Ende Mai 2019 deckte der Journalist Martin Doerry, dessen jüdische Großmutter Lilli Jahn im KZ Auschwitz-Birkenau ermordet wurde, im Spiegel nach Recherchen eines Teams um die Berliner Historikerin Gabriele Bergner auf, dass die auf Hingsts Blog veröffentlichten Erzählungen über ihre vermeintlich eigene – angeblich jüdische – Familiengeschichte und deren 22 Holocaust-Opfer nicht der Wahrheit entsprachen.[4] Auf einigen Podien und Tagungen war sie in der Doppelrolle als Historikerin und Nachkomme verfolgter Juden aufgetreten.[2][18] Obwohl sie in Wirklichkeit einer evangelischen Familie entstammte[19], reichte sie bei Yad Vashem Dokumente ein, die belegen sollten, dass Angehörige ihrer Familie Opfer des Holocaust geworden seien.[4] Bergner und der Spiegel wandten sich an das Stadtarchiv Stralsund mit der Bitte um Informationen zu den angeblichen jüdischen Vorfahren, die aus Stralsund stammen sollten. Dabei stellte sich heraus, dass dort nur zwei dieser Menschen – ihre Urgroßeltern Hermann und Marie Hingst – gelebt hatten und keiner davon Jude war. Ihr Großvater, der Auschwitz-Häftling gewesen sein soll, arbeitete in Wahrheit als evangelischer Pfarrer. Daraufhin informierte der Stralsunder Oberbürgermeister Alexander Badrow das Auswärtige Amt über den Vorfall.[20] Dem Spiegel zufolge ließ Hingst dazu über einen Anwalt mitteilen, dass die Texte ihres Blogs „ein erhebliches Maß an künstlerischer Freiheit“ für sich in Anspruch nähmen.[4] Über den Fall wurde auch in ausländischen Medien berichtet.[21][22][23][24][25]
Darüber hinaus berichtete Hingst in ihrem Blog über von ihr geleistete Sexualaufklärung männlicher syrischer Flüchtlinge in einer Arztpraxis einer deutschen Kleinstadt. Schon 2007 habe sie als 19-Jährige eine Slum-Klinik in Neu-Delhi gegründet und dort die gleiche Arbeit angeboten.[26] Diese Geschichten stellten sich ebenfalls als erfunden heraus.
Die Geschichte über die Sexualaufklärung syrischer Flüchtlinge publizierte sie 2017 in der Wochenzeitung Die Zeit unter dem Pseudonym Sophie Roznblatt, weil sie vorgab, dass es für sie zu gefährlich sei, ihren echten Namen zu verwenden.[27] Im Rahmen der Recherche des Spiegels überprüfte Zeit Online im Mai 2019 diesen Gastartikel (Das Problem mit dem Penis).[28][29] Dabei täuschte Hingst, die von der Redaktion um eine Stellungnahme gebeten worden war, mit „Scheinidentitäten, falschen Zeugen und vermeintlichen Belegen“, unter anderem auch der Scheinidentität einer verstorbenen Person, was sich durch einen Besuch bei Verwandten herausstellte.[28] Die Redaktion von Zeit Online kam daher zu dem Schluss, dass die von Hingst im Gastartikel behaupteten Ereignisse „weitgehend falsch sind“, und entfernte den Beitrag.[28][30]
Die Frankfurter Allgemeine Zeitung hatte 2017 ein Interview mit Hingst über den Aufklärungsunterricht bei Geflüchteten veröffentlicht, ohne ihren Namen zu erwähnen.[31] Das Interview wurde „wegen begründeter Zweifel“ an der Wahrheit des Geschilderten ebenfalls offline gestellt.[31]
Auch in mehreren Rundfunksendern war über die Aufklärung bei Geflüchteten berichtet worden. Das Gespräch Hingsts mit Deutschlandfunk Nova[32][33][34] wurde mittlerweile entfernt.[35] Der Bericht in der Bayern-2-Rundfunksendung Zündfunk vom 16. Mai 2017 wurde aufgrund der gesetzlichen Richtlinien schon im Mai 2018 depubliziert. Bayern 2 kündigte an, vor dem Senden den Wahrheitsgehalt genauer zu prüfen.[36] Der Radiosender SWR3, der ebenfalls berichtete, gestand zu, dass sie „sowohl in ihren Mails als auch im Gespräch sehr überzeugend gewirkt“ habe und es deswegen zu einem Interview mit ihr gekommen sei.[37]
https://de.wikipedia.org/wiki/Marie_Sophie_Hingst