von Merkur » 28. April 2019, 17:40
So, habe das Buch gelesen und bin positiv beeindruckt. Einerseits nimmt Heinz Engelhardt auf der Basis seines Werdegangs im MfS ehrlich Stellung zur Sache und zu Personen, andererseits vermittelt er eine Reihe interessanter Fakten. Er schreibt auf der S. 24:
"Zunächst haben wir uns - als Mitglieder der SED und Angehörige des MfS - dafür zu entschuldigen, dass wir unkritisch und in falsch verstandener Parteidisziplin die fehlerhafte Sicherheitsdoktrin der Partei- und Staatsführung mittrugen und mit umsetzten." Und richtigerweise schreibt er auf der folgenden Seite:
"Doch wir sollten uns davor hüten, die Tätigkeit des Ministeriums für Staatssicherheit auf die Überwachung der eigenen Bürger zu reduzieren, wie es immer wieder geschieht." Bemerkenswert finde ich auch seine Ausführungen auf Seite 94 f. Dort schreibt der Autor:
"Wurde die Sicherheit des Landes von Langhaarigen in den 60er Jahren bedroht, den Gammlern und Hippies? Nein! Wäre die DDR an den Protesten von Umweltschützern zugrunde gegangen? Nein! Wäre die Friedensbewegung geschwächt worden, wenn man Kirchenleute überall demonstrativ Schwerter zu Pflugscharen hätte schmieden lassen? Nein! Die DDR wurde jedoch bedroht von wirtschaftlicher Sabotage, von Boykottmaßnahmen, durch zielgerichtete Abwerbung von Fachpersonal, von Wissenschaftlern und Medizinern, durch die systematische Schwächung ihrer ideologischen Grundlagen. Und die erfolgte nicht nur durch den Westen - sondern auch durch uns selbst. Die daraus abgeleiteten Maßnahmen des Organs bedrohten objektiv den inneren Frieden der DDR. Sie waren oft überzogen und unangemessen. Das Vertrauen der Bürger in ihren Staat ging dadurch verloren. Am Ende fühlten sie sich von den eigenen Schutz- und Sicherheitsorganen mehr bedroht als vom Klassenfeind, zu dem sie dann in Scharen überliefen."
Aufschlussreich sind auch Engelhardts Bemerkungen zum Fall Wolfgang Lötzsch. Neu für mich war, dass Lötzsch z.B. vom MfS Geld erhalten hat.
Interessant sich auch die Ausführungen des Autors in Sachen Kirche. Hier schreibt er auf S. 129:
"Da die Kirche auch den Umweltgruppen, die in der DDR keinen offiziellen Ansprechpartner fanden, ein Dach und eine Bühne bot, verstärkten sich unsere Aktivitäten in dieser Hinsicht. Zumal wir davon ausgingen, dass hinter diesen oppositionellen Gruppen auch gegnerische Dienste steckten, selbst wenn ihnen das nicht immer bewusst war. Das soll nicht heißen, dass Dorfpfarrer im Solde des BND oder der CIA standen."
Auch zum Fall Teske nimmt Engelhardt Stellung. Er schreibt auf S. 154:
"Dem ehemaligen Hauptmann der HV A wurden vollendete Spionage, versuchte Fahnenflucht und versuchter ungesetzlicher Grenzübertritt vorgeworfen - alles keine Straftatbestände, auf die in der DDR die Todesstrafe stand. Und trotzdem wurde Teske erschossen. Es war das letzte in der DDR vollstreckte Todesurteil. Dafür gibt es keine Entschuldigung, auch wenn man ins Kalkül zieht, dass Mielke nach der Flucht von Werner Stiller ein Exempel statuieren wollte.
Zur Überwachung der Bevölkerung macht der Autor auf S. 168 eine klare Aussage. Er schreibt:
"Der überwiegende Teil der Bevölkerung unseres Bezirkes war für uns aus nachrichtendienstlicher Sicht völlig uninteressant."
Zum Schutz der IM im Zuge der MfS-Auflösung schreibt Engelhardt auf der Seite 213:
"Doch wir haben alles darangesetzt, die Akten der wichtigsten Informanten zu vernichten, so dass sie später eine zweite Karriere starten konnten. Wir haben uns ihnen gegenüber fair verhalten und sie nicht dekonspiriert, weshalb der eine oder andere in der Landes- oder Bundespolitik Karriere machen konnte."
Abschließend noch die Sichtweise des Autors zur Übergabe von Quellen an den KGB. Hier schreibt er auf S. 260 f:
"Zum anderen drängten sie uns, ihnen wichtige Quellen zu übergeben. Ich erinnere mich noch an ein Gespräch mit Anatoli Nowikow, dem letzten KGB-Chef in der DDR am 5. Januar 1990 in seinem Büro in Berlin-Karlshorst. Er forderte mich indirekt auf, ihm wichtige IM zu übergeben. Das Gleiche tat mein Frankfurter Verbindungsoffizier Oberst Jurinow. Doch wir, die Verantwortlichen im AfNS hatten uns darauf geeinigt, keine Quellen an die Sowjetunion weiterzureichen. Und daran habe ich mich gehalten."
Selbstverständlich muss jeder seine individuelle Sicht bzw. Meinung haben und schreiben. Quelle: Augenzeuge.