Anmeldung aus Nottingham, GB

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Re: Anmeldung aus Nottingham, GB

Beitragvon Dille » 8. Januar 2015, 22:21

Hallo Bugsy,

zuerst auch einmal von mir (ich warte gern ab, ob ein Anmelder sich auch wirklich einbringt) ein Willkommen im Forum. Zugleich will ich Dir meinen Respekt für Dein Deutsch ausdrücken, nicht alles wirklich richtig, aber so einige Sprach- Wendungen wirklich fein, sehr angenehm zu lesen !

Deinen Drall zu diesem DDR- System kann ich nicht teilen, ich bin in diesem System aufgewachsen und habe 1971 diesen Staat „illegal“ verlassen. Dies ist aber ein anderes Thema, Du fragst nach dem DDR- Schulsystem. Darauf will ich zuerst (aus meiner Zeit) eingehen.

Ich bin 1950 eingeschult in Ost- Berlin, in der Klasse waren wir knapp 40 SchülerInnen, meine Klassenlehrerin eine „Neu- Lehrerin“, damals vielleicht gerade 20 Jahre alt (meine liebe Frl. Anders). Sie heiratete einen Lehrer derselben Schule, den Hr. Hoffmann, der auch ab der 3. Klasse mein Klassenlehrer war. Ab der 5. Klasse bekam ich einen neuen Klassenlehrer, einen älteren Herren, der noch aus dem 1. Weltkrieg geschädigt war und ab und zu auch mal ausrastete und z.B. Kleiderbügel auf der ersten Bank zerschlug, den Hr. Wolff. Insgesamt habe ich meine Grundschulzeit (um die geht es gerade), aber in angenehmer Erinnerung, auch weil ich ein guter und leichtlernender Schüler war.

Zur Frage Lernmittel : ich erinnere mich, daß Schulbücher frei waren, am Ende des Schuljahres zurückgegeben wurden, man neue Bücher für’s nächste Schuljahr bekam, diese in einer Mords- Aktion zu Hause eingeschlagen wurden, und pfleglich behandelt wurden – so finde ich dies auch heute richtig. Alles andere (Hefte, Zirkel, Füller, Stifte etc.) mußte gekauft werden, ich erinnere mich auch nicht, daß Pflichtliteratur z.B. für den Deutsch- Unterricht gestellt wurde ?? Ich meine, die mußte ebenfalls gekauft (z.B. Reclam) werden.
Meine liebe Frl. Anders (dann Fr. Hoffmann) mit ihrem Mann flüchtete so Mitte der 50er- Jahre nach West- Berlin.
Christenlehre war nach meiner Erinnerung Anfang der 50er- Jahre auch noch in den Schulräumen, als ich dann teilnahm, also 1957/ 1958, nicht mehr, wir gingen dann ins Gemeindehaus in Berlin- Köpenick. Ich schrieb dies schon mehrmals, mein Klassenlehrer, der Hr. Wolff, kam eines Abends zu meinen Eltern nach Hause und gab ihnen den guten Rat, wenn ich auf die Oberschule (also 9. – 12. Klasse) wolle, sollten wir meine Konfirmation bis nach dem Übertritt auf die Oberschule verzögern --- mine Zensuren waren mit in der Klassenspitze, aber es war nicht opportun, derartige „reaktionäre“ Gesinnung zu offenbaren.

Das soll Dir 2 Dinge zeigen : es wurde „sortiert“ nach Gesinnung, aber es gab diese aufrechten Lehrer, die die sich dem auch subtil widersetzten, so wie mein Klassenlehrer (deshalb regen mich auch diese fiesen Angriffe auf Nov65 auf).

Ich war dann also auf der Oberschule, wir waren noch so knapp 30 in einer Klasse, es war 1958/ 1959, also noch bei „offener“ Grenze in Berlin. Lernmittel nach meiner Erinnerung unverändert (als frei), der Stil „zog“ etwas an, ich war bislang nicht in den „Jungen Pionieren“, mir wurde aber bedeutet, daß die FDJ- Mitgliedschaft schon unabdingbar sei. So trat ich in der 9. Klasse auch der FDJ bei, mit dem Gefühl, „..ob nun keiner, oder alle bei dem Verein sind, ist auch egal...“, und so war es auch. Montägliche Fahnenappelle, „Kampf“demonstrationen mit Pflichtteilnahme (wo man sich in Ost- Berlin am „Stellplatz“ zeigte, und dann in kleiner Gruppe nach West- Berlin ins Kino entfleuchte...), das war üblich. Ebenfalls üblich war, daß ich regelmäßig nach (West- Berlin) Neukölln (Karl Marx Str.) fuhr, um einzukaufen (vor allem Kaffee für die Familie), regelmäßig fuhr ich zum Bhf. Zoo ins Amerikahaus in den Lesesaal oder um Filme zu schauen, regelmäßig gingen wir zur „Grünen Woche“ oder zur „Funkausstellung“ oder zu „Menschen, Tiere, Sensationen“ in der Deitschlandhalle..

All das änderte sich dann abrupt mit dem Mauerbau 1961, es war noch Ferienzeit, aber wir wurden noch vor Ferienende in die Aula einbestellt und uns wurde von der Direktorin verboten, Westsender zu hören und zu sehen. Das letzte Schuljahr begann dann am 1.Sep. 1961, der Ton wurde deutlich ruppiger im sog. „Staatsbürgerkundeunterricht“, seine Mitschüler kannte man ja weitgehend aus den 3 Jahren zuvor – man hörte was gepfiffen wurde, natürlich „Schlager der Woche“ des RIAS. Nachdem nun keiner mehr über West- Berlin diesem „Staat“ entkommen konnte, wurde auch die Wehrpflicht eingeführt, und wir wurden als Abiturjahrgang besonders traktiert, uns „freiwillig“ für zumindest für 3 Jahre, besser aber noch für eine Offizierslaufbahn als „Ehrendienst“ zu verpflichten. Primitiver ging es nimmer, es lief immer darauf hinaus „...bist du für den Krieg, oder für den Frieden....“, was willst du als 18- Jähriger darauf antworten ?? Zum Glück hatten wir in unserer Klasse ein paar ganz 100- Prozentige, die sich für eine Offizierslaufbahn entschieden, damit war das Klassen“soll“ (ja, das gab es wirklich, eine Vorgabe !) erfüllt und die Anderen hatten dann ihre Ruhe.
Ich muß zur Schulbildung hier noch anfügen : nimm’ es mir nicht übel Bugsy mit Deiner „Denke“ über jene DDR, wir waren nicht geübt in freier Meinungsäüßerung (in der Öffentlichkeit), wir waren „erzogen“ dazu, 2 „Meinungen“ zu haben, eine „offizielle“, und eine „private“ im Familien-/ Freiundeskreis. Ich war erschrocken über mich 1968 in Primorsko/ Bulgarien, wo wir (ein Freund und ich) am Strand auf eine Gruppe west- deutscher AbiturienteInnen trafen, mit welcher Unbeschwertheit, Offenheit, Gelassenheit die miteinander und mit uns diskutierten --- wir waren das überhaupt nicht gewohnt, wir waren wie Krüppel !

Meine Chemielehrerin an der Oberschule wollte gern, daß ich Chemie studiere, da war ich recht gut, aber seit frühen Jahren habe ich mit Detektoren, Röhrenradios und mit den ersten frei käuflichen Transistoren (Atzert Radio in West. Berlin am Anhalter Bahnhof) experimentiert, so daß ich dann eine Funkmechaniker- Lehre im VEB Funkwerk Köpenick begann. Als Abiturient ist man natürlich gefühlt der King, eigentlich müßte das Studium auf dem Silbertablett daherkommen – kam es aber nicht, in der Regel mußte man zuvor einen Beruf erlernen. Natürlich gemault – aber im Nachhinein muß ich sagen, dies war etwas Gutes im DDR- Bildungssystem, dieser Zwang erst einmal etwas Praxis zu schnuppern, Ich habe später immer etwas lästerlich gesagt, ich weiß wenigstens, wo beim Lötkolben vorn und hinten ist ! Und noch etwas Gutes hatte diese Lehrzeit : ich habe vorzeitig ausgelernt (2 ½ Jahre) und dann noch ein paar Monate bis zum Beginn des Studiums in einer Brigade im VEB Funkwerk Köpenick als Facharbeiter gearbeitet : damals hab’ ich immer zu mir gesagt, „Dille“, denk’ dran, so willst du nicht dein Leben verbringen, beiß’ immer die Zähne zusammen.

Dann ab 1965 Studium der Elektrotechnik in Dresden (TU), Studium in der DDR war ein verlängerter Schulbetrieb, stark reglementiert. Ich bekam anfangs 140,- Mark Stipendium, ich war „Angestellten“kind, „Arbeiter“kinder bekamen 190,- Mark. (meine Eltern arbeiteten beide als Buchhalter in der KWV Berlin Köpenick). Diese Ungerechtigkeit wurde etwa 1967 abgeschafft, da bekamen dann alle Studenten 190,- Mark. Davon gingen 10,- Mark für das Studentenheim ab, die ersten 4 Semester in einem 4- Mann Zimmer in der Julius Otto Str. In Dresden, dann ein 6- Mann Zimmer in der Güntzstrasse in Dresden. Ich will darüber nicht lamentieren – es gibt immer Vor- und Nachteile, im 4- Mann Zimmer waren wir immer gleiche Fachrichtung, gleiches Semester, das hilft auch beim Studium, im 6- Mann Zimmer waren auch höhere Semester, das nannte man dann „Rückenwind“, da Professoren ja auch nur Menschen sind und von Jahr zu Jahr sich nur ungern neue Klausuren und Übungen einfallen lassen, so konnte man manches „abkupfern“. Natürlich ist ein Leben auf einem Zimmer zu sechst, Toilette und Waschraum auf dem Flur, Lebensmittel „gekühlt“ vor dem Fenster auch nicht unbedingt einfach, aber man richtet sich ein, ich verkläre davon heute auch manches, gerade auch weil „der harte Kern“ aus der Zeit der Julius Otto Strasse heute noch zusammenhält (nach 45 Jahren) --- aber ob West- Studenten so gelebt haben wollten ????
Auch an der Uni war natürlich ein Teil politische Indoktrination, in meinem Vorstellungsthread habe ich auch über die Zeit des „Prager Frühlings“ (wo wir in Dresden natürlich besonders nah dran waren) geschrieben, man stand in solchen Situationen immer auf der „Kippe“, sagst du deine wahre Meinung zur Okkupation in der CSSR --- war’s das mit deinem Studium, also heulst du (möglichst leise) mit den Wölfen.
Noch zum Studium : unser Studienablauf war streng reglementiert, wir hatten im Mittel 6 Klausuren/ Semester, davon durfte man sich einen „Fehlschuß“ leisten, dann durfte man wiederholen, und wenn dann nicht, das war’s – dann mußte man gehen. Ich habe ein gewisses Verständnis dafür (man soll Steuergeld natürlich auch effizient einsetzen), aber dafür, daß unser Studium noch sehr mit Andersartigem überfremdet war (ich meine jetzt nicht einmal Maximus- Lenimus), sondern z.B. 3 Semester mit „Technischer Mechanik“, ein brutales Fach, armdicke Balken zu biegen bis sie brechen, ging ja noch, aber was da noch so alles kam...

Ich hab’ auch das alles „überstanden“, war dann frischgebackener Dipl.- Ing. der Elektrotechnik, und begann meinen ersten Job im VEB Maschinelles Rechnen der Staatlichen Zentralverwaltung für Statistik in Ost- Berlin. Meine Erlebnisse in Prag und die brutale Reaktion der Hardliner im „Sozialistischen“ Lager 1968 mit dem Überfall auf die CSSR hatten allerdings seit 1968 meine Entscheidung reifen lassen, daß dieses System zu keinerlei Veränderung willens und fähig ist (jedenfalls nicht zu meinen Lebzeiten) und da ich – bis ich es einmal besser wissen werde --- mal annehmen muß, daß ich nur einmal lebe, mein Leben dort nicht verplempern will, und dieses System mit meinem Können und Wissen auch nicht unterstützen will. So bin ich dann 1971 durch Drau und Mur geschwommen und habe mir hier ein Leben nach meinen Vorstellungen aufgebaut, keinesfalls perfekt, aber heute rundum zufrieden mit dem, was ich erreicht habe, was ich erlebt habe, was ich mir schaffen wollte...

Wenn Du noch Rückfragen zum Schul-/ Studiensystem hast, gern, ich werden in meinen Gehirnwindungen kramen...

Gruß, Dille
Dille
 

Re: Anmeldung aus Nottingham, GB

Beitragvon tom-jericho » 8. Januar 2015, 22:35

@ Dille

Sehr gut geschrieben, und auch ein Grund, warum es mich hier im Forum hält.

Eine Zeit, die ich nicht miterlebte, da zu jung.

Eure SEG-15D und EKD`s vom Funkwerk Köpenick waren dann für mich in den 80-er Jahren treue Begleiter und Weltniveau.

Danke. [hallo]
tom-jericho
 

Re: Anmeldung aus Nottingham, GB

Beitragvon Bugsy » 8. Januar 2015, 23:21

Lieber Dille,

Ein wirklich guter Bericht, muss ich sagen. Und vielen Dank, dass du dir die Zeit genommen hast, dein “Werdegang“ so ausführlich zu beschreiben. Es ist sehr interessant, zeigt aber auch, dass Leute schon unterschiedlicher Meinung sein können ohne sich gleich anfeinden zu müssen.
Ich bin geboren und aufgewachsen in der Republik Irland und habe meine dadurch gewonnene eigene (andere) Sichtweise seinerzeit mit in die DDR genommen. Es ging auch nicht anders. So ist es gekommen, dass ich dies und jenes schon anders beurteilt und aufgefasst habe. Es liegt wohl in der Natur der Sache im Fall, denke ich.
Deshalb meine ich eine gewisse “Dreigleisigkeit“ bezogen auf die Meinung der DDR-Bürger ausgemacht zu haben. Erstens gab es die „offizielle“ Meinung, nach der alles toll war, dann kam was ich die “Arbeitsstellenmeinung“ nenne. Da war man unter den KollegInnen gelegentlich leicht kritisch (aber sehr leicht) und schließlich gab es die private Meinung. Nun kann es sein, dass ich da mit meiner “ausländischer Sichtweise“ falsch liege, aber ich meine, klare Unterschiede festgestellt zu haben.
Ich habe bereits einen Faden über die Bildung in der DDR eröffnet und schon eine ganze Menge dazugelernt. Das wird mir helfen, ein klares Bild der Sache in mein Buch einzubauen, damit allfällige Ungenauigkeiten der Wessi Berichterstattung entgegengewirkt werden können, um somit zu einer ausgewogenen Meinung der DDR zu gelangen. So hoffe ich zumindest.

MsG

PS. Ich arbeite immer noch daran, mein Deutsch zu verbessern, aber meine Bemühungen werden teilweise von den Reform Heinis zunichte gemacht. Sie basteln andauernd an irgendwelchen "Verbesserungen" und zwingen mich dazu, das bereits mühsam Gelernte wieder zu verwerfen und neue Regeln zu lernen. Sehr frustrierend.
Fünf Minuten vor der Zeit is des Soldaten Püncklichkeit. Der Sanitäter kommt fünf Minuten später.

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