Die Anderen von gegenüber

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Die Anderen von gegenüber

Beitragvon Interessierter » 19. September 2019, 12:59

Vor 28 Jahren stand hier die Mauer

05.02.2018 - 07:24 Uhr

Berlin – 10 315 Tage lebten sie in zwei Welten. 3,60 Meter hoher Beton und Stacheldraht teilten die Anwohner der Berliner Bouchéstraße in Ost und West.

Seit 10 315 Tagen sind Wachtürme, Panzersperren und Flutlichtanlagen verschwunden. Doch auf dem ehemaligen Todesstreifen wächst noch immer keine Nachbarschaft.

BILD-Ortstermin zwischen Treptow und Neukölln, dort, wo die Mauer heute in den Köpfen steht, Ossis und Wessis die Anderen von gegenüber sind.


Am 31. März 1983 gelang dort zwei Freunden eine spektakuläre Flucht. Vom Eckhaus Schmollerstraße 5/Bouchéstraße 33 aus schossen sie per Pfeil ein dünnes Stahlseil in die Freiheit, kletterten aus der Dachluke und hangelten sich rüber.

Sie landeten auf dem Haus Bouchéstraße 68a. Ein Weg von kaum 30 Metern. Eine todesmutige Reise auf einen fremden Kontinent.

„Wir lebten hier wie in Abrahams Schoß, so ruhig und sicher“, sagt der ehemalige Kfz-Schlosser. Kurz nach der Wende wurde sein Auto geklaut. „Diebesbanden aus Osteuropa machten damals Berlin unsicher“, sagt Resagk, „das war wie Wilder Osten.“


Er hatte bis heute keinen Kontakt zu den ehemaligen DDR-Bürgern auf der anderen Straßenseite. „Hat sich nie ergeben“, sagt er. Mit den alten West-Nachbarn schon. Man grüßt sich, spricht miteinander.

Hans-Peter Schöppler (73), ein Ex-Polizist, war es, der den Drahtseil-Flüchtlingen vor 35 Jahren im Westen die Dachbodentür öffnete. Er zeigt Zeitungsberichte von damals mit seinem Foto. „Der Bruder von einem war schon vorher geflohen und half ihnen. Er klingelte um 4.30 Uhr bei mir, fragte, ob ich oben aufmachen könne“, sagt er.

Strom sparen mit Grenzbeleuchtung

Er zog 1973 in diesen Mikrokosmos des Kalten Krieges, vom Küchenfenster mit der erhöhten Raucher-Sitzecke davor hatte er den direkten Blick auf das Bauwerk, das die auf der anderen Seite „antifaschistischen Schutzwall“ nannten.

„Ich habe die ganzen Jahre Strom gespart, in der Küche konnte ich mit dem Scheinwerferlicht der Grenzanlagen lesen“, sagt er. Kontakte nach drüben: kaum. „Wir sind unter uns geblieben“, sagt auch West-Nachbarin Waltraud Wamp (83).

Auf der Ostseite treffen wir Hella Schneider (81). Als sie hierher zog, war die Mauer noch nicht da, dann kamen nachts am 13. August 1961 die Pioniere, Vorgärten wurden abgerissen. „Das war fürchterlich. Am Anfang wusste man noch nicht, ob geschossen wird.“

Nach dem Mauerbau durften nur regimetreue DDR-Bürger direkt an die Grenze ziehen. Wenn Schneider Besuch bekam, musste der sich einen Passierschein besorgen. „Von der Westseite flogen häufig Steine“, sagt sie, „alle Fenster wurden mit bruchsicherem Glas ausgestattet.“

DDR-Maschinen: „Ein, Aus, Wegwerfen“

Nach der Seil-Flucht im Nebenhaus wurden alle Dachluken vergittert, die Dachböden mit Alarmanlagen ausgestattet. „Wenn ich oben Wäsche aufhängen wollte, musste ich das vorher beim Grenzschutz anmelden“, sagt Schneider.

Wie sie hat auch der studierte Elektro-Ingenieur Manfred Lehmann (80) aus dem Osten bis heute keine Freundschaften mit den schon nicht mehr so neuen Nachbarn aus dem Westen geschlossen. Erklären kann er sich das nicht. Wir treffen den Rentner, als er gerade Richtung Treptower Park joggen will.

Seit 1970 lebt er in der Schmollerstraße, genau neben dem späteren Flucht-Haus, arbeitete bei den nahen EAW-Werken, in denen er Elektrogeräte herstellte. Im Volksmund standen die drei Großbuchstaben aufgrund der chronischen Unterversorgung mit brauchbaren Produkten für „Ein, Aus, Wegwerfen“.

Mauerfall

Die Mauer lag etwa 30 Meter von seinem Wohnhaus entfernt. Wenn er auf dem Dach die Fernseh-Antenne reparieren wollte, musste das angemeldet werden. „Ich rief bei der Polizei an, die beim Grenzschutz und wenn ich da rumschraubte, stand einer mit einem Maschinengewehr neben mir. Der war froh, dass er Abwechslung hatte.“

Lehmann ist heute froh, dass die Mauer weg ist. Zwar habe er vor der Wiedervereinigung nie die Haustür abschließen müssen, aber dafür schloss sich danach die Welt für ihn auf.

Von Südostasien bis nach Amerika, die Länder, in die er reiste, waren vorher für ihn so fern wie der Mars.

Manfred Lehmann aus dem ehemaligen Osten und Kurt Resagk aus dem Westen sind noch immer ziemlich beste Fremde. Sie haben sich noch nie getroffen.

Wir klingeln Resagk aus der Parterre-Wohnung. Und die fast gleichaltrigen Männer, die 28 Jahre in zwei Welten lebten und 28 Jahre in einer, geben sich auf der längst wiedervereinigten Bouchéstraße das erste Mal die Hand.

Sie plaudern miteinander, wie ältere Herren das machen. Vielleicht werden sie in Zukunft öfter mal reden.


https://www.bild.de/regional/berlin/wie ... .bild.html

Wenn man weiß, dass sich gegenüber liegende Dorfgemeinschaften an der innerdeutschen Grenze sich sofort besuchten, ist das Verhalten an der Mauer schon erstaunlich, oder?
Interessierter
 

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