Rechtsrock finanziert die Szene

Bücher, die nicht in den Bereich politische Systeme oder Grenze gehören.

Rechtsrock finanziert die Szene

Beitragvon Interessierter » 21. Mai 2021, 15:08

Musikalisch hat sich die extreme Rechte in den letzten Jahren vergleichsweise stark ausdifferenziert: Doch egal, wie viele Rechtsextreme versuchen, Jugendliche über Rap anzusprechen, das Zugpferd der Szene bleibt Rechtsrock. Warum, erklärt das neue Buch von Timo Büchner.

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Musikalisch hat sich die extreme Rechte in den letzten Jahren vergleichsweise stark ausdifferenziert: Mit Komplott, MaKss Damage und Chris Ares konnte die Szene nun auch mit Rappern aufwarten, letzterer schaffte es vor seinem (kurzzeitigen) Rückzug aus dem Musikgeschäft sogar in die Streaming-Charts von Amazon und iTunes.

Dass es sich hierbei allerdings dennoch um große Ausnahmen in der rechtsextremen Musiklandschaft handelt, verdeutlicht Timo Büchners neues Buch „Rechtsrock. Business, Ideologie & militante Netzwerke“. In diesem Buch zeigt er kompakt, dass sich Neonazis und deren terroristische Netzwerke seit Jahrzehnten und bis heute maßgeblich über Musikveranstaltungen und das Genre „Rechtsrock“ organisieren und finanzieren.

Dass Privatpersonen und Politiker*innen, die sich gegen Neonazis positionieren, von diesen angefeindet und nicht selten mit dem Tod bedroht werden, ist leider nicht wirklich neu. Davon kann Katharina König-Preuß, die für DIE LINKE im Thüringer Landtag sitzt und für ihr Engagement gegen Rechtsextremismus bekannt ist, gewissermaßen gleich zwei Lieder singen: Die Neonazi-Band „Erschießungskommando“ drohte der Politikerin in gleich zwei Songs (erstmals 2016) mit ihrer brutalen Ermordung. Vor etwa einem halben Jahr stellten Journalist*innen in einem Beitrag des „Funk“-Reportageformats „STRG F“ fest, dass es beim Hauptverdächtigen und mutmaßlichem Sänger von „Erschießungskommando“ Kevin G. zwar Hausdurchsuchungen gab, weitere Konsequenzen aber bisher ausblieben. Die Bedrohungslage für König-Preuß hat sich dadurch nicht signifikant geändert. Welche Konsequenzen es hat, wenn der Staat Neonazis gewähren lässt, zeigt der Mord an dem CDU-Politiker Walter Lübcke durch einen militanten Neonazi im Juni 2019. Letztere sind also durchaus bereit und fähig, entsprechende Drohung in die Tat umzusetzen.

Bis heute, und diesen Umstand betont Timo Büchner in seinem jüngst erschienenen Buch „Rechtsrock. Business, Ideologie & militante Netzwerke“ immer wieder, spielt Musik eine zentrale, identitätsstiftende und vor allem finanzielle Rolle für militante Neonazi-Netzwerke. Auch wenn sich Erscheinungsformen, Akteur*innen, Codes, Kleidung und viele andere Merkmale der rechtsextremen Szene(n) in den letzten Jahrzehnten mehrmals einen Wandel erfahren haben, ist Rechtsrock noch immer ein fester Bestandteil rechtsextremer Kultur. Hier verweist Büchner auf die historische Tradition nationalsozialistischen Liedgutes, dessen Ideologie sich bis heute in rechtsextremen Liedtexten findet – sei es Rassismus, die Vorstellung einer „jüdischen Weltverschwörung“ oder der positive Bezug auf die deutsche „Volksgemeinschaft“, wie sie im „Dritten Reich“ beschworen wurde.

Zwar gibt es Büchner zufolge verschiedene Genres, welche von Neonazis seit Jahrzehnten vereinnahmt werden. Eine zentrale Rolle nimmt hierbei allerdings weiter der Rechtsrock ein. Begründer dieser Richtung ist der britische Neonazi Ian Stuart Donaldson, der mit seiner Band „Skrewdriver“ ein ganzes Genre prägte und nach seinem Unfalltod 1993 bis heute kultartig verehrt wird. Analog zum Genre schuf Donaldson mit „Blood & Honour“ ein transnationales rechtsextremes Netzwerk – zunächst für Neonazi-Bands, welches sich später mit seinem bewaffneten Arm „Combat 18“ (C18, deutsch: Kampftruppe Adolf Hitler) zum gefährlichen Terrornetzwerk entwickelte. Ihre Anhänger sehnen einen „Rassenkrieg“ herbei, in dem sie mit ihren Gegner*innen abrechnen (sprich: töten) – auf diesen „Tag X“ bereiten sich zahlreiche militante Neonazis mit Kampftrainings und Waffenverstecken vor. Erst 20 Jahre nach dem Verbot von „Blood & Honour“ in Deutschland im Jahr 2000 konnte sich das Innenministerium dazu durchringen, auch C18 zu verbieten. Am Beispiel deutscher Bands wie Erschießungskommando und Landser verdeutlicht Büchner, wie eng die Verzahnung von Terror, Gewalt und Musik in der rechtsextremen Szene ist. Nicht zuletzt deshalb, aber auch wegen der massiv gewaltverherrlichenden und hasserfüllten Texte, sind viele Tonträger von der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien (BPjM, seit April 2021 Bundeszentrale für Kinder- und Jugendmedienschutz) indiziert und damit nicht frei verkäuflich. Dieser Umstand macht ein konspiratives Distributions- und Organisationsnetzwerk vonnöten, gleiches gilt für Rechtsrock-Konzerte. Journalist*innen wie Thomas Kuban, die solche Veranstaltungen inkognito auf Video festhalten, riskieren mit dieser wichtigen Recherchearbeit ihr Leben.

Die eigentliche Zielgruppe für Rechtsrock sind zwar weniger Jugendliche und junge Erwachsene – die meisten Neonazis, die mit Rechtsrock sozialisiert wurden, sind mittlerweile 40 Jahre oder älter, haben Familien gegründet, gehen einem Beruf nach und führen (zumindest formal und auf den ersten Blick) ein bürgerliches Leben. Sie sind allerdings diejenigen, die durch den Kauf von Tonträgern und Merchandise einschlägiger Bands sowie Konzerttickets rechtsextreme Strukturen finanzieren. So gelang es Neonazis schon öfter, Konzerte als politische Veranstaltung und damit eigentlich nicht-kommerzielle Veranstaltung anzumelden – was sie aber nicht davon abhielt, dennoch offen Eintrittsgelder zu erheben.

Büchner betont, dass die Erlöse aus diesen Geschäften oftmals direkt in die politische Arbeit der Neonazis fließen – seien es nun Miete für Veranstaltungsorte, Anwaltskosten oder gar der Kauf von Waffen. Die Covid-19-Pandemie lässt diese Einnahmequelle zwar derzeit weitgehend versiegen – eine geringere Gefahr lässt sich daraus allerdings nicht unbedingt ableiten. Dies zum Anlass nehmend gibt Büchner am Ende seines Buches praktische Tipps und Perspektiven für all jene, die mit Neonazis und ihrer menschenverachtenden Musik konfrontiert sind. Diese Handlungsempfehlungen sowie die kompakte Zusammenfassung dieses überaus umfangreichen Themas macht Büchners Buch zur perfekten Einstiegslektüre in puncto Rechtsrock.

Timo Büchner:
Rechtsrock. Business, Ideologie & militante Netzwerke.
Münster 2021.
Unrast Verlag
84 Seiten
7,80 Euro

https://www.unrast-verlag.de/neuerschei ... ock-detail


https://www.belltower.news/rezension-re ... ne-115723/
Interessierter
 

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