Kinder an die Macht? Zur Haltung von Christian Lindner zur “Fridays for future”-Bewegung„Denken wir neu“ war der Slogan der FDP zur Bundestagswahl. Unser Gastautor setzt sich mit der Frage auseinander, ob die Kritik des Parteivorsitzenden Christian Lindner an den während der Schulzeit stattfindenden Demonstrationen, des liberalen Gedankens würdig ist. Und ob die Erben der Aufklärung und von 1848 für eine sich politisierende Jugend nicht andere Botschaften parat haben sollten.Warum die Schulstreiks aus liberaler Sicht zu begrüßen sindBetrachtet man Schülerstreiks in diesem Lichte, so kann man aus liberaler Sicht Erziehungsberechtigten und Schuldirektoren keinen Vorwurf machen, wenn sie den Schülern gestatten, freitags ein paar Stunden während des Unterrichts zu demonstrieren, zumal ein merklicher Leistungsabfall dadurch nicht zu erwarten ist. Nachdem die Generation der heute 30-jährigen gemeinhin als weitgehend unpolitisch erscheint, ist es grundsätzlich zu begrüßen, wenn die jetzige Schülergeneration sich für politische Themen einsetzt und für diese Generation ist der Klimaschutz nun einmal ein ganz zentrales Thema. Vor allem den Schülern, die allesamt noch an keiner Bundestagswahl teilnehmen konnten, bleibt nichts anderes übrig als ihre Stimme auf von Art. 8 GG geschützten friedlichen Versammlungen hörbar zu machen. Die Kollision zwischen dem Grundrecht der Schüler aus Art. 8 GG und deren in Art. 7 Abs. 1 GG wurzelnden Pflicht zum Schulbesuch kann nur durch Abwägung der Rechtsgüter im Einzelfall zu lösen seien. Die der Schule aufgetragene Erziehung der Schüler zum mündigen Staatsbürger schließt auch die Gestattung zu politischer Betätigung ein, so dass eine Rechtswidrigkeit des Fernbleibens vom Unterricht zu Demonstrationszwecken nicht generell und abstrakt bejaht werden kann.
Wenn aber der „zivile Ungehorsam“ der Schüler einen Regelbruch darstellt, so ist auch noch die Rechtsfolgenseite, also die der Konsequenzen für Schüler oder Eltern, zu betrachten. Diese sind auf Verhältnismäßigkeit zu überprüfen, stark pönalisierende Maßnahmen dürften einer gerichtlichen Überprüfung nicht standhalten.
Aus liberaler Sicht sollte das bedeuten: An der grundsätzlichen Schulpflicht, die man als Liberaler achtet, da sie den Zugang zu kostenloser Bildung für alle gewährleistet, wird durch die Schulstreiks keineswegs gerüttelt. Bei der Teilnahmepflicht als Unterkategorie der Schulpflicht kann man vereinzelt Ausnahmen machen.
Dass das „Schwänzen“ bei den Demonstranten keineswegs im Vordergrund steht, zeigt sich bereits daran, dass die bisher größte Demonstration in Hamburg stattfand als an jenem Freitag Ferien waren.Hinzu kommt, dass die Haltung der Schüler keine Respektlosigkeit gegenüber den Regeln darstellt.
Die Haltung entspringt der Verärgerung darüber, dass die Regierenden ihrem Versprechen in Bezug auf das Pariser Abkommen nicht ausreichend nachkommen. So werden Pflichten im Kleinen verletzt, um an große Pflichten zu erinnern. Diese Pflichtverletzungen erfolgen nicht aufgrund ideologischer Verblendungen, sondern auf der Grundlage wissenschaftlicher Studien.
Das alles zu befürworten ist eigentlich genuin liberal. Wenn die tatsächliche Haltung in der öffentlichen Wahrnehmung hiervon abweicht, dann sicherlich, weil es andere Gründe für die FDP gibt.
Nur: Dann sollte man diese beim Namen nennen. Die Abgrenzung zu den Grünen dürfte eine zentrale Rolle spielen. Ein weiterer Gesichtspunkt ist die vermeintliche Gefährdung des Wohlstands durch Umweltthemen.Redlicherweise – und auch das mag ein Kritikpunkt seitens der FDP sein – darf aber auch nicht so getan werden, als sei das Umweltthema komplett verschlafen worden. Es wurde bereits viel getan.
Dass dennoch die Gletscher und Eiskappen schmelzen und zehn der letzten zwölf Jahre seit Aufzeichnung der Klimadaten weltweit zu den heißesten gehörten, liegt unter anderem daran, dass es über 200 Länder und Regierungen und über acht Milliarden Menschen auf dieser Welt gibt, die ganz unterschiedliche Interessen verfolgen. Für ein wirkliches Gelingen sollte der Umweltschutz eine globale Aufgabe sein. Die Schwellenländer weisen zurecht darauf hin, dass der Erfolg der Industrienationen auch darauf zurückzuführen ist, dass sie in ihren frühen Jahren (und zu einem guten Teil noch heute) eben keine Rücksicht auf Umwelt und Ressourcen nahmen.
In puncto Umweltschutz sollten alle an einem Strang ziehen: die Staaten, die Industrie durch Innovationen und jeder persönlich durch eine entsprechende Lebensführung. Wenn die Thunberg-Bewegung dies vorantreibt, dann wäre viel gewonnen. Vielen muss bewusst gemacht werden, dass Ökologie und Ökonomie Hand in Hand gehen, denn die wirtschaftlichen Folgen einer zugespitzten Klimakrise wären fatal. Der größte Rückversicherer des Landes, der von jedem Verdacht einer irgendwie gearteten ideologischen Betrachtung weit entfernt ist, hat hieran keinerlei Zweifel.
Klimaschutz ist aber vor allem eines: keine Frage von jung oder alt, von rechts, links oder liberal.https://starke-meinungen.de/blog/2019/0 ... -bewegung/