@all,
hab gerade ein Newsletter vom Bürgerkomitee Leipzig bekommen. Vielleicht ist ja noch was Interessantes für das Leipziger Treffen dabei.
Ist etwas länger, aber ihr werdets schon verkraften
VG Affi
Newsletter September 2010
Sehr geehrte Leserin, sehr geehrter Leser,
vor wenigen Tagen, am 31. August, beging die Gedenkstätte Museum in der
„Runden Ecke“ ihr 20-jähriges Jubiläum und begrüßte zahlreiche Besucher
und Gratulanten am Dittrichring. Erfahrene Gruppenbegleiter und Mitglieder
des Bürgerkomitees führten von 10 bis 16 Uhr kostenlos zahlreiche Besucher
durch die Räume der ehemaligen Stasi-Bezirksverwaltung. Beim Kaffee und
Kuchen im Anschluss konnten die Gäste an einem Quiz teilnehmen und Preise
gewinnen. Am Abend diskutierten vor rund 100 Besuchern Experten zum Thema
„Stasi – zwischen Repression und Alltag“. Bei einem kleinen Stehempfang
kam man anschließend persönlich ins Gespräch. Mehr dazu erfahren Sie unter
der Rubrik „Rückblick“.
Auch im September begrüßen wir Sie wieder herzlich zu zahlreichen
Veranstaltungen: Am 6. September, um 19 Uhr, berichtet der ehemalige
DDR-Bürgerrechtler und Leiter der Leipziger Umweltbibliothek Roland
Quester beim 21. Montagsgespräch in der „Runden Ecke“ von seinem
Engagement 1989. Am 12. September beteiligt sich die Gedenkstätte wieder
am jährlich statt findenden Tag des offenen Denkmals mit Rundgängen durch
den gesamten Gebäudekomplex der ehemaligen Leipziger Stasi-Zentrale und
bietet Sonderführungen in der ehemaligen zentralen Hinrichtungsstätte an,
die sonst nicht zu besichtigen ist.
Ende September gibt es wieder einen Grund zum Feiern: Die Sonderausstellung
„Leipzig auf dem Weg zur Friedlichen Revolution“ wird um wichtige Kapitel
erweitert, die verschiedene Etappen der Demokratisierung des Landes bis
hin zur Wiedervereinigung beleuchten. Mit einer Vernissage am 30.
September 2010 eröffnet die Gedenkstätte zum Doppeljubiläum von
Friedlicher Revolution und Deutscher Einheit die deutschlandweit
umfangreichste Ausstellung zu diesem Thema.
Wir würden uns freuen, Sie bei uns begrüßen zu können und wünschen Ihnen
viel Vergnügen beim Lesen des Newsletters.
Ihr Bürgerkomitee Leipzig
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INHALT
Wir laden ein
Rückblick
Aus dem Gästebuch
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WIR LADEN EIN
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6. SEPTEMBER, 19 UHR, EHEMALIGER STASI-KINOSAAL
„WIR SIND DAS VOLK“ – MONTAGSGESPRÄCH IN DER „RUNDEN ECKE“ MIT ROLAND
QUESTER
Zum 20-jährigen Jubiläum von Friedlicher Revolution und Deutscher Einheit
lädt das Bürgerkomitee Zeitzeugen ein, die sich damals in besonderer Weise
für Demokratie und Gerechtigkeit 1989/90 engagierten. Dieses Mal begrüßen
die Moderatoren Reinhard Bohse und Tobias Hollitzer den Leiter der
Umweltbibliothek beim Leipziger Umweltbund „Ökolöwe“ und Grünen-Politiker
Roland Quester.
Der 21. Gast der Montagsgespräche wurde 1965 in Leipzig geboren und
absolvierte nach seinem Schulabschluss eine Ausbildung zum Möbeltischler,
da ihm der Zugang zur Erweiterten Oberschule und somit zum Abitur verwehrt
wurde. Danach trat er seinen Grundwehrdienst bei der Nationalen Volksarmee
an.
Seit 1986 widmete er sich verstärkt den Umweltproblemen seiner Stadt. So
war er in der AG Umweltschutz beim Leipziger Jugendpfarramt tätig: Dort
arbeitete er als Redakteur der Samisdat-Zeitschrift „Streiflichter“ und
organisierte die Veranstaltungsreihe „Grüne Abende“. An der offiziellen
Demonstration zum 1. Mai 1986 versuchte er mit einem Transparent gegen
Atomkraft teilzunehmen. Neben der „Unfreiheit und Überwachung“, gegen die
er anging, erlebte er die DDR auch als „Land des großen Aufbruchs…“. Im
Jahr 1988 gehörte er zu den Begründern der Leipziger Umweltbibliothek, die
von der AG Umweltschutz und dem Jugendpfarramt der Stadt Leipzig
unterstützt wurde. Während der Friedlichen Revolution war dies ein
wichtiger Ort des Austausches oppositioneller Gruppen, in der neben dem
Umweltschutz auch Themen wie Freiheit und Menschenrechte im Vordergrund
standen.
Über die persönlichen Entfaltungsmöglichkeiten nach der Friedlichen
Revolution sei er besonders glücklich, so Quester, der sich weiterhin
engagierte und bis heute die Umweltbibliothek leitet. Seit 1994 ist er als
Stadtrat in Leipzig für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen tätig und setzt
sich im Aufsichtsrat der Stadtwerke für ein ökologisch und wirtschaftlich
arbeitendes Unternehmen ein. Auf Grund seines Engagements für die Umwelt
sowie für seine Heimatstadt erhielt er 1999 die Ehrenmedaille der Stadt
Leipzig, die für ihn wieder eine schön und lebenswert geworden ist.
Es moderieren Reinhard Bohse und Tobias Hollitzer.
Der Eintritt ist frei.
12. SEPTEMBER 2010
TAG DES OFFENEN DENKMALS
Auch in diesem Jahr beteiligt sich die Gedenkstätte am Tag des offenen
Denkmals. Am 12.09.2010 besteht die Möglichkeit die sonst nicht öffentlich
zugänglichen Räume der „Runden Ecke“, in der die Bezirksverwaltung der
Staatssicherheit ihren Sitz hatte, zu besichtigen, so etwa die
„geschützten Unterkünfte“ im Kellergeschoss für den Kriegsfall, der
Kegelbahn des MfS, erstmals auch der wiedererrichteten Klingertreppe.
Zudem können der Stasi-Bunker bei Machern sowie die ehemalige zentrale
Hinrichtungsstätte der DDR in der Alfred-Kästner-Straße an diesem Tag
besucht werden.
Zum Programm:
Museum in der „Runden Ecke“:
15 Uhr: Öffentliche Führung durch die Dauerausstellung „Stasi – Macht und
Banalität“
11 – 16 Uhr, jeweils zur halben und vollen Stunde: Sonderführungen unter
dem Motto: „Stasi intern. Rundgang durch die ehemalige Zentrale des MfS“ -
Vom Keller zum Boden und anderen Orten des (un)heimlichen
Gebäudekomplexes.
Das Ministerium für Staatssicherheit ist längst abgewickelt, doch noch
immer sind Teile der einstigen Arbeitsstellen des Geheimdienstes für die
Öffentlichkeit unzugänglich. Am Tag des offenen Denkmals besteht die
einmalige Möglichkeit, einen Blick in sonst verschlossene Räume und
Gebäudeteile der „Runden Ecke“ zu werfen. In dem weitläufigen Komplex
hatten bis 1989 die Bezirksverwaltung für Staatssicherheit sowie die
Bezirksbehörde der Deutschen Volkspolizei ihren Sitz. Zu sehen sind unter
anderem die so genannte „geschützte Unterkunft” im zweiten Kellergeschoss
des Neubaus, die Führungsstelle für den Kriegsfall, die Kegelbahn im
Saalbau und der Innenhof, auf dem sich einst die Matthäikirche befand.
In diesem Jahr wird außerdem die wiedererrichtete Klingertreppe zu sehen
sein. Diese war von der Staatssicherheit 1978 abgetragen worden, um das
Gebäude der Bezirksverwaltung zu erweitern. Bis Anfang 2010 stand dort
noch das Notstromaggregatehaus des MfS. Die Treppe war von dem berühmten
Leipziger Künstler Max Klinger entworfen und 1913 erbaut worden. In der
Mitte der doppelläufigen Treppenanlage sollte ein Denkmal für Richard
Wagner errichtet werden, von dem allerdings nur der Sockel fertig gestellt
wurde. Die Treppe war nach ihrer Abtragung eingelagert und wurde erst 1991
wieder gefunden. Einzelheiten zu der Bedeutung und Wiedererrichtung der
Klingertreppe werden auch im Rahmen der Führungen erläutert.
Stadtrundgang „Auf den Spuren der Friedlichen Revolution“:
11 Uhr: Führung zu den Brennpunkten des demokratischen Aufbruchs 1989 in
Leipzig Treffpunkt: Hauptportal Nikolaikirche
Beginnend an der Nikolaikirche, an dem Ort der Friedensgebete, aus denen
sich die Montagsdemonstrationen entwickelten, führt der Rundgang entlang
der Route der Demonstranten und weist auf die wesentlichen Ereignisse der
Friedlichen Revolution sowie Denkmäler, die an die Diktatur und
Unterdrückung des SED-Regimes erinnern, hin.
Ehemalige zentrale Hinrichtungsstätte (Besucheradresse: Arndtstraße 45,
04275 Leipzig):
11 – 15 Uhr: ständige Führungen durch die historischen Räume, in denen von
1960 bis 1981 sämtliche DDR-Todesurteile vollstreckt wurden, Erläuterungen
zum Themenbereich „Todesstrafe in der DDR – Hinrichtungen in Leipzig“ und
Besichtigung der gleichnamigen Werkausstellung vor Ort
Bis zu ihrer Abschaffung 1987 wurden seit 1960 alle Todesstrafen der DDR in
der ehemaligen Haftanstalt vollstreckt. Im Jahr 1960 wurde die zentrale
Hinrichtungsstätte der DDR von Dresden nach Leipzig verlegt und von da an
64 Menschen hingerichtet. Bis zur Abschaffung der Todesstrafe 1987 wurden
231 Todesurteile ausgesprochen und 160 vollstreckt.
Drei Tatbestände galten als Gründe für die Verhängung des höchsten
Strafmaßes: NS-Verbrechen, Staatsverbrechen und Mord. Später wurde die
Todesstrafe zur Disziplinierungs- und Abschreckungsmaßnahme, da vor allem
Angehörige des MfS und der Volkspolizei auf Grund von staatsschadenden
Vergehen hingerichtet wurden.
Die Hinrichtungen wurden unter strenger Geheimhaltung vollzogen und die
Totenscheine mit Todesursache und –ort gefälscht. So kann es auch erklärt
werden, dass die Todessstrafen in der DDR weitegehend in Vergessenheit
gerieten und noch nicht hinreichend aufgearbeitet wurden.
Museum im Stasi-Bunker:
10 – 16 Uhr: Ständig Führungen durch die ehemalige Ausweichführungsstelle
des Leiters der Bezirksverwaltung für Staatssicherheit Leipzig (AFüSt) bei
Machern
Die als Ferienanlage des VEB Wasserversorgung und Abwasserbehandlung
Leipzig getarnte Ausweichführungsstelle der ehemaligen Staatssicherheit
befindet sich im Naherholungsgebiet Lübschützer Teich bei Machern. Die
Anlage wurde eingerichtet, um im Kriegsfall die Arbeit des Leipziger
Stasi-Leiters, von circa 100 hauptamtlichen Mitarbeitern sowie von zwei
Verbindungsoffizieren des KGB zu sichern. So sollte auch im Fall
kriegerischer Auseinandersetzungen der Machtanspruch des MfS erhalten
bleiben.
Die Existenz des Bunkers war bis zu seinem Fund im Jahr 1989/90 weitgehend
unbekannt. Das Bürgerkomitee pachtete das Gelände um der Zerstörung und
Umfunktionierung dieses historischen Geländes vorzubeugen. Neben dem 5,2
Hektar großen denkmalgeschützten Grundstück mit allen Bauten und Anlagen,
das bis heute weitgehend im Originalzustand erhalten wurde, kann der im
Kern befindliche Bunker besichtigt und durch Führungen erschlossen werden.
Es werden das Versorgungssystem erläutert, die Mittel der Kommunikation
und die von der Stasi entwickelten Überlebensstrategien im Falle eines
Atomschlags.
30. SEPTEMBER 2010, 19 UHR, EHEMALIGER STASI-KINOSAAL
VERNISSAGE ZUR ERWEITERUNG DER SONDERAUSSTELLUNG „LEIPZIG AUF DEM WEG ZUR
FRIEDLICHEN REVOLUTION“
Am 03. Oktober jährt sich zum 20. Mal der Jahrestag der Deutschen
Wiedervereinigung, die das Ergebnis der Demokratieprozesses in der DDR war
und nicht zuletzt für ein blockfreies Europa stand. Zu diesem Jubiläum
wird die Sonderausstellung „Leipzig auf dem Weg zur Friedlichen
Revolution“, die seit Oktober 2009 im Museum in der „Runden Ecke“ zu sehen
ist, um weitere wesentliche Aspekte erweitert. Hinzugefügt wurden die
Ereignisse nach der Friedlichen Revolution: die Deutsche Einheit, die
Demokratisierung des Staates, die Wirtschafts- und Währungsunion, sowie
die beginnenden Debatten um Stasi-Unterlagen. Zudem werden die
Wiedergründung des Freistaates Sachsen und die Entwicklung von Leipzig
nach der Deutschen Einheit thematisiert. Hier geht die Ausstellung sowohl
auf die sich aus der Demokratisierung ergebenden Chancen als auch Probleme
ein, die im Zuge des Einigungsprozesses aufkamen.
Beginnend im Januar 1990 werden die weiteren Montagsdemonstrationen und die
Entwicklung zu der ersten freien Volkskammerwahl der DDR am 18. März 1990
dargestellt. Ein weiterer entscheidender Aspekt ist der Aufbau
demokratischer Strukturen auf kommunaler Ebene sowie die Wiedergründung
des Freistaates Sachsen und die Deutsche Wiedervereinigung verbunden mit
den Kommunalwahlen am 6. Juni, Aufarbeitungen der SED-Diktatur, der
Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion und den außenpolitischen
Beziehungen.
Die Sonderausstellung widmet sich der Friedlichen Revolution, in deren
Rahmen am 9. Oktober 1989 70 000 Menschen friedlich gegen die bestehende
SED-Diktatur demonstrierten. Ausgehend von den Friedensgebeten, die jeden
Montag in der Nikolaikirche stattfanden, stieg die Zahl derer, die sich an
den Aktionen der oppositionellen Gruppierungen beteiligten, stetig.
Die Kirche bot den Oppositionellen die Möglichkeit, sich mit Themen wie
Umweltschutz, Menschenrechte und Demokratisierung auseinanderzusetzen und
somit einen entscheidenden Beitrag zur Umwälzung der bestehenden
diktatorischen Verhältnisse in der DDR zu leisten.
Nach einer kurzen Einführung in die Ereignisse des 17. Juni 1953 widmet
sich die Ausstellung wesentlichen Etappen und Ereignissen der
systemkritischen Arbeit auf dem Weg zur Friedlichen Revolution. Diese
werden mit Hilfe originaler Flugblätter, Fotografien, Plakate, Dokumente
und besonderer Objekte dargestellt. Dabei finden unter anderem die
Demonstrationen am 15. Januar 1989, die Kommunalwahlen am 7. Mai, der
Kirchentag vom 6. bis 9. Juli, der Pleißepilgerweg und die
Massendemonstration am 9. Oktober wesentliche Beachtung.
Zur Vernissage findet eine Podiumsdiskussion zum Thema „Bundesland Sachsen
wird wieder wachsen“ mit dem Bundestagsabgeordnetem Arnold Vaatz, Michael
Richter vom Hannah-Arendt-Institut für Totalitarismusforschung und dem
ehemaligen sächsischen Landtagsabgeordneten Michael Arnold (angefragt)
unter der Moderation von Günther Heydemann statt.
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RÜCKBLICK
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02. AUGUST 2010, EHEMALIGER STASI-KIMOSAAL
„WIR SIND DAS VOLK“ – MONTAGSGESPRÄCH IM MUSEUM IN DER „RUNDEN ECKE“ MIT
KLAUS-EWALD HOLST
„Wirtschaft muss verändert werden.“ Dies war der Leitsatz für Klaus-Ewald
Holst, Vorstandsvorsitzender der Verbundnetz Gas AG und Wirtschaftsmann
mit Leib und Seele, der am Montag, den 02.08.2010 zu Gast im Museum in der
„Runden Ecke“ war. Das mittlerweile 20. Montagsgespräch wurde von über 70
Besuchern aufmerksam verfolgt, nicht zuletzt auch Dank der unterhaltsamen
und mitreißenden Art von Holst selbst, der für eine lockere Atmosphäre im
ehemaligen Stasi-Kinosaal sorgte. Gedenkstättenleiter Tobias Hollitzer
eröffnete auch dieses Gespräch mit der Frage, wann Holst die Parole „Wir
sind das Volk!“ zum ersten Mal vernommen habe. Kurz und prägnant war die
Antwort: Er habe sie am 09. Oktober 1989 „zu seiner Schande“ nur in den
Nachrichten gehört, weil er zum ersten Mal zu einem „Westbesuch“ in
Paderborn weilte.
Nach der Einstiegsfrage folgten weitere zu seiner Kindheit. 1943 geboren
und ohne Vater aufgewachsen, lebte Holst mit seinen zwei Brüdern, seiner
Mutter und den Großeltern in Neustrelitz. Nach dem Abitur wollte er
ursprünglich Jura studieren, aber die Aussage seines Großvaters „In einem
Staat, in dem es kein Rechtssystem gibt, kannst du kein Recht studieren“
brachte ihn von diesem Vorhaben ab. Sein Großvater war für ihn die
männliche Bezugsperson. Im Kaiserreich geboren, trat der Liberale 1946
widerwillig der SED bei, da dies ihm der einzige Weg zu sein schien, die
6-köpfige Familie zu ernähren.
Geprägt von dessen Erziehung wollte er etwas studieren, worauf die Partei
keinen Einfluss hatte. Als Walter Ulbricht öffentlich bemängelte, dass nur
die Bundesrepublik verwertbare Rohstoffe habe, bestätigte dies Holst in
seiner bereits getroffenen Entscheidung. Im Zuge eines DDR-Großprojektes
ging er nach Freiberg um an der renommierten Bergakademie Tiefbohrtechnik
und Erdöl-/Erdgasgewinnung zu studieren.
Sein Studium hätte er in guter Erinnerung, zwar sei der Bergbau hart
gewesen, aber man hätte sich stets auf seine Kollegen verlassen können.
Die Lehre an der Bergakademie war international anerkannt, hielten die
Dozenten auch im „Nichtsozialistischen Ausland“ Vorträge. Natürlich waren
auch Marx und Lenin Bestandteil des Studiums gewesen, zumal ohne diese die
Promotion nicht möglich war. Aber Einfluss auf seinen Werdegang hätten sie
nicht gehabt. Freiberg als „Nischen-Uni“ hatte die Möglichkeit
Persönlichkeiten hervorzubringen, betonte Holst.
Holst hätte sogar die Gelegenheit gehabt ins Ausland zu gehen, aber „wie
das so ist“ verhinderte die Schwangerschaft der Freundin das
Auslandsstudium in Rumänien. So musste er eine Arbeit finden, um seine
kleine Familie zu ernähren. Klaus-Ewald Holst bewarb sich 1968 in Leipzig
beziehungsweise Böhlitz-Ehrenberg bei dem VEB Verbundnetz Gas. Dort wurden
Spezialisten auf dem Gebiet des Baus von Untergrundgasspeichern gesucht.
Einen Tag nach dem Vorstellungsgespräch wurde die Paulinerkirche auf dem
Augustusplatz in Leipzig gesprengt. In Freiberg hätte er trotz der
geringen Distanz nichts von der Diskussion um die Kirche mitbekommen und
war umso überraschter und enttäuschter, als das wertvolle Kulturgut ohne
für ihn wahrnehmbare Gegenwehr zerstört wurde. Die nächste Enttäuschung
erfolgte am 20. August mit der militärischen Niederschlagung des
politischen „Prager Frühlings“ 1968. Holst erkannte, „dass `ne Chance weg
ist.“
Reinhard Bohse, der zweite Moderator, schlug den Bogen zum Verbundnetz Gas
und fragte den Gast nach seiner Anfangszeit bei dem einstigen VEB, in dem
er seit der Umwandlung 1990 in eine Aktiengesellschaft als
Vorstandsvorsitzender fungiert. Als er von „seiner Firma“ sprach, kam
Holst ins Schwärmen. „Ich kann nur sagen, toll, tolle Leute, super Leiter,
es hat Spaß gemacht, dort zu arbeiten.“ 1970 bekam der Gast des 20.
Montagsgespräches sogar den Orden „Banner der Arbeit“. „Auf dat Ding bin
ich heut noch stolz“. Es wurden gute Leistungen vollbracht und neue
Techniken entwickelt, die heute noch genutzt werden. Als 1990 die Kollegen
aus dem „Westen“ nach Böhlitz-Ehrenberg kamen, waren sie positiv
überrascht was sie dort vorgefunden haben. Aber zum Ende der DDR war der
Verfall auch in der VNG zu spüren. „Es sah fürchterlich aus, überall war
verrosteter Stahl und Schutz für die Arbeiter gab es auch nicht. Wir
hatten Technologie auf hohem Niveau, aber mit niedrigster Ausrüstung an
Technik.“
Neben der beruflichen Laufbahn war Klaus-Ewald Holst in der Blockpartei
LDPD politisch aktiv. Als Leiter eines VEB blieb ihm nach Jahren keine
andere Wahl als einer Partei beizutreten. Aber die Tatsache, dass eine
freie Meinungsäußerung auch als SED-Mitglied nicht möglich war, bewog ihn
dazu einer Blockpartei beizutreten, in der er sich stark engagierte. Auch
im Betrieb war Politik ein Thema. Besonders Ende der 1980er Jahre, als die
technischen und betrieblichen Zustände „nicht mehr zum aushalten“ waren,
verstärkte sich der Wunsch nach Veränderung und die Energie, diese
herbeizuführen. Seine Zugehörigkeit zu einer Blockpartei hatte zur Folge,
dass er nicht Direktor des VEB Verbundnetz Gas werden konnte. Nach dem
Mauerfall wurde ihm die Mitgliedschaft in der LDPD ein zweites Mal zum
Verhängnis, als er nun der Systemkonformität bezichtigt wurde.
Als er am 4. Dezember 1989 im Neuen Deutschland las, dass der
Generaldirektor des Gaskombinats in die Bundesrepublik fuhr, um „über die
Zukunft des Betriebes“ zu sprechen, machte sich Verunsicherung in der
Firma breit. Das wollte er nicht zulassen. Für ihn stand fest etwas
dagegen zu unternehmen. Seine Kollegen und er gründeten noch am selben Tag
einen Betriebsrat und setzten ein Schreiben an den Generaldirektor auf.
Sie bekundeten ihre Sorgen und drohten damit, die „Gashähne abzudrehen.“
Sie wollten an den Gesprächen beteiligt werden. Dieses Fernschreiben
schlug große Wellen. Knapp zwei Wochen später kam der Generaldirektor nach
Böhlitz-Ehrenberg und hielt eine Rede über die notwendige Solidarität.
Jedoch ließ sich die Belegschaft des VEB VNG Leipzig nicht überzeugen und
forderte Veränderung der wirtschaftlichen Verhältnisse. Holst, als
Betriebsratssprecher, wollte die Unabhängigkeit des VEB durchsetzen: „Und
wenn Sie nicht mitmachen, dann machen wir das alleine.“
Es wurde eine Arbeitsgruppe gegründet, welche die VNG als eigenen Betrieb
aufbauen sollte. Holst wurde berufen, dieser als Leiter vorzustehen. Als
Betriebsdirektor sollte er nun die Privatisierung der VNG in die Wege
leiten. Mit wenig Wissen über Privatwirtschaft, aber mit Hilfe von
Aktionären aus Essen wurde das Unternehmen Verbundnetzgas AG gegründet –
es wurde verhandelt und investiert. Probleme ergaben sich mit dem
sowjetischen Gaskombinat, da dieses die Gaslieferung einstellen wollten.
Schließlich erfolgte am 17. August 1990 die Privatisierung.
Im Rückblick stellte er fest, dass die VNG Glück hatte. Die motivierten
Leute, der Puls der Stadt und die Hilfe von den bundesdeutschen Kollegen
waren glückliche Umstände, ohne die es die VNG heute nicht so gäbe. Zum
Schluss wurde der Vorstandsvorsitzende nach den Inoffiziellen Mitarbeitern
der Staatssicherheit im Betrieb gefragt. Er sagte, dass man sich im Zuge
der Privatisierung natürlich auch mit diesem Thema auseinandersetzen
musste. Die VNG handhabte es mit einer Befragung, in der jeder Mitarbeiter
zu seiner Stasi-Vergangenheit Stellung beziehen sollte. Als tatsächlich
zwölf bis fünfzehn eine Tätigkeit als Spitzel bestätigten, entschied man
sich, sie nicht zu entlassen. „Diese Menschen haben das erste Mal in ihrem
Leben die Gelegenheit gehabt, die Wahrheit zu sagen. Wenn wir sie jetzt
entlassen, werden sie das nie wieder tun.“ Nach Gesprächen sind einige aus
eigenem Willen gegangen, die anderen wurden in weniger wichtige Positionen
versetzt. Als es sich jedoch herausstellte, dass einige Mitarbeiter bei
der Befragung gelogen hatten, wurden sie auf Grund von Vertrauensbruch
entlassen. Bis 1995 wurde dieser „Reinigungsprozess“ abgeschlossen.
Nach spannenden und unterhaltsamen 120 Minuten waren die Zuschauer positiv
überrascht, eine andere – eine wirtschaftliche Sicht – auf die Friedliche
Revolution erhalten zu haben.
31. AUGUST 2010: JUBILÄUM ZUM 20-JÄHRIGEN BESTEHEN DER GEDENKSTÄTTE MUSEUM
IN DER „RUNDEN ECKE“
„Krumme Ecke, Schreckenhaus/ Wann wird ein Museum draus?“ Schon bald nach
der Friedlichen Revolution sollte diese Forderung von Demonstranten
Wirklichkeit werden. Am 31. August 1990 wurde im Gebäude der
Bezirksverwaltung der ehemaligen Staatssicherheit das Museum in der
„Runden Ecke“ eröffnet. Zum Jubiläum luden wir in der Zeit von 10-16 Uhr
stündlich zu kostenlosen Sonderführungen durch die Dauerausstellung „Stasi
– Macht und Banalität“ ein. Die Führungen waren mit 15 bis 20 Gästen stets
gut besucht. Im Anschluss bestand jeweils die Möglichkeit, sich die
Sonderausstellung „Leipzig auf dem Weg zur Friedlichen Revolution“
anzusehen und bei Kaffee und Kuchen die gewonnenen Eindrücke auf sich
wirken zu lassen. Zudem fand bezüglich jeder Führung durch die
Dauerausstellung ein Quiz statt, bei dem die Besucher mit den neuen
aufgenommenen Informationen Preise gewinnen konnten.
Abschließend veranstalteten wir 19 Uhr eine Podiumsdiskussion zum Thema
„Stasi- Zwischen Repression und Alltag“, in der Dr. Stefan Wolle
(DDR-Museum, Berlin), Hans-Joachim Stephan (DDR-Museum Radebeul),
Siegfried Reiprich (Stiftung Sächsische Gedenkstätten, Dresden) und Tobias
Hollitzer (Gedenkstätte Museum in der „Runden Ecke“) diskutierten.
31. AUGUST 2010, 19 UHR; EHEMALIGER STASI-KINOSAAL
PODIUMSDISKUSSION ZUM THEMA „STASI – ZWISCHEN REPRESSION UND ALLTAG“
Über die Verflechtungen von Repression und Alltag in der SED-Diktatur und
die Notwendigkeit der Darstellung alltäglicher Objekte und Sachverhalte in
der museologischen Arbeit diskutierten der wissenschaftliche Leiter des
DDR-Museum Berlin, Dr. Stefan Wolle, der Leiter des DDR-Museums
´Zeitreise´ Radebeul, Hans-Joachim Stephan, der Geschäftsführer der
Stiftung Sächsische Gedenkstätten, Siegfried Reiprich sowie der Leiter der
Gedenkstätte Museum in der „Runden Ecke“, Tobias Hollitzer, unter der
Moderation von Reinhard Bohse.
Zu Beginn stellte jeder Referent die Arbeit des jeweiligen Museums vor.
Hans-Joachim Stephan sei es vor allem wichtig, die Lebensverhältnisse und
alltägliche Gegebenheiten in seinem Museum zu präsentieren, um vor allem
Besucher aus dem „westlichen Ausland“, die 50 Prozent stellen würden, das
Leben in der DDR näher zu bringen. Besucher aus der ehemaligen DDR
wiederum sollten sich mit den musealen Objekten identifizieren und so zu
einer Reflexion über die damaligen Verhältnisse und das diktatorische
System gebracht werden. Stephan wurde 1955 in Dortmund geboren und
beschäftigte sich intensiv mit der DDR und deren Geschichte. Lange Zeit
war er als Kommunalpolitiker in Bayern tätig und gründete 2005 nach seinem
Umzug nach Ostdeutschland das DDR-Museum ´Zeitreise´ in Radebeul.
Siegfried Reiprich steht der Stiftung Sächsische Gedenkstätten für die
Opfer politischer Gewaltherrschaften als Geschäftsführer vor, die sich für
die Aufarbeitung der beiden Diktaturen, des Nationalsozialismus und der
DDR einsetzt. Vorher war er Bildungsreferent und stellvertretender
Direktor in der Gedenkstätte Hohenschönhausen. Er wurde 1955 in Jena
geboren und engagierte sich bereits früh in oppositionellen
Gruppierrungen.
Dr. Stefan Wolle sprach zu Beginn seiner Darstellungen über die am 9.
Oktober 2010 beginnende neue Ausstellung seines Museums in Berlin. Auch er
wolle mit Hilfe alltäglicher Objekte die Besucher zu einer
Auseinandersetzung mit der DDR führen. Seiner Auffassung nach sei das
DDR-Leben nur mit Hilfe einer Verknüpfung von Repression, Unterdrückung
und Alltag darstellbar. Er wolle mit Ironie und Spaß die DDR darstellen
und somit auch zeigen, dass die Diktatur nicht ausschließlich aus
Repression bestand, sondern auch in einem solchen System das private Leben
mit Freude und sehr vielen schönen Erlebnissen verbunden ist. Er wolle
somit verhindern, dass die Bürger der ehemaligen DDR ihr „Leben
wegschmeißen.“ Wolle wurde 1950 in Berlin geboren, studierte an der
Berliner Humboldt-Universität, von der er 1972 wegen politischer Gründe
relegiert wurde. 1990 war er Mitarbeiter des Komitees für die Auflösung
des MfS. Nach seiner Tätigkeit als Assistent an der Humboldt-Universität
war er 2000 Referent bei der Stiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur.
Tobias Hollitzer beschrieb das Museum in der „Runden Ecke“ zum einen als
Spezialmuseum, da es einen bestimmten Bereich, die Staatssicherheit,
darstellt und zum anderen als Alltagsmuseum, da die Stasi zum alltäglichen
Leben in der DDR gehörte. Die mögliche Telefonüberwachung beispielsweise
war allgegenwärtig, wie der übliche Spruch„Das besprechen wir nicht am
Telefon!“ zeigte. Hollitzer wurde 1966 in Leipzig geboren. Er setzte sich
seit dem 4. Dezember 1989 für die kontrollierte Auflösung der
Staatssicherheit ein und wurde Archivbeauftragter des Stasi-
Untersuchungsausschusses der Volkskammer. Von 1991 an war er
Sachgebietsleiter und stellvertretender Außenstellenleiter der
Stasi-Unterlagenbehörde (BStU) in Leipzig und publizierte zur Friedlichen
Revolution in Leipzig.
Am Ende der Vorstellungsrunde begann die Diskussion um die Notwendigkeit
der Alltagsdarstellung im Aufarbeitungsprozess der kommunistischen
Diktatur in der DDR. Tobias Hollitzer meinte, dass die vordergründig
persönliche Erinnerung einer grundsätzlichen Aufarbeitung der Strukturen
der Diktatur im Wege stehen könne. Wolle entgegnete daraufhin, dass es
wichtig sei das Leben in seiner Gesamtheit darzustellen und die Menschen
vor allem mit persönlichen Erlebnissen zu „packen.“ Zudem ist „Ironie und
Spaß eine der wichtigsten Waffen gegen die Diktatur.“ Daraufhin stellte
Hollitzer klar, er erkenne hier zwei unterschiedliche museale Konzepte.
Einerseits die persönliche punktuelle Erinnerung des Zeitzeugen und
andererseits die wissenschaftlich geleitete strukturelle Darstellung.
Stephan sprach vom Vorwurf der Ostalgie, mit dem er sich immer wieder
konfrontiert sieht. Seiner Auffassung nach muss Westdeutschen zunächst
einmal das Leben und Lebensgefühl in der DDR näher gebracht werden – für
sie seien die diktatorischen Verhältnisse mit SED und Staatssicherheit nur
einer der zu erschließenden Aspekte. Reiprich erinnerte an die in den
Jahren 2005/6 stattfindenden Diskussionen über die Art und Weise sowie das
didaktische Vorgehen hinsichtlich der musealen Aufarbeitung. Er wies
darauf hin, dass die Sabrow-Kommission damals eine Fokussierung auf die
Darstellung des Alltags gefordert hatte. Trotzdem würde gerade in Berlin
die repressive Seite nicht verdrängt.
Nach der Kritik Wolles, die einzelnen Museen würden gegeneinander
ausgespielt, betonte Hans-Joachim Stephan eine sinnvolle
Aufgabenverteilung der Museen: die einen stellten Alltag dar, die anderen
Repression. Hollitzer widersprach: „Es reicht nicht, die FDJ-Bluse
unkommentiert hinzuhängen oder das Mutti-Heft.“ Es müsse entsprechend
alles kontextualisiert werden. Wolle dagegen möchte die ausgestellten
Objekte nicht überkommentieren. Er will erreichen, dass sich die Besucher
selbst ein Bild der Situation machen. Das Ideal sei für ihn ein sich
selbst kommentierendes Objekt. Somit „spricht vieles für kurze Texte“ und
nicht für lange, didaktische Beschreibungen der Ausstellungsgegenstände
und – dokumente. Hollitzer ergänzte, dass man auch mit Objekten oder
Dokumenten kontextualisieren kann, ohne dass es langer Ausstellungstexte
bedarf.
Stephan sprach sich für eine audiovisuelle Ausstellung aus sowie für
Zeitzeugenberichte. Zudem sei es notwendig, die Entwicklungen innerhalb
der DDR im Zusammenhang mit den Geschehnissen in der Bundesrepublik zu
sehen und darzustellen. Auf die Frage Bohses nach konkreten Zusammenhängen
und Beispielen sprach Stephan von den innerdeutschen und internationalen
Beziehungen, die auch Auswirkungen auf das Arbeitsleben der Bevölkerung
hatten, so zum Beispiel in der Rüstungsindustrie.
Auch auf die schon lange andauernde Debatte um die Frage ob die DDR ein
Unrechtsstaat gewesen sei ging der Moderator ein und fragte die Gäste nach
ihrer Auffassung zu dieser Thematik. Dr. Stefan Wolle äußerte sich als
Erster zu dieser Frage: „Ich komm aus dem Staunen nicht raus wenn ich
diese Debatte höre!“ Hans-Joachim Stephan pflichtete Wolle in seiner
Auffassung, die DDR sei durch und durch ein Unrechtsstaat gewesen, bei.
Reiprich wies auf eine Aussage Willy Brandts hin, der einmal meinte, die
DDR sei im wahrsten Sinne des Wortes niemals deutsch, nicht demokratisch
und keine Republik. Er ging darauf ein, dass jeder, auch ein ehemaliger
Nationalsozialist in der DDR Karriere machen konnte, sofern er der Partei
nützlich war. Diese Willkür sei ein wesentlicher Unterschied zu einem
Rechtsstaat, als der die DDR nicht angesehen werden kann. Hollitzer
widersprach der Auffassung, dass in diesem Zusammenhang vor allem
juristisch argumentiert würde. Gerade eben hat Platzeck, Ministerpräsident
Brandenburg, die Bezeichnung der DDR als „Unrechtsstaat“ mit der
Begründung zurückgewiesen, dass dadurch die Lebensleistung der Bürger in
Frage gestellt würde und sie ihre Biografien wegwerfen müssten. An der
Verwendung dieses Begriffs macht sich nach seiner Meinung vor allem eine
politische Einschätzung der DDR fest.
Die Schlussfrage der eineinhalbstündigen Diskussion zielte auf positive und
negative Erfahrungen in den letzten zwanzig Jahren nach der
Wiedervereinigung ab. Reiprich, der sich zuerst äußerte, meinte eine
unbefangene, reflektierende und interessierte junge Generation zu bemerken
und sprach von der „Renaissance des antiautoritären Konsens“ womit der
„totalitären Verblödung“ entgegengewirkt werden könne. Auf der anderen
Seite würden die geistesgeschichtliches Wurzeln der Diktaturen, sowohl des
Nationalsozialismus als auch der DDR, nicht hinreichend „rückgekoppelt“
und reflektiert. Somit wünsche er sich eine tiefere philosophische
Betrachtung der aufzuarbeitenden Bereiche.
Stephan meinte, dass das Interesse an innerdeutscher Geschichte vor allem
im „NSW-Gebiet“ steigt. Schulklassen würden verstärkt sein Museum besuchen
und vielfältig den Willen zur Bildung bezüglich der deutschen Teilung und
der zwei deutschen Staaten bekunden. Vorurteile gegenüber dem jeweils
„anderen“ deutschen Staat würden immer weiter zurückgehen und allmählich
in Neugierde umschlagen. Er habe nicht viel zu kritisieren, außer dass die
finanzielle Situation die Arbeit zum Teil erschwere.
Wolle ging darauf ein, dass eine dialektische Einheit von Repression und
Alltag immer mehr gesehen würde und dieser „Gedanke sich theoretisch
durchsetzt“ womit er einen Bogen zum Beginn der Diskussion schlug.
Hollitzer äußerte sich ebenfalls positiv zu der 1989/90 getroffenen
Entscheidung, offen mit Verantwortlichkeiten und Handlungen in der
SED-Diktatur umzugehen, die sich als „sehr klug und weise“ herausgestellt
habe. Zudem sei es 2009 gelungen, mit dem Lichtfest an positive Ereignisse
des friedlichen Umbruchs am 9. Oktober 1989 in die heutige Erinnerung
aufzunehmen. Allerdings sähe er noch einen wesentlichen Nachholbedarf
bezüglich der Vermittlung von Diktatur und Systemgeschichte an die jüngere
Generation.
Nach einer spannenden Diskussion und unterschiedlichen Auffassungen, mit
denen sich auseinandergesetzt wurde, gab es einen Sektempfang, der die
Möglichkeit Fragen zu stellen und weitere Anregungen zu erhalten bot.
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AUS DEM GÄSTEBUCH
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Mehrere tausend Menschen besuchen monatlich die Gedenkstätte Museum in der
„Runden Ecke“ mit dem Museum im Stasi-Bunker. Manche leben in Leipzig und
kommen – häufig mit Gästen – immer wieder in die Ausstellung. Andere
kommen von weit her zu Besuch in die Stadt und wollen hier sehen, wo und
wie vormals das berüchtigte Ministerium für Staatssicherheit arbeitete.
Viele unserer Besucher hinterlassen eine Notiz im Gästebuch und schreiben
hier ihre Eindrücke nieder, die sie in der Gedenkstätte gesammelt haben.
Unter dieser Rubrik wollen wir monatlich einige dieser Einträge an Sie
weitergeben.
„Very intersting and super that this museum exists. It´s incredibly super
how Germany deals with it´s history. I wish Slowenia would be the same.”
(Besucher der Dauerausstellung aus Slowenien am 01.08.2010)
“Excellent work!”
(Besucher der Sonderausstellung am 01.08.2010)
“Beeindruckend, was man gemeinsam erreichen kann!”
(Besucher der Sonderausstellung am 02.08.2010)
„Hoffnung!! Menschen können sehr viel!!! Ich will mich daran immer
erinnern!“
(Besucher der Sonderausstellung aus Holland am 02.08.2010)
„Bleibt die Hoffnung, dass sich heut und in Zukunft niemand die STASI zum
Vorbild wählt.“
(Besucher der Dauerausstellung am 03.08. 2010)
„Unvorstellbar! Eindrucksvolle Ausstellung, die Pflichtprogramm für Schüler
sein müsste!
(Besucher der Dauerausstellung am 07.08. 2010)
„Erschreckend! Eindrucksvoll! Danke“
(Besucher der Dauerausstellung am 07.08.2010)
„Alle Behauptungen, die DDR sei kein Unrechtsstaat gewesen sowie die
nachträgliche Verklärung der sozialistischen Vergangenheit werden durch
die tolle Ausstellung widerlegt. Wir brauchen mehr Erinnerung und
Geschichtsbewusstsein!“
(Besucher der Sonderausstellung am 07.08.2010)
„Bedrückende Freiheit, befreiter Druck? Es ist schwer zu verdauende
Geschichte, aber hier sehr anschaulich, klar und ehrlich serviert.“
(Besucher der Dauerausstellung am 11.08.2010)
„Ich leide heute noch unter diesem Unrecht was mir dieser DDR-Staat angetan
hat. Schön, dass es dieses Museum gibt. Diese Schande, dieses Unrecht darf
nie vergessen werden!“
(Besucher der Dauerausstellung am 16.08.2010)