Ziemlich viele Einzelfälle - Aiko Kempen und Dirk Laabs zeigen, welche Strukturen rechtsextreme und rassistische Vorfälle bei Bundeswehr und Polizei ermöglichen.
Zwei jüngst erschienene Bücher leuchten diesen Komplex aus. Aiko Kempen befasst sich in "Auf dem rechten Weg" mit der deutschen Polizei, Dirk Laabs legt in "Staatsfeinde in Uniform" einen Schwerpunkt auf die Bundeswehr und insbesondere das Kommando Spezialkräfte (KSK).
Auch Aiko Kempen fragt nach rechtsterroristischen Ansätzen in der deutschen Polizei, seine Rechercheergebnisse sind ebenso alarmierend. Wo Laabs in den Geheimdiensten eine mögliche Nähe, zumindest aber fehlende Abgrenzung zu Rechtsextremisten sieht, sucht Kempen die Gründe in Polizeiausbildung, Alltag, und Führungskultur, sowie Umgang mit Fehlern. Die sogenannten Einzelfälle ziehen sich auch durch sein Buch. Abgesetzt, stenografisch und ohne Kontext werden rechtsextreme Äußerungen und rassistische Übergriffe von Polizisten aus den vergangenen Jahren dokumentiert. Das stört zwar den Lesefluss, die Sammlung macht aber deutlich: Es gibt viel zu viele davon.
Aiko Kempen thematisiert allerdings auch die Schwierigkeiten, den Gegenstand tatsächlich empirisch zu fassen. Wie groß das Problem von Rassismus und Rechtsextremismus in der deutschen Polizei ist, bleibt demnach bis heute unklar. Zu groß ist das Dunkelfeld, zu ungenügend sind die Lagebilder, auch weil die Behörden wissenschaftliche Studien verweigern oder verwässern, wie etwa Bundesinnenminister Horst Seehofer im vergangenen Jahr. Weil grundlegende Kritik geradezu reflexhaft abgewehrt und unabhängige Forschung als Generalverdacht gegen die Polizei diskreditiert wird.
So hat man sich auch nach den neuesten Fällen mit der Zählung von rechtsextremistischen Verdachtsfällen in den Sicherheitsbehörden zufriedengegeben. Dabei geht es Aiko Kempen in seinem Buch gerade nicht nur um hartgesottene Rechtsextremisten oder Sympathisanten, sondern vielmehr um unbemerkte, oft ungewollte rassistische Praktiken und internalisierte Vorurteile, die in der deutschen Gesellschaft vorhanden sind, sich aber unter Polizisten besonders ausprägen können. Auch weil die Polizei selbst meist noch darüber entscheidet, ob das Fehlverhalten eines Polizisten als rechtsextrem oder rassistisch eingestuft und entsprechend gemeldet und geahndet wird.
Kempen gelingt eine Annäherung an das Dunkelfeld. Besonders interessant wird das Buch da, wo er erklärt, wie der Polizeialltag Beamte zu Rassisten machen kann. Es gebe Kollegen, die sich im Dienst radikalisieren, wird ein Polizist von Kempen zitiert. Polizistinnen und Polizisten erleben in ihrer Arbeit alltäglich einen sehr ungünstigen Ausschnitt der Bevölkerung unter anderem mit Migrationshintergrund. Daraus wird "polizeiliches Erfahrungswissen", das ganz selbstverständlich immer wieder angewendet und schließlich zu "Racial Profiling" wird; eine gerichtlich untersagte, aber weiterhin gängige Polizeipraxis.
Der Attentäter von Halle - nur ein "Idiot"?
Dass Polizistinnen und Polizisten diese Handlungen oft selbst nicht als rassistisch erkennen oder hinterfragen, verwundert nicht: Kempen hat abwertende Zuschreibungen in Ausbildungsmaterialien gefunden, etwa einen Leitfaden "Türken und Araber verstehen und vernehmen", in dem die Rede von "stark gestikulierenden" Beschuldigten ist, oder polizeiinterne Formulare, auf denen Tatverdächtige bis vor wenigen Jahren noch ganz selbstverständlich als "Zigeuner" vermerkt wurden. Mitgliederzeitschriften von Polizeigewerkschaften, in denen der Feind der Polizei klar links steht. Und interne Chats, in denen Polizeibeamte den antisemitischen Attentäter von Halle als "Idiot" und Neonazis als mögliche Verbündete im Kampf gegen "linke Zecken" beschreiben.
Die Polizei sei eben immer noch kein Spiegelbild der Gesellschaft, so Kempen: Es fehlen Frauen und Migranten in Uniform, stattdessen zieht die Polizei eher autoritäre Charaktere an. Auch weil sich angehende Polizisten bereits mit Beginn der Ausbildung in eine abgeschottete "Polizeifamilie" hineinbegeben, die ein hohes Identifikationspotenzial hat und durch den Schichtdienst schnell zur einzigen Bezugsgruppe der Anwärter werden kann. Der Zusammenhalt, der in Einsätzen wichtig ist, hat einen hohen Preis: ein strategisches Nichtwissen, Nicht-Anzeigen der Kollegen, das zusammenschmiedet - aber Repressalien für diejenigen bedeutet, die diese "Omertà" brechen. Auch deswegen zitiert der Autor, der zahlreiche Gespräche mit aktiven und ehemaligen Polizisten geführt hat, fast ausschließlich unter Wahrung absoluter Anonymität.
https://www.sueddeutsche.de/politik/bue ... -1.5369368
ca. 240 Seiten
gebunden mit Schutzumschlag
13,5 × 21,5 cm
1. Auflage, 2021
20,00 € (D) / 20,60 € (A) inkl. MwSt.
ISBN 978-3-95890-350-0