Justizpannen in Sachsen - Der behäbige Herr TillichEin Terrorverdächtiger nimmt sich in Haft das Leben - für Sachsens Ministerpräsidenten kein Grund, in Hektik zu verfallen. Justizminister? Kann bleiben. Unfähiger Innenminister? Ebenso. Und Stanislaw Tillich? Hat die Ruhe weg.
Gestern war wieder einer jener Tage, an denen man als Einwohner von Sachsen gern seine Koffer gepackt hätte. Vor der heimischen Couch flimmerten die "Tagesthemen". Episch wurde der unfassbare Suizid des Terrorverdächtigen Jaber Albakr im sächsischen Strafvollzug abgearbeitet. Dann kam der Satz aus dem Off: Sachsens Ministerpräsident Stanislaw Tillich (CDU) habe seine Zusage zum Interview mit der ARD zurückgezogen.
Da war es wieder, dieses in Sachsen weitverbreitete Wegducken vor jeglicher Verantwortung. Der Freistaat Sachsen steht bundesweit wegen Polizei- und Justizpannen im Feuer und der Regierungschef bleibt seelenruhig in Berlin bei den Verhandlungen um den Länderfinanzausgleich sitzen.Diese Behäbigkeit kennzeichnet Tillichs gesamte Amtszeit. Seinen Innenminister Markus Ulbig (CDU) etwa schleppt er mit wahrer Nibelungentreue durch sein Kabinett. Der Mann war verantwortlich für die massenhafte Ausspähung von Handydaten am Rande von Demonstrationen und wurde dafür mit dem Big-Brother-Award bedacht. Er hielt die Aufarbeitung des NSU-Terrors durch einen Untersuchungsausschuss für unnötig. Er kündigte, kaum war Pegida in Dresden auf der Straße, eine Sondereinheit der Polizei an, die sich einzig um kriminelle Ausländer kümmern sollte. Ulbig wirkte bei den Ausschreitungen in Heidenau überfordert und fand bei späteren Übergriffen oft erst spät die richtigen Worte. Auch nach der Panne von Chemnitz hielt Tillich den Parteifreund im Amt. Aus seinem Umfeld heißt es lapidar, er finde in seiner Partei einfach keinen Ersatz.
Signale und Sätze, die in Sachsen schmerzlich vermisst werdenUnd der Justizminister? Sebastian Gemkow (CDU) sah gestern keinen Grund für einen Rücktritt, nachdem in einer seiner Haftanstalten der Terrorverdächtige Jaber Albakr starb.
Erinnert sich noch jemand an Rudolf Seiters? Der Mann, auch er Christdemokrat, war Bundesinnenminister, als 1993 in Bad Kleinen die Verhaftung von RAF-Terroristen aus dem Ruder lief. Niemand forderte Seiters Rücktritt. Er tat es selbst. Mit einer bemerkenswerten Begründung: Er wolle Schadensbegrenzung betreiben und ein Signal für eine konsequente, unabhängige Aufklärung geben.
Es sind solche Signale und Sätze, die in Sachsen schmerzlich vermisst werden. Einzelne Minister könnten sie aussenden. Vor allem aber ein Ministerpräsident, der endlich die Zeichen der Zeit versteht.http://www.spiegel.de/politik/deutschla ... 16682.html