von Volker Zottmann » 23. Juni 2018, 09:57
Dazu passt genau die Sage aus dem Harz:
DREI SIEBE
Zum Teufelsstein der alten Weisen vom Olberg kam einmal zur Sommersonnenwende vorm Sonnenaufgang eine junge, aufgebrachte Frau aus dem Dorfe Suderode. Sie kam den noch im Halbdunkeln liegenden Pfad zum Schwedderberg hinaufgelaufen und wartete voller Ungeduld, den linken Fuß pausenlos auf den Waldboden tippend in gutem Abstand zu der Alten am Opferstein. Sie wartete darauf, dass diese endlich ihr Sonnenwend-Ritual unterbrechen und sich ihr, mit ihrer so wichtigen Neuigkeit zuwenden würde.
Da hatte die Alte endlich ein Einsehen und Mitleid mit den Gräsern und dem Johanniskraut, welche sich der steten Erschütterung des Bodens wehrlos ergaben.
Sie schaute der Jungen tief in die Augen und noch viel tiefer in deren Seele, ließ sie näherkommen und die Stille, mit der sie sich umgab, ermutigte die Junge zu sprechen.
„Ich war gestern auf dem Markt und habe etwas erfahren - ich konnt gar nicht ruhen - das muss ich dir dringend berichten!“, sprudelte es aus ihr hervor.
„Nun,“ entgegnete die Alte, „hast du das, was du mir zu sagen hast, zuvor durch die drei Siebe rieseln lassen?“ „Durch die drei Siebe?“, fragte die Junge verdutzt. „Höre mir gut zu!“, sagte die Alte. „Das erste Sieb, durch das du die Botschaft für mich filtern solltest, ist das Sieb der Wahrheit! Bist du davon überzeugt, dass die Kunde uneingeschränkt wahr ist?“ „Nun, eigentlich hörte ich es von einer Bekannten, die es von ihrer Schwägerin erfuhr und diese ... – also ... eigentlich weiß ich es nicht!“, stotterte die Junge.
„Und, hast du es durch das zweite Sieb gegeben?“ - „Das zweite?“ - „Hast du es mit all deiner Güte betrachtet, ist es eine gute Kunde?“ Die junge Frau errötete: „Ehrlich gesagt, nein!“.
„Und hast du das dritte Sieb bedacht und dich gefragt, ob es nützlich für mich ist, diese Botschaft deiner Bekannten zu bekommen?“, wollte die Weise wissen und lächelte aufmunternd. „Eigentlich,“ flüsterte nun die Junge „ist es weder wichtig noch nützlich zu wissen, was ich dich wissen lassen wollte – verzeih’ bitte, dass ich dich störte!“ „Du störst nicht und bist aus gutem Grunde hier, nur merke dir: Wenn eine Kunde weder wahr, noch gut, noch nützlich ist, behalte sie für dich!“, das sagte die Alte liebevoll, lächelte und lud die Junge mit ihrem Blicke ein, sich neben sie zu setzen.
„Nun höre die Botschaft der alten Eichen, lausche den Weisen des lauen Windes, er weiß um deines- und meinesgleichen und die Kraft des Sonnenkindes!“
Und indem sie das sprach, fielen der Jungen die ersten Strahlen der Sommersonnenwendsonne ins Gesicht, der Südwind streichelte sanft ihre Haut und ein weiteres Lächeln erhellte nun den ehrwürdigen Eichenhain!
(aufgeschrieben von Carsten Kiehne im Bad Suderöder Märchenbuch, 2013)
Gruß Volker