Brandanschläge auf Berliner Mauer

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Brandanschläge auf Berliner Mauer

Beitragvon Interessierter » 8. April 2019, 11:00

"Was für ein Scheißland!"

Mit Bolzenschneidern und Molotowcocktails attackierten vier frühere DDR-Bürger 1989 die Berliner Mauer. Hier berichtet Raik Adam, wie es zu den gefährlichen Aktionen kam, die er nun in einem packenden Comic erzählt.

Die Liebe zum Heavy Metal verband Raik Adam, seinen Bruder Andreas, Dirk Mecklenbeck und Heiko Bartsch. Und allein diese Musik machte die vier Freunde aus Halle für die Stasi verdächtig. Raik Adam legte sich mit der FDJ an und durfte 1986 als erster in den Westen ausreisen; die anderen drei folgten Anfang 1989. In West-Berlin feierten sie - und planten militante Aktionen gegen die verhasste Mauer. Die "Stiftung Berliner Mauer" hat diese ungewöhnliche Geschichte jetzt als Graphic Novel veröffentlicht, gezeichnet und geschrieben von den Aktivisten selbst.

einestages: Herr Adam, als unangepasster Heavy-Metal-Fan legten Sie sich in der DDR früh mit der Obrigkeit an. Jetzt erzählen Sie in einem Buch von dieser Rebellion, die in Brandanschläge auf die Berliner Mauer mündete. Ist es eine späte Rache am Regime?

Adam: Rache, so würde ich das nicht nennen. Fast 30 Jahre nach dem Mauerfall darf man ruhig ein bisschen entspannt bleiben.

einestages: Warum dann dieser Comic, aus dem sich auch viel Wut auf die DDR herauslesen lässt?

Adam: Wir wollen dieser elenden Rehabilitierung der DDR etwas entgegensetzen. Es gibt ja leider viele Eltern, die ihren Kindern heute erzählen: "Klar durften wir das eine oder andere damals nicht, aber im großen Ganzen war die DDR doch eine kommode Diktatur." Eine Graphic Novel erreicht junge Leute. Und denen möchten wir erzählen, dass es für Jugendliche wie uns damals ziemlich bescheuert in der DDR war.

einestages: Die Sprechblasen haben Sie getextet und finden für dieses Lebensgefühl teils drastische Worte - etwa: "Was für ein Scheißland!"

Adam: Wir wollten unseren einstigen Sprachduktus 30 Jahre später noch einmal abrufen. Ich habe deshalb zum Beispiel darauf verzichtet, von der DDR zu reden, denn wir haben immer nur von der "Zone" gesprochen. Und ja, "Scheißland" - das unterschreibe ich heute noch ganz dick. Vielleicht sogar noch dicker. Denn inzwischen wissen wir aus den Stasi-Akten viel mehr über die Verbrechen des Systems als damals.

einestages: Zu den Aktionen zählten Anschläge auf die Berliner Mauer. Da ging schon mal, wie in der Nacht auf den 13. August 1989, ein DDR-Wachturm in Flammen auf. Was wollten Sie damit bezwecken?

Adam: Ein brennender Wachturm mitten in Berlin, das war ein Fanal. So etwas wirkte im Westen wie im Osten, und der DDR-Grenzsoldat kann es auch nicht einfach ignorieren. Das spricht sich in der Kompanie rum, das wird in der Stasi für Wirbel sorgen. Wir wollten Druck auf das System aufbauen, Unruhe verbreiten. Vom Westen aus gab es meiner Meinung nach keinen Druck. Dort wurde die Mauer komplett ignoriert. Für uns aber war sie ein Symbol. Ein brutales Symbol. Ich war auch auf Demos und habe geholfen, Flugblätter mit Ballons über den Todesstreifen treiben zu lassen. Aber das brachte eigentlich nichts, die Flugblätter wurden abgefangen, fertig.

einestages: Also haben Sie sich für eine eher militante, anarchische Strategie entschieden.

Adam: Ja, wir wollten diese Mauer und alles, wofür sie stand, schädigen. Das war kein Abenteuertum, sondern eine ganz konkrete Aversion gegen dieses Bauwerk und die politischen Verhältnisse. Von Perestroika wollten die DDR-Kader doch nichts wissen.

einestages: Erinnerungen können sich mit der Zeit verzerren. Besteht nicht die Gefahr, dass Sie Ihre Rebellion gegen den Staat nachträglich glorifizieren und überdramatisieren?

Adam: Genau darüber haben wir viel geredet und uns untereinander oft hinterfragt: War das wirklich so? Seht ihr das auch so? War das in etwa meine Wortwahl? Wir haben uns viele alte Fotos und Videos angeschaut, besonders natürlich die Aufnahmen, mit denen wir unsere Aktionen gegen die Berliner Mauer dokumentierten. Außerdem habe ich erneut unsere Stasi-Akten beantragt. So haben wir genauestens rekonstruiert: Wie bewertete die Stasi unsere Aktionen - und wie haben wir sie damals empfunden und durchgeführt? Aus diesem Zusammenspiel konnten wir unsere Geschichte sehr authentisch erzählen.

einestages: In der Graphic Novel haben Sie das so getextet: "Mit unseren Attacken setzen wir die Routine im Todesstreifen außer Kraft. Wir nerven, provozieren und lassen die nicht zu Ruhe kommen."

Adam: Das trifft unsere Ambitionen. Noch im Januar 1989 hatte sich ja Erich Honecker hingestellt und gesagt: "Die Mauer wird noch in 50 und auch in 100 Jahren bestehen bleiben." Das zog uns die Schuhe aus! Der zweite Anlass für unsere Aktionen waren die ersten Demonstrationen an der Nicolaikirche in Leipzig. Jetzt passierte endlich was. Im Osten steckte die Revolution in den Kinderschuhen. Wir wollten ihr vom Westen aus helfen.

einestages: In den Zeichnungen sieht man Molotowcocktails durch die Nacht fliegen, vermummte Männer machen sich mit Bolzenschneidern an den Zäunen Berliner Grenzanlagen zu schaffen. Verherrlichen Sie so nicht Gewalt?

Adam: Nein. Wir waren uns damals der Gefahren bewusst und stilisieren uns auch nicht als Draufgänger. Unsere Sorgen finden sich ebenso im Comic, zum Beispiel: "Hoffentlich läuft die Sache nicht aus dem Ruder." Ich denke, uns ist ein Spagat gelungen. Wir verherrlichen keine Gewalt, sondern erzählen von jungen Leuten, die sich gegen die DDR positioniert haben, wenn auch mit militanten Mitteln. Diesen Weg muss nicht jeder gut finden.

einestages: Sie hätten Grenzsoldaten gefährden können.

Adam: Wir haben sie vorher gewarnt und gerufen: "Achtung, gleich wird es hell und heiß!" Wir wollten niemanden gefährden und hatten es allein auf die Sperranlagen abgesehen.

einestages: Umgekehrt setzten Sie sich selbst großer Gefahr aus.

Adam: Ja, unser Angriff auf den Zaun in der Kiefholzstraße war absolut leichtsinnig. Ein Grenzer hatte schon seine Waffe auf uns angelegt. Vielleicht wollte der schießen, doch sein Kamerad drückte ihm das Gewehr nach unten. Es hätte schlimm für uns ausgehen können. Das ist im Buch nicht übertrieben, sondern absolut authentisch beschrieben.

einestages: Die Graphic Novel endet mit Neonazis, die kurz nach der Wende in Halle aufmarschieren. Die letzte Sprechblase lautet: "Wir gehen doch den Rechten nicht auf den Leim, oder?" Was ist Ihre eigene Antwort darauf?

Adam: Da bin ich pessimistisch. Die Ausländerfeindlichkeit war im Osten schon zu DDR-Zeiten sehr präsent. Vietnamesen wurden als "Fidschis" verhöhnt, Schwarzafrikaner hießen bei uns in Halle früher "Kohle". Das war zutiefst menschenverachtend. Diese letzte Frage bezieht sich auf die schlimmen Übergriffe, die nach dem Ende der DDR folgten, in Hoyerswerda oder Rostock-Lichtenhagen. Leider lässt sich da eine ziemlich gerade Linie von damals bis heute ziehen.

http://www.spiegel.de/einestages/wende- ... 37013.html

Zu diesem Thema gibt es auch im Archiv schon einen gesperrten Thread aus 2014.
Interessierter
 

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