Horst Sindermann Der Erfinder des „Antifaschistischen Schutzwalls“

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Horst Sindermann Der Erfinder des „Antifaschistischen Schutzwalls“

Beitragvon Interessierter » 26. Dezember 2018, 10:57

Manchmal kam bei ihm so was wie die ehrliche Haut durch. Dann war er das einzige lebendige Gesicht in einer gespenstischen Reihe von Pokerfaces. Einmal zum Beispiel in Moskau beim Staatsbegräbnis von einem der letzten „roten Zaren“ in den 1980er Jahren. War es Breshnew oder Andropow oder Tschernenko? Jedenfalls war es der langjährige hallesche Bezirksfürst Horst Sindermann, der als einer aus der Staatsdelegation der DDR dem designierten Nachfolger des soeben dahingegangen Sowjetführers kondolierte - mit breitest möglichem Lachen. „He Horst, das ist doch keine Hochzeit, das ist eine Trauerfeier!“ - hätte man ihm da zurufen mögen.

Aber so war er: Das freundlichste Antlitz aus einer verdammt harten und gnadenlosen Truppe. Vielleicht war er aus der Sicht seiner Auftraggeber deshalb auch eine vergleichsweise gute Besetzung für den Job, den er vor nun 40 Jahren angetreten hat und in dem er fast bis zum Ende der DDR tätig war: Als Präsident der Volkskammer, des chronisch einstimmig beschließenden Pseudo-Parlaments der DDR.

Vollstrecker der DDR-Demokratie

Somit war Sindermann für immerhin ein Drittel der DDR-Geschichte der lächelnde Vollstrecker der DDR-Demokratie, die von Grund auf antidemokratisch war. Dafür freilich hatte er sich nicht zuletzt mit einem seiner vorherigen Jobs qualifiziert: dem des SED-Propaganda-Chefs. In diesem Zusammenhang wird ihm die Erfindung eines Begriffs zugeschrieben, der zum einprägsamsten Beispiel der politisch korrekten Sprache Marke DDR werden sollte - einer von oben medial vorgeschriebenen Begriffsregelung, für die seinerzeit freilich kein englischer Oberbegriff gebräuchlich war.

Die Rede ist vom „Antifaschistischen Schutzwall“, dem Euphemismus für die mörderische innerdeutsche Grenze. Doch war es bei Sindermann wohl weniger Borniertheit als Kalkül, außerhalb seines eigenen politischen Dunstkreises überall Faschisten zu wittern, um den Begriff antifaschistisch dann für die Bekämpfung Andersdenkender missbrauchen zu können: Eine Idee, die ihn übrigens überlebt hat und nun immer neue Blüten treibt.

Sprache verordnen und reglementieren

Der zynische Begriff „antifaschistischer Schutzwall“ sollte ab 1961 im allgemeine Bewusstsein des seither eingesperrten Volks etabliert werden. Dass genau das nicht gelungen ist, kann auch als Lehrstück dafür verstanden werden, wie aussichtslos es auf Dauer ist, Sprache zu verordnen und zu reglementieren. Und auf diese Weise unerfreuliche Tatsachen umdeuten zu wollen.

https://www.mz-web.de/halle-saale/horst ... --25390154
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Re: Horst Sindermann Der Erfinder des „Antifaschistischen Schutzwalls“

Beitragvon Volker Zottmann » 26. Dezember 2018, 11:44

Nach seiner Entlassung aus der Untersuchungshaft 1990 gab er dem Magazin Der Spiegel ein Interview, in dem er bekannte:
„Wir sind vom Volk davongejagt worden, nicht von einer ‚Konterrevolution‘.
Wir würden uns doch lächerlich machen, wenn wir Bärbel Bohley, Pfarrer Eppelmann und andere zu ‚Konterrevolutionären‘ erklären wollten.

Obiges habe ich gerade Wikipedia entnommen. Das war ein bemerkenswerter Satz, den ich ihm abnehme, da er nach Einsicht ehrlich formuliert war.
Bei allem was über Sindermann geredet oder geschrieben wird, war er dennnoch ein Funktionär, der im Volk überdurchschnittlich Achtung genoss, er hat sich Bodenhaftung bewahrt. Familiär begründet war er oft im Harz, auch zu Jagden. Er ist aber selbst niemals arrogant, sprich überheblich aufgetreten. Ganz anders habe ich da seinen Nachfolger als 1. SED-Bezirkssekretär Halle, den Herrn Böhm in Erinerung.

Gruß Volker
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Re: Horst Sindermann Der Erfinder des „Antifaschistischen Schutzwalls“

Beitragvon Edelknabe » 26. Dezember 2018, 17:30

Du kanntest diesen Bezirkssekretär ? So unser ExGenosse Volker mit diesem:

"Ganz anders habe ich da seinen Nachfolger als 1. SED-Bezirkssekretär Halle, den Herrn Böhm in Erinerung."
textauszug ende

Wie hoch warst du denn im SED-Apparat angebunden?

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Re: Horst Sindermann Der Erfinder des „Antifaschistischen Schutzwalls“

Beitragvon Volker Zottmann » 26. Dezember 2018, 17:51

Edelknabe hat geschrieben:Du kanntest diesen Bezirkssekretär ? So unser ExGenosse Volker mit diesem:

"Ganz anders habe ich da seinen Nachfolger als 1. SED-Bezirkssekretär Halle, den Herrn Böhm in Erinerung."
textauszug ende

Wie hoch warst du denn im SED-Apparat angebunden?

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Ganz ganz tief Rainer.
Ich habe das ja mal aufgeschrieben: Dem Böhme (vorhin hab ich ein E unterschlagen) mussten wir einen hölzernen Gehweg bauen. Mit Holzbohlen, die es sonst nie gab. Und das nur, damit dieser Armleuchter, aus seinem Peugeot aussteigend, sich ja nicht den Knöchel verknackst...

Gruß Volker
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Re: Horst Sindermann Der Erfinder des „Antifaschistischen Schutzwalls“

Beitragvon Edelknabe » 26. Dezember 2018, 18:39

Das erinnert mich an alte Filme Volker wo das Gesinde dem König die Fußbank vor die Kutsche stellte. Ich denke weiter bei mir, du bist dann rückwärts immer in Verbeugung und mit Hofknicks im Wald enteilt.Aber trag es mit Humor...es ist nur meine Fantasie da immer auf der Suche nach guten Geschichten.

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Re: Horst Sindermann Der Erfinder des „Antifaschistischen Schutzwalls“

Beitragvon Volker Zottmann » 26. Dezember 2018, 18:50

Edelknabe hat geschrieben:Das erinnert mich an alte Filme Volker wo das Gesinde dem König die Fußbank vor die Kutsche stellte. Ich denke weiter bei mir, du bist dann rückwärts immer in Verbeugung und mit Hofknicks im Wald enteilt.Aber trag es mit Humor...es ist nur meine Fantasie da immer auf der Suche nach guten Geschichten.

Rainer-Maria

[super] [flash] Ich kann noch lachen.

Gruß Volker
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Re: Horst Sindermann Der Erfinder des „Antifaschistischen Schutzwalls“

Beitragvon steffen52 » 26. Dezember 2018, 18:59

Volker Zottmann hat geschrieben:
Ich habe das ja mal aufgeschrieben: Dem Böhme (vorhin hab ich ein E unterschlagen) mussten wir einen hölzernen Gehweg bauen. Mit Holzbohlen, die es sonst nie gab. Und das nur, damit dieser Armleuchter, aus seinem Peugeot aussteigend, sich ja nicht den Knöchel verknackst...

Gruß Volker

Na mal eine Frage, Volker wie viele Holzbohlen hast Du für Dich abgezweigt? Ehrliche Antwort bitte!!! [ich auch]
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Re: Horst Sindermann Der Erfinder des „Antifaschistischen Schutzwalls“

Beitragvon pentium » 26. Dezember 2018, 19:01

Herrlich, was hier so geschrieben wird.
Dennoch, schönen 2. Feiertag.
*Dos Rauschen in Wald hot mir'sch ageta, deß ich mei Haamit net loßen ka!* *Zieht aah dorch onnern Arzgebirg der Grenzgrobn wie ene Kett, der Grenzgrobn taalt de Länder ei, ober onnere Herzen net!* *Waar sei Volk verläßt, daar is net wert, deß'r rümlaaft of daaner Erd!*
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Re: Horst Sindermann Der Erfinder des „Antifaschistischen Schutzwalls“

Beitragvon steffen52 » 26. Dezember 2018, 19:08

pentium hat geschrieben:Herrlich, was hier so geschrieben wird.
Dennoch, schönen 2. Feiertag.

Ich dachte Du verstehst etwas Spaß Steffen(pentium)!!!!! [flash]
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Re: Horst Sindermann Der Erfinder des „Antifaschistischen Schutzwalls“

Beitragvon Volker Zottmann » 26. Dezember 2018, 20:03

steffen52 hat geschrieben:
Volker Zottmann hat geschrieben:
Ich habe das ja mal aufgeschrieben: Dem Böhme (vorhin hab ich ein E unterschlagen) mussten wir einen hölzernen Gehweg bauen. Mit Holzbohlen, die es sonst nie gab. Und das nur, damit dieser Armleuchter, aus seinem Peugeot aussteigend, sich ja nicht den Knöchel verknackst...

Gruß Volker

Na mal eine Frage, Volker wie viele Holzbohlen hast Du für Dich abgezweigt? Ehrliche Antwort bitte!!! [ich auch]
Gruß steffen52


Steffen mal ohne Jux. Wir hatten über Jahre zuvor versucht für ein Holzleitergerüst neue 50 er gespundete Bohlen zu bekommen. Es klappte nie mit einer Zuteilung, obwohl wir im Harz wohnten. Heute unvorstellbar.
Dann aber , als Böhmes Büro seine "Anreise" protokollarisch erarbeitete und festgestellt wurde, dass unsere Betriebseinfahrt wegen Tiefbauarbeiten nur geschottert ist, kam ein Sonderkontingent nur wegen dieses Mannes.
Die Bohlen waren reichlich, aber abgezählt. Die wurden allesamt untereinander vernagelt mit versetzten Stößen, damit Hochwohlgeboren auch nicht stolpert. Ein gepflasterter rückwärtiger Bürotrakt-Eingang durfte aber nicht benutzt werden. (So hätte man sich all den Unsinn sparen können). Danach aber hatten wir Dank seiner Herrlichkeit neue Gerüstbohlen. Ich hätte eigentlich viel dankbarer sein müssen.
Nein, von denen wurde keine geklaut. Zumindest nicht sofort und dann war ich schon weg, als Selbständiger...

Zufrieden? [wink]

Gruß Volker
Volker Zottmann
 


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