Vom Mythos der Schlacht von Tannenberg
Die "Schlacht vor Tannenberg" ist der erste große Erfolg der deutschen Armee Im Ersten Weltkrieg. Tannenberg wird zum Mythos – und trägt entscheidend zur Heldenverehrung Hindenburgs bei.
Zitat:
Die größte Einkreisungsschlacht der Weltgeschichte
Der deutsche Sieg bei Tannenberg 1914 hatte viel mit der Ausrüstung und wenig mit Genie zu tun. Dennoch entstand umgehend der Mythos vom "Kriegshelden", der die Scharte von 1410 auswetzte.
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Nach den verlustreichen Gefechten bei Stallupönen und Gumbinnen gab der deutsche Oberbefehlshaber Maximilian von Prittwitz und Gaffron am 20. August 1914 den Befehl zum Rückzug Richtung Weichsel.
Foto: tannenberg1914.de
Nach dem Ende des Ersten Weltkriegs führte Max Hoffmann, der Chef der Operationsabteilung der 8. deutschen Armee, gern Besucher über das Schlachtfeld, wo diese die 2. russische Armee unter General Alexander Samsonow im August 1914 eingekesselt und aufgerieben hatte. Hier hat der Oberkommandierende geschlafen, pflegte er an vielen Stellen zu sagen, und hier und hier.
Hoffmanns ehemaliger Chef Paul von Hindenburg konnte damit leben. Obwohl er als Chef der Obersten Heeresleitung seit 1916 mit die Hauptverantwortung für die Niederlage im Weltkrieg trug, hatte er sich in die Rolle eines Kriegshelden flüchten können, dem es 1925 sogar gelang, als eine Art "Ersatzkaiser" zum demokratisch gewählten Reichspräsidenten aufzusteigen. Das alles verdankte er nicht zuletzt seinem Sieg bei Tannenberg 1914.
Ob es wirklich das militärische Genie Hindenburgs war, das die größte Umfassungsschlacht des Ersten Weltkriegs ermöglichte, haben schon Zeitgenossen bezweifelt. Die meisten sahen Hindenburgs Stabschef Erich Ludendorff als treibende Kraft. Aber auch Korpskommandeure wie Hermann von François, Friedrich von Scholtz oder August von Mackensen begründeten mit ihren Leistungen Ordensverleihungen und die Beförderungen in höhere Kommandos.
Dabei waren es ausgerechnet offene Insubordinationen, die die 8. Armee mehrmals an den Rand der Katastrophe geführt hatten. Die Rekonstruktion der Schlacht im Rahmen einer Exkursion des Zentrums für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr am historischen Ort machte deutlich, wie gering die Einflussnahme der Armeeführung auf die vielen Gefechte wirklich war, die sich die deutschen und russischen Truppen zwischen Wäldern, Mooren und Seen lieferten. Die operative Gesamtplanung lag gewiss bei Hindenburg/Ludendorff. Aber die Kämpfe selbst folgten einer eigenen Dynamik.
Das Fehlen schwerer GeschützeSo verweigerte François am 26. August erneut den Befehl, unverzüglich gegen die linke Flanke des russischen Zentrums vorzurücken. Doch diesmal hatte François, dessen Ehrgeiz (zusammen mit Mackensen) bei Gumbinnen bereits heikle Situationen heraufbeschworen hatte, die Logik auf seiner Seite. Seine schwere Artillerie war noch nicht ausgeladen worden. Damit aber stand die wichtigste Waffe nicht bereit, die den Deutschen immer wieder eine taktische Überlegenheit sicherte.
Samsonows Narew-Armee verfügte mit gut 600 Geschützen nicht nur über 120 weniger als seine Gegner, sondern die meisten dieser Kanonen taugten auch nicht für den indirekten Schuss. Auch war viel zu wenig Munition vorhanden. Die leichten russischen Infanteriekanonen hatten zudem noch einen großen Nachteil: Wegen mangelhafter Zünder detonierten viele Granaten in dem sandigen und morastigen Boden nicht.
Nicht zuletzt gehörte die Aussicht, das Zarenreich würde im Zuge seiner massiven Aufrüstung ab etwa 1917 auch über schwere Haubitzen verfügen, zu den Gründen, die die Militärs in der Juli-Krise in ihr Vabanquespiel getrieben hatten. In Ostpreußen schien sich die Ansicht zu bestätigen. Wo immer die schweren deutschen Geschütze auf verschanzte russische Truppen feuerten, gelangen ihnen Erfolge.
Ansonsten zeigten die Kämpfe in Ostpreußen ein gänzlich anderes Bild als im Westen, wo bereits Kanonen und Maschinengewehre das Schlachtfeld beherrschten. Marcus Pöhlmann, Historiker am ZMSBw, hat anhand einer Regimentsgeschichte die Kriegführung rekonstruiert: "In flottem Tempo setzen sich die breiten Schützenlinien in Bewegung und streben dem etwa 3000 Meter entfernten Usdau entgegen … Ein prachtvolles Bild … Da wird der Befehl ,Seitengewehr – pflanzt auf' gegeben, die Regimentsfahnen werden enthüllt … Plötzlich setzt von vorne hämmernd ein Maschinengewehr ein, hier und dort reißt einer die Arme hoch und bricht zusammen … Rettung nach vorne suchend, stolpern und rennen sie auf die Grabenlinie zu … Die Ersten springen in den Graben, immer mehr drängen nach, die folgenden Minuten sind ein blindwütiges Totmachen mit Bajonetten, Gewehrkolben und Spaten."
Samsonow erschoss sich im WaldAm 27. August zog ein russisches Korps in das weitgehend geräumte Allenstein, die Hauptstadt des Ermlandes, ein. Weiter kam Samsonow nicht. Von Osten und Westen rückten die Deutschen vor. Die beiden russischen Flügelkorps konnten sich durch frühen Rückzug retten.
In der Nacht auf den 28. August erkannte der General die Lage. Statt aber nun alles in seiner Macht Stehende zu tun, um seine Armee durch Flucht nach Süden aus der Umklammerung zu befreien, gab er sein Hauptquartier auf und versuchte, sich zu seinem Zentrum durchzuschlagen. Damit verlor seine Armee die letzte Instanz, die sie noch hätte zusammenhalten können. Zwei Tage später erschoss sich General Samsonow in einem unwegsamen Waldstück. Aus Scham, wie es heißt. Ein weiteres Opfer militärischer Ehre.
Um die ging es auch wiederholt auf deutscher Seite. Als zum Beispiel die beiden Korps von Mackensen und Scholtz nach Hohenstein marschierten, verlangte jener von dem besser positionierten Jüngeren, er solle die einzige vorhandene Straße für seine Truppen frei machen. Bei Hohenstein nahm wahrscheinlich ein Liniengeneral die Gefahr in Kauf, mit seinem Geschützfeuer eine Landwehreinheit zu treffen, die seinem Marschziel im Wege stand.
Mit ihrer Selbstherrlichkeit standen die preußischen Generäle ihren russischen Kollegen vermutlich kaum nach, nur waren ihre Ergebnisse letztendlich erfolgreicher. Das bewies vor allem François, dessen Zögern ihn schließlich zum viel bewunderten Helden machte. Als er endlich seine Truppen beisammen hatte, konnte er das russische Zentrum, das in der Zwischenzeit weiter vorgerückt war, in den Rücken fallen.
Am 31. August erloschen die Kämpfe. Die Narew-Armee verlor gut 120.000 Mann, davon 92.000 Gefangene, die 8. Armee 13.000, davon wurden 4191 als gefallen gemeldet. Kurz darauf wurde auch Rennenkampffs Njemen-Armee in der Schlacht an den Masurischen Seen hinter die Grenze zurückgedrängt.
Hindenburgs großer Tag kam erst danach. Telegrafisch bat er Kaiser Wilhelm II. darum, der Ansammlung von Gefechten zwischen Neidenburg und Alleinstein den Namen "Tannenberg" geben zu dürfen – um damit die "Scharte von 1410" auszuwetzen, als ein polnisch-litauisches Heer bei der Ortschaft Tannenberg die Macht des Deutschen Ordens gebrochen hatte. Dass Tannenberg rund 15 Kilometer von den Schlachtfeldern der Gegenwart entfernt lag, tat nichts zur Sache.
Das Scheitern des Schlieffen-PlansDer Wunsch, der Hindenburg gern gewährt wurde, mehrte nicht nur die Popularität der Sieger, sondern verweist auf eine Deutung, deren Wahn sich einen Weltkrieg später voll entfalten sollte: 1914 sollen "Germanen" einen entscheidenden Sieg über die "Slawen" errungen haben.
Weder die rassische Überhöhung noch die Folgen im Jahr 1914 hatten etwas mit der Wirklichkeit zu tun. Tannenberg war weder eine Entscheidungsschlacht, noch taugte sie zum Vorbild für große Siege. Sie bewies vielmehr, dass der Erste Weltkrieg nichts mehr mit weiträumigen Umfassungen zu tun haben würde, in denen Gräben, Maschinengewehre und weitreichende Geschütze entscheidend waren und nicht mehr Kavalleriemassierungen oder fantasievolle taktische Spielzüge.
Dass die Schlacht von 1914 dennoch zu den herausragenden Erinnerungsorten des Ersten Weltkriegs gehört, erklären die Historiker Friederike Höhn und John Zimmermann im Reader der ZMSBw-Exkursion: Aus zwei Gründen befriedigte Tannenberg Bedürfnisse. Zum einen erbrachte die Schlacht scheinbar den Beleg für die Richtigkeit des vorherrschenden militärischen Denkens, "denn der deutsche Gefechtsplan für Ostpreußen war operativ nichts anderes als die Umsetzung des Schlieffen-Plans im Kleinen. Zweitens befriedigte dieser Sieg wiederum die Sehnsucht nach einem nationale Identität stiftenden Kriegshelden", der die, wie es hieß, "größte Einkreisungsschlacht der Weltgeschichte" geschlagen hatte.
Tannenberg war der erste deutsche Sieg des Krieges, und er wurde offenbar so errungen, wie sich das Eliten und weite Teile der Bevölkerung immer vorgestellt hatten: schnell, großartig, total. Die Materialschlachten, die folgten, wurden dagegen als Unglücke, Abweichungen von der Norm gesehen. Diese Ambivalenz gebar den Mythos, der Hindenburg und Ludendorff 1916 schließlich an die Spitze von Heer und Staat führen sollte.
Dass ausgerechnet der Entschluss des kaiserlichen Hauptquartiers vom 23. August 1914, zur Sicherung Ostpreußens fast drei Armeekorps aus dem Westen abzuziehen und in den Osten zu transportieren, zum Scheitern des Schlieffen-Plans maßgeblich beitrug, gehört zu den sarkastischen Wendungen der Geschichte. "Für die Schlacht bei Tannenberg kamen sie zu spät, fehlten aber entscheidend bei der Offensive im Westen", schreiben Höhn/Zimmermann: Damit war Frankreich der strategische Sieger der Schlacht, was im Jubel der Deutschen untergehen sollte.
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http://www.welt.de/geschichte/article13 ... ichte.htmlmfg
pentium
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