Kiewer Periode (882–1240)Der älteste ostslawische Staat in der Geschichte war die Kiewer Rus. Er entstand in der ersten Hälfte des 9. Jahrhunderts. In ihm bildete sich eine einheitliche altrussische Völkerschaft heraus, auf deren Grundlage sich in der Folgezeit das russische, das ukrainische und das weißrussische Volk formierten. Dieser alte russische Staat bestand über drei Jahrhunderte. Nach dem Tod des letzten Großfürsten von Kiew zerbrach er 1132 in mehrere unabhängige Fürstentümer. Damit begann eine Zeit feudaler Zersplitterung, die schon bald zum Verlust der politischen Unabhängigkeit der russischen Länder beitragen sollte. In den 1220er Jahren kam es zu einem ersten Zusammenstoß mit den Mongolen, als die mongolischen Generäle Jebe und Subutai auf ihrem Rückzug in die Mongolei die Russen in der Schlacht an der Kalka vernichtend schlugen. Weiter kam es zu Plünderungen russischer Städte.[8]
Aufstieg und BlüteDer erste mittelalterliche Staat auf dem Boden des späteren Russland war die normannisch-skandinavische Herrschaft über eine slawische Bevölkerung, vor allem entlang eines Handelsweges, der Skandinavien mit dem Byzantinischen Reich (Weg von den Warägern zu den Griechen) verband. Bedingt durch die Schwäche des Chasarenreiches und den damit zusammenhängenden Rückgang des Wolga-Handels gewann dieser Weg im Frühmittelalter ab der zweiten Hälfte des 9. Jahrhunderts zunehmend an Bedeutung. Hier lagen Weliki Nowgorod und Kiew als die ersten Zentren. Das Herrschaftsgebiet der hier siedelnden ostslawischen Stämme wird als die „Rus“ bezeichnet. Das Wort „Rus“ (russisch Русь) leitet sich vermutlich von einem Warägerstamm ab, der aus Schweden stammte (vgl. finnisch: „Ruotsi“ für Schweden[9]). Die Waräger waren skandinavische Männerbünde mit kaufmännischen Interessen, die als Schwurgemeinschaften zusammengehalten wurden. Sie benutzten das Flusssystem Russlands als Handelsrouten. Um genügend Pelze und Sklaven zu bekommen, benötigten die Waräger weite Räume. Daher dehnten Sie sich zugleich nach Süden und Osten aus. Daher wurde das Handelssystem umfassender. Um ihre Handelswege abzusichern, errichteten sie von der Ostsee über die Düna und Dnepr ein Stützpunktsystem. Hier trafen sie auf die organisatorischen Strukturen der Ostslawen, Wolgabulgaren und Chasaren. So trafen sie auch auf Kiew und fassten dort 839 Fuß. Kiew war ein bedeutender Handelsplatz mit weiträumigen Verbindungen bis nach Spanien und Bagdad. Abnahmeprodukte waren Honig, Wachs, Pelze und Sklaven. Da die Kiewer Handelsrouten immer gefährlicher wurden, übernahmen die kriegerischen Kaufleute der Waräger diesen Platz. Sie übernahmen Kultur, Lebensweise und Organisationsformen und entwickelten schrittweise festere Organisationsformen.[10] Durch den hauptsächlich auf Konstantinopel ausgerichteten Handel kam es, trotz anfänglicher Eroberungsversuche seitens der Rus (vgl. u. a. Belagerung von Konstantinopel (860)), in der Folgezeit zu engen Kontakten mit Byzanz.
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Die Ausdehnung der Kiewer Rus um ca. 1000: Das russische Land erstreckte sich über riesige Weiten von den linken Nebenflüssen der Weichsel bis zu den Vorläufern des Kaukasus, von Taman und dem Niederlauf der Donau bis zu der Küste des Finnischen Meerbusens und des Ladogasees.
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Auch im Norden, um Alt-Ladoga, setzten sich die Waräger 862 durch. Verschiedene Chroniken (u. a. Nestorchronik) besagen, dass die Slawen die Waräger dort zu sich riefen, damit diese ihre Stammesfehden beendeten.[11] Stammesvater dieser warägischen Herrschaft im Norden wurde Rjurik in Nowgorod. Rjuriks Nachfolger Igor (878–893) eroberte 882 auch Kiew, wo sich ja bereits eine Warägerherrschaft gebildet hatte. Igor machte Kiew zu seiner Residenz, und unterwarf die benachbarten ostslawischen Stämme. Die in Russland ansässigen Skandinavier waren bis zum Ende des 10. Jahrhunderts vollständig slawisiert. Bald schon wurde „die Rus“ zur Bezeichnung der Bewohner dieses Bereiches unabhängig von ihrer Stammeszugehörigkeit.[12] So übertrug sich der Name von den Eingewanderten skandinavischen Führungsschicht auf die Alteingesessenen. Mindestens acht politische Einheiten wirkten neben den alteingessenen slawischen Völkern wie Poljanen und Drewlanen an der Bildung und Konsolidierung des russischen Staates mit: serbische, finnische und litauische Stämme, die Waräger und Kasaren, die Bulgaren an der Wolga, die byzantinischen Griechen als Missionare und Araber als Vermittler zwischen Europa und Asien im internationalen Handel. Diese Entwicklung war in der zweiten Hälfte des 10. Jahrhunderts abgeschlossen. Dieses Kiewer Reich kann aufgrund der Vielzahl der Nationalitäten daher als erster Großstaat der ostslawischen Geschichte gelten und gelangte in der Folgezeit zu hoher Blüte. So entstand zur ersten Jahrtausendwende aus der Verschmelzung von Skandinaviern und Ostslawen mit byzantinischer Kultur und Religion die Bevölkerung der Kiewer Rus, aus der später Russen, Ukrainer und Weißrussen hervorgegangen sind.
Die Kiewer Herrscher Oleg und Swjatoslaw I. führten mehrere Kriege gegen das südlich anliegende Kasarenreich, oft mit byzantinischer Unterstützung. In den 960er Jahren gelang es Swjatoslaw mit Hilfe der Petschenegen schließlich, die Macht des Kasarenreichs zu brechen. Dadurch dehnte Swjatoslaw den Einfluss der Kiewer Rus bis an den Don und an die Ostküste des Asowschen Meeres aus.
Unter Vladimir dem Heiligen wurde das Christentum 988/989 zur Staatsreligion erhoben und die Kiewer Bevölkerung in Massentaufen bekehrt. Bereits seine Großmutter, Fürstin Olga (893–924) hatte sich als erste Herrscherin aus der riurikidischen Dynastie taufen lassen, konnte den christlichen Glauben im Reich aber noch nicht durchsetzten. Vladimir ordnete sich dadurch nicht dem byzantinischen Reich unter, sondern half dem Kaiser mit Truppen aus militärischer Bedrängnis und heiratete dessen Schwester, wodurch man ihm Gleichrangigkeit symbolisierte und ihn in die „Familie der Könige“ aufnahm. In 35 Jahren, bis 1015, war das gesamte, bis dahin heidnische Russland bekehrt. Dies führte dazu, dass die Missionare nach dem Tod von Vladimir diesem den Beinamen Zar gaben. Die Annahme des byzantinischen Christentums verschloss zugleich Russland eine kulturelle Beziehung zum römischen Christentum. Denn Byzanz betrieb zu dieser Zeit seine Kirchenpolitik im bewussten Gegensatz zu Rom und vermittelte den Ostslawen bei ihrer Bekehrung antirömische Tendenzen.[14] Die Kirche Kiews wurde als Teilkirche des Patriarchates von Konstantinopel zunächst von Exarchen verwaltet, was keine Auswirkungen auf die politische Selbständigkeit der Kiewer Großfürsten hatte. Die Orthodoxe Kirche und ihre Werte bildete zukünftig eine tragende gesellschaftliche Säule des russischen Reiches.
In dieser Periode gab es keinen prinzipiellen Unterschied zwischen Russland und Westeuropa.[16] Der russisch-warägische Staat entwickelte sich politisch und wirtschaftlich innerhalb der romanisch–germanischen Völkerkonglomeration Europas. Die Großfürsten von Kiew standen mindestens bis zur Mitte des 11. Jahrhunderts in engem Kontakt zu ihrem Mutterland Schweden und zum skandinavischen Norden. Die freundschaftlichen Beziehungen Russlands zu westeuropäischen Staaten entwickelten sich besonders Anfang des 11. Jahrhunderts unter der Herrschaft Jaroslaws I. (1019–1044), dessen 40-jährige Regierungszeit ein friedliches Diplomatiesystem auf Grundlage weitverzweigter Eheverbindungen mit dem Herrscherhaus hervorbrachte. Als Folge dieser Politik waren die Fürsten von Kiew im 11. Jahrhundert verwandt mit den Herrscherhäusern in Norwegen, Schweden, Frankreich, England, Polen, Ungarn, dem Byzantinischen Reich und dem Heiligen Römischen Reich. Unter Jaroslaw dem Weisen erreichte die Kiewer Rus eine Blütezeit und den Höhepunkt ihrer Macht. Er schaffte es seine Herrschaft zu festigen, wichtige Verkehrswege zu erschließen und die Tributherrschaft Kiews auszudehnen. Er ließ im ganzen Reich nach byzantinischem Vorbild viele Kirchen, Klöster, Schreibschulen und Festungsanlagen errichten, reformierte die ostslawische Gesetzgebung, hielt sie erstmals schriftlich fest (Russkaja Prawda) und gründete in Kiew die erste ostslawische Bibliothek.
quelle: Wiki
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