Steht die Gerechtigkeit kopf?
Von Jens Eumann
jens.eumann@freiepresse.deEs mag sie geben, die Gentleman-Einbrecher, deren Finesse sogar manch rechtschaffenem Bürger Schmunzeln entlockt angesichts eines ausgefeilten Coups. Die Gang aus dem Berliner Remmo-Clan, die vor dreieinhalb Jahren aus dem Dresdner Schloss Sachsens Kronjuwelen stahl, gehört nicht dazu. Dafür sorgt gar nicht mal die grobschlächtige Brutalität, mit der die Täter dem Schloss, den Vitrinen und den als Beute ausersehenen kulturhistorischen Kunstgegenständen zu Leibe rückten. So sehr, dass die Diamanten nur so abplatzten.
Nein – es ist die Skrupellosigkeit der Remmos, die den Unterschied macht. Ihre Gleichgültigkeit gegenüber nicht nur Werten, sondern auch gegenüber Leib und Leben anderer. Dies zeigte sich am deutlichsten auf ihrer Flucht. Als sie ihren Audi in der Tiefgarage eines Wohngebiets anzündeten, fackelten sie umstehende Autos gleich mit ab. Rund 60 nahmen Schaden. Eine Frau, die die Garage betrat, floh in Panik, als ihr Explosionen entgegenschallten. Zwei Parterrebewohner erlitten im Schlafzimmer durch aufsteigenden Qualm eine Rauchgasvergiftung.
Millionen für uns! Wenn im Kollateralschaden jemand umkommt, pfeif drauf! Das schien die Logik der Remmos in der Nacht des 25. November 2019, als sie mit fast 4000 Diamanten besetzten historischen Schmuck im Versicherungswert von 116 Millionen Euro aus dem Grünen Gewölbe stahlen.
Dass Verteidiger im Plädoyer auf eine Haftverschonung für ihre Mandanten pochen, als gäbe es einen Rechtsanspruch darauf, mutet schon schräg an.
Vor diesem Hintergrund gibt es nur eine Frage, um die jetzt gefällten Urteile zu bewerten. Samt all dem Beiwerk im Rahmen der von Staatsanwaltschaft und Verteidigern verhandelten und vom Gericht mitgetragenen Verständigung, dem Deal. Die Frage ist, was wiegt schwerer? Das Zurückerlangen des Schmucks – oder zumindest eines Teils der Juwelen, selbst wenn mit der Epaulette auch der Sächsische Weiße, einer der wichtigsten Diamanten der Welt, nach wie vor fehlt. Oder wiegt nicht doch der Schaden für den Rechtsstaat schwerer, der entsteht, wenn das Vertrauen der Öffentlichkeit in ihn leidet? Das kann passieren, wenn juristische Deals dafür sorgen, dass eben nicht nur Strafen milder ausfallen, sondern der Eindruck entsteht, als könnten Straftäter ihr Strafmaß gewissermaßen selbst bestimmen, als stünde die Gerechtigkeit kopf. Dass sich Geständnisse strafmildernd auswirken, ist okay. Dass eine Teilwiedergutmachung Wirkung haben muss, auch. Dass Verteidiger im Plädoyer auf eine Haftverschonung für ihre Mandanten pochen, als gäbe es einen Rechtsanspruch darauf, mutet schon schräg an. Auch wenn es für Verteidiger Teil ihres Jobs ist, für Mandanten das Beste rauszuholen.
Wenn aber drei Täter trotz Verurteilung als freie Männer das Gericht verlassen dürfen, ist das nur schwer vermittelbar. „Vollzugsaussetzung des Haftbefehls“ heißt das im Juristendeutsch. In der Bedeutung ist das nicht zu Verwechseln mit einer Aufhebung des Haftbefehls. In ihrer unmittelbaren Wirkung schon. Soll heißen: Zwar müssen die drei Täter, die am Dienstag den Gerichtssaal noch in Ketten betraten, wohl auch ihre Reststrafe antreten, sobald das Urteil Rechtskraft hat. Doch am Dienstag kamen sie auf freien Fuß. Schwer verständlich bei Tätern, die sich zuvor lange durch Flucht der Festnahme widersetzten und bei anderen, die vorangegangene Bewährungszeiten nutzten, um munter weiter Straftaten zu begehen.
Freie Presse