Putin oder Chronik einer perfekten Inszenierung… ?von Susanne Schattenberg„Nun ist mir alles klar geworden“, zitierte am Dienstag, den 10. März, der Nachrichtenmoderator des russischen staatlichen Ersten Fernsehens, Kirill Klemjonow, nicht ohne spöttischen Unterton die populäre russische Schnulze „Gespräch mit dem Glück“. Tatsächlich hatte das Rätselraten bei der Zweiten Lesung in der Staatsduma ein Ende, zu welchem Zweck Russlands Präsident Wladimir Putin am 15. Januar, für alle vollkommen unerwartet, eine Verfassungsreform angekündigt hatte.
Seitdem fragten sich alle – Expert*innen, die Bevölkerung, Journalist*innen, Russland und die ganze Welt – wozu? Die Katze aus dem Sack ließ niemand Geringeres als Valentina Tereschkowa, erste Frau im Weltall, Stolz der Sowjetunion, Aushängeschild des neuen Russlands, Mitglied in der vom Präsidenten eingerichteten Arbeitsgruppe zur Prüfung der eingehenden Vorschläge zur Änderung der Verfassung. Sie trat als letzte ans Rednerpult und formulierte: Das Volk „beschäftige und beunruhige“ die Frage, was nach dem Jahr 2024 sein werde, also nach Putins jetziger vierten und nach gültiger Rechtslage letzten Amtszeit. Tereschkowa fuhr fort, warum man denn dann nicht einfach die Beschränkung der Amtszeiten aufhebe beziehungsweise angesichts der Neudefinition des Präsidentenamts seine Amtszeiten wieder auf Null setzt, wenn das doch ohnehin alle für das Beste hielten.
„Obnulenie“
„Obnulenie“ - wörtlich: Aufnullsetzung ist also das Zauberwort der Stunde. Damit begann die perfekte Choreographie eines dramatischen Nachmittags in Moskau, denn sogleich schlug der Parlamentspräsident Wjatschelaw Wolodin vor, die Sitzung zu unterbrechen, um Putin zu unterrichten und dazu zu befragen. Man fragt sich, warum eigentlich? Warum erscheint es selbstverständlich, dass das Parlament, die gesetzgebende Instanz, erst artig dem Präsidenten vorlegt, was es da beschließen will? Doch diese Frage stellte am Dienstag niemand. Sie war im Drehbuch auch nicht vorgesehen. Man informierte Putin, der sofort medienwirksam herbeieilte und bekundete, er habe nichts gegen eine solche Änderung in der Verfassung, allerdings nur unter einer Bedingung: wenn das Volk dem zustimme. Und damit wurde wirklich alles klar: wozu sowohl die Reform als auch die am 22. April angekündigte Volksbefragung dient. Auch wenn gleich am nächsten Tag bestritten wurde, dass dies eine von langer Hand vorbereitete Inszenierung war, spricht alles dafür: Vor Tereschkowas Auftritt fehlte das Herzstück der Reform, gaben die bekanntgegebenen Mosaiksteine kein ganzes Bild, erschien auch die Volksabstimmung überflüssig, da das gesetzliche Verfahren genau drei Stufen vorsieht: Zweidrittelmehrheit der Duma, Zustimmung des Föderationsrates und von zwei Dritteln der Regionalparlamente. Putin löste am 10. März auch dieses Rätsel: die Verfassungsorgane stimmen über die Verfassung ab – und das Volk über Putin.
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