Ostalgiker
Als die DDR sich selbst auflöste, verloren zehntausende Stasi-Spitzel ihren Job, ihre Macht und ihren Staat. Viele von ihnen wollen das bis heute nicht akzeptieren. Sie kämpfen weiter für ihren Traum vom Sozialismus.
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Der Chef, das war Werner Großmann. Ein bulliger Mann mit einem festen Händedruck, letzter Dienstgrad: Generaloberst. Sein letzter Beruf: Leiter der Hauptverwaltung Aufklärung, vulgo der letzte Chef der DDR-Auslandsspionage. Er wohnt in einer kleinen Neubausiedlung in Berlin-Hohenschönhausen, außerhalb des früheren Sperrbezirks. Ihm missfällt, wenn er ohne Vorankündigung zu Hause von Journalisten besucht wird, die mit ihm reden wollen. So hat das die Staatssicherheit früher zwar auch gemacht, aber heute sei das nicht mehr in Ordnung. Dennoch schließt Großmann die Türe nicht, er ist neugierig. Und verabredet sich zum Interview am folgenden Tag.
Seine blauen Augen funkeln. Werner Großmann ist schwer krank. Kommende Woche wird er wieder am Herzen operiert, sagt er, einen Bypass hat er schon. Er geht sehr langsam, aber sein Verstand ist hellwach. Seit die DDR sich sang- und klanglos aus der Weltgeschichte verabschiedet hat, leidet Großmann an einem gebrochenen Herzen.
Der General rührt in seinem Kaffee und philosophiert. „Ich vermisse die DDR“, sagt er und wirft einen Blick durchs Fenster auf die grauen Plattenbauten von Hohenschönhausen, „das war meine Heimat.“ Nun ist er Bürger der Bundesrepublik Deutschland, hat einen westdeutschen Pass, darf reisen und sagen, was er will. „Notgedrungen!“, stößt er hervor. Glücklich ist Großmann nicht über so viel Freiheit, im Gegenteil. Er ist wütend. Auf Leute wie Günter Bohnsack („Dieser Lump!“), die jetzt davon profitieren, dass sie Geheimnisse verraten. Auf die letzte Regierung der DDR, weil die das Land gegen die Wand gefahren hat. Auf den früheren sowjetischen Staatschef Michail Gorbatschow, „weil der unser Landverkauft hat“.
Werner Großmann redet ohne Pathos über die Zeit der Wende. Wenn ihm die Worte auszugehen drohen, wenn starke Emotionen hochkommen, verfällt er in ein neutrales Amtsdeutsch, nippt wieder an seinem Kaffee, erzählt weiter. „Als uns klar wurde, dass eine Situation kommen könnte, wo es die DDR nicht mehr geben könnte“, sagt er, „haben wir begonnen mit der Minimierung von Aktenbeständen.“
Diese „Minimierung“ sollte in die Geschichte eingehen als eine der größten Aktenvernichtungsaktionen aller Zeiten. Seit Oktober 1989 liefen Reißwölfe im Ministerium für Staatssicherheit, schredderten persönliche Akten, Lageeinschätzungen, Adresslisten. „Wir haben sogar die Bürgerrechtler dazu gebracht, dafür zu sein. Wir haben ihnen einfach gesagt, dass wir unsere Kundschafter im Westen doch schützen müssen“, sagt Großmann, „und das haben die geglaubt!“ Er lacht höhnisch und fügt dann hinzu: „Die haben zu spät gemerkt, dass wir sie belogen haben.“
Im Gespräch mit Werner Großmann fallen die bemerkenswertesten Sätze nur nebenbei. Wenn er erzählt, dass er lange nach der Wende wieder Kontakt aufgenommen hatte zu seinem westdeutschen Amtskollegen, dem Leiter des Bundesnachrichtendienstes, der ihm klarmachte, dass er keinen Kontakt mehr pflegen dürfe (obwohl er gerne würde). Wenn Großmann durchblicken lässt, dass er sich vor diesem Interview von seinen früheren Untergebenen informieren ließ über die Journalisten, die unangekündigt vor seiner Türe standen. Oder wenn er über die Netzwerke redet, die ihn und die früheren Mitarbeiter noch immer verbinden. „Wir sprechen uns noch immer Trost zu“, sagt er dann, „ich bin ja stolz auf das, was wir damals erreicht haben. Wir haben einen Beitrag zur Erhaltung des Friedens geleistet, das ist Fakt!“
In den rosaroten Erinnerungen des Generals gibt es keine politischen Gefangenen, keine Todesschüsse an der Berliner Mauer, keine flächendeckende Überwachung eines ganzen Volkes. Die DDR, an die sich Großmann erinnert, war ein Staat des Friedens, des Wohlstands und der sozialen Gerechtigkeit.
Eine Stunde ist vergangen, Werner Großmann bestellt sich einen weiteren Kaffee. Gehen will er noch nicht. Etwas möchte er noch sagen. „Wir werden nicht mehr lange leben“, rückt er heraus, „irgendetwas müssen wir der Nachwelt doch hinterlassen.“ Was könnte er der Nachwelt denn hinterlassen? „Ich glaube, dass es bald passiert“, sagt er. Was? „Dass die Gesellschaft sich verändert.“ Und dann? „Dann wird es wieder ein Ministerium für Staatssicherheit geben“, sagt Großmann, „das wird eben anders heißen. Vorläufig hat der Kapitalismus vielleicht gewonnen. Aber der Sozialismus kommt wieder.“
Werner Großmann hat recht, es ist unübersehbar. Lange hatte sich die PDS schwergetan im politischen System der Bundesrepublik, wo es die Konkurrenz anderer Parteien gibt. Doch von diesen sind die Deutschen zusehends enttäuscht. Die Erinnerung an das, was schlecht war an der DDR, verblasst. Längst hat die frühere Ost-Partei PDS auch im Westen Fuß gefasst. Bei der jüngsten Bundestagswahl vor drei Jahren trat die Partei in einem Bündnis gemeinsam mit der westdeutschen Wahlalternative für Arbeit und Soziale Gerechtigkeit (WASG) an und verdoppelte ihren bundesweiten Stimmenanteil beinahe, von fünf auf rund neun Prozent. In Berlin regiert der Bürgermeister Klaus Wowereit gemeinsam mit den ehemaligen Genossen, und noch vor wenigen Monaten hätte sich in Hessen die SPD-Spitzenkandidatin Andrea Ypsilanti am liebsten mit den Stimmen der Sozialisten zur Ministerpräsidentin wählen lassen.
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Der ganze Artikel "Ostalgiker", in dem es nicht nur um Grossmann geht, ist durchaus lesenswert, aber nicht mehr im Original vorhanden, sondern nur noch in einem cache-Archiv zu lesen: