Nicht alle "Sperrbrecher" wollten von Ost nach West flüchten. Einige haben es auch umgekehrt versucht, wie ein neuer Aktenfund aus dem Bundesarchiv zeigt.
Die Grenzposten trauten ihren Augen nicht: Am helllichten Tag, mittags gegen 14 Uhr, lief plötzlich ein Mann auf der Berliner Mauer entlang. Nicht irgendwo an den 155 Kilometern Todesstreifen rund um West-Berlin, sondern an ihrem bekanntesten Stück: vor dem Brandenburger Tor. Fast drei Meter dick und als Panzersperre gestaltet war die Betonwand hier, dafür nur etwas über zwei Meter hoch; Stacheldraht gab es hier nicht. Es war der 19. Juli 1963, knapp zwei Jahre nach der fast totalen Abriegelung der beiden Stadthälften voneinander.
Ein Spaziergang auf der Berliner Mauer vor den Augen der ostdeutschen Grenzpolizei – das gab es auch. Ihre Geschichte war nie arm an Ereignissen. Viele sind tragisch, manche dramatisch, aber einige auch einfach nur skurril. Wie das vom Sommer 1963, das ein erst kürzlich in der Abteilung Militärarchiv des Bundesarchivs in Freiburg entdeckter Bericht des DDR-Grenzregiments 35 beschreibt.
Vor dem Brandenburger Tor versperrte die Mauer in einem weiten Bogen die Sicht auf den Tiergarten. Auf Ost-Berliner Seite begann das Sperrgebiet sogar schon an der Kreuzung von Wilhelmstraße und Pariser Platz, von West-Berliner Seite aus konnte man von der Straße des 17. Juni direkt an die Sperre herankommen. Am Berliner Wahrzeichen gab es keinen Grenzübergang, das klassizistische Tor lag im sowjetischen Sektor.
Für die Bewachung an diesem Brennpunkt war die Grenzbrigade 1 der Nationalen Volksarmee zuständig. In den knapp zwei Jahren seit dem Mauerbau hatten schon 39 Menschen an der mörderischen Grenze ihr Leben verloren; allerdings hatte es noch keine tödliche Konfrontation am Brandenburger Tor gegeben. Doch lebensgefährlich konnte jede „Verletzung des Grenzgebietes“ sein, denn die DDR-Wachen verstanden überhaupt keinen Spaß.
Der unbekannte Mann taumelte ungefähr 20 Meter auf der Mauer entlang, in Richtung Norden, hin zum Reichstag. Wie ein Seiltänzer im Zirkus, sein überraschtes Publikum war die ostdeutsche Grenzpolizei . Deren Männer handelten sofort. Ein Postenführer rief den Eindringling an, doch der reagierte noch provokativer: Er sprang von der Mauer, und zwar ins Grenzgebiet hinein und rannte nach Osten auf das Brandenburger Tor zu.
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