DDR-Kindergefängnis Bad Freienwalde - Die eisige Kälte der MachtIm Kindergefängnis von Bad Freienwalde waren sogar dreijährige Kleinkinder der Staatsmacht ausgeliefert. Ehemalige Insassen kämpfen bis heute erfolglos für eine Opferrente und Rehabilitation. Nur eine der Betroffenen konnte sich erfolgreich bis zum Bundesverfassungsgericht durchklagen: allein und ohne Anwalt.
"Der Zaun, der stammt hier von früher, der steht unter Denkmalschutz. Und dort war dann ein großes Tor, richtig eine doppelte Eingangsschleuse. Die ging dann auf, die war etwas über vier Meter hoch. Und dann wurde man auf den Hof gefahren und dann sah man das Gebäude, total vergittert alles und man, ja, war geschockt fürs Leben."
Roland Herrmann ist 14 Jahre alt, als die Jugendhilfe der DDR ihn 1980 ins Durchgangsheim Bad Freienwalde verfrachtet. Heute dient das ehemalige Gefängnis für unbotmäßige Kinder und Jugendliche als Polizeiwache.
"Keinen Kontakt zur Außenwelt""Also wer reinkam, erst mal drei Tage Einzelhaft, alle persönlichen Gegenstände, auch die Kleidung, wurden einem abgenommen, auch den Kleinen. Man hatte keinen Kontakt zur Außenwelt, sogar ein Mörder, der hat seinen Sprechertag oder sonst wie oder", erinnert sich Roland Hermann. "Nein, wir waren total abgeschottet, in dieses System gefangen."
Roland Herrmann kam als Jugendlicher mit seinem Stiefvater nicht klar, schwänzte die Schule. Die Monate, die er in Bad Freienwalde gequält wurde, wie er sagt, haben tiefe Spuren hinterlassen. Schule gab es nur sporadisch, die Jugendlichen mussten in Zwangsarbeit Lampenfassungen zusammenschrauben. Wer nicht parierte, kam in Einzelhaft, erzählt Herrmann. Oder es gab Prügel, Tritte, ein schwerer Schlüsselbund flog ins Kreuz. Menschenrechtsverletzungen waren das, keine "Erziehungsmaßnahmen", sagt Roland Hermann. Er hat einen "Verein Kindergefängnis Bad Freienwalde" gegründet und fordert:
"Die komplette Rehabilitierung aller ehemaligen Insassen."
Der Vorwurf der FolterDie Bundesratsinitiative will erreichen, dass man als Insasse eines DDR-Spezialheims grundsätzlich Anrecht auf Entschädigung hat. Norda Krauel war zur gleichen Zeit wie Roland Herrmann in Bad Freienwalde. Sie nennt das, was ihr 1980 dort geschehen ist, Folter: Die Aufseherin, die sie mit dem Kopf in einen Toiletteneimer zwingt, oder die Behandlung, als ihr Weisheitszahn eitert.Norda Krauel: "Das schlimmste war der seelische Schmerz." (Vanja Budde/DLF)" Man hat im Flur so einen alten Oma-Holzstuhl - ich weiß nicht, ob man sich das noch vorstellen kann - mit so breiten Lehnen hingestellt. Auf den durfte ich mich dann draufsetzen und meine Gedanken waren ja noch: Da kommt jetzt jemand und guckt sich das mal an. Aber so schnell konnte ich gar nicht gucken, war ich wiederum an der Stuhllehne an den Händen gefesselt und die Füße, und ich habe dagesessen und keine Spritze bekommen, nichts, und man hat ... also man hat mir auf alle Fälle definitiv den Weisheitszahn gezogen."Traumatisches ErlebnisDas schlimmste aber war der seelische Schmerz, die unmenschliche Kälte, die Demütigungen, der Mangel an Mitgefühl. Ein Lichtblick war nur ein kleiner, vierjährige Junge - für die 16-jährige Norda eine Insel der Zärtlichkeit.
"Und eines Tages, da steht der so vor mir und macht die Händchen so: Hochheben. Der war so dünn und so klein und so zart. Und da sagt der kleine Kerl zu mir, der konnte plötzlich reden, da sagt der: 'Stimmt’s? Du kannst auch meine Mutti sein, oder?' Da habe ich dieses Bündel Kind auf dem Arm gehabt und hab natürlich gesagt: 'Klar, ich kann auch deine Mutti sein.'"
Nach einigen Monaten in Bad Freienwalde wurde Norda Krauel ohne Vorwarnung in den Jugendwerkhof Burg verlegt. Es war das letzte Mal, dass sie den Kleinen gesehen hat.
"Und als ich dann nach Burg verfrachtet wurde, stand er auch oben an seinem Fenster, war ja auch alles vergittert. Und da höre ich heute auch noch die Stimme, wie er schreit: 'Nehmt mir nicht meine Mutti weg! Nehmt mir nicht meine Mutti weg, Mutti, nehmt mir nicht meine Mutti weg!' Der hat so was von geschrien, und ich konnte nicht mal winken, ihn nicht drücken, keinen Kuss geben, nichts. Und das belastet mich heute noch so. Ich fühle mich so, als wenn ich ihn im Stich gelassen habe, und da hat auch jahrelang Therapie nichts genutzt. Dass ich ihn im Stich gelassen habe, das sitzt in mir drinne."https://www.deutschlandfunk.de/ddr-kind ... _id=393563