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Von Nächstenliebe keine Spur1,3 Millionen Menschen in Deutschland verdienen ihr Geld bei der Kirche. Christliche Großherzigkeit sollten sie von ihrem Arbeitgeber aber nicht erwarten. Im Gegenteil.
„Wer eine Ehefrau gefunden hat, der hat etwas Gutes gefunden und Wohlgefallen erlangt vom Herrn.“ Dieses Bibelzitat (Sprüche 18,22) sollte eigentlich über jeden Zweifel erhaben sein. Und doch können Christen, die danach handeln, massiven Ärger bekommen. Zumindest dann, wenn sie für einen kirchlichen Arbeitgeber arbeiten – und die Freuden einer Eheschließung gleich mehrfach genießen wollen.
Diese Erfahrung machte auch ein Chefarzt aus Düsseldorf. Der geschiedene Katholik arbeitete für ein kirchliches Krankenhaus. Als er beschloss, seiner langjährigen Lebensgefährtin einen Antrag zu machen, nahm das Schicksal seinen Lauf. Die Zweitehe war so gar nicht nach dem Geschmack der Gottesleute. Der Arzt kassierte die Kündigung.
Das Argument: Eine Wiederheirat sei ein schwerer Verstoß gegen die katholische Sittenlehre, eine Weiterbeschäftigung des Mediziners unter diesen Bedingungen nicht möglich. Der geschasste Arzt wollte das nicht hinnehmen. Er klagte sich bis zum Bundesarbeitsgericht. Doch das ersehnte Grundsatzurteil blieb aus. Die Erfurter Richter entschieden am Donnerstag: Wer in Einrichtungen der katholischen Kirche arbeitet, sich von seinem Ehepartner scheiden lässt und erneut heiratet, riskiert auch künftig seinen Job. ...
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Was Recht ist, bestimmt die KircheWenn es darum geht, ihre Sonderrechte durchzusetzen, müssen die Kirchen noch nicht einmal das Grundgesetz bemühen: Weil sie schon zu Zeiten bestanden, in denen die Bundesrepublik Deutschland noch nicht einmal angedacht war, hilft ihnen bereits die Weimarer Reichsverfassung: Die gesteht den Kirchen und Religionsgemeinschaften das Recht zu, frei von staatlicher Einflussnahme ihre Angelegenheit zu regeln – und zwar selbst dann, wenn die kirchlichen Vorstellungen nicht mit den Wertungen der staatlichen Gesetze übereinstimmen.
Für Verwaltungsangestellte, Kindergärtnerinnen und Sozialarbeiter in kirchlichen Diensten bedeutet dies konkret: Ihr Arbeitgeber darf von ihnen nicht nur verlangen, dass sie ihren beruflichen Pflichten sorgfältig nachkommen. Er kann auch darauf pochen, dass seine Mitarbeiter sich in jeder Lebenslage gemäß der christlichen Moral- und Sittenlehre verhalten. Tun sie das nicht, laufen sie Gefahr, ihren Job zu verlieren.
Privates wird zum Kündigungsgrund
Anders als die meisten weltlichen Arbeitgeber können die Kirchen damit sogar das Privatleben ihrer Mitarbeiter zur Chefsache machen. Ein anstößiger Lebenswandel beziehungsweise das, was die Kirche dafür hält, genügt für einen Rauswurf. Präzedenzfälle aus der Praxis gibt es reichlich. ...
Warum die Gewerkschaften machtlos sindWovon viele weltliche Arbeitgeber nur träumen können, ist für die Kirchen seit langem Realität: Seit Menschengedenken sind sie von Arbeitskämpfen verschont geblieben. Auch Tarifverträge gibt es nur sehr vereinzelt, nämlich in der Nordelbischen Evangelischen Kirche und in der Kirche von Berlin-Brandenburg. Im Übrigen lehnen die Kirchen und ihre Einrichtungen Tarifverhandlungen mit den Gewerkschaften ab, betrachten Streiks als unzulässig und auch Betriebs- oder Personalräte sucht man in kirchlichen Einrichtungen vergebens.
Den Gewerkschaften ist das natürlich ein Dorn im Auge – ändern dürfte sich auf absehbare Zeit allerdings nichts. Grund ist erneut das kirchliche Selbstbestimmungsrecht. Sowohl evangelische als auch katholische Arbeitgeber betrachten jeden einzelnen ihrer Angestellten als Teil einer Dienstgemeinschaft, „deren gemeinsame Verantwortung darin besteht, das Evangelium in Wort und Tat zu verkündigen.“
Aus kirchlicher Sicht hat daher nicht nur eine Erzieherin, die im Kindergarten aus der Bibel vorliest, eine göttliche Mission zu erfüllen. Auch jede Operation, die in einem kirchlichen Krankenhaus durchgeführt wird, jede Briefmarke, die in der Poststelle aufgeklebt wird und selbst der eilends geschwungene Putzlappen in der Patiententoilette ist Teil der „Verkündung des Evangeliums“. Damit leisten Arbeitnehmer weit mehr, als die bloße Erfüllung ihrer arbeitsvertraglichen Pflichten: Sie werden zum Teil des Heilswerkes Jesu Christi. ...
Wenn der Ehemann zum Jobkiller wirdNicht nur das Streikrecht ist den Kirchen alles andere als heilig: Auch wenn es darum geht, sich von unliebsamen Mitarbeitern zu trennen, genießen die Gottesleute jede Menge Privilegien. So können sie einen Arbeitnehmer zum Beispiel kündigen, wenn sie mit dessen Eheleben nicht einverstanden sind. Besonders streng verfährt hier die katholische Kirche. Sie geht davon aus, dass eine gültig geschlossene Ehe „durch keine menschliche Gewalt und aus keinem Grunde, außer dem Tod, aufgelöst werden kann“.
Diese Auffassung führt dazu, dass selbst ein geschiedener Katholik in den Augen der Kirche verheiratet bleibt und im Fall einer zweiten (standesamtlichen) Eheschließung gegen die kirchliche Sittenlehre verstößt. Die Folge: Der Arbeitgeber darf ihn vor die Tür setzen. Diese Erfahrung machten zum Beispiel die Lehrerin eines katholischen Gymnasiums, die ihren Job verlor, nachdem sie einen geschiedenen Mann geheiratet hatte (BAG 7 AZR 232/83).
Schwul sein ist gefährlich
Recht rabiat gehen die katholischen Arbeitgeber auch mit Mitarbeitern um, die sich offen zu ihrer Homosexualität bekennen. Die Marschroute legte kein Geringerer fest, als der heutige Papst.
Bereits vor Jahren schrieb er, damals noch als Vorsitzender der Glaubenskongregation: „Die spezifische Neigung der homosexuellen Personen ist zwar in sich nicht sündhaft, begründet aber eine Tendenz, die auf ein sittlich betrachtet schlechtes Verhalten ausgerichtet ist.“ Darum verdienten homosexuelle Lebensgemeinschaften keine Anerkennung, sondern seien „für die gesunde Entwicklung der menschlichen Gesellschaft schädlich“.
Entsprechend dieser Ausführungen trifft die katholische Kirche gegenüber ihren schwulen oder lesbischen Arbeitnehmern eine mehr als feinsinnige Unterscheidung. Solange sie nur homosexuelle Neigungen haben, diese aber nicht ausleben, müssen sie sich um ihren Job keine Sorgen machen. ...
Wie Europa die Kirchen in die Schranken weisen willDie Tatsache, dass die Kirchen in Deutschland ohne Weiteres einem schwulen Mitarbeiter kündigen oder einen Kirchenaustritt mit einer Entlassung ahnden können, ist der Europäischen Kommission in Brüssel ein Dorn im Auge. Immerhin hat man es sich hier zur Aufgabe gemacht, Diskriminierungen wegen der Religion und der sexuellen Orientierung so weit wie möglich zu verhindern und zu diesem Zweck gleich mehrere Richtlinien erlassen, die die Mitgliedstaaten in nationales Recht umsetzen mussten.
Umstrittenes Gesetz
Auch Deutschland hat im Jahr 2006 eine entsprechende Regelung verabschiedet, das allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG). Allerdings hat man den Kirchen auch hier weitgehende Sonderrechte eingeräumt. So heißt es in Paragraf 9 des AGG wörtlich: „Das Verbot unterschiedlicher Behandlung (...) berührt nicht das Recht der (...) Religionsgemeinschaften, (...) von ihren Beschäftigten ein loyales und aufrichtiges Verhalten im Sinne ihres jeweiligen Selbstverständnisses verlangen zu können.“
„Mit dieser Regelung hat Deutschland seine Gestaltungsspielräume bis aufs Äußerste ausgereizt, nach meiner Meinung aber nicht überschritten“, urteilt Gregor Thüsing, Professor für Arbeits- und Sozialrecht an der Universität Bonn. Die Reaktion aus Brüssel ließ dennoch auch nicht lange auf sich warten. Mehrfach schon hat die Regierung Post von der EU-Kommission erhalten, in der die mangelhafte Umsetzung der europäischen Antidiskriminierungsrichtlinien und die Reichweite der kirchlichen Sonderrechte gerügt werden.
Experten gehen deshalb davon aus, dass über kurz oder lang der Europäische Gerichtshof (EuGH) entscheiden muss, ob Deutschland mit seinem kirchenfreundlichen Gesetz zu weit gegangen ist, oder ob die Privilegien der Kirchen auch in Zukunft Bestand haben werden. „Das Europarecht ist eine offene Flanke für die Sonderrechte der Kirchen“, resümiert Arbeitsrechtsprofessor Hammer. Wie der EuGH entscheiden wird, wagt er jedoch nicht zu prognostizieren. Zudem dürfte bis zu einem solchen Urteil noch einige Zeit vergehen. ...".
quelle:
http://www.focus.de/finanzen/karriere/arbeitsrecht/tid-16756/arbeitgeber-kirche-von-naechstenliebe-keine-spur_aid_468469.htmlmeine frage dazu, ist das alles im sinne der allgemeinheit/ demokratie ?
gruß vs