Historiker: "Hitler war kein Psychopath"
Interview
Mit 3.700 Fußnoten widerlegte der Historiker Christian Hartmann Hitlers Hetzschrift "Mein Kampf". Parallelen zu heute will er nicht ziehen, das wäre eine "Verharmlosung des nazistischen Gedankenguts" Am 27. Jänner 1945 haben die Alliierten das Konzentrationslager Auschwitz befreit. 71 Jahre später wird am Holocaust-Gedenktag der Opfer des Nationalsozialismus gedacht. Hitlers Hetzschrift "Mein Kampf" ist die Grundlage für die nationalsozialistische Ideologie. Der deutsche Historiker Christian Hartmann hat sich jahrelang mit dem Buch beschäftigt und Hitlers Thesen widerlegt. Für ihn ist es "eine brutale, offene Hasspredigt".
STANDARD: Sie haben sich jahrelang mit Hitlers Werk befasst, ist es das Buch eines Psychopathen?
Hartmann: Hitler war kein Psychopath. Er hat einige Auffälligkeiten, aber der Begriff ist zu extrem. In der Lektüre bestätigt sich, was Thomas Mann gesagt hat, nämlich: "Bruder Hitler". Das ist bitter. Unsere Kommentierung zielt darauf ab, zu zeigen, dass Hitler ein Produkt einer Gesellschaft war. Und es gab auch eine Gesellschaft, die Hitlers Propaganda aufgegriffen und verwirklicht hat. Wenn er ein Psychopath gewesen wäre, hätte er nie diesen Erfolg gehabt.
STANDARD: Wie sehr ist der Erfolg an die Gesellschaft damals gebunden?
Hartmann: Die Ideen, die er vertrat, sind deutlich älter als er. Aber es ist die Radikalität und der Fanatismus, mit denen er sie umsetzt, sowie seine Persönlichkeit, seine demagogische Begabung, seine Härte und Kälte. Er ist aus der Mitte der Gesellschaft herausgefallen und an ihrem Rand aufgewachsen. Er hat die Welt vor 1914 gewissermaßen von unten erlebt. Eine Randfigur wie Hitler hätte sonst nie eine Chance besessen. Plötzlich sind es nicht mehr die traditionellen Eliten, an die sich die Gesellschaft wendet, sondern es sind diese seltsamen Außenseiter, die politisch an Einfluss gewinnen.
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