Seit 1840 werden hier Bücher verkauft. Durchgehend. Helga Weyhe, Deutschlands älteste Buchhändlerin, verkauft hier seit 1945 Bücher. Doch nach 177 Jahren droht ihrem Laden das Aus.
Wer in Salzwedel im Nordwesten Sachsen-Anhalts die Buchhandlung Weyhe betritt, begibt sich auf eine Zeitreise. Denn die Innenausstattung – die kakaofarbenen vertäfelten Regale stammen aus dem Jahr 1880. Den Buchladen selbst gibt es seit 1840 durchgehend.
1871, zu Zeiten Bismarcks, kurz nach dem deutsch-französischen Krieg kauft Helga Weyhes Großvater den Buchladen.
Während sie erzählt, streicht Helga Weyhe mit ihren zarten Händen fast liebevoll über die Bücher. Die sie wie kleine Juwelen zart in den Fingern hält. Helga Weyhe ist eine elegante, zierliche Dame mit wachen Blick, weltoffenem Geist und klarem Kompass. Ihr Credo: Lesen weitet die Seele. Den Gehstock nimmt sie nur selten in die Hand.
Und: Die 95 Jahre sieht man ihr auch nicht an. Nur ein Tribut zollt sie dem Alter: Mittags braucht sie zwei Stunden Pause und schließt den Laden.
Die Ururgroßmutter von Helga Weyhe ist die Patentante von Jenny von Westphalen, der späteren Frau von Karl Marx. Ihr Onkel: Erhard Weyhe. 1914 ist er nach New York ausgewandert. Macht einen Kunstbuchladen auf, organisiert die erste Ausstellung von Matisse in New York. Als junges Mädchen träumt Helga Weyhe von der großen weiten Welt, will bei ihrem Onkel im Laden in Manhattan stehen und Bücher verkaufen.
"Also das hätte ich schon gerne gemacht. Aber erst waren die Braunen da, dann kam der Krieg, dann kamen die Roten. Dann war das auch nicht möglich. Aber wir haben in immer in Verbindung gestanden."
Erst 1985 – als Helga Weyhe schon Rentnerin war – wurde der Traum wahr. Und sie flog über Prag mit einer klapprigen Iljuschin-Maschine nach New York, um den Buchladen ihres da schon verstorbenen Onkels zu sehen. Helga Weyhe hängt den alten Geschichten nicht nach, sagt sie. Lediglich ein Straßenschild mit der Aufschrift "794, Lexington Ave", das an einem ihrer Regale hängt, zeugt von der alten Sehnsucht nach der großen weiten Welt.
Die Zukunft der Buchhandlung Weyhe steht in den Sternen, eine ganze Tradition vor dem Aus. Denn weil Helga Weyhe ihr Leben lang alleine blieb, gibt es auch keine Nachfahren. Nachfolger sind ebenfalls nicht in Sicht, bedauert Helga Weyhe.
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AZ