Aufgabe des Nukleararsenals: Ein geschicktes Pokerspiel von Nordkorea?by Prof. Dr. Albert A. Stahel Über die Hintergründe der diplomatischen Avancen des nordkoreanischen Machthabers Kim-Jong-un und seiner Bereitschaft, beim Abschluss eines Nichtangriffspaktes mit den USA die nordkoreanischen Nuklearwaffen aufzugeben, kann heute nur spekuliert werden. Einige Hypothesen über mögliche Beweggründe seien kurz vorgestellt und kommentiert:
1. Kim-Jong-un will offensichtlich das Gelände von Punggye-Ri für nukleare Tests aufgeben. Demnächst sollen Journalisten dieses Gelände als ersten Schritt zur Denuklearisierung von Nordkorea besichtigen. Gemäss Informationen aus China ist aber durch den letzten Test (von insgesamt deren sechs) mit einem 100 Kilotonnen TNT Sprengkopf das Testgelände instabil geworden. Weitere Tests auf dieser Anlage seien nicht mehr möglich. Gleichzeitig soll gemäss Experten Nordkorea bereits heute über 20 bis 60 nukleare Gefechtsköpfe verfügen.[1] Eine genaue Schätzung gib es nicht. Sicher ist, dass Nordkorea auf weitere Tests nicht mehr angewiesen ist. Die Aufgabe des Testgeländes erscheint deshalb als ein geschickter Schachzug für den Beginn der Verhandlungen mit den USA.
2. Nordkorea hat Flugkörper mit einer Reichweite bis zu den USA getestet, aber die Fähigkeit der Nordkoreaner, diese Flugkörper mit nuklearen Gefechtsköpfen auszurüsten, ist nicht gesichert. Es besteht die Möglichkeit, dass diese Tests nur Demonstrationen waren und sich damit als reiner Bluff erweisen könnten. Ein Verzicht auf diese ballistischen Flugkörper mit interkontinentaler Reichweite könnte deshalb keine Schwächung des nordkoreanischen Nukleararsenals im Kurz- und Mittelstreckenbereich sein. Die Bedrohung Japans, Südkoreas und auch Chinas durch das nordkoreanische Nukleararsenal würde in diesem Fall nicht verschwinden.
3. Nachdem China die neuen Sanktionen, die auch zu einer Schwächung der nordkoreanischen Wirtschaft geführt haben, mitgetragen hat, dürfte aus der Sicht des Machthabers in Pjöngjang die Unterstützung durch China nicht mehr gewährleistet sein. Nordkorea wäre von China im Stich gelassen und sich selbst überlassen worden. Die USA könnten, sofern sie die Weiterexistenz des Regimes durch einen Nichtangriffspakt garantierten würden, für Nordkorea der neue, ideale Partner sein.
4. Trotz Reformen, die durch Kim-Jong-un in Gang gesetzt worden sind, dürfte die Wirtschaft Nordkoreas nach wie in einem desolaten Zustand und die Versorgung der Bevölkerung mit Nahrungsmitteln immer noch nur bedingt gesichert sein. Nordkorea hat deshalb einen dringenden Bedarf an Investitionen aus Südkorea und muss den Zugang zur Weltwirtschaft erlangen. Beides kann nur mit Zustimmung der USA erreicht werden. Der Preis dafür könnte die Aufgabe des Nukleararsenals sein.
Fazit: Kim-Jong-un dürfte mit seiner diplomatischen Offensive eine Art Flucht nach vorne betreiben. Er möchte sich mit den USA gegen die Zusicherung eines Nichtangriffspaktes und den Zugang zur Weltwirtschaft arrangieren. Das Mittel in diesem Poker ist die Aufgabe seines vermutlich nur bedingt einsatzfähigen Nukleararsenals. Ob er das gesamte Arsenal wird aufgeben müssen oder allenfalls die Flugkörper im Kurz- und Mittelstreckenbereich, die keine Bedrohung für die USA darstellen, behalten kann, wird von den geopolitischen Interessen von Präsident Donald Trump abhängen. Das Weiterbestehen einer Bedrohung Chinas, aber auch Südkoreas und Japans durch das nordkoreanische Nukleararsenal im Kurz- und Mittelstreckenbereichs könnte sogar im Interesse der USA sein. Zwischen Staaten gibt es keine Freundschaften und sowohl Südkorea wie auch Japan müssten sich in diesem Fall weiterhin mit dem Schutz durch die USA abfinden.http://strategische-studien.com/2018/05 ... nordkorea/