Die Berliner Mauer ist nun genauso lang weg, wie sie stand.

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Die Berliner Mauer ist nun genauso lang weg, wie sie stand.

Beitragvon Interessierter » 11. Februar 2018, 12:11

Am Checkpoint Charlie in Berlin wird die Geschichte immer teurer. Ein Foto mit einem falschen US-Soldaten und Flagge kostet mittlerweile drei Euro pro Person. Den früheren Grenzkontrollpunkt an der Friedrichstraße passierten einst Diplomaten, heute stehen dort Laiendarsteller vor einem nachgebauten Haus. Drumherum: Touristen und was von der Mauer übrig blieb. Am heutigen Montag ist die Mauer nun genauso lange weg, wie sie da war. Zwei gleich lange Abschnitte deutscher Geschichte: 28 Jahre, zwei Monate und 26 Tage. Am 13. August 1961 erst mit Stacheldraht und später mit immer mehr Beton hochgezogen, am 9. November 1989 friedlich überwunden.

Die meisten Bundesbürger können sich noch genau an die Zeit der Teilung aus eigenem Erleben erinnern. So auch Hans-Joachim Lietsche, der auf seine Besuchergruppe wartet. Der 57-Jährige will den danach geborenen Schülern erklären, wie die DDR-Staatssicherheit Menschen wie ihn einsperrte, weil sie nicht auf Linie waren. „30 Jahre hab’ ich meine Haft verdrängt“, sagt der gelernte Bau- und Kunstglaser. Wo er jetzt steht, war früher die Untersuchungshaftanstalt der Stasi.

Heute ist die Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen der einzige Ort, an dem der Frührentner über damals reden kann, über die Zelle ohne Fenster, die Isolation und Angst. Paragraf 220, Herabwürdigung staatlicher Organe, sei sein Vergehen gewesen, neun Monate Haft. Er habe eine Staatsanwältin als „blöde Kuh“ beschimpft. Gesucht habe er die Frau nie: „Ich habe keinen Sinn für Rache.“

Von dem Betonwall, der einst das Leben der Berliner trennte, stehen heute noch Reste. Für die junge Generation ist Stadtführer Markus Müller-Tenckhoff nach eigenen Worten fast ein Geschichtslehrer. „Wenn ich junge Menschen durch Berlin führe, stellen die ganz andere Fragen. Daran erkennt man, dass die Mauer für die Geschichte ist.“ Die erste Frage: Wie lange hat es gedauert, die Grenze zu bauen? „Die meisten denken, es waren die Russen und nicht die Deutschen“, sagt Müller-Tenckhoff. „Man muss dann weit ausholen und die grundsätzliche Nachkriegsgeschichte mit den Alliierten erläutern.“ SED-Chef Walter Ulbricht ging als „Mauerbauer“ in die Geschichte ein. Noch kurz vorher täuschte er die Weltöffentlichkeit: „Niemand hat die Absicht, eine Mauer zu errichten.“

„Das Zeiterleben ist individuell sehr unterschiedlich“, sagt der Psychologe Klaus Seifried. Er hat 26 Jahre als Schulpsychologe gearbeitet. „Junge Leute können sich das Leben vor 30 oder 40 Jahren kaum vorstellen.“ Wenn er Besuch habe und mit jungen Menschen zur Mauer-Gedenkstätte Bernauer Straße gehe, sei das für sie ähnlich fern wie der Zweite Weltkrieg. Das sei dann so, als wenn seine Eltern von der Zeit vor oder während des Krieges erzählt hätten. „Die sinnliche Erfahrung fehlt.“ Wenn den älteren Deutschen die Zeit mit Mauer länger vorkommt als der Abschnitt seit dem Mauerfall, kann das laut Seifried auch am subjektiven Empfinden und dem heutigen Tempo liegen. Internet, Smartphones, Globalisierung, Mobilität – all das hat den Alltag beschleunigt. „Wenn wir uns erinnern, nehmen wir die Zeit dann als kürzer wahr, wenn viel passiert, wenn sich viel verändert“, sagt Seifried. Und manche Menschen in Ostdeutschland fühlten sich noch heute benachteiligt. Sie verweisen auf niedrigere Renten, sterbende Dörfer, abgewanderte Fachkräfte. Es gibt eine „Ostalgie“, obwohl der Lebensstandard seit 1989 gestiegen, die Arbeitslosigkeit wieder gesunken ist und Kommunen herausgeputzt wurden. „Menschen neigen dazu, dass sie positive Dinge erinnern und negative vergessen oder relativieren. Bestimmte Dinge werden verklärt – sowohl in Ost als auch West“, sagt der Psychologe Seifried.
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Heute ist ein Wendepunkt in der deutschen Geschichte - weiter lesen auf Augsburger-Allgemeine: http://www.augsburger-allgemeine.de/pol ... 84881.html
Interessierter
 

Re: Die Berliner Mauer ist nun genauso lang weg, wie sie stand.

Beitragvon augenzeuge » 12. Februar 2018, 11:49

Interessierter hat geschrieben:Die erste Frage: Wie lange hat es gedauert, die Grenze zu bauen? „Die meisten denken, es waren die Russen und nicht die Deutschen“, sagt Müller-Tenckhoff.


Es waren ja auch Angehörige der sowjetzonalen Armee.... [grins]

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Re: Die Berliner Mauer ist nun genauso lang weg, wie sie stand.

Beitragvon Interessierter » 6. November 2020, 09:33


Die Familie - Eine Dokumentation zu den Todesopfern an der Berliner Mauer


„Das Vergangene ist nicht tot, es ist nicht einmal vergangen. Wir trennen es von uns ab und stellen uns fremd.“ (Christa Wolf)

Der Film „Die Familie“ erzählt die Geschichte von vier dieser Mauertoten: Helmut Kliem (1939-1970), Dietmar Schwietzer (1958-1977), Rainer Liebeke (1951-1986) und Michael Bittner (1961-1986). Es ist nach „Gesicht zur Wand“ (Bundesrepublik Deutschland 2009) die zweite Dokumentation des Kölner Regisseurs Stefan Weinert (Jahrgang 1964), die sich mit der DDR-Diktatur beschäftigt.[2]
Seine Premiere feierte „Die Familie“ schon im August 2013 auf dem Filmfestival Montreal. Dass der Kinostart in der Bundesrepublik nun mit dem Mauerfalljubiläum zusammenfällt, ist kein Zufall. Der Film ist eine wichtige und notwendige Ergänzung der allgemeinen Jubelfeiern, in deren Kontext die Todesopfer an der Berliner Mauer allenfalls am Rande eine Rolle spielten.

Es war ein einsamer Kinoabend, nur einen Tag nach dem Fest zum 25. Jahrestag des Falls der Berliner Mauer. Der Kontrast könnte nicht größer sein: Dort eine auf zwei Millionen Menschen geschätzte Feiergemeinde rund um das Brandenburger Tor, hier ein halbes Dutzend Zuschauer in einem kleinen Programmkino in Berlin-Weißensee. Und doch gehören beide Geschichten zum selben Bauwerk. Denn mit der in der Nacht des 9. November unter glücklichen Umständen gefallenen Mauer verbinden sich mindestens 138 tragische Schicksale. So viele Menschen ließen dort zwischen 1961 und 1989 ihr Leben. [1]

„Die Familie“ beginnt mit einem Blick auf einen anderen prominenten Berliner Gedenkort: die Portraitgalerie der Maueropfer an der Bernauer Straße. Die Kamera zoomt in langen Einstellungen auf die Gesichter meist junger, lächelnder Männer und einiger Frauen, während auf der Ton-Ebene Mitschnitte der Andachten aus der benachbarten „Kapelle der Versöhnung“ laufen, wo bis heute an jedem Wochentag um 12 Uhr die Biographie eines Maueropfers verlesen wird.[4]

Im Mittelpunkt der Dokumentation stehen jedoch weniger die Mauertoten selbst als vielmehr deren Familien. Kinder, Ehefrauen, Mütter und Geschwister. Sie alle erzählen vom Schicksal ihrer Angehörigen. Der Regisseur selbst verzichtet auf jeden gesprochenen Kommentar. In langen Interviewsequenzen befragt er die Hinterbliebenen der Toten. Weinert begleitet seine Protagonisten an den Ort des Geschehens, der keine Spuren der Verbrechen mehr trägt und sich heute als Naturidylle präsentiert. Oder er geht in deren heimische Wohnzimmer, wo die Ausstattung viel über den sozialen Status der Befragten verrät.
An beiden Orten fängt er mit Close Ups die Gesichtsregungen der Menschen ein und wendet auch dann die Kamera nicht ab, als diese von ihren Emotionen überwältigt werden. Durch Nachfragen fordert er sie auf, die Augenblicke der Vergangenheit noch einmal zu durchleben, etwa den Moment als sie die Todesnachricht erhielten.

„Die Familie“ erzählt von den Menschen, die die Berliner Mauer auch ein Vierteljahrhundert nach ihrem Fall nicht loslässt. Die Geschichte dieses Bauwerks auf sein plötzliches Ende zu verkürzen, genau davor bewahrt der Film.

https://zeitgeschichte-online.de/node/26414
Interessierter
 

Re: Die Berliner Mauer ist nun genauso lang weg, wie sie stand.

Beitragvon Interessierter » 1. Dezember 2020, 11:07

Abriss Berliner Grenzanlagen 1990: Mauer nicht von Dauer

Franz John ist 1990 in Eile. Er will ein Bauwerk dokumentieren, das gerade zu Schotter zermahlen wird. Von der Berliner Mauer blieb kaum etwas übrig.


Im März 1990 stapeln sich die Betonstücke in Berlin-Pankow. Kreuz und quer liegen die L-förmigen Blöcke aufeinander, als ob man keine richtige Lust mehr gehabt hätte, sie aneinanderzureihen. Die Fläche an der Brehmestraße ist einer von mehreren „Mauerfriedhöfen“ in Berlin. So werden die Orte genannt, an denen die Tausende Betonplatten lagern, die seit 1961 als Berliner Mauer West- und Ostberlin voneinander trennten. Zermahlen werden sie vom „Grünen Ungeheuer“, einem Schlagwalzenbrecher, der sich durch den Stahlbeton frisst. Anwohner berichten vom Staub zwischen den Zähnen, wenn sie beim Mittagessen ihre Fenster offen lassen. Aus dem Schotter werden die Autobahnen für die wiedervereinigte Republik.

Der 30-jährige Franz John springt von einem Block hinunter in das Betonlabyrinth und filmt mit seiner Videokamera die skurrile Landschaft. Brocken liegen auf dem Boden, Stahlknäuel stapeln sich neben einem ausgeschlachteten Trabi. Johns weiße Turnschuhe und sein olivgrünes Hemd sind für einen Kletterausflug ziemlich ungeeignet. Zwischen dem Klackern der S-Bahn-Schienen hört er ein leises Hämmern: Ein „Mauerspecht“ macht sich an den Resten zu schaffen, um ein kleines Stück Weltgeschichte mit nach Hause zu nehmen.

https://taz.de/Abriss-Berliner-Grenzanl ... /!5728741/


Ein längerer, interessanter, mit Fotos unterlegter Bericht.
Interessierter
 


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