Das marktgetreue Grinsen

Bücher, die nicht in den Bereich politische Systeme oder Grenze gehören.

Das marktgetreue Grinsen

Beitragvon Bogenschütze77 » 11. November 2017, 17:44

Ullrich Mies, Jens Wernicke (Hg.): Fassadendemokratie und tiefer Staat. Auf dem Weg in ein autoritäres Zeitalter

Das marktgetreue Grinsen

Buchtipp von Bogenschütze77

Was denn? Das Volk sei unfähig, Politisches zu durchschauen oder gar mitzuregieren? Liest man dies im Buch „Fassadendemokratie“, dann ist man baff erstaunt, wie die politische Gehilfin der ökonomischen Macht – zum Beispiel kurz vor der Bundestagswahl in der Wahlarena stehend - die ausgesuchten Diskutierer geradezu vereinnahmend angrinste, weiß sie doch diese nicht nur als Wähler, sondern vor allem auch als politische und ökonomische Konsumenten zu schätzen. Die Rede ist von dem soeben erschienenen, politisch schwergewichtigen Buch mit dem Titel „Fassadendemokratie und tiefer Staat. Auf dem Weg in ein autoritäres Zeitalter“ - herausgegeben von Ullrich Mies und Jens Wernicke. Auf 272 Seiten lassen insgesamt 17 Autoren aus verschiedenen Blickwinkeln die Leser hinter die Kulissen des nach dem Zusammenbruch des Sozialismus sich erneut austobenden multinationalen Oligarchenkomplexes schauen, das sich aller Mittel des Klassenkampfes, des Finanzsystems sowie der Geheimdienste und des global operierenden Militärs bediene. (S. 11)

Bevor wir auf die Methoden, Tricks, Täuschungen und Lügen zu sprechen kommen, die die Hasen zum Laufen bringen, erhellen die Autoren im besagten Buch die Hintergründe einer den Wünschen und Sehnsüchten des Volkes entgegen gesetzten Politik unter dem Deckmantel der Demokratie. 

Die Angst regiert das Agieren

Die Angst geht um unter den Kapitaleliten: Nicht nur seit der Oktoberrevolution, auch nach dem Zweiten Weltkrieg. Bereits 1947 meinte Trumans Chefideologe George Kennan, Moskau müsse man wirtschaftlich und militärisch in den Ruin treiben. (S. 250) Erst recht nach 1989: Es ist erwiesen, dass die USA mit Bush an der Spitze davon ausgingen, nun sei mit dem Zusammenbruch des real existierenden Sozialismus das Ende der Geschichte gekommen. Nun herrsche mit den USA als Hegemon eine allgemeine Ausgeglichenheit unter den gleichartigen Mächten, nur diejenigen, die diesen Burgfrieden stören und mit dem Marktgetriebe nicht mithalten können, seien aus der Schusslinie zu nehmen, sie seien eben Schurkenstaaten. Seit der neoliberalen Ideologie der NEUEN-WELTMACHT-ORDNUNG sei der Wohlstand für alle ausgebrochen. Man spreche deshalb vom ewigen Frieden, von Klassenharmonie, vom Ausgleich der Interessen zwischen OBEN und UNTEN. In einem Dokument, das vom stellvertretenden Verteidigungsminister Paul Wolfowitz unter Rumsfeld vorbereitet wurde, sei es das wichtigste Ziel zu verhindern, „dass ein neuer Rivale entsteht“. (S.34) Der US-Politikwissenschaftler Francis Fukuyama stellte fest, die traditionelle Gegnerschaft der Linken zum Kapitalismus und Imperialismus sei aufgelöst und der Weg zu einer Welt ohne Krieg sei frei. (S. 206) Es gäbe keine „weltpolitischen oder ideologischen Widersprüche mehr, Demokratien würden untereinander keine Kriege mehr führen, Waffengewalt würden nur gegen die Störer der Neuen Weltordnung nötig sein. Es gäbe keine ideelle Alternative zur neoliberalen Marktwirtschaft und der marktkonformen Demokratie. Man befände sich in einer Neuen Weltordnung, soziale Ungleichheiten würden „durch das Wirtschaftswachstum und über das Vehikel der neoliberalen Globalisierung der Finanz- und Waren Märkte überwunden werden“. (S. 207) 

Diese unglaubliche, aber im Interesse der Kapitalmächte durchaus verständliche Verkehrung der Realitäten – wie geistesverwandt doch mit der Bundeskanzlerin Merkel, lässt die gesamte Propaganda der westlichen Wertegemeinschaft in einem glasklaren Licht erscheinen: Es gibt keine Ausflucht aus dem Widerspruch zwischen gesellschaftlicher Produktion und privater Aneignung. Wer daran rüttelt, ist ein Störer, ein Gefährder.

Die Tricks der Superreichen

Wer kennt sie nicht, diese Schlagwörter, die dazu dienen, den Kapitalismus zu erhalten, ihn in anderen Ländern zu installieren, Deregulierungen und Privatisierungen durchzusetzen: Demokratie, Menschenrechte, Wohlstand, Recht und Freiheit. (S. 37) Propaganda im Interesse der Elite habe viele Gesichter. So auf Seite 238: Sozialtransferempfänger seien Schmarotzer, Arme seien selber schuld, das Morden im Kriegsfall wird als Kollateralschaden bezeichnet, Krieg durch das Wort Friedenserzwingung ersetzt. Auf Seite S.53 lesen wir: Man verspreche sozialstaatliche Verbesserungen und erhalte die Hinnahme kapitalistischer Produktionsverhältnisse. (Klassenkompromiss.) S. 56/57: Umwandlung von Demokratie in Anpassung. Entlastung des Staates von Beiträgen zu Gemeinschaftsaufgaben u.a. durch Steuergesetzgebung unter dem Deckmantel wie „Strukturreformen“ oder „Bürokratieabbau“. S. 65: Die Märkte als das alternativlose Heilversprechen. Seine dienstbereiten Gehilfen: Anwaltskanzleien, Beraterfirmen, Think Tanks, Politiker, Sonderpolizeien, Paramilitärs, Geheimdienst, Militär, NATO, Public-Relations. Mittel der Macht: Manipulation, Fake-News, Lügen, Indoktrination. S. 71: Die Sicherung der Herrschaft des Kapitals: Bankenmacht, so z.B. FED, Wall-Street, IMF, Weltbank, WTO, EU, BIZ, EZB, Bilderberger Konferenzen, Münchener Sicherheitskonferenz, Stiftungen, Freihandelsabkommen. Ziel: Sicherung des Privatvermögens. S. 81: Die Schulen werden mit Management-Instrumenten geführt statt nach pädagogischen Kriterien. Statt geistige Selbstständigkeit Anpassung. Jedoch „Auf den Faktor Mensch, der den sterbenden Patienten streichelt, kann man dennoch nicht verzichten.“ Deshalb sprießen zur Unterstützung der ehrenamtlichen Arbeit in Deutschland Freiwilligenagenturen aus dem Boden, ebenfalls in Personalunion mit Vertretern von Regierungen. (S. 152) Ein weiteres Problem, auf das viele hereinfallen: Die Vielfalt, sprich der Pluralismus, wird gepriesen „und nicht mehr die Gemeinsamkeit gegen das Kapital“. (S. 216)

Wie weiter, was tun?

Natürlich fühlt sich der Bürger in diesem Staat nicht eingesperrt. Aber wenn man die eingegrenzte politische Sicht der im Wahlkampf stehenden Leute – sprich Politiker – sieht, mit Ausnahmen, dann macht man sich schon Gedanken, wie weit sie überhaupt in der Lage sind, aus der eingeengten Kapitalherrschaft einen Ausweg zu sehen. Das scheitert weitgehend schon daran, dass mit Hilfe der Massenmedien kaum jemand etwas ahnt vom Tiefen Staat, vom „zunehmend totalitären Spätkapitalismus“. Dieser bediene sich „der Hülse der repräsentativen Demokratie nur noch, um die eigentlichen Zentren politischer Macht für die Öffentlichkeit unsichtbar zu machen“. Die Ruhigstellung der Öffentlichkeit sei beunruhigend. „Politische Veränderungsbedürfnisse der Bevölkerung können sich dadurch nicht mehr auf die Zentren der Macht richten, sondern nur noch auf Ablenkziele, womit sie politisch ins Leere laufen.“ (S. 61)

Wie dem also entgegenwirken? Bei dieser hohen Dichte an Substanz in diesem Buch über die Maskierung der Demokratie stellt sich die dringende aktuelle Frage, wie bei dieser außerordentlichen Kaltstellung und Verdummung der Bürger eine Umkehr zu erzwingen sei? Eine Kraft, die dem Kapital die Stirn bietet? Man denke dabei nicht nur an die zahlreichen kleinen oder großen Demonstrationen, an die Proteste gegen Miethaie, gegen Kriege und Aufrüstung...

Es gilt nach wie vor die Frage nach dem WAS TUN, um die Macht der Geldeliten zu brechen. Sicher, die Lösungsansätze der Autoren sind auch nur Gedanken und Anregungen zum Weiterdenken: „Die Menschen müssen lernen, sich aktiv einzumischen, über völlig neue politische Modelle und Systeme direkter und repräsentativer Demokratie nachzudenken, wenn sie Zukunft positiv gestalten wollen“, heißt es auf Seite 77. Mit jedem neuen jungen Menschen sei die Möglichkeit zu einer anderen, besseren Welt gegeben, so hofft ein anderer Autor auf Seite 94. Für die Abschaffung der kriminellen Machtkonzentration des Finanzsystems plädiert ein anderer Mitstreiter. Um den Desinformationen zu entkommen sollte man „auf die eigene Erfahrung und den eigenen Kopf setzen“, so ein nächster und vernünftiger Rat. Dabei möge man sich auch bei Alternativmedien informieren. (S. 244) Wie wärs, auch mal die mitunter sehr gesellschaftskritische Sachliteratur zu lesen, meint der Rezensent.

Der große Wert dieses kritischen Buches über die „Fassadendemokratie“ besteht in der durchgängigen Polemik gegen die Verdummung im Interesse des Kapitals. Es macht durch den scharfen Blick hinter die Kulissen der Macht das riesige Geflecht der Massenbeeinflussung in Richtung Anpassung an die Bedingungen des Marktes, und nur des Marktes, sichtbar. Es zeigt vor allem die ideologischen Hintergründe der Offensive gegenüber jeglichen Störern des Kapitalsystems. Im Ergebnis der angeblichen Vollendung der Geschichte und der Alternativlosigkeit des kapitalistischen Systems werden die Bürger, vor denen man riesige Angst hat, abgehalten, auch nur im Traum an grundlegenden Veränderungen zu denken. Hoch im Kurs stehen deshalb lediglich die Aufdeckung von Symptomen des Systems, denen man dann nur – je nach Bedarf - ein Pflästerchen aufzudrücken braucht, mehr Polizei, mehr Überwachung, paar Cent mehr für Pflegekräfte und, und, und... 

Fassadendemokratie und Tiefer Staat
Auf dem Weg in ein autoritäres Zeitalter

Herausgegeben von Ullrich Mies und Jens Wernicke
Mit Beiträgen von Jörg Becker, Daniele Ganser, Bernd Hamm, Hansgeorg Hermann, Hannes Hofbauer, Jochen Krautz, Mike Lofgren, Rainer Mausfeld, 
Ullrich Mies, Hermann Ploppa, Jürgen Rose, Werner Rügemer, Rainer Rupp, Andreas Wehr, Wolf Wetzel und Ernst Wolff
Promedia-Verlag Wien, 2017
Taschenbuch, 240 Seiten, 19,90 Euro

(Erstveröffentlichung dieses Buchtipps in der NRhZ)
Bogenschütze77
 
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Re: Das marktgetreue Grinsen

Beitragvon augenzeuge » 11. November 2017, 20:00

Ich überleg grad, welche Partei sich um dich kümmern könnte... [denken]
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Re: Das marktgetreue Grinsen

Beitragvon HPA » 11. November 2017, 22:54

Die Aluhütchen und Verschwörungsschwurbler sind nun auch in der linksextremen Ecke angekommen

Ullrich Mies: https://www.psiram.com/de/index.php/Ullrich_Mies
HPA
 

Re: Das marktgetreue Grinsen

Beitragvon augenzeuge » 11. November 2017, 22:57

HPA hat geschrieben:Ullrich Mies: https://www.psiram.com/de/index.php/Ullrich_Mies


Seit 1994 ist er selbstständig als Unternehmer tätig. Ein von Mies 1999 angemeldetes Patent (Haken für Vorhänge) wurde letztendlich abgelehnt.


[laugh]

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