstaltungen an die deutsche Teilung.
weiterlesen:... http://www.bundesregierung.de/Content/D ... .google.de
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Serie der Berliner Morgenpost: 50 Jahre Mauerbau

Beitragvon augenzeuge » 11. Juli 2011, 16:03

"Der Mauerbau hat alle Berliner getroffen"

Es gibt Ereignisse, die niemand vergisst, der sie erlebt hat. Der 11. September 2001 gehört dazu, das Wochenende des Mauerfalls 1989, der Mord an John F. Kennedy am 22. November 1963 - und der 13. August 1961, jener Tag, an dem die DDR die innerstädtische Demarkationslinie in Berlin abriegeln ließ.
In den kommenden Wochen bis zum 50. Jahrestag erinnern sich in einer neuen Serie mehr als 30 Zeitzeugen, wie sie die Zeit unmittelbar vor der Grenzsperrung erlebten, was ihnen an jenem sommerlich heißen Sonntag selbst widerfuhr und wie sie auf die bis dahin unvorstellbare Teilung einer ganzen Stadt durch einen Todesstreifen reagierten.

Die "Abendschau" des RBB und die Berliner Morgenpost haben sich zusammengetan, um Zeitzeugen jener Ereignisse zu Wort kommen zu lassen. Immer am frühen Abend stellt die meistgesehene Informationssendung der Bundeshauptstadt in vier Minuten die Erinnerung eines Zeitzeugen vor; am folgenden Tag erscheint dann in der Morgenpost das Porträt des Zeitzeugen. "Vom Bau der Mauer am 13. August 1961 waren alle Berliner betroffen, egal, auf welcher Seite der Grenze sie lebten", sagt "Abendschau"-Chef Peter Laubenthal: "Wir zeigen in unserer Serie, was die Schließung der Sektorengrenze konkret für einzelne Menschen bedeutete. Es sind tragische Geschichten und bisweilen auch skurrile Erlebnisse - beides im besten Sinne Geschichte von unten."
Das Spektrum der Zeitzeugen ist groß: Es reicht von Grenzsoldaten oder Mitgliedern der SED-"Kampfgruppen der Arbeiterklasse", die oft ganz vorne am Grenzstreifen standen und mit ihren Körpern die erste "Mauer" bilden mussten, über Flüchtlinge, die unmittelbar nach der Grenzschließung die letzte Möglichkeit nutzten, mit halbwegs überschaubarem Risiko in die Freiheit zu kommen, bis hin zu Menschen, die über eine Flucht nachdachten und sich dann doch dagegen entschieden, weil sie Angehörige und Freunde nicht zurücklassen wollten.

Erst Spaltung, dann Abriegelung
Gespalten war Berlin bereits vor dem 13. August 1961. Von den drei westlichen Sektoren der Stadt kam man bereits seit 1952 nicht mehr ins Umland; an allen Ausfallstraßen hatte die "Volkspolizei" Kontrollposten aufgestellt, die einen Ring um ganz Berlin schlossen. Die Linie zwischen West-Berlin und dem sowjetischen Sektor der Stadt jedoch war noch passierbar. An vielen Stellen markierten Schilder oder sogar weiße Striche auf dem Asphalt die Grenze zwischen der demokratisch-liberalen und dem kommunistischen Block. Nirgendwo trafen die Interessengebiete der beiden Supermächte direkter aufeinander als in Berlin.

Seit der sowjetischen Blockade der Westsektoren und ihrer Versorgung durch Flugzeuge während der Luftbrücke 1948/49 gab es die meisten Institutionen in der Stadt doppelt: zwei Regierungen, zwei Polizeipräsidien, zwei Feuerwehren und zwei Verkehrsbetriebe.
Für die meisten Zeitzeugen der RBB-Morgenpost-Serie waren die Folgen dieser widersinnigen Teilung Alltag. Viele nutzten ganz selbstverständlich die praktischen Vorteile für sich: Man ließ sich preiswert im Osten die Haare schneiden oder ging Bier trinken, versorgte sich aber mit hochwertigen Lebensmitteln wie Schokolade und Fleisch im Westen - solange dafür das Geld reichte. Denn das gespaltene, aber noch nicht hermetisch geteilte Berlin hatte auch zwei Währungen. Unzählige Ost-Berliner arbeiteten in den westlichen Sektoren und wurden natürlich in DM bezahlt, während ihre Nachbarn DDR-Mark bekamen, die viel weniger wert war. Denn fast niemand in der Stadt tauschte zum offiziellen Kurs von eins zu eins - in der Umgebung des Bahnhofs Zoo bekam man für eine West- bis zu fünf Ostmark.

All diese weltweit einzigartigen Besonderheiten endeten am 13. August 1961. Allein das krempelte das Leben der Berliner um. Ein halbes Jahrhundert später lassen die Interviews der "Abendschau" und die Porträts der Morgenpost viele dieser Geschichten wieder lebendig werden. "Die Menschen, deren Leben sich über Nacht grundlegend änderte, werden noch heute bei der Erinnerung an die Ereignisse vom August 1961 von ihren Gefühlen übermannt", hat Laubenthal festgestellt: "Unsere Serie hat viele Facetten, und es ist gut, dass sie mal wieder ans Licht geholt werden."
Dramatische Flucht eines Grenzers

Es gibt aber auch Schicksale, die ein halbes Jahrhundert später noch auf ihre Wiederentdeckung warten. Etwa die Geschichte von dem jungen Grenzposten, den ein Kameramann des Senders Freies Berlin, des Vorgängers des RBB, am 14. August 1961 zur Flucht überredete. Gunther Hahn war gerade dabei, die Grenzsperrung in der Bernauer Straße für die Dokumentation "Die Mauer" des SFB-Chefreporters Matthias Walden zu filmen. Dem damals 23-jährigen West-Berliner war das unglückliche Gesicht des kaum jüngeren DDR-Soldaten aufgefallen, der auf der anderen Seite eines verrammelten Friedhofs-Tores Wache stehen musste. Hahn forderte ihn auf, hier und jetzt vor seiner Kamera die Chance zur Flucht zu ergreifen, und lud ihn zu einem Bier auf dem Kurfürstendamm ein. Nach kurzem Zögern kletterte der Uniformierte über das Gittertor.
Der Kameramann brachte den Deserteur sofort in Sicherheit, und zwei Stunden später strahlte der SFB das erste Interview mit einem geflüchteten DDR-Soldaten nach der Grenzsperrung aus. Danach bekam er erst neue Kleidung von Gunther Hahn und dann das versprochene Bier - bis in den frühen Morgen feierten der Kameramann und der ehemalige Grenzsoldat den gelungen Sprung in die Freiheit.

Leider hat Gunther Hahn nie erfahren, was aus dem jungen Soldaten geworden ist; er soll in die USA ausgewandert sein. Seine Geschichte wartet wie viele andere noch darauf, weitererzählt zu werden. Der RBB hat übrigens die beiden Dokumentationen von Matthias Walden und Gunther Hahn aus dem Jahr 1961 pünktlich zum runden Jahrestag als DVD neu aufgelegt. Eindringlichere bewegte Bilder als diese gibt es vom Mauerbau kaum.
Quelle: http://www.morgenpost.de/printarchiv/be ... offen.html
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Re: Serie der Berliner Morgenpost: 50 Jahre Mauerbau

Beitragvon augenzeuge » 12. Juli 2011, 18:21

Serie: 50 Jahre Mauerbau, Teil 2
"Du bleibst DDR-Bürger!"

Den schlechtesten Ratschlag seines Lebens bekam Manfred Migdal am 13. August 1961, gegen halb elf Uhr vormittags auf der Warschauer Brücke - und er befolgte ihn. "Das war der größte Fehler, den ich je gemacht habe. Er hat mich fast zehn Jahre meiner Freiheit gekostet", sagte der 68-jährige Berliner heute im Rückblick.
Die Stimmung war gespannt an diesem Sonntagmorgen. Weil die SED in der Nacht schlagartig die innerstädtische Grenzen hatte absperren lassen, standen auf der Warschauer Brücke, der wichtigsten Zufahrt zur Oberbaumbrücke, Dutzende Mitglieder der "Kampfgruppen der Arbeiterklasse" mit Maschinenpistolen. Ihre Aufgabe war es, niemanden von Osten her in die Nähe der Befestigungen vordringen zu lassen, die zur selben Zeit auf der Brücke errichtet wurden. Genau das aber wollten Migdal und seine Freunde aus dem Friedrichshainer Kiez. "Wir waren aggressiv, haben versucht, die Bewaffneten zu provozieren", erinnert er sich: "Aber die haben sich nicht provozieren lassen."
Auch nicht, als Migdal seinen West-Berliner Ausweis hochhielt: "Ich lebte ja schon seit einem Dreivierteljahr im Westen, bei meiner Tante, war dort sogar polizeilich gemeldet." Nie hatte er vor jenem Sonntag Schwierigkeiten gehabt bei den stichprobenartigen Kontrollen an der innerstädtischen Sektorengrenze, und auch in der vorangegangenen Nacht hatte er wieder einmal in der Wohnung seiner Mutter an der Warschauer Straße übernachtet. Die Männer von der "Kampfgruppe" reagierten auf Migdals Forderung nicht, ihn durchzulassen. Dann kam ein Offizier vorbei, sah den Ausweis an und empfahl, sich an das Ost-Berliner Polizeipräsidium in der Keibelstraße zu wenden: "Hol Dir dort einen Passierschein." Das klang überzeugend, denn der in der DDR aufgewachsene Jugendliche war gewohnt an alle möglichen Passierscheine.
Zuerst aber wollten seine Freunde und er noch ans Brandenburger Tor. Ihnen war klar, dass dort der Brennpunkt liegen musste. Sie nahmen die S-Bahn - deren Bahnhof Warschauer Straße war noch zugänglich, während die U-Bahn-Station der Linie B an der Warschauer Brücke schon hinter der Absperrung lag. "Wir stiegen an der Friedrichstraße aus, weil der Zug dort endete, und gingen zu den Linden. Aber an der Kreuzung kamen wir nicht weiter." Auch hier stand eine Postenkette, und davor hatten sich Hunderte Ost-Berliner versammelt, die immer lauter protestierten.
"Plötzlich flogen Steine, und mir wurde es zu gefährlich." Denn nun begannen Männer in Zivil, aus der Menge der Demonstranten echte oder vermeintliche Rädelsführer herauszuholen. "Sie warfen die Festgenommenen auf Laster. Da war mir klar, dass es sich um Stasi-Leute handeln musste." Mit der ostdeutschen Geheimpolizei aber wollte Manfred Migdal sich auf keinen Fall anlegen. Er erinnerte sich an den Rat des Kampfgruppen-Offiziers und machte sich auf den gut zwei Kilometer langen Weg zum Polizeipräsidium, um sich dort einen Passierschein zu holen. Er dachte nicht daran, noch einmal nach Hause zu gehen, um mit seiner Mutter zu sprechen oder sich im Radio zu informieren.
In dem riesigen Komplex, der früheren Verwaltung des Kaufhauskonzerns Karstadt, ging es aufgeregt zu. Erleichtert stellte Migdal fest, dass offenbar auch viele andere West-Berliner denselben Ratschlag bekommen hatten. "Ein Polizist nahm unsere Ausweise und verschwand. Dann dauerte es. Und dauerte." Schließlich wurde er aufgerufen. Ein Volkspolizist bat ihn, Platz zu nehmen. "Zuerst war der ganz freundlich zu mir und fragte mich: ,Was haben Sie in Ost-Berlin gemacht?'" Auf diese Frage hatte sich der junge Mann eine Antwort zurechtgelegt, die den Vorteil hatte, wahr zu sein: "Ich habe meine Mutter besucht!"
Plötzlich änderte sich der Tonfall der Befragung: "Und Du bist wirklich West-Berliner?" Noch immer verstand er die Brisanz der Situation nicht: "Ja, klar." Der nächste Satz traf ihn wie ein Blitz: "Nein, bist Du nicht. Du bist DDR-Bürger und Du bleibst DDR-Bürger!" Der Polizist grinste schief: "Und ich werde Dir auch sagen, wo Du herkommst! Du bist im November aus dem Jugendwerkhof Hummelshain abhauen!"
Schlagartig erkannte Manfred Migdal, dass er sich unversehens in größte Gefahr begeben hatte. Denn der DDR-Polizist hatte recht: Er war tatsächlich geflüchtet, aus einem Arbeitslager für angeblich schwer erziehbare Jugendliche Damals hatte er einen Passierschein so manipuliert, dass er damit nach Berlin fahren konnte. Dort war er bei Tante Erna untergekommen, der Schwester seiner Mutter, hatte sich eine Arbeit gesucht und ein Leben in Freiheit begonnen, wie er es zuvor nicht kannte.
Schon als 9-Jähriger war Manfred 1951 das erste Mal denunziert worden - von einer Frau im Haus seiner Mutter. "Sie war eine Hundertfünfzigprozentige, wollte aus mir unbedingt einen echten ,sozialistischen Jungen' machen." Deshalb passte der Nachbarin nicht, dass der Junge sich nach westlicher Mode kleidete und Witze über die DDR machte. "Ich wurde meiner Mutter weggenommen und in ein Sonderkinderheim gesteckt. Aber ohne Erfolg!" Als er wieder daheim war, malte er sich aus Aufsässigkeit den Namen "James Dean" auf seine Jacke.
"Besonders erbost hat die Nachbarin aber, dass ich mit ,westlicher Schundliteratur' zu tun hatte." In Wirklichkeit klaubte Manfred aus Mülltonnen ausgelesene Mickey-Mouse-Hefte und Romanheftchen, glättete sie und bot sie vor West-Berliner Kinos anderen Jugendlichen an, denen neue Hefte oft zu teuer waren. "Einen Groschen pro Stück habe ich verlangt und bekommen - das war ein guter Preis!" Comics, die er nicht verkauft hatte, nahm er mit nach Friedrichshain und schenkte sie seinen Freunden - was die Nachbarstochter ihrer Mutter verriet. So verschwand Manfred Migdal 1958 in Hummelshain. Und weil er sich als aufsässig erwies, bekam er keine Chance auf vorzeitige Entlassung. "Die dauernde ,Rotlichtbestrahlung' war unerträglich", erinnert er sich, "ich habe da immer voll gegen gehalten." Mehrfach versuchte er erfolglos auszubrechen; erst nach mehr als zwei Jahren gelang ihm die Flucht nach West-Berlin.
All das ging Manfred Migdal im Polizeipräsidium durch den Kopf, als der Volkspolizist ihm den Begriff Hummelshain an den Kopf geworfen hatte. "Ich stand unter Schock, dann kam die Wut - vor allem auf mich selbst." Der Volkspolizist ließ ihn in ein Barackenlager für gescheiterte Flüchtlinge einweisen; sein echter West-Berliner Ausweis wurde eingezogen. Gut eine Woche lang verhörten ihn Stasi-Leute, dann musste Manfred unterschreiben, dass er freiwillig in die DDR zurückgekehrt sei. "Dort erfuhr ich auch, wie die Volkspolizei auf meine Spur gekommen war: Mein Ausweis war erst wenige Monate alt, und da haben sie eben überprüft, ob ich auf der Fahndungsliste stand. Mein Pech war, dass mein Name tatsächlich dort verzeichnet war."
Erst im Frühjahr 1962 fand Manfred Migdal die Kraft, erneut einen Fluchtversuch zu unternehmen - versteckt über der Toilette eines Interzonenzuges von Berlin nach Hamburg. Zusammen mit zwei Freunden wagte er es, auf dem Betriebsbahnhof Rummelsburg in das überraschend großzügige Gelass zu kriechen. Doch schon am Bahnhof Friedrichstraße endete diese erneute "Republikflucht". Ein Grenzer öffnete die Klappe, leuchte hinein und schrie sofort: "Grenzverletzer!" Migdal und seine Freunde wurden aus dem Zug gezerrt und noch auf dem Bahnsteig geschlagen, dann durch enge Gänge im Labyrinth des Bahnhofs geprügelt.
Schließlich kam er in das Gefängnis im Polizeipräsidium an der Keibelstraße, ein Ort, der ihn auch fast fünf Jahrzehnte später immer noch bedrückt. Anderthalb Jahre Haft waren die Strafe. Noch zweimal versuchte er zu flüchten, zweimal wurde er gestellt, insgesamt zu mehr als vier Jahren Haft verurteilt. 1971 schließlich kaufte die Bundesrepublik Migdal frei, drei Jahre später durften auch seine Frau und die vier gemeinsamen Kinder in den Westen übersiedeln. Eine lange Leidenszeit war vorüber. Doch ganz überwunden hat er ihre Folgen bis heute nicht. "Zehn Jahre meines Lebens hat mir die DDR gestohlen. Wie soll man das verarbeiten?"
http://www.morgenpost.de/printarchiv/be ... erger.html
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Re: Serie der Berliner Morgenpost: 50 Jahre Mauerbau

Beitragvon augenzeuge » 12. Juli 2011, 18:25

Eine Seite zum Thema:
http://www.50jahremauerbau.de/
AZ
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Re: Serie der Berliner Morgenpost: 50 Jahre Mauerbau

Beitragvon Dieter1945 » 12. Juli 2011, 20:35

Danke AZ [crazy] für die Einstellung der Artikel der Berliner Morgenpost.
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Re: Serie der Berliner Morgenpost: 50 Jahre Mauerbau

Beitragvon augenzeuge » 13. Juli 2011, 17:13

Republikflucht durch ein geräumtes Haus

Peter Hertel blickt auf das Meer, als er seine Freiheit verliert. Am 13. August 1961 ist er an der Ostsee, zum Kurzurlaub bei seiner Freundin, die in einer Bar in Kühlungsborn arbeitet. Vor fünf Tagen ist der Elektromonteur aus Berlin hierher gekommen. Spät abends holt er sie ab, morgens frühstücken sie mit Blick auf das Wasser, hören Radio. An jenem Sonntagmorgen hören sie: „Starke Truppenbewegung an allen Grenzabschnitten zu West-Berlin.“ Peter Hertel will sofort zurück, zurück in die geteilte Stadt.

Denn er ist „Grenzgänger“. So jedenfalls nennt die SED Leute wie ihn. Wie 63000 andere Menschen, die im Westen ihr Geld verdienen, aber im Osten leben. Peter Hertel arbeitet beim Elektrounternehmen „Rogge & Co“ in Neukölln, verdient 400 Ostmark pro Woche, feiert danach gern mal in der „Melodie“, einer Bar im Keller des Friedrichstadtpalastes, bevor er nach Hause in die Wohnung an der Bötzowstraße in Prenzlauer Berg geht. Hastig verabschiedet er sich von seiner Freundin, eilt zum Bahnhof – doch zunächst bekommt er keinen Platz mehr in den überfüllten Zügen. Erst nach einer Woche kann Peter Hertel zurück. Inzwischen haben bewaffnete Einheiten der DDR entlang der Grenze Stacheldraht und Maschendrahtzäune errichtet. Sein Arbeitsplatz ist unerreichbar.

Peter Hertel fährt mit dem Fahrrad die Grenze ab, in einem Sicherheitsabstand von 50 Metern. Er muss ein Schlupfloch finden, er will „rüber“. Doch er findet keine Lücke mehr. Ihm bleibt nichts anderes übrig, er muss bleiben und die zugeteilte Arbeit beim „Büro für Erfindungswesen“ des staatseigenen Ost-Berliner Stromerzeugers am Alexanderplatz aufnehmen.

Der Gedanke an eine Flucht verlässt ihn nicht. Er hört, dass Menschen durch die Spree schwimmen, mit Lastkraftwagen Straßensperren durchbrechen. Und er sieht, wie die Fenster der Grenzhäuser an der Bernauer Straße nach und nach zugemauert werden, wie Männer, Frauen, Kinder aus den oberen Stockwerken springen. Über die Grenzhäuser will er fliehen, und zwar bald.

Peter Hertel feilt an seinem Fluchtplan. Er besorgt sich ein Seil aus einem Segelbedarfsgeschäft, schlingt alle 50 Zentimeter Knoten hinein, versteckt es in seiner Aktentasche. Dann stellt er sich am Morgen des 20. Oktober 1961 im Namen des Chefs einen fiktiven Auftrag aus: Prüfen von Stromzählern in den geräumten Grenzhäusern. Gegen 15.30 Uhr fährt er zur Schönholzer Straße, parallel zur Bernauer Straße. Er hofft, hier ein noch nicht vermauertes Fenster zu finden. Plötzlich steht er vor einem DDR-Grenzpolizisten.

„Ohne Passierschein geht hier gar nichts“, sagt dieser. Bis zur Schädeldecke hämmert Peter Hertels Herz. Er läuft die Schönholzer Straße entlang und versucht, Zugang zu einem der bewachten Häuser zu bekommen. Doch keiner der Grenzpolizisten von der Brunnen- bis zur Swinemünder Straße kauft ihm die Geschichte ab. Seine Hand krampft um die Aktentasche, in der das Seil steckt. Plötzlich, an einem Seiteneingang an der Swinemünder: keine Wache. Er huscht in den Hof. Und da steht doch ein Posten. Direkt vor dem Gartenhauseingang langweilt sich ein junger Vopo. Hertel stockt, dann macht er sich Mut, geht energisch auf den Vopo zu. Und hält ihm seinen Ausweis unter die Nase. „Ohne Passiersch...“ – „Ich weiß. Aber ich möchte dem Chef ein Ergebnis melden!“, lügt er. Er weiß nicht, ob in dem Haus noch Fenster offen sind. „Gut. Aber schnell, damit die Genossen auf dem Dach das nicht mitbekommen.“

Peter Hertel eilt die alte Holztreppe hoch, drückt sich an der Wand entlang, damit die Stufen nicht knarzen. Im Parterre ist alles dunkel, ebenso im ersten Stock. Dann der zweite: Tageslicht. Licht aus dem Westen, denkt er. Peter Hertel stößt die Tür auf – zwei Fenster. Eins schon vermauert, eins offen. Zement, Mörtel, Ziegel liegen auf dem Boden. Die Maurer müssen gerade gegangen sein, es ist 16 Uhr. Peter Hertel hastet zum Fenster. „Da will ja einer abhauen“, hört er von draußen, aus dem Westen. Erschrocken duckt er sich. Haben ihn auch die Grenzer bemerkt? „Werden sie gleich über die Treppe poltern, auf mich schießen?“ Nichts rührt sich. Also weiter. Er holt das Seil aus der Tasche, kriecht hinüber zum alten Kachelofen. Am gusseisernen Griff befestigt er das Seil, robbt auf Knien zurück, schlingt es zweimal um das Fensterkreuz. Das muss sein Gewicht halten. Dann springt er auf das Sims und klettert los.

Nur runter, denkt Peter Hertel. Nur helfen, denkt ein Gasag-Mitarbeiter, der in diesem Moment gegenüber, im Westen, Gaslaternen wartet und das Geschehen beobachtet. Hertels Seil reicht nur bis zum ersten Stock. Beherzt greift der Gasag-Mann zur Leiter und hilft Peter Hertel in den Westen. Menschen umringen ihn, schenken ihm Zigaretten, Obst, Geld. Ein Polizist leitet ihn aufs nächste Revier, direkt um die Ecke in der Pankstraße. Die Flucht ist geglückt.

Erst ein halbes Jahrhundert später kehrt Peter Hertel zurück an die Bernauer Straße, Ecke Swinemünder Straße. Die Häuser, von denen aus DDR-Bürger in den Westen sprangen oder sich abseilten, stehen nicht mehr. Die SED ließ sie für den Ausbau des Grenzstreifens abreißen. An das Haus, durch das er flüchtete, erinnert nur eine beschädigte Gedenktafel. Er blickt darauf. „Unvorstellbar, was damals in mir vorging“, sagt der heute 73-Jährige. „Meine Knie haben so geschlottert.“ In seiner Hand hält er einen Ausschnitt aus einer West-Berliner Zeitung, vom 21. Oktober 1961. „In der Bernauer Straße ermöglichte ein Gasag-Angestellter einem Ableser der Ost-Bewag die Flucht. Er konnte unbehindert und unbemerkt auf den Bürgersteig in West-Berlin klettern.“

Peter Hertel ist bewusst, welches Risiko er damals eingegangen ist. Nur einmal hätte jemand genauer nachfragen, in die Aktentasche mit dem Seil schauen müssen – er wäre aufgeflogen und wie Zehntausende andere gescheiterte „Republikflüchtlinge“ ins Gefängnis gegangen. Dank viel Glück ist ihm das erspart geblieben.

Den friedlichen Fall der Mauer am 9. November 1989 hat Peter Hertel gemeinsam mit seiner zweiten Frau Veronika daheim in Heiligensee erlebt, am Fernseher. „Siehst du, jetzt können die anderen auch endlich rüber“, hat er da gesagt. Der einstige „Grenzgänger“ Hertel hatte es schon vorher geschafft. Ohne Passierschein.

Am heutigen Mittwoch um 19.30 Uhr berichtet Monika Flindt in der „Abendschau“, wie sie in der Nacht vom 12. zum 13. August 1961 von Osten nach Westen kam.
http://www.morgenpost.de/berlin/berline ... -Haus.html
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Re: Serie der Berliner Morgenpost: 50 Jahre Mauerbau

Beitragvon augenzeuge » 14. Juli 2011, 16:38

Ein Heimweg mit Hindernissen

Es ist eine rauschende Party, draußen in Köpenick. „One, two, three o'Clock“ – die Songs von Bill Haley werden aufgelegt, aber auch die aktuellen Hits von Ray Charles und Pat Boone sorgen für ausgelassene Stimmung. Monika Flindt lässt sich von ihren Freunden immer wieder herumwirbeln. Sie liebt Rock'n'Roll. Wer gerade nicht tanzt, trinkt Bowle oder Limo, isst Kartoffelsalat mit Bouletten. Zu fortgeschrittener Stunde kommen die Schmusesongs: „Are you lonesome tonight?“ Und wieder: „One, two, three o'Clock“. Erst gegen drei Uhr früh macht sich die 19-Jährige mit ihrem Freund Walter auf den Heimweg nach West-Berlin.

„Die Nacht war sternenklar, wir waren immer noch bester Laune.“ Aber in der S-Bahn wird die Verkäuferin immer stiller. „Ich fürchtete, dass sich meine Eltern große Sorgen machen würden.“ Eine feste Zeit hatten sie zwar nicht mit ihrer Tochter ausgemacht, „sonst war ich aber immer spätestens um Mitternacht zuhause. Nun hatte ich Angst vor meinem sehr strengen Vater, weil es schon so spät war“. Es sollte noch viel später werden. Am Bahnhof Friedrichstraße stoppt die Bahn. „Wir mussten alle aussteigen. Zunächst dachten wir, dies sei wohl ein Kurzzug – der nächste würde ja sicher gleich kommen. Aber dann der Schock.“ Monika Flindt stehen Soldaten mit Maschinenpistolen gegenüber. „Einer richtete seine Waffe genau auf mich. Ich war wie erstarrt. Er erklärte uns, hier sei die Fahrt zu Ende, die Grenze zu West-Berlin sei abgeriegelt. Verunsichert wirkten die Volksarmisten – und gleichzeitig sehr aggressiv.“

Die Fahrgäste müssen ihren Ausweis zeigen. Wer keinen hat, wird abgeführt. Das zierliche Mädchen mit dem Pferdeschwanz hat Papiere dabei, gerät aber trotzdem in Panik. Abgeriegelt? Wie soll sie bloß nach Hause kommen? Die Soldaten befehlen den West-Berlinern, weiterzulaufen. Kurz vor dem Lehrter Bahnhof werden sie wieder kontrolliert. „Die Volksarmisten machten auch hier einen unsicheren Eindruck, waren aber sehr nett.“ Ein Soldat hilft Monika Flindt über den ausgerollten Stacheldraht. „Passen Sie auf Ihre Perlonstrümpfe auf, Frollein!“ Die waren in der DDR Mangelware und daher eine Kostbarkeit. Endlich im Westen, es kann weitergehen. Doch bis die S-Bahn nach Lichtenrade kommt, müssen die jungen Leute noch zwei Stunden warten. Denn im Westteil der Stadt sind seit dieser Nacht deutlich weniger Züge unterwegs.

Erst gegen 7.30 Uhr schließt sie die Wohnungstür auf. Als sie ihr Zimmer betritt, prallt sie erschrocken zurück. „Mein besorgter Vater hatte sich in mein Bett gelegt, als ich nach Mitternacht noch immer nicht zu Hause war. Nun brüllte er: ,Wo kommst Du jetzt her?'“ Als seine Tochter ihm aufgeregt erzählt, Ost-Berlin sei abgeriegelt worden, reagiert er noch wütender. „Eine bessere Ausrede fällt Dir wohl nicht ein?“ Er holt schon zu einer Ohrfeige aus, als Monika schnell das Radio anschaltet. Der Rias berichtet ununterbrochen von den Ereignissen an der Grenze. „Da ließ mich mein Vater dann endlich schlafen gehen. Sicher war er sehr erleichtert, dass ich wohlbehalten wieder zu Hause war. Aber er wird auch bedrückt gewesen sein – schließlich lebten sein Vater und seine Stiefmutter in Prenzlauer Berg.“

Ein halbes Jahrhundert später sitzt Monika Flindt bei einem Tee in der Kneipe „Ständige Vertretung“, gegenüber vom Bahnhof Friedrichstraße. „Meinen Großvater haben wir nur noch einmal wiedergesehen“, erzählt die Rudowerin. „Das war 1963, nach dem ersten Passierscheinabkommen.“ Sie weiß noch genau, wie sie kurz vor Weihnachten einen halben Tag in der Kälte anstand, um die begehrten Papiere zu bekommen. Auf die Passierscheinstellen, damals am Halleschen Tor in provisorischen Baracken untergebracht, gab es einen Ansturm. „Draußen bildeten sich lange Schlangen, Mitarbeiter vom Roten Kreuz schenkten heißen Tee aus. Irgendwann kam Bundesinnenminister Erich Mende und unterhielt sich mit uns.“

Als ihr Großvater 1965 starb, verweigerten die DDR-Behörden den West-Berliner Angehörigen zunächst die Teilnahme an der Beerdigung. Nur Monika Flindts Verlobter durfte als Westdeutscher nach Ost-Berlin einreisen und die Sterbeurkunde holen. „Damit wurde es dann möglich, einen Passierschein für die Beisetzung zu bekommen. So konnte meine Familie nach Prenzlauer Berg fahren.“

Es gab bis 1966 noch drei weitere Passierscheinabkommen, bevor die Grenze bis zum Viermächteabkommen 1972 wieder undurchlässig wurde. „Das nächste Passierscheinabkommen nutzte ich, um meinen Verwandten, die in Mahlsdorf lebten, meinen künftigen Mann vorzustellen.“ Dabei ging der Onkel, der bei der Volkspolizei arbeitete, ein großes Risiko ein. „Als Vopo durfte er mit seiner Familie eigentlich keinen West-Besuch empfangen. Falls man ihm auf die Schliche gekommen wäre, hätte er behauptet, nichts von dem Besuch gewusst zu haben und nicht zu Hause gewesen zu sein. Aber ob ihm das geholfen hätte?“

Häufig war Monika Flindt mit ihrem Mann im Spreewald. „Er ist dort bis zu seinem 13. Lebensjahr aufgewachsen, aber 1953 ging seine Familie nach Braunschweig. Er hatte noch viele Verwandte in seiner alten Heimat, und wir beide lieben diese Landschaft.“ Einmal musste sie alleine fahren, hatte gerade ein neues Auto. „Der Grenzposten forderte mich auf, die Rückbank auszubauen, aber ich hatte keine Ahnung, wie das ging. Er machte es dann widerwillig selbst, kannte sich sogar schon bestens aus mit diesem brandneuen japanischen Modell. Mit wenigen Griffen war die Bank draußen.“ Dann wollte er die West-Berlinerin stehen lassen, der Rest sei ihre Sache. Doch Monika Flindt ließ sich nicht einschüchtern. Energisch forderte sie den Vopo auf, alles wieder in Ordnung zu bringen – „was er tatsächlich auch gemacht hat“.

Große Sorge um ihren Mann hatte Monika Flindt, als der sich wieder einmal mit seinem Spreewälder Cousin in Ost-Berlin traf. Er hätte gegen 0.30 Uhr wieder zu Hause sein müssen, doch wie damals ihr Vater im August 1961 wartete nun sie selbst – voller Angst. „Die beiden hatten die Zeit vergessen, erst gegen zwei Uhr morgens kam mein Mann im ,Tränenpalast' an.“ Dort, am Grenzübergang Bahnhof Friedrichstraße, wurde er sofort festgenommen. Sein Vergehen: Er hatte die Sperrstunde überschritten – um Mitternacht mussten Westbürger aus der DDR wieder „ausreisen“. Intensiv wurde er verhört, die Vopos forschten nach, wo und mit wem er unterwegs gewesen war. „Erst nach vielen Stunden ließen sie ihn gehen. Ich wollte gerade eine Vermisstenanzeige bei der Polizei aufgeben, als er endlich nach Hause kam.“

Dann kam der 9. November 1989. „Ich habe den Mauerfall glatt verschlafen“, erinnert sich Monika Flindt. Sie hatte den beginn einer anstrengenden Tagung der Evangelischen Ehe- und Lebensberatung hinter sich. Erst spät war sie nach Hause gekommen und gleich zu Bett gegangen. Am nächsten Morgen herrschte im Büro großes Durcheinander. Der Leiter sagte nur, die Tagung falle aus, die Grenze sei offen. „Und dann haben wir den ganzen Tag ferngesehen.“ Nach Feierabend fuhr Monika Flindt mit ihrem Mann zur Sonnenallee. „Ich sagte, ich sei schließlich dabei gewesen, als die Grenze zugemacht wurde – jetzt wollte ich unbedingt die Öffnung erleben.“

Als ihr einige Ost-Berliner mit Rotkäppchen-Sekt zuprosteten, weinte sie vor Freude. So musste sie sich auch erst mal die Augen reiben, als sie sah, wie sich Volkspolizisten mit Blumen schmücken ließen. Monika Flindts Gedanken gingen zurück. Auch diese Grenzposten wirkten verunsichert, wie ihre Kameraden 28 Jahre zuvor. Doch diesmal war etwas anders in ihren Gesichtern: „Einige konnte man lächeln sehen!“

Am heutigen Donnerstag um 19.30 Uhr berichtet in der „Abendschau“ Wolfgang Gerhardt, wie er die Baustelle der Mauer am Engelbecken beleuchten musste.
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Re: Serie der Berliner Morgenpost: 50 Jahre Mauerbau

Beitragvon Icke46 » 14. Juli 2011, 18:07

augenzeuge hat geschrieben:Ein Heimweg mit Hindernissen



(......)
Endlich im Westen, es kann weitergehen. Doch bis die S-Bahn nach Lichtenrade kommt, müssen die jungen Leute noch zwei Stunden warten. Denn im Westteil der Stadt sind seit dieser Nacht deutlich weniger Züge unterwegs.

(......)


Wenn ich das oben zitierte lese, fällt mir nur ein: Eigentlich müsste die Frau heute noch am Lehrter Stadtbahnhof stehen [laugh] . Es fuhr damals dort keine S-Bahn nach Lichtenrade, und die nächsten 50 Jahre bis heute auch nicht [mad] .

Manchmal frage ich mich, wofür diese Journalisten eigentlich bezahlt werden, wenn sie ihre eigenen Texte nicht mal auf Plausibilität prüfen.

Gruss

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Re: Serie der Berliner Morgenpost: 50 Jahre Mauerbau

Beitragvon augenzeuge » 14. Juli 2011, 18:15

Ja, Icke, es war sicher anders gemeint. Die S-Bahn fährt von Friedrichstrasse nach Li'rade. Vom Lehrter Bahnhof musste sie also wieder zurück nach Friedrichstrasse, dann umsteigen nach Li'rade.....(denn das ging von Westseite kommend.......)
Aber gut aufgepasst, wie immer.
[super]
AZ
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Re: Serie der Berliner Morgenpost: 50 Jahre Mauerbau

Beitragvon Icke46 » 14. Juli 2011, 18:17

Das war auch einfach [grins] - immerhin bin ich die Strecke über 40 Jahre mehrmals jährlich gefahren [wink] .

Gruss

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Re: Serie der Berliner Morgenpost: 50 Jahre Mauerbau

Beitragvon augenzeuge » 15. Juli 2011, 22:14

Wie ein Elektriker Leitungen nach West-Berlin kappte

Fürst des Lichts wird er auch genannt, der Heilige Michael. Fast kampfeslustig blickt er von seiner Kirche aufs Engelbecken herab. Auf seine Energie hoffen Gläubige, wenn ihnen Unrecht widerfährt, wenn sie von Albträumen geplagt werden. All dies trifft auf die Anwohner zu, als sie hier am 13. August 1961 zusehen müssen, wie ihr Kiez zerschnitten wird. Ihr Albtraum ist real. Doch Hilfe kommt weder von oben noch aus dem Westen.

Zuständig für Licht, wenn auch ganz anderer Art, ist ein junger Elektriker aus Lichtenberg. Wolfgang Gerhardt wird am frühen Abend von mehreren Volkspolizisten bei seiner Mutter in Köpenick abgeholt. „Ich hatte noch einen leichten Rausch. Das ganze Wochenende hatten wir die Hochzeit meines Bruders gefeiert. Von den Ereignissen an der Grenze hatte ich keinen Schimmer. In einer ,grünen Taxe' fuhren die Vopos mit mir Richtung Stadtmitte los.“

Immer wieder fragt er, was er denn verbrochen habe, bekommt aber keine Antwort. „Auf der Stalinallee wunderte ich mich über unzählige Autokräne und Trecker mit Anhängern voller Steine. Erst später wurde mir klar: Die waren alle unterwegs zur Grenze.“ Am Engelbecken endet die Fahrt. Ungläubig starrt Gerhardt auf die Maurer, die hier Stein auf Stein schichten. Fragt sich, ob ihm gerade der Alkohol die Sinne vernebelt.

„Hinter der Kirche St. Michael, die auf Ostseite direkt an der Grenze stand, war eine Baracke. In die wurde ich mit sieben anderen Handwerkern eingesperrt.“ Erst als es fast dunkel ist, lässt man die Männer heraus und teilt ihnen ihre Aufgaben mit. „Ich sollte die Mauer beleuchten, die in großem Tempo hochgezogen wurde“, erzählt der heute 78-Jährige.

An diesem Abend beginnt Gerhardt nun, im Abstand von zehn Metern Scheinwerfer an Kränen zu befestigen und anzuschließen, damit die Arbeiten nachts weitergehen können. Die Lampen stammen aus dem Wohnungsbau-Kombinat, in dem er arbeitet – normale Bau-Leuchten. Außerdem müssen die Zement-Mischer mit Strom versorgt werden, den die Generatoren der Kräne liefern. Mehrfach sieht der 27-Jährige, wie Maurer die Kellen fortwerfen und flüchten. Groß ist die Versuchung, ihnen zu folgen, aber er denkt an seine Familie. „Ich war verheiratet, meine Tochter gerade drei Jahre alt.“

Noch einen Monat zuvor hatte er als Grenzgänger in Spandau gearbeitet. „Bis mir auf dem Heimweg ein Vopo auf der Oberbaumbrücke befahl, ich solle mich morgen im Funkhaus Köpenick zur Arbeit melden. Ich war wütend und sagte, ich dächte nicht daran. Was ich in der DDR in einem Monat verdienen würde, bekäme ich im Westen schließlich in einer Woche.“ Aber dann bot man ihm die Stelle im VEB Volksbau an. Auf einmal sollte er nicht nur doppeltes Gehalt, sondern auch noch eine Wohnung bekommen. Er nahm an.

Bei seinem Einsatz versucht der Elektriker nicht zu grübeln, ob das ein Fehler gewesen war. Die Arbeit ist immer gleich: „Wir waren nur nachts tätig.“ Morgens werden sie wieder eingesperrt. Unter ihnen sind Schweißer, zuständig für das Zusammenfügen der Eisenkerne in den Mauerplatten, und Installateure für die Wasserzufuhr der Beton-Mischer. Eine knappe Woche geht das so, eine Woche, in der auch die St.Michaels-Kirche von den „Grenzsicherungs-Maßnahmen“ nicht verschont bleibt. Gerhardt beobachtet, wie man den Erzengel vom First der Kirche holt. Der Schutzengel der Bedrohten soll sein Kreuz nicht länger kampfesmutig vor sich her tragen dürfen. Solche Symbole scheut das SED-Regime wie der Teufel das Weihwasser.

Mit einem Befehl wird der Elektriker schließlich ins Wochenende verabschiedet, die Arbeit am Engelbecken ist beendet. Am Montag hat er sich in der Tucholskystraße in Mitte zu melden. Was er dort tun soll, erfährt er wieder erst an Ort und Stelle: Telefonkabel durchtrennen, die in den Westteil der Stadt führen. Die DDR-Regierung macht keine halben Sachen. Total soll schließlich die Trennung der Menschen sein. Und tot die Telefonleitung zur Tante in Tegel und zur Mutter nach Mariendorf. Mitte September wird der Handwerker dann an verschiedene Grenzabschnitte geschickt, um Scheinwerfer und Kabel einzusammeln, die nicht mehr gebraucht werden. Diesmal muss er auf Abstand bleiben, darf sich der Mauer nicht mehr nähern.

Gerhardts Wut auf das Regime und der Wunsch, im Westen zu leben, werden mit der Zeit immer größer. 1980 stellt er den ersten Ausreiseantrag. Abgelehnt. Der zweite wird genehmigt – unter der Bedingung, dass sein 17-jähriger Sohn in der DDR bleibt. „Der müsse bald zur Armee, teilte man uns mit. Da blieben wir natürlich auch.“ Zwei Jahre später bekommt er einen Termin bei Rechtsanwalt Wolfgang Vogel, der auf Ausreisen spezialisiert ist. „Das Gespräch dauerte nur zwei Minuten: Es werde sich jemand bei uns melden. So wurden wir verabschiedet.“

Bald darauf kommt eine „Begleitperson für den genehmigten Umzug“, ein Stasi-Mann. Die Familie zieht 1983 nach Karlsruhe, seine Frau Rosmarie hat dort Verwandte. Am Fernseher verfolgen die Gerhardts am 9. November 1989, wie sich die Grenzen öffnen. Eine Woche später fahren sie nach Berlin, klopfen sich am Reichstag ein faustgroßes Stück aus der Mauer.

Langsam steht Wolfgang Gerhardt von der Bank auf, dreht sich um und sieht zufrieden zur Kirche. Da steht er wieder, der Erzengel. Über dem Eingangsportal. Dort, wo er hingehört.
http://www.morgenpost.de/berlin/berline ... appte.html
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Re: Serie der Berliner Morgenpost: 50 Jahre Mauerbau

Beitragvon augenzeuge » 16. Juli 2011, 15:18

Dauerzustand? 14 Tage vielleicht!

Ihre Mutter weckte sie ungewöhnlich früh an diesem Sonntagmorgen. Dabei war Ursula Brendler, wie sie damals noch hieß, erst am Vormittag mit ihrer Freundin Bärbel verabredet. Sie wollten eine Radtour machen - zum Brandenburger Tor und durch den Tiergarten. Doch ihre Mutter kam um sechs Uhr morgens in ihr Zimmer und redete sofort aufgeregt los. "Im Radio sagen die, dass die Staatsgrenze gesichert wird! Fahrt bloß nicht zum Brandenburger Tor."

Die 18-jährige Ursula, die beim VEB Deutsche Spedition Berlin "Verkehrskaufmann" lernte, hörte nicht auf ihre Mutter. Schnell zog sie sich an: "Wie ich zu Bärbel gekommen bin, weiß ich gar nicht mehr. Doch mit dem Bus sind wir dann direkt zum Brandenburger Tor gefahren." Gegen 9.30 Uhr trafen die Freundinnen dort ein. Wo heute wieder das Hotel Adlon steht, hatten sich Grüppchen von Menschen aus dem Ostteil der Stadt gebildet. "Weiter kam man nicht", erinnert sich Ursula. Ungläubig schaute Jung und Alt Richtung Brandenburger Tor. Auch Ursula und Bärbel reihten sich ein.

Vor dem Tor liefen Soldaten der Nationalen Volksarmee hin und her. Auch die Volkspolizei war dabei und bildete eine Kette. "Eine Art Sperrkette. Wir waren ganz verdattert und harrten erstaunt aus. Was passiert dort, was machen die da eigentlich? Niemand wusste, was da vor sich geht." Plötzlich wurde hinter den Soldaten Stacheldraht quer über die Straße ausgerollt. Eine riesige Rolle - 60 Zentimeter hoch. Den Soldaten - alles junge Männer - war es sichtlich peinlich. Ursula fasste sich ein Herz: "Was macht Ihr da?" Die Antwort kam prompt. "Wir bauen hier eine Grenze", rief einer der Uniformierten. Und ein anderer: "Das ist nötig, wir müssen ab heute den antifaschistischen Schutzwall bauen."

"Niemand wollte das wirklich glauben", fasst Ursula Rahn das damalige Gefühl zusammen. Noch absurder kam den beiden Freundinnen die Situation vor, als sie plötzlich sahen, wie eine Gruppe schick angezogener junger Leute vom Westen durch das Brandenburger Tor in den Osten wollte. "Ganz beschwingt, eine junge Frau im blauen Abendkleid mit Blumenstrauß, die Jungs in dunklen Anzügen. Das hat sich mir ins Hirn gebrannt", sagt Rahn. "Mein Gott, schoss es mir damals durch den Kopf. Die haben im Westen gefeiert und wollen jetzt nach Hause." Auch Ursula hatte ja gerade erst noch geplant, mit Bärbel in den Tiergarten zu fahren. Die junge Frau rief den Soldaten noch scherzend zu: "Wat macht Ihr denn da?" Dann raffte sie ihr blaues Kleid und stieg lachend über den Stacheldraht. Soldaten halfen ihren Freunden und ihr. Aus der Menge der Schaulustigen schrie einer: "Bleibt doch drüben, wer weiß, was noch passiert?" Doch die Gruppe lief kichernd weiter. Ursula Rahn wundert sich noch heute, dass sie ebensowenig wie die jungen Leute den Ernst der Lage erkannte. "Wir waren eher amüsiert. Dabei war der 13. August längst durchorganisiert."

Wenige Minuten später tauchte ein Wasserwerfer am Brandenburger Tor auf. "Das riesige Gefährt war laut von der linken Seite angerollt gekommen. Wir dachten, es stellt sich Richtung Westen, denn da war ja der Feind." Dann lief ein Raunen durch die Reihen, als der Wasserwerfer sich zu ihnen drehte und die Wasserkanone gen Osten richtete. "Ich war, wie alle anderen um mich herum, wie gelähmt. Ich hatte noch nie einen Wasserwerfer gesehen. Keiner muckte auf."

Wie ernst die Lage wirklich war, verstand Ursula zwei Tage später, am Dienstag, dem 15. August. In der Berufsschule waren alle aufgeregt, Unterricht fand an diesem Tag nicht statt. Die Schüler sprachen mit ihren Lehrern über die Situation. "Die waren ja auch nicht alle überzeugt". Niemand glaubte daran, dass die Grenzsperre zum Dauerzustand werden soll. 14 Tage vielleicht! Doch dann stand plötzlich ihre Mitschülerin Sieglinde im Flur und weinte, ja heulte. Sie war schon verlobt, mit einem jungen Mann aus Gatow. Immer wieder sagte Sieglinde denselben einen Satz: "Ich hab' doch noch so viele Hemden von ihm zu Hause." Ursula konnte ihn nie vergessen. "Es war erschütternd. Da war mir klar, es gibt kein Zurück."

28 Jahre später, als die Mauer fällt, hatte sich Ursula längst mit der Grenze arrangiert. Sie hatte im Verkehrswesen, im Außenhandel, im Schiffskommerz und bei der Defa gearbeitet. "Dort wurde das Sandmännchen gedreht und die Wochenschau ,DerAugenzeuge'. Da arbeitete ich sehr gern." Sie heiratete, bekam 1969 ihre Tochter Steffi, zog nach Rostock. "Für meine berufliche Entwicklung war die Staatsgrenze nicht störend. Ich gebe auch gern zu, ich hielt den sozialistischen Weg für den richtigen. Dennoch habe ich auch gedacht, dass eine Grenze mitten durch ein Land politisch nicht gut ist." 1986 zog sie mit Steffi wieder zurück nach Berlin und fand eine Wohnung in Marzahn.

Und wie hat Ursula Rahn 1989 erlebt? Sie lacht. "Den 9. November habe ich gar nicht bewusst mitbekommen. Das war mir zu aufregend." Erst am nächsten Tag im Büro erfuhr sie eher zufällig, dass die Mauer gefallen war. Eine Freundin rief an: "Weißt du, wo der Jan heute Nacht war? Am Kurfürstendamm. Die Grenze ist doch auf." Ursula Rahn fiel aus allen Wolken. Im Nachhinein sagt sie, dass die Einheit gut war, auch wenn sie ihr persönlich Arbeitslosigkeit brachte. "Ein Volk ist eben ein Volk." Ursula Rahn lebt heute immer noch in Marzahn.
http://www.morgenpost.de/printarchiv/be ... eicht.html
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Re: 50 Jahre Mauerbau

Beitragvon augenzeuge » 17. Juli 2011, 10:19

Die USA und ihre Politik kurz vor dem Mauerbau

"Wenn möglich ohne Krieg"
Wer standfest sein will, muss zwischen lebenswichtig und nicht ganz so wichtig unterscheiden können. Genau das war der Zweck eines Papiers, das der ehemalige US-Außenminister Dean Rusk am 17. Juli 1961 verfasste.

Die zweiseitige Vorlage, die in den Akten des US State Department erhalten ist, trug den Titel "Outline on Germany and Berlin".

Als "lebenswichtige Interessen der USA", für die notfalls Krieg geführt werden müsse, definierte Rusk erstens die Präsenz alliierter Truppen in West-Berlin. Zweitens sah er die "Sicherheit und Lebensfähigkeit West-Berlins" als unverzichtbar an. Drittens müsse der freie Zugang zu den westlichen Sektoren garantiert sein. Es sollte nicht wieder zu einer Situation wie während der Berliner Blockade 1948/49 kommen. Viertens müsse die Bundesrepublik sicher sein vor einem Angriff aus der DDR - damit nämlich rechnete die US-Außenpolitik schlimmstenfalls. Also mit einem Szenario wie am Beginn der Korea-Krieges im Juni 1950, als Truppen des kommunistischen Nordkorea ohne jeden Grund im westlich orientierten Süden einmarschiert waren.

Neben diesen Grundsätzen höchster Priorität listete Rusk eine Reihe "wichtiger politischer Interessen" auf. Dazu zählten das Selbstbestimmungsrecht aller Deutschen und die Westbindung eines vereinigten Deutschlands. Wenn es nur die Alternative gebe zwischen einem neutralen Gesamtdeutschland und einem in die Nato eingebundenen Teilstaat Bundesrepublik, dann "ist die Wahl der USA die Letztere". Nicht akzeptabel, aber auf absehbare Zeit auch nicht zu ändern seien die Teilung Deutschlands und die Integration Ost-Berlins in die DDR. Von untergeordneter Bedeutung für die US-Politik dagegen sei zum Beispiel die Oder-Neiße-Linie als Ostgrenze Deutschlands.

Außerdem listete Rusk auf, was aus seiner Sicht die zentralen Anliegen der sowjetischen Politik in der aktuellen Krise waren. An erster Stelle stand die Stabilisierung des kommunistischen Blocks und an zweiter das "Einfrieren der deutschen Teilung". Als dritten bis fünften Punkt führte der US-Außenminister die Schwächung der Bundesrepublik, der Einbindung West-Berlins in den Westen und der Nato an. Über allem schwebte das grundsätzliche Motiv der sowjetischen Politik, das Prestige der USA zu schwächen. "Das zentrale Problem ist, die lebenswichtigen Interessen der USA zu schützen", schloss Rusk. "Wenn möglich ohne Krieg, aber aus der besten denkbaren Position heraus, falls ein Krieg nicht zu vermeiden ist."
http://www.morgenpost.de/printarchiv/be ... Krieg.html

Zur Markierung: Seltsam, hatten doch die USA frühzeitig sehr gute Beziehungen zu Polen aufgenommen... [denken]
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