Wo die Stasi die Mauertoten heimlich beerdigte

Hier bitte ausschließlich Themen die sich mit der Berliner Mauer beschäftigen.

Wo die Stasi die Mauertoten heimlich beerdigte

Beitragvon Interessierter » 19. Oktober 2018, 08:19

Der Ort ist nicht zufällig gewählt. Auf dem sattgrünen Rasen, unweit vom Eingang zum neuen Teil des Friedhofs Baumschulenweg an der Kiefholzstraße, spielte sich ein bislang weitgehend unbekanntes Kapitel der Geschichte der Berliner Mauer ab.

Seit Freitagnachmittag ( 2016 ) erinnert eine schlichte Stele daran. Sie erinnert an Dutzende Mauertote, die an der DDR-Grenze erschossen wurden, auf der Flucht ertranken oder auf andere Weise bei Fluchtversuchen ums Leben kamen. Auf dieser sattgrünen Wiese in Baumschulenweg wurde über Jahre heimlich ihre Asche verstreut oder in Urnen anonym beigesetzt.

Das Schicksal dieser Maueropfer, sagte der Bundesbeauftragte für die Stasi-Unterlagen Roland Jahn bei der Einweihung der Stele, dürfe nicht vergessen werden. Ebenso wenig die Rolle, die das DDR-Ministerium für Staatssicherheit (MfS) dabei gespielt habe: „Die Stasi führte auch über die Toten der Mauer Regie“, so Jahn. Dutzende Menschen, die ihren Traum vom besseren Leben im Westen mit dem Leben bezahlten, verschwanden. Ihr Tod an der Grenze wurde verheimlicht, ihre Familien wurden getäuscht und belogen.

Ausgeklügelte Verschleierungstaktik

Die Stasi-Unterlagenbehörde hat solche Schicksale erforscht. Ausgewertet wurde dafür eine Sonderakte des MfS, die etwa 30 Fälle bis Mitte der 70er-Jahre umfasst. Akribisch sind darin Totenscheine und Fotos von Obduktionen aufgelistet, aber auch persönliche Gegenstände der Opfer: Uhren, Kugelschreiber, Zigaretten aus dem Westen und aus dem Osten, Geld aus dem Westen und aus dem Osten, Streichhölzer, Pfeifenstopfer, Brieftaschen, persönliche Papiere, Pässe, Fotos, Gebisse, Schnupftücher, Brillen. Jahn: „Den Familien wurden Lügen aufgetischt, für sie wurden aus Tagen der Ungewissheit Jahre der Leere.“ Täuschen und Vertuschen habe aber nur funktioniert, weil viele dabei mitgemacht hätten: Gerichtsmediziner, Staatsanwälte, Bestatter, Polizisten – und vor allem Verantwortliche des alten Krematoriums Baumschulenweg.

Das Krematorium, das Mitte der 90er-Jahre abgerissen und durch einen Neubau ersetzt wurde, war die letzte Station in dem ausgeklügelten Verschleierungsprozess. Für den hatte das MfS detaillierte Anweisungen erteilt, die unter dem Titel „Bearbeitung von Leichenvorgängen, soweit es sich um Vorkommnisse an der Staatsgrenze zu Westberlin handelt“ aktenkundig sind. Vom Ausstellen der Totenscheine bis zum Verbrennen der Leichen, von der Manipulation der Beweismittel bis zur Fälschung von Sterbeurkunden reichte die Palette. Bei Gesprächen mit Behörden und Familien der Opfer gaben sich die Stasi-Mitarbeiter als Volkspolizisten aus, im Krematorium selbst standen Vertrauensleute bereit.

Kein Schlussstrich bei der Aufarbeitung


Viele Verantwortliche für diese Praktiken seien nach dem Mauerfall einfach abgetaucht, sagte Jahn. „Das Schweigekartell wirkt bis heute.“ Noch immer könne das Verschwinden von sechs Menschen nicht aufgeklärt werden. Es gehe nicht nur darum, die Erinnerung an die Mauertoten zu bewahren. Es müssten zugleich die perfiden Praktiken des DDR-Systems deutlich gemacht werden, das seinen Schießbefehl an der Mauer, der offiziell verleugnet wurde, nur verschleiert habe. Jahn: „Wir sind es der jungen Generation auch schuldig zu erklären, warum in der Diktatur so viele Menschen mitgemacht oder duldsam geschwiegen haben.“

https://www.berliner-zeitung.de/politik ... e-24550602
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Re: Wo die Stasi die Mauertoten heimlich beerdigte

Beitragvon Volker Zottmann » 19. Oktober 2018, 09:32

Jahn: „Wir sind es der jungen Generation auch schuldig zu erklären, warum in der Diktatur so viele Menschen mitgemacht oder duldsam geschwiegen haben.“

Genau das ist mein Beweggrund gewesen, nach der DDR-Zeit alles was mir in Erinnerung blieb aufzuschreiben. Für Kinder, Enkel, Nachgeborene. So wie es Jahn sagt, kann es auch nur gehen: Der Grund muss sein, klar zu machen, wie es kommen konnte, dass Millionen schwiegen, sich einrichteten und im kleinen Einzelfall ebenfalls mitmachten. Wir alle haben den Staat durch zu wenig Gegentreten erst ermöglicht. Sind mitschuldig an seinem Bestehen gewesen.
Wenn durch all diese kleinen Facetten klar wird, dass man sehr wohl in den Anfängen was entgegensetzen kann, dürfte sich miese Geschichte nicht wiederholen.

Gruß Volker
Zuletzt geändert von Volker Zottmann am 19. Oktober 2018, 09:57, insgesamt 1-mal geändert.
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Re: Wo die Stasi die Mauertoten heimlich beerdigte

Beitragvon Interessierter » 19. Oktober 2018, 09:49

Wennn durch all diese kleinen Facetten klar wird, dass man sehr wohl in den Anfängen was entgegensetzen kann, dürfte sich miese Geschichte nicht wiederholen.

Gruß Volker


Danke für deine, gerade in der heutigen Zeit, so treffenden Worte. Da wirst du dir aber sicherlich, bei den in Teilen Hirn- und Alternativlosen, keine Freunde mit gemacht haben... [denken]

[hallo]
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Re: Wo die Stasi die Mauertoten heimlich beerdigte

Beitragvon Volker Zottmann » 19. Oktober 2018, 09:59

Wilfried, die begreifen das erst, wenn es wieder mal zu spät ist.

Gruß Volker
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Re: Wo die Stasi die Mauertoten heimlich beerdigte

Beitragvon zonenhasser » 19. Oktober 2018, 10:36

Volker Zottmann hat geschrieben:Wenn durch all diese kleinen Facetten klar wird, dass man sehr wohl in den Anfängen was entgegensetzen kann, dürfte sich miese Geschichte nicht wiederholen.
Ich bin da pessimistisch. Zu oft hat man schon gesehen wie Demokratien zugrunde gehen.
Die “Rote Fahne” schrieb noch “wir werden siegen”, da hatte ich mein Geld schon in der Schweiz.
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Re: Wo die Stasi die Mauertoten heimlich beerdigte

Beitragvon Ari@D187 » 19. Oktober 2018, 11:00

Volker Zottmann hat geschrieben:Jahn: „Wir sind es der jungen Generation auch schuldig zu erklären, warum in der Diktatur so viele Menschen mitgemacht oder duldsam geschwiegen haben.“

Genau das ist mein Beweggrund gewesen, nach der DDR-Zeit alles was mir in Erinnerung blieb aufzuschreiben. Für Kinder, Enkel, Nachgeborene. So wie es Jahn sagt, kann es auch nur gehen: Der Grund muss sein, klar zu machen, wie es kommen konnte, dass Millionen schwiegen, sich einrichteten und im kleinen Einzelfall ebenfalls mitmachten. Wir alle haben den Staat durch zu wenig Gegentreten erst ermöglicht. Sind mitschuldig an seinem Bestehen gewesen.
Wenn durch all diese kleinen Facetten klar wird, dass man sehr wohl in den Anfängen was entgegensetzen kann, dürfte sich miese Geschichte nicht wiederholen.

Gruß Volker

Die DDR war ein Produkt des 2. Weltkrieges, besetzt (manche nennen es befreit) von der sowjetischen Besatzungsmacht. Ein Aufbegehren oder "nicht mehr mitmachen" im großen Stil war erst dann möglich und zielführend, als die Besatzungsmacht bereits einen Schritt weiter war als die DDR-Führung. Wie mit Widerstand in den Anfängen der DDR umgegengen wurde, konnte man 1953 sehen.

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Re: Wo die Stasi die Mauertoten heimlich beerdigte

Beitragvon zonenhasser » 19. Oktober 2018, 11:09

Ari@D187 hat geschrieben:Ein Aufbegehren oder "nicht mehr mitmachen" im großen Stil war erst dann möglich und zielführend, als die Besatzungsmacht bereits einen Schritt weiter war als die DDR-Führung. Wie mit Widerstand in den Anfängen der DDR umgegengen wurde, konnte man 1953 sehen.
Ja, der 17. Juni 1953 steckte allen in den Knochen. Deshalb heuchelte auch Schabowski: Bild. Die SED-Führung hat in ihrem Sinn alles richtig gemacht - nämlich das, was die Russen wollten.
Die “Rote Fahne” schrieb noch “wir werden siegen”, da hatte ich mein Geld schon in der Schweiz.
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Re: Wo die Stasi die Mauertoten heimlich beerdigte

Beitragvon Volker Zottmann » 19. Oktober 2018, 13:26

Ari@D187 hat geschrieben:
Volker Zottmann hat geschrieben:Jahn: „Wir sind es der jungen Generation auch schuldig zu erklären, warum in der Diktatur so viele Menschen mitgemacht oder duldsam geschwiegen haben.“


Die DDR war ein Produkt des 2. Weltkrieges, besetzt (manche nennen es befreit) von der sowjetischen Besatzungsmacht. Ein Aufbegehren oder "nicht mehr mitmachen" im großen Stil war erst dann möglich und zielführend, als die Besatzungsmacht bereits einen Schritt weiter war als die DDR-Führung. Wie mit Widerstand in den Anfängen der DDR umgegengen wurde, konnte man 1953 sehen.

Ari


Genau deshalb hat fast jeder, auch ich, stets abgewägt, was ein Meutern brächte. In den Knast wollte man nicht. Und so erklärt sich in vielen Lebensbereichen, warum 99% stillschweigend mitmachten ohne wirklich von der "Sache" überzeugt zu sein. Das eigene Leben ist kurz und zu kostbar, um Jahre weggesperrt zu werden oder gleich erschossen zu werden.

Gruß Volker
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