Um des Lebens willen...

Bücher, die nicht in den Bereich politische Systeme oder Grenze gehören.

Um des Lebens willen...

Beitragvon Bogenschütze77 » 14. Juli 2016, 15:16

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Um des Lebens willen...

Von Bogenschütze77

„Über dem Regenbogen.“ Ein zartes Lied. Melodisch. Gedankenreich. Eines, das unter die Haut geht. Frühlingstag. Sonne. Balkon. Das Grün. Die Wärme. Sie – Tränen in den Augen. Bald kommt der ewige Abschied. Er nimmt sie in seine Arme. Sie tanzen im Wohnzimmer. Nach dem Frühstück. Ihr Kopf liegt fest an seiner Schulter. Er streicht ihr leicht mit den Fingern hinter den Ohren. Ganz fest halten sie sich. Das Schöne und Liebe ist bei beiden zu Hause. Seit über einem halben Jahrhundert.

Was gibt es Wichtigeres als das einzigartige Leben? Mit all diesen Hoffnungen und auch Enttäuschungen? Mit all den Mühen und auch dem Spaß? Manchmal ist es zu viel des „Guten“. Gewalt, Korruption, Kriegsgefahr, Trauerspiel in Europa, nicht verfügbare Visionen, Resignation, Zerfallsprozesse, Theater und Filme, die oft genug nur Banales bieten, Talkrunden, die nur Symptome aufzählen. Inhaltsloses als Denkvorgabe. Was Wunder, dann droht Acedia: Gleichgültigkeit. Überdruss. Denkfaulheit. Trägheit des Herzens. Innere Leere. Langeweile. Ignoranz. Trostlosigkeit. Wer dem unterliegt, hat es schwer. Zukunft sieht dann anders aus. Dann droht Einsamkeit. Dann bist du ausgestoßen. Dann spürst du dein Alleinsein doppelt stark, abgehängt worden zu sein. Angewiesen auf Almosen, weil du ein außen vor bist, ein Arbeitsloser?  Und dann heißt es noch, du bist selber Schuld an deinem „Missgeschick“. Und so tappst du ohnmächtig in die Falle der Selbstverschuldung, suchst nach Auswegen in dir selbst, gerätst immer tiefer in die Sackgasse der eigenen Ohnmacht, während sich der Staat aus sozialen Problemen immer mehr heraushält. Begehrst du aber auf, dann ist das dein gutes recht. Nur – das juckt niemanden. Dein Zorn verpufft wie der Schrei einer Nachteule.

Das Dilemma steckt tief, sehr tief. Neuerdings nämlich geht die Sonne im Westen auf. Neuerdings! Morgenröte aus Richtung Abendland? Gegen alle Naturgesetze? Wer denkt sich so etwas aus? Hirnis? Denkt doch endlich mal nach: Wenn das den Profit der größten Heiligen Kühe steigern würde - sie würden die Sonne tatsächlich ab sofort am westlichen Horizont aufgehen lassen. Und die Abendsonne ginge im Osten unter. Wie alles, was Osten ist auch unterzugehen hat. Dafür zahle es sich gehörig aus, allein der Tourismus würde profitieren. Aber das Geht nicht. Naturgesetze kann man nicht überlisten. Aber in der nur marktorientierten Gesellschaft geht das? Und wie das geht! Man braucht nur artig manipulieren, den Leuten glauben machen, alles hänge nur vom Wollen der Menschen ab – und zunehmend wieder vom Willen Gottes. So schafft sich die Heilige Kuh eine auf dem Kopf stehende Welt, ihren Freiraum für das Durchpeitschen ihres gewinnbringenden Futters, für jeglichen Widersinn, für jede Lüge und jeden Krieg.

Unter dem Deckmantel der Wiedervereinigung streckte die Heilige Kuh ihre staatlichen und parteigebundenen Stellvertreter aus, um neue Weideflächen zu besetzen. Und da viele jubelten, nahm sie den einstigen gemeinschaftlichen Besitzern Grund und Boden weg und verhieß angesichts der nunmehr im Westen aufgehenden Sonne „Blühende Landschaften“. Ihren Siegeszug bemäntelte sie mit den großen Worten „Freiheit und Demokratie“. Im Namen dieser seit der Französischen Revolution aufgekommenen Losung kam man nach der Konterrevolution auf die glorreiche Idee, von nun an allen und jedem zu gestatten, seine Innereien vor dem Volk auszuschütten, so dass man glauben sollte, die persönliche Freiheit sei das A und O jeglichen Wohlbefindens, darin stecke der Sinn menschlichen Daseins. Im Namen von Freiheit und Demokratie werden sämtliche Demos gegen Machtwillkür gestattet, um im nächsten Moment unter der gleichen Losung der Verteidigung des Abendlandes  die Teilnehmer von TIPP-Demos – so in Berlin mit 250.000 und in Hannover mit 90.000 – zu diffamieren und gar in die rechte Ecke zu stellen.

Unterstreichen möchte der Autor auch die Feststellung der zwei Zeitzeugen Armeegeneral a.D. Heinz Keßler und Generaloberst a.D. Fritz Streletz in ihrem Buch „Ohne die Mauer hätte es Krieg gegeben“ auf Seite 169: Mit 1989 sei „zugleich der Versuch einer antikapitalistischen Alternative in Deutschland aus der Welt, die DDR war Geschichte. Aber mit ihr keineswegs die Vorstellung von einer anderen als der kapitalistischen Welt. Denn mit diesem Staat DDR ist ja nicht die Idee untergegangen, sondern ein bestimmtes Modell, dass den dauerhaften Angriffen des Imperialismus erlag.“ Sofern sich die deutsche Arbeiterklasse ihrer Erfahrungen bewusst wird und sich diese nicht ausreden lässt, habe sie jedoch noch eine Perspektive.

Worum geht es? Interessanterweise veröffentlichte die „linkeZeitung“ am 16.042016 unter der Überschrift „Der Dritte Weltkrieg hat begonnen. Wacht endlich auf!“ folgenden Text, hier im Ausschnitt: „(…) In der vorherigen Generation entstand eine postmoderne Strömung, die jetzt als "Identitätsstiftung" bezeichnet wird; sie hindert liberal gesinnte intelligente Menschen daran, die Entwicklungen und Personen zu hinterfragen, die sie unterstützenswert finden. Deshalb erhielten und erhalten Bauernfänger wie Obama und Frau Clinton oder angeblich progressive Bewegungen wie Syriza in Griechenland so viel Zulauf, obwohl sie die Leute betrügen und eine menschenfeindliche Politik betreiben. Die Beschränkung auf die eigene Person und der Rückzug ins Privatleben haben viel zu lange den Zeitgeist in privilegierten westlichen Gesellschaften geprägt und die großen kollektiven Bewegungen gegen Krieg, soziale Ungerechtigkeit, Ungleichheit, Rassismus und Sexismus eingeschläfert. Dieser Schlaf scheint jetzt zu Ende zu gehen. Die Jungend wird langsam wieder wach. Jeremy Corbyn, der neue Chef der Labour Party in Großbritannien, wird von Tausenden junger Menschen unterstützt – auch Senator Bernie Sanders in den USA. (Die neuen Hoffnungsträger werden aber vermutlich auch nichts ändern.) (...)“

Ein zentnerschwerer Stein fällt dem Autor von den Schultern, als er sich als Blogger im Internet bestätigt fühlt. Nicht allein durch Dankesworte von Autoren und Zustimmung von Usern, sondern aus einem ganz plausiblen ökonomisch unabhängigem Grund. So schrieb Mirna Funk  folgende Zeilen: „Es gibt überhaupt keine Unterschiede mehr. Ich muss sogar sagen, dass ich die besten, klügsten, durchdachtesten und reflektiertesten Rezensionen auf Blogs gelesen habe. Das liegt natürlich daran, dass ein Blogger mehr Zeit hat, ein Buch auch wirklich durchzuarbeiten. Journalisten nehmen vielleicht Rezensionsaufträge an, weil sie dafür bezahlt werden, oder sie bieten es einer Zeitung an, weil sie wissen, dass sie den Text verkaufen können.“
 (entommen: http://www.literaturkritik.de/public/re ... ez_id=2190  1)

Wieder im Zusammenhang denken lernen – das scheint das Gebot der Stunde in unserem so verrückten Zeitalter. So konnte ich in den „Nachdenkseiten“ folgende Klarsicht finden: „Die schleichende Revolution – Wie der Neoliberalismus die Demokratie zerstört. Der Neoliberalismus bestimmt spätestens seit dem Ende des Kalten Krieges alle Gesellschaften der westlichen Welt. Aber was ist Neoliberalismus? Die amerikanische Politikwissenschaftlerin Wendy Brown glaubt, dass Neoliberalismus mehr ist als eine Wirtschaftspolitik, eine Ideologie oder eine Neuordnung des Verhältnisses von Staat und Wirtschaft. Vielmehr handelt es sich ihrer Ansicht nach um eine Neuordnung des gesamten Denkens, die alle Bereiche des Lebens sowie den Menschen selbst einem ökonomischen Bild entsprechend verändert – mit fatalen Folgen für die Demokratie. Alle Sphären der Existenz werden im Neoliberalismus wirtschaftlichen Gesichtspunkten unterworfen und diesen entsprechend vermessen: die Politik, das Recht, die Kultur, die Bildung, die Familie, die Geschlechterrollen. Das alte europäische Ideal des homo politicus, der sich für das Gemeinwesen engagiert, wird ersetzt durch das des homo oeconomicus, der sich als Humankapital verstehen und seine Wettbewerbsfähigkeit verbessern soll. Damit wird das Volk als Zusammenschluss der Bürger und Grundlage der Demokratie abgeschafft und in der Konsequenz diese selbst. Trotz aller Wirtschafts- und Finanzkrisen setzt sich diese schleichende neoliberale Aushöhlung unserer Gesellschaften scheinbar unaufhaltsam fort (...)“.

Rette sich wer kann in diesem System? Das werden wohl nur wenige verstehen oder gar wahrnehmen. Obwohl - dazu gibt es zahlreiche Abhandlungen. Der Rezensent – und nicht nur er - kann ein Lied davon singen. Aber wer liest solch schwere Literatur, zumal sie oft genug systemkritisch daherkommt. Der Autor ist überfragt, darauf auch nur annähernd eingehen zu können. Der Leser, so er interessiert genug ist, wird also mit ihm in Äußerungen von Autoren, Publizisten, Politikern und Usern blättern, um sich diesem oft totgeschwiegenen Thema zu nähern. Mögen die Gedankensplitter, dieser bunte Kessel an streitbaren Texten, zu weiterem Nachdenken anregen, zur mentalen Flucht aus mitunter vorgegebener geistiger Enge, verbunden mit Fragen nach dem eigenen Tun.

Textauszug aus:

Harry Popow: "DÄMMERZEIT. EIN KESSEL STREITLUST", epubli-Verlag. Taschenbuch, Format DIN A5, 204 Seiten, ISBN: 978-3-7375-3822-0, Preis: 11,99 Euro, zu bestellen:
http://www.epubli.de/shop/buch/D%C3%84M ... 8220/52205

Telefon: 030/ 617 890 200
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Re: Um des Lebens willen...

Beitragvon augenzeuge » 14. Juli 2016, 16:03

Bogenschütze77 hat geschrieben: Unterstreichen möchte der Autor auch die Feststellung der zwei Zeitzeugen Armeegeneral a.D. Heinz Keßler und Generaloberst a.D. Fritz Streletz in ihrem Buch „Ohne die Mauer hätte es Krieg gegeben“.......
Denn mit diesem Staat DDR ist ja nicht die Idee untergegangen, sondern ein bestimmtes Modell, dass den dauerhaften Angriffen des Imperialismus erlag.“ Sofern sich die deutsche Arbeiterklasse ihrer Erfahrungen bewusst wird und sich diese nicht ausreden lässt, habe sie jedoch noch eine Perspektive.


Was für ein schöner Unsinn. [flash] Aber solange man das glaubt, solange wirds auch nichts mit ner neuen Perspektive. Die DDR erlag nicht, weil sie ständig vom Imperialismus angegriffen wurde, sie erlag, weil sie nie auf einer ehrlichen Mehrheit entstand, weil sie nie dem Volk vertraute, sondern in ihm einen Feind sah, den man mit den perfidesten Mitteln überwachen und einsperren oder wenn er nicht zu überzeugen war, liquidieren musste. Und damit man das selbst glaubte, schrieb man es in km langen Akten auch noch auf. Wie krank ist das denn?

Diese Gesellschaft schaffte es nicht einmal, die in ihr geborenen Menschen, welche sie in ihrer Sichtweise erziehen konnte, von ihrem Tun zu überzeugen. Sie waren die Ersten, welche sie zerstörten. Weil die Lüge nie ewig hält. Es war kein Imperialismus! Es war das eigene Tun der Führung und ihres "Schwertes", die eigene Unfähigkeit zu erkennen und Konsequenzen zu ziehen, die Angst vor zu viel Vertrauen in die eigene Gesellschaft, welches der Arbeiterklasse alle Perspektiven und Ideen einer besseren Gesellschaft beraubte. Solange man nicht einmal nach fast 30 Jahren erkennt, dass man es selbst und nicht der Angriff des Imperialismus war, der der DDR ein Ende setzte, solange wirds nix. Bogenschütze, gibts darüber denn kein Buch? Muss ich das erst selbst schreiben? [hallo]

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Re: Um des Lebens willen...

Beitragvon Bogenschütze77 » 14. Juli 2016, 17:17

augenzeuge hat insofern recht, dass der Druck durch das westliche Kapital natürlich nicht die einzige Ursache war, allerdings ein sehr entscheidender Umstand, der sehr oft einfach verschwiegen wird. Aber mir geht es nicht so sehr um Ursachenforschung eines hinter uns liegenden Untergangs, sondern um die grausame Ahnung eines bereits voraus eilenden Schattens, eines Dacapo von Großmachtgelüsten und der wiederholten Unfähigkeit, diesem kriegerischen Treiben Einhalt zu gebieten. In Zusammenhängen denken, das ist die Frage... Gruß von Bogenschütze77
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