„Plötzlich war da so viel freie Welt“Als in Lichterfelde eine Schneise in die Sperranlage geschnitten wurde, waren Robert und Ursula Pietruschinski als Sanitäter dabei. Das war am 14. November 1989. Ihrer Tochter Lydia sieht die Fotos an, die ihre Eltern machten. Und sie hört, was damals geschah. „Damals waren meine Eltern ehrenamtlich beim Malteser Hilfsdienst beschäftigt. Deswegen rief bei uns der Katastrophenschutz an, damit meine Eltern sich bereithalten konnten.“Zitat aus dem Aufsatz der Schülerin Lydia Pietruschinski
Lydias Eltern sind Mauerkinder. An der Mauer sind sie groß geworden. Ihr Vater Robert Pietruschinski in Lichterfelde, ihre Mutter Ursula in Kreuzberg. Selbst ihr damals dreijähriger Bruder Oliver kann sich noch an die Mauer erinnern. Mit einem kleinen Hammer war er mit seinen Eltern in Berlin als Mauerspecht unterwegs und klopfte Mauerstücke heraus – sogar am Brandenburger Tor. Auf dem Wohnzimmertisch haben Lydias Eltern alte Stadtpläne ausgebreitet, auf denen die Grenze zwischen West- und Ost-Berlin noch eingezeichnet ist.
Auch kleine Mauerreste liegen auf dem Tisch, dazu ein Stapel alter Fotos, die ihre Eltern am 13. November 1989 am Ostpreußendamm gemacht haben, als dort die Grenze nach Teltow in Brandenburg abgebaut wurde. Die zwölfjährige Lydia hat sich die Bilder für den Aufsatz-Wettbewerb des Tagesspiegels ganz genau angeschaut und ließ sich von ihrer Familie erzählen, wie sie den Mauerfall erlebt hat.
Mauerpanoramen1 von 15
Foto: BArch-DVH 60 Bild-GR33-03-063 bis 073, o. Angabe, Rekonstruktion und Interpretation Arwed Messmer
Die Mauerpanoramen in unserer Fotostrecke stammen aus dem Buch: "Aus anderer Sicht. Die frühe Berliner Mauer" von Annett Gröschner...Weitere 14 Fotos sind im Link anklickbar.„Die ersten Anzeichen gab es im Herbst 1989, als wir in Österreich im Urlaub waren“, sagt Robert Pietruschinski. „Da haben schon die ersten Ausreisewellen aus Ungarn über Österreich begonnen und die Fahrt zurück nach West-Berlin war völlig chaotisch.“ Am Tag des Mauerfalls arbeitete Robert Pietruschinski als Krankenpfleger im St.-Marien-Krankenhaus in Lankwitz. Die Belegschaft hatte schon im Fernsehen von der Pressekonferenz erfahren, auf der SED-Politbüromitglied Günter Schabowski gegen 19 Uhr die Reisefreiheit für DDR-Bürger verkündete und dabei die Sperrfrist übersah: „Das tritt nach meiner Kenntnis … ist das sofort, unverzüglich.“
Die ganze Nacht saß der 53-Jährige vor dem Fernseher, bis er es um fünf Uhr morgens nicht mehr aushielt: „Ich habe Mama und Oliver geweckt und wir sind zum Kurfürstendamm gefahren“, erzählt er seiner Tochter. „Da war was los. Überall waren Menschen und Autos und alle haben sich gefreut.“
Eine Zeitreise am Mauerstreifen1 von 23
Foto: Joachim Schörbach
Und auch auf der anderen Seite will man sich diese besonderen Einblicke nicht entgehen lassen.( Die weiteren 22 Fotos sind im Link anklickbar )Die Grenze nach Ost-Berlin an der Oberbaumbrücke konnte die Familie an diesem Morgen trotzdem nicht überwinden. „Wir sind nach Kreuzberg zu Oma und Opa gefahren und wollten am Grenzübergang Oberbaumbrücke nach Ost-Berlin rüber, aber die Grenzer haben uns nicht gelassen“, erinnert sich Ursula Pietruschinski. Man brauche einen Passierschein. „Ich denke, die waren mit den Menschenmassen auch einfach überfordert“, sagt die 49-Jährige. „Wir wollten keinen Streit provozieren und sind wieder gefahren.“
Vier Tage später, am 14. November, war es auch am Ostpreußendamm, wo die Pietruschinskis damals gewohnt haben, so weit: Um acht Uhr morgen wurde die Grenze zwischen Berlin und Teltow geöffnet, schon in der Nacht zuvor hatten Grenzer den Maschendrahtzaun zerschnitten. „Mama und ich waren damals ehrenamtlich tätig beim Malteser Hilfsdienst“, erinnert sich Lydias Vater. „Der Katastrophenschutz hatte uns alarmiert und so standen wir an diesem Tag mit unserem Krankenwagen direkt am Übergang zu Teltow beim Abriss der Mauer in der ersten Reihe.“ Vom Grenzabbau haben sie viele Fotos gemacht. Zu sehen sind Grenzpolizisten in ihren dunkelgrünen Uniformen, die eine Menschenkette bildeten, um den Abbau der Grenzanlagen vor der an der Grenze wartenden Menschenmenge abzuschirmen.
Den vollständigen Bericht mit weiteren Fotos gibt es hier:
https://www.tagesspiegel.de/berlin/tage ... 60486.html