Die Schlacht am Weißen Berg
Part 1
Der böhmische Aufstand fand seinen tragischen Höhepunkt am 8. November 1620 an den Hängen des Weißen Berges. Binnen zweier Stunden schlugen die Streitkräfte des Kaisers und der katholischen Liga die Truppen Böhmens, Mährens, Schlesiens und Niederösterreichs, die von der ungarischen Kavallerie unterstützt wurden. Die Niederlage war endgültig.
Der pfälzische Kurfürst, der von den Aufständischen Prags zum König gewählt worden war, unternahm nicht einmal den Versuch, die Stadt zu verteidigen: Er verließ Prag am folgenden Tag. Damit fiel nahezu das ganze Königreich Böhmen an Kaiser Ferdinand II. zurück. [1] Vor allem in der tschechischen Geschichtsschreibung des 19. Jahrhunderts wurde diese verhängnisvolle Schlacht als Beginn der "Zeit der Finsternis" (Temno) [2] dargestellt. Seither wird die Schlacht am Weißen Berg unaufhörlich erwähnt und ist dennoch weitgehend unerforscht. Im militärischen Sinne gibt sie wenig her und wird auf die wenig glorreiche Flucht "tschechisch" genannter Truppen reduziert. Das gefühlsbetonte tschechische Nationalbewußtsein, das sich in den letzten hundert Jahren entwickelte, stilisierte das Datum zu einem verfluchten Tag und einer schmerzlichen Erinnerung und lief Gefahr, die Realität des Jahres 1620 zu verschleiern.
Hier beginnt die Arbeit des Historikers, der im Dickicht von Hypothesen und Interpretationen das eigentliche Forschungsobjekt wieder zutage befördern muß. Es erscheint ratsam, die Schlacht zunächst aus der Sichtweise der Soldaten zu betrachten und sie als "Eintritt neuer Dimensionen der Kriegsgewalt" zu analysieren. Auf diese Art und Weise ist es möglich, den außerordentlich schwerwiegenden Religionsfaktor aus dem eigentlichen Verlauf des Gefechts auszuklammern und die Schlüsselaussagen über das Krisenmoment herauszustellen. [3]
Die Schlacht kann nicht losgelöst vom Feldzug des Jahres 1620 gesehen werden, dessen Höhepunkt sie war. [4] Der 8. November war ein spätes und schlecht geeignetes Datum für eine Entscheidungsschlacht, denn die kalte Jahreszeit hatte begonnen, und die Soldaten dachten schon an ihre Winterquartiere. Dennoch waren beide Seiten darum bemüht, gerade zu diesem Zeitpunkt die endgültige Entscheidung herbeizuführen. Die Heerführer wollten ein viertes fruchtloses und äußerst kostspieliges Kriegsjahr vermeiden, für die Soldaten sollte das unerträgliche Leiden ein Ende finden. Seit dem Sommer des Jahres 1620 waren die katholischen Heerscharen in Böhmen einmarschiert, sie hatten einen Feind verfolgt, der ihnen unentwegt entwischte. Weit davon entfernt, ein Triumphzug zu sein, ging dieses ungewisse Vorrücken mit furchtbarer Gewalt einher, in einem verwüsteten Land, in dem die Soldaten und ihre Familien unter Hunger, überhöhten Lebensmittelpreisen, Epidemien und Angst litten.
Die Soldaten, die wegen sich verzögernder Soldzahlungen meuterten, begrüßten den Beginn der militärischen Operationen. Obwohl man im Feindesland vorrückte, blieb das Ziel des Feldzugs lange Zeit verworren. Die katholischen Verbündeten, General Buquoy an der Spitze der Kaiserlichen (hierzu gehörten ein großer Teil wallonischer, spanischer, neapolitanischer und toskanischer Truppen sowie polnische Kavallerie) und der Herzog von Bayern, der mit dem Grafen von Tilly die Streitkräfte der katholischen Liga anführte (Bayern, Soldaten der rheinischen Kirchenfürsten, auch Lothringer) waren sich weitgehend uneins. Buquoy, der in den Niederlanden die spanische Kriegsführung erlernt hatte, wollte den Entscheidungskampf, für den seine Verbündeten plädierten, vermeiden. Deshalb wurde Prag erst Ende Oktober zum Angriffsziel erklärt. In Eilmärschen erreichten die Katholiken in den ersten Novembertagen bei Kälte und Nebel die Umgebung von Prag. Nach wiederholtem blinden Alarm schien die Schlacht gegen die verteidigungswillige Armee der Aufständischen jetzt unausweichlich.
Diese Armee, mit dem Fürsten Christian von Anhalt an der Spitze, war ebenso erschöpft wie ihre Verfolger. Sie ließ sich in aller Eile am Weißen Berg nieder, einem Steilhang im Westen Prags nahe dem Schloß Stern, wo der neue König im Jahre 1619 empfangen worden war. Das Heer bestand aus deutschen Söldnern aus den böhmischen Ländern, Verstärkungstruppen aus Mähren, einem schlesischen Truppenkontingent sowie österreichischen und ungarischen Protestanten. Dieses Heer kann keinesfalls als "nationale tschechische Armee" bezeichnet werden; es bestand, wie damals üblich, aus Einheiten unterschiedlicher Nationalitäten, unter denen durchaus nicht immer Einigkeit herrschte. Bei den Söldnern machte sich Unzufriedenheit breit, weil die böhmischen Staaten schlecht und spät zahlten. Warum sollte man sich für derartige Auftraggeber schlagen? Einige Soldaten hatten sogar vor, Prag zu plündern, um sich auf diese Weise zu entschädigen. In der Nacht hörten die Männer des Fürsten von Anhalt den dumpfen Donner der feindlichen Kolonnen im Anmarsch.
Die Bayern voran, rückte der Feind immer schneller vor, wie von einem unsichtbaren Magnet angezogen: Prag. Die Soldaten sehnten ein Ende herbei, für ihre schmerzenden Füße, ihren Mangel an Schlaf, ihre leeren Mägen und ihre Angst vor den Ungarn, die über die Planwagen ihrer Familien herfielen. Der Kampf schien, verglichen mit der endlosen Spannung und der verzehrenden Angst, das kleinere Übel zu sein. Im Morgennebel überfiel die polnische und wallonische Kavallerie ein Dorf am Fuß des Weißen Berges. Die erschöpften Ungarn, die dort arglos schliefen, wurden ohne Widerstand zu leisten niedergemetzelt. Einige Überlebende flohen und übertrugen ihre Angst auf den Berg, wo die Vorposten der Anhaltiner sie plötzlich aus dem dichten Nebel auftauchen sahen. Das Phänomen "Schlacht am Weißen Berg" hatte begonnen.
quelle:
Chaline, Olivier: Die Schlacht am Weißen Berg (8. November 1620)
und lwl.org
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