Eine erschütternde Geschichte, wie die Tochter das Leben und Handeln ihres Vaters im II. Weltkrieg recherchiert.
Ich bin im Juni 1942 geboren, da war mein Vater "im Krieg". Zu meiner Einschulung im Jahr 1948 wurde mein Familienstand mit "Halbwaise" angegeben. "Halbwaisen" waren fast die Hälfte meiner Mitschüler, also nichts, worüber ich nachdachte. Peinlich und peinigend empfand ich es nur, meine nötigen Schulutensilien (Hefte, Stifte, Bücher etc.) vor den Augen der anderen Schüler am Lehrerpult in Empfang nehmen zu müssen. Es handelte sich um eine Spende, die alle "Halbwaisen" an meiner Schule erhielten.
Anfang der 50er Jahre gab es eine große Aufregung in der Familie. Mein Vater lebte – in einem Zuchthaus in der DDR. Meine berufstätige Mutter – sie arbeitete als Geschäftsführerin eines kleinen Polizeibeamtenverbandes, des "Schrader-Verbandes"1, dessen Büroräume sich in unseren jeweiligen Wohnungen befanden – war noch nervöser und noch weniger ansprechbar als gewöhnlich. Die Todeserklärung aus dem Jahr 1949 musste aufgehoben werden, damit natürlich auch die damals erfolgte Entnazifizierung. Meiner Mutter gelang es, das Originalurteil aus den Akten des DDR-Pflichtverteidigers meines Vaters stehlen zu lassen. Es wurde vom Westberliner Senat als "Unrechtsurteil" aufgehoben. Der erste Entnazifizierungsbeschluss wurde jedoch noch einmal bestätigt. Mein Vater wurde rechtlich wie ein Dienst tuender Berliner Polizeibeamter behandelt. Dies hatte zur Folge, dass meine Mutter sein Gehalt bekam, später dann seine Pension und nach seinem Tod die Witwenpension.
1955/56 kamen – aufgrund der Gespräche des damaligen Bundeskanzlers Adenauer in Moskau – deutsche Kriegsgefangene aus der UdSSR zurück. Wir putzten die Wohnung, es wurden Wäsche und Anzüge gekauft, wir standen viele Nächte auf dem Bahnhof "Zoologischer Garten" und warteten auf die Rückkehr meines Vaters.2 Es kamen viele Männer, mein Vater nicht. Jahrzehnte später – bei einem Abendessen in Bombay – stieß ich erneut auf diese Geschichte. Mein Gastgeber, auch Jahrgang 1942, hatte als Kind genau wie ich auf dem Bahnhof "Zoologischer Garten" gestanden und auf die Rückkehr seines Vaters gehofft. Sein Vater war tatsächlich bei den Entlassenen dabei gewesen.
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http://www.horch-und-guck.info/hug/arch ... -48/04810/
Die Lehrmittelfreiheit als Halbwaise habe ich 1949 identisch erlebt, wie im 1. Absatz beschrieben.